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Fünfzehntes Kapitel.

Herrn Burchells Niederträchtigkeit wird auf einmal entdeckt. Die Thorheit überklug sein zu wollen.

Der Abend und ein Theil des folgenden Tages wurden mit den fruchtlosen Bemühungen hingebracht, unsere Feinde zu entdecken. Fast keine Familie in der Nachbarschaft entging unserm Verdachte, und Jeder von uns hatte Gründe für seine Meinung, die er selber am besten kennen mußte. Mitten in dieser Verlegenheit brachte einer von unsern kleinen Knaben, der vor der Thür gespielt, eine Brieftasche, die er auf dem Rasenplatze gefunden. Wir sahen sogleich, daß sie Herrn Burchell gehöre, bei dem wir sie gesehen hatten, und als wir sie näher untersuchten, fanden wir verschiedene Andeutungen über mancherlei Dinge darin. Was aber besonders unsere Aufmerksamkeit auf sich zog, war ein versiegeltes Billet mit der Aufschrift: Copie eines Briefes, den ich an die Damen zu Thornhill Castle absenden will. Jetzt war es uns klar, daß er der niederträchtige Verleumder sei, und wir berathschlagten, ob wir den Brief erbrechen sollten oder nicht. Ich stimmte dagegen; doch Sophie, welche behauptete, daß er von allen Menschen gewiß der letzte sei, der eine solche Niederträchtigkeit begehen könne, bestand darauf, daß der Brief gelesen werde. Die Uebrigen stimmten ihr bei, und auf ihre vereinte Bitte las ich, wie folgt:

»Meine Damen! Der Ueberbringer wird ihnen genügende Auskunft über die Person ertheilen, von der dieser Brief kommt. Wenigstens ist er ein Freund der Unschuld und bereit, zu verhindern, daß dieselbe verführt werde. Ich weiß mit Bestimmtheit, daß Sie die Absicht haben, zwei junge Damen, die ich einigermaßen kenne, als Gesellschafterinnen nach London zu bringen. Da ich aber nicht zugeben kann, daß die Unschuld getäuscht und die Tugend verletzt werde, so muß ich meine Meinung geradezu dahinäußern, daß ein so unpassender Schritt gefährliche Folgen haben dürfte. Es ist niemals meine Sache gewesen, die Schändlichen und Liederlichen mit Strenge zu behandeln, und ich würde mich auch jetzt nicht auf diese Weise geäußert und den Leichtsinn so hart getadelt haben, handelte es sich nicht um das Begehen eines Verbrechens. Hören Sie daher die Warnung eines Freundes und erwägen Sie ernstlich die Folgen, die daraus entstehen können, wenn man Schande und Laster in die Wohnungen einführt, in welchen bisher nur Friede und Unschuld weilten.«

»Unsere Zweifel waren jetzt gehoben. Freilich war eine zwiefache Auslegung möglich, und der darin enthaltene Tadel konnte sich eben so gut auf die beziehen, an die der Brief gerichtet war, als auf uns. Doch die boshafte Absicht war klar, und weiter prüften wir die Sache nicht. Meine Frau hatte kaum so viel Geduld, mich zu Ende lesen zu lassen, und schimpfte auf den Schreiber dies Briefes, ohne ihren Zorn zu mäßigen. Olivia war eben so streng und Sophie schien ganz außer sich vor Erstaunen über seine Niederträchtigkeit. Mir erschien dies als einer der schändlichsten Beweise unverdienten Undanks, der mir je vorgekommen. Auch konnte ich mir die Sache auf keine Weise anders erklären, als daß ich annahm, er wünsche meine jüngste Tochter in unserer Gegend zurückzuhalten, um häufiger Gelegenheit zu finden, mit ihr zusammenzukommen. So saßen wir da, mit Plänen beschäftigt, wie wir uns rächen wollten, als der andere Knabe gelaufen kam und uns sagte, Herr Burchell komme von dem andern Ende des Feldes her. Die gemischten Empfindungen des Schmerzes über die eben erlittene Kränkung und die Gefühle der Freude über die nahe bevorstehende Rache lassen sich eher fühlen als beschreiben. Obgleich es nur unsere Absicht war, ihm seinen Undank vorzuwerfen, so sollte es doch auf eine Art geschehen, die ihn empfindlich kränkte. Wir kamen deshalb überein, ihn mit gewohnter Freundlichkeit zu empfangen, anfangs noch zutraulicher als sonst mit ihm zu schwatzen, ihn eine Zeitlang zu unterhalten und dann mitten in dieser ruhigen Stimmung wie ein Erdbeben über ihn loszubrechen und ihn mit dem Gefühle seiner Niedrigkeit zu Boden zu schmettern. Nachdem dies beschlossen war, übernahm meine Frau die Ausführung, da sie wirklich einiges Talent zu einem solchen Unternehmen hatte. Wir sahen ihn kommen; er trat ein, nahm einen Stuhl und setzte sich nieder. »Es ist heute ein schöner Tag, Herr Burchell.« – »Ja, Doctor, ein, sehr schöner Tag. Aber ich glaube, wir werden Regen bekommen, denn ich spüre ein Zucken in meinen Leichdornen.« – »In Ihren Hörnern?« rief meine Frau, indem sie in ein Gelächter ausbrach und dann um Verzeihung bat, daß sie sich einen Scherz erlaubt habe. – »Liebe Madame,« versetzte er, »ich verzeihe Ihnen Alles von ganzem Herzen, denn ich würde es nicht für einen Scherz gehalten haben, wenn Sie es nicht selber gesagt hätten.« – »Wohl möglich,« rief meine Frau, indem sie uns zuwinkte, »und doch glaube ich, können Sie uns sagen, wie viel Scherze auf eine Unze gehen.« – »Wahrscheinlich haben Sie heute Morgen ein scherzhaftes Buch gelesen, Madame,« versetzte Burchell. »Der Einfall ist vortrefflich; doch ist mir eine halbe Unze Verstand lieber.« – »Das glaube ich!« rief meine Frau, indem sie uns immer anlächelte, obgleich die Lachenden nicht auf ihrer Seite waren. »Und doch habe ich Männer gekannt, welche Verstand zu haben behaupteten und doch nur sehr wenig besaßen.« – »Ohne Zweifel,« versetzte ihr Gegner, »haben Sie auch Damen gekannt, die witzig sein wollten und doch keinen Witz besaßen.« – Ich bemerkte bald, daß meine Frau bei diesem Kampfe zu kurz kommen würde, und entschloß mich, ihn strenger zu behandeln. »Witz und Verstand,« rief ich, »sind ohne Redlichkeit geringfügige Dinge. Nur sie verleihet jedem Charakter seinen Werth. Der unwissende Bauer ohne Fehler ist größer als der Philosoph mit vielen Fehlern; denn was ist Genie und Muth ohne Herz? Ein redlicher Mann ist das edelste Werk Gottes.«

»Jenen abgedroschenen Grundsatz Pope's,« versetzte Herr Burchell, »habe ich stets eines Mannes von Genie für unwürdig gehalten und als eine Herabsetzung seines eigenen Werthes angesehen. Da der Werth eines Buches nicht in dem Mangel an Fehlern, sondern in der Größe der darin enthaltenen Schönheiten liegt, so sollte man auch die Menschen nicht nach dem Mangel an Fehlern, sondern nach der Größe ihrer Tugenden schätzen. Dem Gelehrten mag es an Weltklugheit fehlen; der Staatsmann mag vielleicht zu viel Stolz und der Krieger zu viel Rohheit besitzen; aber sollen wir ihnen deshalb den gemeinen Handwerker vorziehen, der sich mühsam durchs Leben schleppt, ohne Ruhm oder Tadel? Eben so gut könnten wir die unbedeutenden, aber correcten Gemälde der niederländischen Schule den nicht fehlerfreien, aber erhabenen Schöpfungen des römischen Pinsels vorziehen.«

»Mein Herr,« erwiederte ich, »Ihre Bemerkung ist richtig, wenn es sich um glänzende Tugenden und unbedeutende Fehler handelt. Wenn es sich aber zeigt, daß in einem und demselben Gemüthe große Laster außerordentlichen Tugenden entgegengesetzt sind, so verdient ein solcher Charakter nur Verachtung.«

»Vielleicht giebt es solche Ungeheuer, wie Sie beschreiben,« erwiederte er, »wo sich große Laster mit großen Tugenden vereinigt finden; doch in meinem Lebenslaufe ist mir kein solches Beispiel vorgekommen. Im Gegentheil habe ich immer gefunden, daß ausgezeichnete Geister auch edle Gesinnungen besaßen. In dieser Hinsicht scheint die Vorsehung besonders gütig für uns gesorgt zu haben, indem sie den Verstand beschränkt, wo das Herz verderbt ist, und die Macht verringert, wo der Wille zum Unrechtthun vorhanden ist. Diese Regel scheint sich auf die Thiere zu erstrecken. Das kleine Gewürm ist immer hinterlistig, grausam und feig, während die Geschöpfe, welche mit Stärke und Macht begabt sind, sich großmüthig, tapfer und edel zeigen.«

»Diese Bemerkungen klingen sehr gut,« versetzte ich, »und doch würde es in diesem Augenblick leicht sein, einen Mann aufzuzeigen –« hier heftete ich meine Blicke fest auf ihn, »dessen Kopf und Herz einen abscheulichen Contrast bilden. Ja, mein Herr,« fuhr ich fort, indem ich meine Stimme erhob, »es ist mir lieb, daß ich die Gelegenheit habe, ihn in seiner eingebildeten Sicherheit zu entlarven. Kennen Sie dies, mein Herr? Kennen Sie dieses Taschenbuch?« »Ja, mein Herr,« erwiederte er mit unerschütterlicher Zuversicht; »das Taschenbuch gehört mir, und ich freue mich, daß Sie es wiedergefunden haben.« – »Und kennen Sie diesen Brief?« rief ich. »Nicht gestottert! Mir gerade ins Gesicht gesehen! Ich frage, kennen Sie diesen Brief?« – »Diesen Brief,« erwiederte er, »den Brief habe ich selber geschrieben.« – »Und wie konnten Sie,« rief ich, »so niederträchtig, so undankbar sein, ihn zu schreiben?« – »Und wie konnten Sie,« entgegnete er mit einer Unverschämtheit, die ihres Gleichen suchte, »wie konnten Sie so niederträchtig sein, den Brief zu erbrechen? Wissen Sie nicht, daß ich Sie Alle dafür an den Galgen bringen könnte? Ich habe weiter nichts zu thun, als vor dem nächsten Friedensrichter zu beschwören, daß Sie das Schloß meiner Brieftasche gewaltsam aufgebrochen – und Sie würden sämmtlich vor dieser Thür aufgehängt werden.« – Diese unerwartete Frechheit versetzte mich in solche Wuth, daß ich mich kaum mäßigen konnte. »Undankbarer! Elender! Geh und verpeste meine Wohnung nicht mehr durch Deine Niederträchtigkeit. Geh und laß Dich nicht wieder vor mir sehen! Geh aus meiner Thür, und die einzige Strafe, die ich Dir wünsche, möge ein beunruhigtes Gewissen sein, welches Dich schon hinlänglich quälen wird!« Bei diesen Worten warf ich ihm seine Brieftasche hin, welche er lächelnd aufhob, mit größter Fassung das Schloß zudrückte, während seine Ruhe uns in das höchste Erstaunen setzte. Meine Frau war besonders darüber erzürnt, daß sie ihn nicht hatte aufbringen und wegen seiner Schurkenstreiche hatte beschämt machen können. »Meine Liebe,« rief ich, um die unter uns so hoch gesteigerte Leidenschaftlichkeit zu mäßigen, »wir dürfen uns nicht wundern, daß schlechte Menschen keine Scham empfinden. Sie erröthen nur, wenn sie bei einer guten Handlung überrascht werden, rühmen sich aber ihrer Laster. – Das Laster und die Scham, sagt die Fabel, waren anfangs Gefährten und hielten sich beim Beginn ihrer Wanderung unzertrennlich zusammen. Doch war diese Verbindung Beiden bald unangenehm und lästig. Das Laster verursachte der Scham oft Unruhe, und die Scham verrieth häufig die geheimen Anschläge des Lasters. Nach langem Streite beschlossen sie endlich, sich auf immer zu trennen. Das Laster ging jetzt verwegen allein vorwärts, um das Schicksal einzuholen, welches in der Gestalt des Henkers vor ihm herging. Die Scham aber, von Natur schüchtern, kehrte wieder zur Tugend zurück, die sie beim Beginn der Wanderung zurückgelassen hatte. – So, meine Kinder, verläßt auch den Menschen endlich die Scham, wenn er einige Stufen des Lasters überschritten hat, welche dann zu den wenigen Tugendhaften zurückkehrt, die noch übrig sind.«


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