Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Am Johannistage fand eine großartige Festlichkeit statt. Iwan Matwjejewitsch ging am vorhergehenden Tage nicht aufs Bureau, sondern fuhr wie ein Besessener in der Stadt umher und kam jedesmal mit einem gefüllten Sacke oder mit einem gefüllten Korbe nach Hause.
Agafja Matwjejewna lebte drei Tage lang nur von Kaffee, und nur für Ilja Iljitsch wurden drei Gerichte zubereitet; die übrigen Hausgenossen aßen irgendwie und irgendwas.
Anisja legte sich am vorhergehenden Tage überhaupt nicht schlafen. Nur Sachar schlief für seine Frau und für sich selbst und blickte auf all diese Vorbereitungen geringschätzig, ja beinahe mit Verachtung.
»Bei uns in Oblomowka wurden für jeden Freitag solche Vorbereitungen veranstaltet«, sagte er zu den beiden Köchen, die aus der gräflichen Küche engagiert waren. »Manchmal gab es fünf verschiedene Arten Kuchen, und Saucen so viele, daß sie gar nicht zu zählen waren! Den ganzen Tag über schmausten die Herrschaften und dann noch den folgenden Tag. Und wir Diener hatten an dem, was übrig blieb, fünf Tage lang zu essen. Und kaum hatten wir das auf, dann kamen auch schon neue Gäste, und es ging wieder von vorn los. Hier aber kommt es nur einmal im Jahre vor!«
Beim Mittagessen präsentierte er die Gerichte immer zuerst seinem Herrn und ging um keinen Preis darauf ein, sie vorher einem Herrn mit einem großen Orden am Halse zu präsentieren.
»Unser Herr ist von altem Adel«, sagte er stolz; »aber diese hier, was sind das für Gäste!«
Dem am Ende der Tafel sitzenden Tarantiew präsentierte er die Schüsseln überhaupt nicht, oder er legte ihm selbst soviel auf den Teller, als ihm gut dünkte.
Sämtliche Kollegen Iwan Matwjejewitschs waren erschienen, etwa dreißig Personen.
Eine riesenhafte Forelle, farcierte junge Hühner, Wachteln, Gefrorenes und ausgezeichneter Wein, all dies verherrlichte in würdiger Weise den Namenstag.
Beim Schlusse der Mahlzeit umarmten die Gäste einander, erhoben den Geschmack des Wirtes bis zum Himmel und setzten sich dann zum Kartenspiel hin. Muchojarow verbeugte sich, dankte ihnen und sagte, er habe für das Glück, so werte Gäste zu bewirten, sich ein Drittel seines Gehaltes nicht leid sein lassen.
Gegen Morgen gingen oder fuhren die Gäste in etwas bedenklicher Verfassung weg, und wieder verstummte alles im Hause bis zum Eliastage. An diesem Tage war von Fremden bei Oblomow niemand zu Gaste als Iwan Gerasimowitsch und Alexejew, jener schweigsame, dienstfertige Mensch, welcher am Anfang unserer Erzählung Ilja Iljitsch zur Feier des ersten Mai eingeladen hatte. Oblomow wollte dem Bruder der Wirtin nichts nachgeben, sondern bemühte sich vielmehr, durch eine in dieser geringen Behausung unbekannte Feinheit und Eleganz der Bewirtung zu glänzen.
Statt der fetten Fischpasteten erschienen mit Luft gefüllte Pastetchen; vor der Suppe wurden Austern gereicht; dann folgten junge getrüffelte Hühner in Papilloten, Filet, feinstes Gemüse, englische Suppe.
In der Mitte des Tisches prangte eine riesige Ananas, und rings herum lagen Pfirsiche, Kirschen und Aprikosen. In Vasen standen frische Blumen.
Kaum hatte man sich an die Suppe gemacht, und kaum hatte Tarantjew angefangen, auf die Pastetchen und auf den Koch zu schimpfen wegen seines dummen Einfalls, nichts in sie hineinzutun, als sich das wütende Gebell des an der Kette umherspringenden Hundes vernehmen ließ.
Eine Kutsche kam auf den Hof gefahren, und es fragte jemand nach Oblomow. Alle saßen mit offenem Munde da.
»Einer meiner Bekannten vom vorigen Jahre wird sich an meinen Namenstag erinnert haben«, sagte Oblomow. »Ich bin nicht zu Hause; sage, ich sei nicht zu Hause!« rief er Sachar flüsternd zu.
Das Mittagessen fand im Garten, in der Laube, statt. Sachar stürzte fort, um den Besucher abzuweisen, und stieß auf dem Gartensteige mit Stolz zusammen.
»Andrei Iwanowitsch!« rief er erfreut mit seiner heiseren Stimme.
»Andrei!« rief ihn Oblomow laut entgegen und eilte auf ihn zu, um ihn zu umarmen.
»Da komme ich ja gerade zur rechten Zeit, gerade zum Mittagessen!« sagte Stolz. »Gib mir etwas zu essen; ich habe Hunger. Mit Not und Mühe habe ich dich aufgefunden!«
»Komm, komm, setz' dich!« sagte Oblomow geschäftig und ließ ihn neben sich Platz nehmen.
Bei Stolzens Erscheinen stieg als erster Tarantjew flink über den Flechtzaun und ging in den Gemüsegarten; nach ihm verschwand Iwan Matwjejewitsch hinter die Laube und begab sich heimlich in seine Giebelstube. Auch die Wirtin erhob sich von ihrem Platze.
»Ich störe«, sagte Stolz aufspringend.
»Wo wollen Sie denn hin? Warum denn? Iwan Matwjejewitsch! Michei Andrejewitsch!« rief Oblomow.
Die Wirtin brachte er dazu, sich wieder auf ihren Platz zu setzen: aber Iwan Matwjejewitsch und Tarantjew vermochte er nicht zurückzurufen.
»Wo kommst du her? Wie geht es dir? Bist du auf lange hier?« überschüttete er Stolz mit Fragen.
Stolz war auf zwei Wochen gekommen, in Geschäften, und wollte sich dann aufs Land begeben, dann nach Kiew und Gott weiß wohin sonst noch. Er sprach bei Tische nur wenig, aß aber tüchtig; man sah, daß er tatsächlich Hunger hatte. Die übrigen aßen erst recht schweigend.
Nach dem Essen ließ Oblomow, als alles vom Tische abgeräumt war, Champagner und Selterwasser in die Laube bringen, und blieb dort mit Stolz allein.
Sie schwiegen eine Weile. Stolz blickte ihn lange unverwandt an.
»Nun, Ilja?« sagte er endlich, aber in so ernstem, fragendem Tone, daß Oblomow die Augen niederschlug und schwieg. »Also ›nie‹?«
»Was meinst du mit ›nie‹?« fragte Oblomow, als verstände er nicht.
»Hast du das schon vergessen: ›jetzt oder nie‹?«
»Ich bin jetzt nicht mehr ein solcher Mensch wie ich damals war, Andrei«, antwortete Oblomow endlich. »Meine Angelegenheiten sind Gott sei Dank in Ordnung; ich liege nicht müßig herum; mein Plan ist beinah fertig; ich halte mir zwei Journale; die Bücher, die du mir hiergelassen hast, habe ich fast alle gelesen . . .«
»Warum bist du denn nicht ins Ausland gekommen?« fragte Stolz.
»Ins Ausland zu reisen, daran hinderte mich . . .«
Er stockte.
»Olga?« fragte Stolz, ihn bedeutsam anblickend.
Oblomow wurde dunkelrot.
»Wie, du hast schon gehört . . . Wo ist sie jetzt?« fragte er schnell, indem er Stolz anblickte.
Stolz fuhr ohne zu antworten fort, ihn anzusehen, und schaute tief in seine Seele hinein.
»Ich habe gehört, sie sei mit der Tante ins Ausland gefahren«, sagte Oblomow, »bald nachdem . . .«
»Bald nachdem sie ihren Irrtum erkannt hatte«, beendete Stolz den Satz.
»Weißt du etwa . . .« begann Oblomow, der nicht wußte, wo er vor Verlegenheit bleiben sollte.
»Ich weiß alles«, erwiderte Stolz. »Sogar von dem Fliederzweige weiß ich. Schämst du dich nicht, Ilja, tut es dir nicht leid? Fühlst du keine Reue, kein Bedauern?«
»Sprich nicht davon, erwähne es nicht!« unterbrach ihn Oblomow eilig. »Ich habe so schon ein Fieber durchgemacht, als ich sah, welch eine Kluft zwischen ihr und mir liegt, als ich mich davon überzeugte, daß ich ihrer nicht wert bin . . . Ach, Andrei! wenn du mich liebst, so quäle mich nicht, erinnere mich nicht mehr an sie; ich hatte ihr schon längst ihren Irrtum nachgewiesen; aber sie hatte mir nicht glauben wollen . . . wirklich, ich bin nicht übermäßig schuldig . . .«
»Ich beschuldige dich nicht, Ilja«, erwiderte Stolz, in weichem freundschaftlichem Tone. »Ich habe deinen Brief gelesen. Am meisten bin ich schuld, in zweiter Linie sie, erst in dritter Linie du, und das nur in geringem Maße.«
»Was macht sie jetzt?« fragte Oblomow schüchtern.
»Was sie macht? Sie ist traurig, weint untröstlich und verflucht dich . . .«
Schrecken, Mitleid, Entsetzen, Reue prägten sich bei jedem Worte auf Oblomows Gesichte aus.
»Was sagst du da, Andrei!« rief er, sich von seinem Platze erhebend. »Komm, um Gotteswillen, wir wollen hin, sofort, diesen Augenblick: ich will sie zu ihren Füßen um Verzeihung bitten . . .«
»Setz' dich ruhig hin!« unterbrach ihn Stolz lachend. »Sie ist fröhlich, sogar glücklich. Sie hat mir aufgetragen, dich zu grüßen, und wollte an dich schreiben: aber ich habe ihr das ausgeredet und gesagt, das würde dich aufregen.«
»Nun, Gott sei Dank!« rief Oblomow beinah mit Tränen. »Wie freue ich mich, Andrei; laß dich küssen, und dann wollen wir auf ihre Gesundheit trinken!«
Sie tranken jeder ein Glas Champagner.
»Wo ist sie denn jetzt?«
»Jetzt ist sie in der Schweiz. Zum Herbst wird sie mit der Tante nach ihrem eigenen Gute fahren. Ich bin zu diesem Zwecke jetzt hier: es ist noch eine abschließende Bemühung beim Appellationsgerichte erforderlich. Der Baron hat den Prozeß nicht bis zu Ende geführt: er kam auf den Einfall, sich um Olgas Hand zu bewerben . . .«
»Wirklich? Das ist also wahr?« fragte Oblomow. »Nun, und sie?«
»Sie hat ihn selbstverständlich abgewiesen; er fühlte sich gekränkt und reiste weg; da muß ich jetzt den Prozeß zu Ende bringen! In der nächsten Woche wird alles zum Abschluß gelangen. Nun, und wie geht es dir? Warum hast du dich in diese abgelegene Gegend verkrochen?«
»Hier ist es ruhig und still, Andrei: niemand stört mich . . .«
»Worin?«
»In der Arbeit . . .«
»Ich bitte dich, hier ist es ebenso wie in Oblomowka, nur garstiger«, sagte Stolz, indem er um sich blickte. »Laß uns zusammen auf dein Gut fahren, Ilja.«
»Auf das Gut . . . schön, meinetwegen; da beginnt jetzt bald der Bau. Nur nicht so schnell, Andrei; laß mich die Sache erst überlegen . . .«
»Wieder überlegen! Ich kenne deine Überlegungen: du wirst ebenso überlegen, wie du seinerzeit überlegtest, ob du ins Ausland fahren solltest. Laß uns in der nächsten Woche hinfahren.«
»Wie kann ich denn das so plötzlich, schon in der nächsten Woche?« sträubte sich Oblomow. »Du bist einmal im Gange; aber ich muß doch erst die nötigen Vorbereitungen treffen . . . Ich habe hier meine ganze Wirtschaft; die kann ich doch nicht so ohne weiteres stehen und liegen lassen. Und ich habe nichts für die Reise.«
»Dazu ist auch nichts nötig. Na, was brauchst du denn?«
Oblomow schwieg.
»Mit meiner Gesundheit ist es übel bestellt, Andrei«, sagte er. »Ich leide an Atemnot. Die Gerstenkörner haben sich wieder eingestellt, bald an dem einen, bald an dem andern Auge, und meine Füße haben angefangen zu schwellen. Manchmal, wenn ich in der Nacht eingeschlafen bin, ist es mir plötzlich so, als schlüge mich jemand auf den Kopf oder auf den Rücken, so daß ich aufspringe . . .«
»Hör' mal Ilja, ich sage dir in allem Ernst: du mußt deine Lebensweise ändern; sonst ziehst du dir die Wassersucht oder einen Schlagfluß zu. Mit den Hoffnungen auf die Zukunft ist es schon zu Ende: wenn Olga, dieser Engel, nicht imstande gewesen ist, dich auf ihren Flügeln aus deinem Sumpfe herauszutragen, so werde auch ich nichts ausrichten können. Aber dir einen kleinen Wirkungskreis suchen, dein Gut einrichten, dich mit den Bauern abgeben, dich mit ihren Angelegenheiten beschäftigen, bauen, pflanzen – all das mußt und kannst du tun . . . Ich werde nicht ablassen, dich dazu anzutreiben. Jetzt erfülle ich damit nicht nur meinen eigenen Wunsch, sondern den Willen Olgas. Sie will (hörst du wohl?), daß du nicht ganz stirbst, dich nicht lebendig begräbst, und ich habe versprochen, dich aus dem Grabe herauszuholen . . .«
»Sie hat mich noch nicht vergessen! Bin ich das denn wert?« rief Oblomow mit tiefer Empfindung.
»Nein, sie hat dich nicht vergessen und wird dich, wie es scheint, nie vergessen; das liegt nicht in ihrem Wesen. Du wirst sie noch auf ihrem Gute besuchen müssen.«
»Nur nicht jetzt, um Gotteswillen, nicht jetzt, Andrei! Laß mich das Vergangene vergessen. Ach, hier ist noch . . .«
Er zeigte auf sein Herz.
»Was ist da noch? Doch nicht Liebe?« fragte Stolz.
»Nein. Scham und Gram!« antwortete Oblomow mit einem Seufzer.
»Nun gut! Laß uns zu dir hinfahren: du mußt ja bauen lassen; jetzt ist Sommer, die kostbare Zeit geht vorüber . . .«
»Nein, ich habe einen Bevollmächtigten. Er ist auch jetzt auf dem Gute, und ich kann später hinfahren, wenn ich es mir werde überlegt und mich fertig gemacht habe.«
Er begann Stolz gegenüber damit zu prahlen, wie vortrefflich er, ohne sich vom Fleck zu rühren, seine Angelegenheiten in Ordnung gebracht habe, wie der Bevollmächtigte Nachforschungen nach den flüchtigen Bauern anstelle, das Getreide vorteilhaft verkaufe, wie er ihm fünfzehnhundert Rubel geschickt habe und in diesem Jahre wahrscheinlich den Pachtzins einziehen und ihm schicken werde.
Stolz schlug bei dieser Mitteilung die Hände über dem Kopfe zusammen.
»Du bist schmählich bestohlen worden!« sagte er. »Von dreihundert Seelen fünfzehnhundert Rubel! Wer ist dein Bevollmächtigter? Was ist das für ein Mensch?«
»Mehr als fünfzehnhundert«, verbesserte Oblomow. »Er hat aus dem Erlös für das Getreide auch noch die Gratifikation für seine Bemühung erhalten . . .«
»Wieviel denn?«
»Ich habe die Zahl wirklich nicht im Kopfe; aber ich werde es dir zeigen; ich habe irgendwo die Rechnung darüber.«
»Na, Ilja, du bist tatsächlich gestorben, zugrunde gegangen!« schloß er. »Zieh dich an und komm zu mir!«
Oblomow wollte Einwendungen machen; aber Stolz nahm ihn fast mit Gewalt mit sich in seine Wohnung, faßte eine Vollmacht auf seinen eigenen Namen ab, ließ sie von Oblomow unterschreiben und erklärte ihm, er nehme Oblomowka solange in Pacht, bis Oblomow selbst nach dem Gute gekommen sein werde und sich in die Wirtschaft werde hineingefunden haben.
»Du wirst dreimal soviel bekommen«, sagte er; »nur werde ich nicht lange dein Pächter sein können; ich habe mit meinen eigenen Angelegenheiten zu tun. Komm jetzt mit aufs Land oder folge mir recht bald nach! Ich werde auf Olgas Gute sein; das liegt dreihundert Werst von dem deinigen entfernt; ich will aber auch zu dem deinigen heranfahren, den Bevollmächtigten wegjagen, das Nötige anordnen; und dann kommst du selbst hin! Ich werde dir keine Ruhe lassen.«
Oblomow seufzte.
»Ach, das Leben!« sagte er.
»Was ist denn mit dem Leben?«
»Es faßt einen an; man hat keine Ruhe! Ich möchte mich am liebsten hinlegen und einschlafen . . . für immer . . .«
»Das heißt, du möchtest das Licht auslöschen und im Dunkeln bleiben! Ein schönes Leben! Ach, Ilja, du solltest wenigstens ein bißchen philosophieren, wirklich! Das Leben huscht vorbei wie ein Augenblick, und du möchtest dich hinlegen und einschlafen! Laß es vielmehr ein beständiges Brennen und Leuchten sein! Ach, wenn man doch zweihundert, dreihundert Jahre leben könnte!« schloß er. »Wie viele Sachen könnte man dann erledigen!«
»Du bist eben von andrer Art, Andrei«, erwiderte Oblomow; »du hast Flügel; du lebst nicht, du fliegst; du besitzt Begabung und Ehrgeiz; du bist nicht dick, siehst du; dich belästigen keine Gerstenkörner; dir juckt nicht der Nacken. Du bist sozusagen anders organisiert . . .«
»Ach, rede doch so etwas nicht! Der Mensch ist so geschaffen, daß er sich selbst organisieren und sogar seine Natur umändern kann; aber du hast dir einen Bauch stehen lassen und denkst nun, die Natur habe dich mit dieser Last heimgesucht! Du hast Flügel gehabt; aber du hast sie abgeworfen.«
»Wo sind sie jetzt, die Flügel?« sagte Oblomow traurig. »Ich verstehe mich auf nichts . . .«
»Das heißt, du willst dich auf nichts verstehen«, unterbrach ihn Stolz. »Es gibt keinen Menschen, der sich nicht auf irgend etwas verstände; nein, wahrhaftig nicht!«
»Doch; ich, ich verstehe mich auf nichts!« sagte Oblomow.
»Wenn man dich so hört, so sollte man glauben, du verständest nicht einmal, eine Eingabe an eine Behörde oder einen Brief an den Hauswirt zu schreiben; aber an Olga hast du doch einen Brief geschrieben? Und du hast darin keine Konfusion mit ›welcher‹ und ›daß‹ gemacht? Und da hattest du auf einmal auch elegantes Briefpapier und Tinte aus dem Englischen Magazin und schriebst eine flotte Hand; wie?«
Oblomow errötete.
»Als es notwendig war, da hattest du auf einmal gleich Gedanken und Redewendungen, die man ohne weiteres in einem Romane drucken lassen könnte. Wenn dich aber keine Not drängt, dann verstehst du dich auf nichts, und du hast eine Schwäche in den Händen! Du hast die Geistesfrische schon in deiner Kindheit, in Oblomowka, verloren, zwischen den Tanten und den Kinderfrauen und den Kinderwärtern. Das hat mit der Unfähigkeit angefangen, die Strümpfe anzuziehen, und mit der Unfähigkeit zu leben geendet.«
»All das ist vielleicht wahr, Andrei; aber da ist nichts zu machen; es läßt sich nicht ändern!« sagte Ilja mit einem Seufzer fester Entschlossenheit.
»Warum soll es sich nicht ändern lassen?« erwiderte Stolz ärgerlich. »Was sind das für Torheiten! Höre auf mich und tu, was ich sage, dann wirst du es ändern!«
Aber Stolz fuhr allein aufs Land, während Oblomow zurückblieb und versprach, im Herbste hinzukommen.
»Was soll ich zu Olga sagen?« fragte Stolz seinen Freund vor der Abreise.
Oblomow ließ den Kopf hängen und schwieg traurig; dann seufzte er.
»Erinnere sie nicht an mich!« sagte er endlich verlegen. »Sage Ihr, du hättest mich nicht gesehen und nichts von mir gehört . . .«
»Das wird sie nicht glauben«, erwiderte Stolz.
»Nun, dann sage ihr, ich sei zugrunde gegangen, gestorben, verschollen . . .«
»Dann wird sie weinen und sich lange Zeit nicht trösten lassen; wozu sollen wir sie traurig machen?«
Oblomow dachte gerührt nach; seine Augen waren feucht.
»Nun gut«, schloß Stolz; »ich werde sie belügen und ihr sagen, du lebtest von der Erinnerung an sie und suchtest nach einem ernsten, festen Ziele. Aber das merke dir: das Ziel des Lebens besteht in dem Leben selbst und in der Arbeit, nicht in einem Weibe; in dieser Hinsicht seid ihr beide in einem Irrtume befangen gewesen. Wie zufrieden sie sein wird!«
Sie nahmen voneinander Abschied.