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Sechstes Kapitel.

Die Glückseligkeit am ländlichen Kamine.

Da der Streit mit einiger Wärme war geführt worden, wurde einstimmig beschlossen, daß wir einen Theil des Wildprets zum Abendessen haben sollten, und meine Töchter übernahmen die Zubereitung desselben mit großer Freudigkeit. »Es thut mir leid,« rief ich, »daß wir keine Nachbarn oder Freunde haben, um an diesem guten Mahle Theil zu nehmen. Bei Festen dieser Art gewährt die Gastfreundschaft einen doppelten Genuß.« – »Meiner Treu,« rief meine Frau, »hier kömmt unser guter Freund, Herr Burchell, der unsere Sophie errettete und Dich beim Disputiren überwand.« – »Mich beim Disputiren überwand, mein Kind!« rief ich, »da irrst Du, meine Liebe. Ich glaube, es giebt nur Wenige, die dazu im Stande sind. Ich bestreite Dir niemals Deine Geschicklichkeit, eine gute Gänsepastete zu bereiten, darum bitte ich, mir das Disputiren zu überlassen.« Während ich sprach, trat der arme Herr Burchell ins Haus und wurde von Allen mit herzlichen Händedrücken begrüßt, während der kleine Richard ihm dienstfertig einen Stuhl darbot.

Aus zwei Gründen war mir die Freundschaft des armen Mannes angenehm; weil ich wußte, daß er der meinigen bedurfte, und mich zugleich überzeugt hielt, daß er nach Kräften dienstfertig sei. Er war in der Gegend als ein armer Herr bekannt, der in seiner Jugend nicht habe gut thun wollen, obgleich er noch nicht dreißig Jahr alt war. Zuweilen sprach er sehr verständig; doch am meisten liebte er den Umgang mit Kindern, welche er harmlose kleine Menschen zu nennen pflegte. Er machte sich dadurch bei ihnen beliebt, daß er ihnen Balladen vorsang und Geschichten erzählte, und selten ging er aus, ohne etwas für sie mitzubringen, entweder ein Stück Pfefferkuchen, oder eine Pfennigspfeife. Meistens kam er einmal im Jahr auf einige Tage in unsere Gegend und lebte von der Gastfreundschaft der Nachbarn. Er setzte sich mit uns zum Abendessen, und meine Frau war nicht karg mit ihrem Stachelbeerwein. Jeder trug etwas zur Unterhaltung bei; er sang uns alte Volkslieder und gab den Kindern die Geschichte vom Bocke von Beverland und vom geduldigen Gretchen, die Abentheuer des Katzenfells und die Geschichte von dem Zimmer der schönen Rosamunde zum Besten. Unser Haushahn, der stets um elf Uhr krähte, sagte uns, daß es jetzt Zeit sei, sich zur Ruhe zu begeben; doch zeigte sich eine unvorhergesehene Schwierigkeit, wie wir unsern Gast unterbringen sollten. Alle unsere Betten waren schon besetzt, und es war zu spät, ihn ins nächste Wirthshaus zu senden. In dieser Verlegenheit bot ihm der kleine Richard seinen Theil des Bettes an, wenn sein Bruder Moses ihn mit in das seinige nehmen wollte. »Und ich,« rief Wilhelm, »will Herrn Burchell meinen Theil des Bettes überlassen, wenn meine Schwestern mir einen Platz in dem ihrigen einräumen wollen.« – »Wohl gethan, meine Kinder,« rief ich, »Gastfreundschaft ist eine der ersten Christenpflichten. Das Thier sucht seine Höhle und der Vogel fliegt in sein Nest; doch der hülflose Mensch kann nur bei seinen Nebenmenschen einen Zufluchtsort finden. Der größte Fremdling auf dieser Welt war der, welcher gekommen war, sie zu erlösen. Er hatte nie ein Obdach, gleichsam als wollte er sehen, wie viel Gastfreundschaft noch unter den Menschen vorhanden sei. Liebe Debora,« sagte ich zu meiner Frau, »gieb diesen Knaben ein Stück Zucker, und Richard das größte, weil er zuerst gesprochen.«

Früh am nächsten Morgen forderte ich meine Familie auf, mir beim Einbringen des Grummets behülflich zu sein, und da unser Gast seinen Beistand anbot, wurde er mit in unsere Zahl aufgenommen. Unsere Arbeit ging leicht von Statten; wir breiteten die Schwade zum Trocknen aus; ich ging voran und die Uebrigen folgten in gehöriger Ordnung. Dabei entging es mir nicht, daß Herr Burchell lebhaft bemüht war, meiner Tochter Sophie bei ihrer Arbeit zu helfen. Wenn er mit seiner eigenen fertig war, theilte er die ihrige und begann ein vertrauliches Gespräch. Doch ich hatte eine zu gute Meinung von Sophiens Verstande, und war zu sehr von ihrem Ehrgefühl überzeugt, um wegen eines Mannes von zerrütteten Vermögensumständen irgend Unruhe zu empfinden. Als wir unser Tagewerk vollendet hatten, luden wir Herrn Burchell wieder ein, die Nacht bei uns zu bleiben; doch diesmal lehnte er es ab, weil er den Abend noch einen Nachbar besuchen wollte, dessen Knaben er eine Pfeife mitzubringen versprochen. Als er fort war, kam das Gespräch beim Abendessen auf unsern unglücklichen Gast. »Welch ein auffallendes Beispiel,« sagte ich, »liefert dieser arme Mann von dem Elende, welches einem leichtsinnigen und ausschweifenden Jünglinge folgt! Es fehlt ihm keineswegs an Verstand, doch um so unbegreiflicher ist seine frühere Thorheit. Der arme verlassene Mann! Wo sind jetzt die lustigen Brüder, die Schmeichler, die er sonst begeisterte und beherrschte? Vielleicht gegangen, um dem verborgenen Kuppler aufzuwarten, der durch seine Verschwendung reich geworden. Einst rühmten sie ihn und jetzt preisen sie den Kuppler; ihr früheres Entzücken über seinen Witz ist jetzt in bittern Spott über seine Thorheit verwandelt. Er ist arm, und vielleicht verdient er seine Armuth, denn er besitzt weder das Ehrgefühl, sich unabhängig zu machen, noch die Geschicklichkeit, nützlich zu sein.« Von geheimen Beweggründen bestimmt, sprach ich diese Bemerkung vielleicht mit zu großer Härte aus, und Sophie erklärte sich mit Milde dagegen. »Welches auch sein früheres Betragen gewesen sein mag, lieber Vater, jetzt wenigstens sollte ihn seine Lage vor Tadel schützen. Seine gegenwärtige Armuth ist eine hinlängliche Strafe für seine frühere Thorheit, und ich habe meinen lieben Vater selber sagen hören, wir müßten niemals einem Opfer einen unnöthigen Schlag versetzen, über dem die Vorsehung ihre Geißel schwingt.« – »Du hast Recht, Sophie,« rief mein Sohn Moses, »und ein alter Dichter stellt uns sehr schön ein so boshaftes Betragen in dem Versuche des Bauern dar, der den Marsias schinden will, nachdem ihm schon ein Anderer die Haut völlig abgezogen. Uebrigens weiß ich nicht, ob die Lage dieses armen Mannes so übel ist, wie der Vater sie darstellt. Wir müssen die Gefühle Anderer nicht nach dem beurtheilen, was wir empfinden würden, wenn wir an ihrer Stelle wären. So dunkel auch die Wohnung des Maulwurfs unsern Augen erscheint, so findet doch das Thier selber seinen Aufenthaltsort hell genug. In Wahrheit erscheint mir des Mannes Gemüth zu seiner Lage zu passen, denn ich habe selten Jemanden vergnügter gesehen, als er heute war, da er sich mit Dir unterhielt.« Dies war ohne alle Absicht gesagt, doch erröthete Sophie darüber und war bemüht, es unter einem erzwungenen Lächeln zu verbergen, indem sie versicherte, wenig auf das geachtet zu haben, was er gesagt; doch meinte sie, er möge ehemals wohl ein recht feiner Herr gewesen sein. Die Bereitwilligkeit, womit sie sich zu vertheidigen suchte, und ihr Erröthen waren Symptome, die mir nicht sonderlich gefielen; doch ließ ich meinen Verdacht nicht laut werden.

Da wir am nächsten Tage unsern Gutsherrn erwarteten, beschäftigte sich meine Frau mit der Zubereitung einer Wildpretpastete. Moses las, wahrend ich die Kleinen unterrichtete, und meine Töchter schienen eben so beschäftigt wie die Uebrigen, und ich bemerkte, daß sie eine ziemliche Zeit etwas am Feuer kochten. Anfangs glaubte ich, sie wären ihrer Mutter behülflich; doch der kleine Richard sagte mir heimlich, sie kochten Schönheitswasser für ihre Gesichter. Gegen Schönheitswasser aller Art hatte ich von jeher eine natürliche Abneigung, denn ich wußte, daß es den Teint verdirbt, statt ihn zu verschönern. Ich rückte daher mit meinem Sessel langsam zum Feuer hin, ergriff das Schüreisen, that, als wollte ich das Feuer anschüren und stieß plötzlich wie durch Zufall das ganze Gebräu um, und es war zu spät, ein neues zu kochen.


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