Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehntes Kapitel.

Bemühungen eines Vaters, ein verlornes Kind zur Tugend zurückzuführen.

Obgleich der Knabe die Person des Mannes nicht genau beschreiben konnte, der seine Schwester in die Postkutsche gehoben, so fiel doch mein Verdacht einzig und allein auf unsern jungen Gutsherrn, der wegen solcher Intriguen nur zu bekannt war. Ich lenkte meine Schritte also nach Thornhill Castle, fest entschlossen, ihm heftige Vorwürfe zu machen und wo möglich meine Tochter wieder zurückzubringen. Ehe ich aber noch seinen Wohnsitz erreichte, traf ich eins von meinen Pfarrkindern, welches mir sagte, ihm sei ein junges Frauenzimmer, meiner Tochter ähnlich, mit einem Herrn in einer Postkutsche begegnet, den ich der Beschreibung nach für Herrn Burchell halten mußte. Auch setzte er hinzu, sie wären sehr rasch gefahren. Dieser Bericht befriedigte mich aber keineswegs, und ich wanderte nach dem Schlosse des jungen Gutsherrn, den ich sogleich zu sprechen verlangte, obgleich es noch früh am Tage war.

Er kam mir mit heiterer, unbefangener Miene sogleich entgegen, schien sehr bestürzt über die Nachricht von der Flucht meiner Tochter und versicherte mir auf seine Ehre, daß er durchaus nichts von der Sache wisse. Ich verdammte jetzt meinen frühern Argwohn und konnte ihn nur auf Herrn Burchell richten, weil derselbe, wie ich mich erinnerte, in der letzten Zeit mehrmals heimlich mit Olivia gesprochen. Auch konnte ich bei dem Bericht eines zweiten Zeugen nicht länger an seiner Schändlichkeit zweifeln. Dieser behauptete nämlich, meine Tochter wäre wirklich mit ihm zu einem etwa dreißig Meilen entfernten Badeorte gereist, wo gerade viel Besuch sei. Da ich in einem Gemüthszustande war, wo man geneigter ist, rasch zu handeln, als der Vernunft Gehör zu geben, so fiel es mir gar nicht ein, daß diese Berichte vielleicht von Personen herrühren könnten, die mich absichtlich irre führen wollten. Ich entschloß mich also, meiner Tochter und ihrem Entführer dorthin zu folgen. Ich wanderte rasch vorwärts und erkundigte mich überall unterwegs, doch ohne etwas zu erfahren, bis ich in die Stadt trat. Da begegnete mir ein Mann zu Pferde, den ich früher in Gesellschaft des Gutsherrn gesehen hatte, und welcher mir versicherte, ich würde sie gewiß einholen, wenn ich ihnen etwa dreißig Meilen weiter bis zu einem Orte folgen wollte, wo gerade ein Wettrennen gehalten werde. Dort habe er sie noch am vergangenen Abend tanzen sehen, und die ganze Gesellschaft sei von der Anmuth meiner Tochter entzückt gewesen. Früh am nächsten Morgen machte ich mich auf den Weg zu dem Orte des Wettrennens, wo ich um vier Uhr Nachmittags ankam. Die Gesellschaft war sehr glänzend und schien keinen andern Zweck zu haben, als das Vergnügen aufzusuchen – sehr verschieden von dem meinigen, der darin bestand, ein verlornes Kind auf den Weg der Tugend zurückzuführen. Plötzlich glaubte ich, in einiger Entfernung vor mir Herrn Burchell zu erblicken; doch als fürchte er eine Unterredung mit mir, verlor er sich unter dem Gedränge, und ich sah ihn nicht wieder.

Jetzt kam ich zu der Ueberzeugung, daß es fruchtlos sein werde, meine Nachforschungen fortzusetzen, und ich beschloß, wieder zu meiner unschuldigen Familie zurückzukehren, die meiner Gegenwart bedurfte. Doch meine Gemütsbewegung und die Beschwerden der Reise zogen mir ein Fieber zu, dessen Symptome ich schon fühlte, ehe ich die Rennbahn verlassen. Das war ein neuer, unerwarteter Schlag, da ich mehr als siebzig Meilen von meinem Hause entfernt war. Ich begab mich in ein kleines Wirthshaus an der Landstraße, den gewöhnlichen Zufluchtsort der Armuth und der Mäßigkeit. Dort legte ich mich geduldig nieder, um den Ausgang meiner Krankheit abzuwarten. Ich schmachtete fast drei Wochen, bis endlich meine kräftige Constitution den Sieg davon trug. Nun aber fehlte es mir an Geld, um die Kosten meines Unterhalts bestreiten zu können. Vielleicht hätte schon die Unruhe darüber mir einen Rückfall zugezogen, hätte mich nicht ein Reisender unterstützt, der in der Schenke einsprach, um eine kleine Erfrischung zu sich zu nehmen. Dieser Mann war Niemand anders, als der menschenfreundliche Buchhändler am St. Paulskirchhofe zu London, der so viele Bücher für Kinder geschrieben hat. Er nannte sich ihren Freund; doch war er der Freund der ganzen Menschheit. Kaum war er vom Pferde gestiegen, als er auch schon wieder forteilen wollte, denn er war stets mit sehr wichtigen Geschäften überhäuft und sammelte gerade damals Materialien zu der Geschichte eines gewissen Thomas Trip. Ich erkannte sogleich das kupfrige Gesicht des gutmüthigen Mannes, denn er hatte meine Schrift gegen die Deuterogamisten verlegt. Von ihm borgte ich mir eine kleine Summe, die ich bei meiner Rückkehr wieder abtragen wollte. Als ich das Wirthshaus verließ, war ich aber noch so schwach, daß ich nur in kleinen Tagereisen von etwa zehn Meilen nach Hause zurückzukehren beschloß.

Meine Gesundheit und Gemüthsruhe waren so ziemlich wieder hergestellt, und ich tadelte jetzt den Stolz, womit ich mich der strafenden Hand der Gerechtigkeit widersetzt hatte. Selten weiß der Mensch, welches Mißgeschick seine Geduld übersteigt, bis er es selbst zu erdulden hat. Wie wir beim Ersteigen der Gipfel des Ehrgeizes, die von unten so glänzend uns entgegenschimmern, bei jedem Tritte verborgene Gefahren und Täuschungen treffen, so findet auch beim Hinabsteigen in das Thal des Elends, welches uns von dem Gipfel des Vergnügens aus düster und widerwärtig erschien, der stets rege, nach Genuß strebende Geist immer etwas, was ihm schmeichelt oder ihn ergötzt. Beim Herannahen scheinen sich selbst die dunkelsten Gegenstände zu erhellen, und das Auge des Geistes gewöhnt sich an die Finsterniß.

Ich wanderte weiter und war etwa zwei Stunden gegangen, als ich in einiger Entfernung einen Wagen bemerkte, den ich anfangs für eine Kutsche hielt. Es gelang mir, denselben einzuholen; doch als ich näher kam, sah ich, daß es der Wagen einer wandernden Schauspielertruppe war. Mit Coulissen und anderm Theatergeräth beladen, fuhr er nach dem nächsten Dorfe, wo man Vorstellungen geben wollte. Bei dem Wagen befand sich nur der Fuhrmann und ein Einziger von der Gesellschaft. Die übrigen Schauspieler wollten am folgenden Tage nachkommen.

Gute Gesellschaft verkürzt die Reise, sagt das Sprichwort. Ich ließ mich daher mit dem armen Schauspieler in ein Gespräch ein, und da ich selber früher einiges theatralisches Talent besessen hatte, so verbreitete ich mich über diesen Gegenstand mit meiner gewöhnlichen Freimütigkeit. Ich war indessen mit dem gegenwärtigen Zustande der Bühne wenig bekannt und fragte ihn daher, welches jetzt die beliebtesten dramatischen Dichter, welches die Brytons und Otways des heutigen Tages wären? – »Ich glaube, mein Herr,« entgegnete der Schauspieler, »nur wenige unserer neueren Dramatiker würden es für eine Ehre halten, mit den erwähnten Schriftstellern verglichen zu werden. Brytons und Robe's Manier ist gänzlich aus der Mode. Unser Geschmack ist um ein ganzes Jahrhundert zurückgegangen, Fletcher, Ben Ionson und Shakspeare's sämmtliche Schauspiele sind die einzigen Dinge, die jetzt Glück machen.« »Wie?« rief ich, »ist es möglich, daß unser Zeitalter an der veralteten Sprache, an dem verbrauchten Humor und an den übertriebenen Charakteren, die in den genannten Werken im Ueberflusse vorhanden sind, Geschmack finden kann?«– »Mein Herr, erwiederte mein Begleiter, »das Publicum bekümmert sich weder um Sprache, noch um Humor, noch um Charaktere. Das ist seine Sache nicht. Nur der Unterhaltung wegen geht man ins Theater, und man ist zufrieden, wenn unter Ionsons oder Shakspeare's Namen eine Pantomime aufgeführt wird.« – »Da muß ich also glauben,« erwiederte ich, »daß unsere neuern Dramatiker mehr Nachahmer Shakspeare's als der Natur sind.« – »Die Wahrheit zu sagen,« versetzte mein Reisegefährte, »weiß ich nicht, ob sie überhaupt etwas nachahmen. Auch verlangt das Publicum es nicht von ihnen. Nicht die Composition des Stücks, nur die Theatercoups und Gruppirungen finden rauschenden Beifall. Ich kenne ein Stück, welches auch nicht einen einzigen Witz enthält, aber doch vom Publicum vergöttert wurde; und ein anderes machte dadurch Glück, weil der Dichter darin einen Anfall von Bauchgrimmen vorkommen ließ. Nein, mein Herr, die Stücke von Congreve und Farquahar haben für den jetzigen Geschmack zu viel Witz; unsere moderne Sprache ist bei weitem natürlicher.«

Indessen waren die Habseligkeiten der wandernden Truppe im Dorfe angekommen, wo man schon von unserer Ankunft benachrichtigt zu sein schien, denn Alles lief herbei, um uns anzugaffen. Mein Begleiter äußerte, wandernde Schauspieler hätten mehr Zuschauer vor der Thür, als drinnen. Ich hatte nicht daran gedacht, daß eine solche Gesellschaft nicht für mich passe, bis sich ein großer Volkshaufen um mich versammelte. Ich nahm daher so schnell als möglich zu der ersten besten Thürschenke meine Zuflucht, wo man mich in das Gastzimmer wies. Dort kam ein wohlgekleideter Mann auf mich zu und fragte, ob ich ein wirklicher Prediger bei der Schauspielertruppe sei, oder ob ich bloß diese Rolle auf der Bühne spiele? Als ich ihm gesagt, daß ich keineswegs zu der Gesellschaft gehöre, war er so herablassend, mich und den Schauspieler zu einer Bowle Punsch einzuladen, wobei er mit der größten Lebhaftigkeit und Interesse über die neuesten politischen Ereignisse sprach. Ich hielt ihn für nichts Geringeres, als ein Parlamentsmitglied, und wurde in meiner Vermuthung noch bestärkt, als er fragte, was es im Hause zum Abendessen gebe, und dann darauf bestand, daß der Schauspieler und ich in seinem Haust zu Abend speisen sollten, wozu wir uns auch nach einigem Bitten bewegen ließen.


 << zurück weiter >>