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Elftes Kapitel.

Die Familie ist noch immer entschlossen, den Kopf hoch zu tragen.

Da am nächsten Tage Michaelis war, wurden wir zu Flamboroughs eingeladen, um Nüsse zu brennen und Pfänder zu spielen. Unsere jüngste Kränkung hatte uns ein wenig gedemüthigt, sonst hätten wir eine solche Einladung vielleicht mit Verachtung zurückgewiesen; doch diesmal erlaubten wir es uns, vergnügt zu sein. Der Gänsebraten und die Klöse unseres ehrlichen Nachbarn waren sehr gut, und das Apfelbier selbst nach dem Urtheile meiner Frau, die eine Kennerin war, ganz vortrefflich. Seine Art, Anekdoten zu erzählen, war freilich nicht ganz so gut. Sie waren sehr langweilig, betrafen fast immer ihn selber, und wir hatten schon zehnmal vorher darüber gelacht; doch waren wir gefällig genug, noch einmal darüber zu lachen.

Herr Burchell, der auch von der Gesellschaft war, liebte unschuldige Vergnügungen sehr und ermunterte die jungen Bursche und Mädchen zum Blindekuhspiele. Auch meine Frau ließ sich überreden, an der Ergötzlichkeit Theil zu nehmen, und es gewährte mir Vergnügen, zu denken, daß sie noch nicht zu alt dazu sei. Mittlerweile sahen ich und mein Nachbar dem Spiele zu, lachten über jeden Spaß und rühmten unsere eigene Gewandtheit in unsern jungen Tagen. Dann folgten Handschmisse, Fragen und Antworten, und endlich setzten sich Alle auf den Boden, um den Pantoffel zu haschen. Für Jeden, der nicht mit diesem altertümlichen Zeitvertreibe bekannt ist, mag die Bemerkung nöthig sein, daß sich die Gesellschaft bei diesem Spiele im Kreise auf den Boden setzt, mit Ausnahme einer Person, die in der Mitte stehenbleibt und einen Pantoffel haschen muß, den die Gesellschaft einander unter den Knieen wie ein Weberschiff zuschiebt. Da die Dame, welche in der Mitte steht, unmöglich die ganze Gesellschaft auf einmal übersehen kann, so liegt die große Schönheit des Spiels darin, ihr mit dem Absatze des Pantoffels einen Schlag auf den Theil des Körpers zu versetzen, der am wenigsten zur Verteidigung geeignet ist. Auf diese Weise war meine älteste Tochter eingeschlossen und erhielt Püffe von allen Seiten. Sehr aufgeregt und erhitzt, rief sie, man solle ehrlich spielen, mit einer Stimme, die einen Bänkelsänger hätte betäuben können. Da – o Scham über Scham! – trat Niemand anders ins Zimmer, als unsre beiden vornehmen Bekannten aus der Stadt, Lady Blarney und Fräulein Caroline Wilhelmine Amalie Skeggs! Jede Beschreibung würde dürftig ausfallen, darum ist es unnöthig, diese neue Kränkung zu schildern. – Tod und Hölle! von so vornehmen Damen in so gemeiner Stellung überrascht zu werden! Was konnte auch ein so gemeines Spiel, welches Herr Flamborough vorgeschlagen, Besseres zur Folge haben. Einen Augenblick schienen wir wie in den Boden gewurzelt, oder als wären wir vor Schreck in Stein verwandelt.

Die beiden Damen hatten uns in unserm Hause besuchen wollen. Da sie uns nicht gefunden, kamen sie hierher, sehr begierig, zu erfahren, weshalb wir gestern nicht in die Kirche gekommen. Olivia nahm das Wort und sprach den ganzen Bericht in diesen kurzen Worten aus: »Unsere Pferde warfen uns ab!« Die Damen schienen bei dieser Nachricht sehr betroffen; doch als sie hörten, daß Niemand beschädigt worden, zeigten sie sich sehr erfreut. Als sie hierauf hörten, daß wir beinahe vor Schrecken gestorben, zeigten sie sich unendlich bekümmert; doch als ihnen gesagt ward, wir hätten eine sehr gute Nacht gehabt, war es ihnen wieder außerordentlich angenehm. Nichts übertraf ihre Artigkeit gegen meine Töchter. Ihre Freundschaftsversicherungen am letzten Abend waren warm gewesen, doch jetzt waren sie glühend. Sie äußerten den lebhaften Wunsch, diese Bekanntschaft fortsetzen zu können. Lady Blarney schloß sich besonders an Olivia an; Fräulein Caroline Wilhelmine Amalie Skeggs – ich setze gern den ganzen Namen her – zeigte eine größere Zuneigung zu ihrer Schwester. Sie theilten sich in die Unterhaltung, während meine Töchter stumm da saßen und ihre erhabene Bildung bewunderten. Da jedoch jeder Leser, wie bettelhaft er auch selber sein mag, doch auf Gespräche aus der großen Welt versessen ist, nebst Anekdoten von Lords und Ladies und Rittern des Hosenbandordens, so muß ich mir die Erlaubniß nehmen, den Schluß des gegenwärtigen Gesprächs mitzutheilen.

»Alles, was ich von der Sache weiß,« rief Fräulein Skeggs, »ist, daß sie wahr oder auch nicht wahr sein mag. So viel aber kann ich Ihrer Herrlichkeit versichern, daß die ganze Assemblée erstaunte. Mylord wechselte die Farbe und Mylady wurde ohnmächtig; Sir Tomkyn aber zog den Degen und schwur, er wolle ihr bis auf den letzten Blutstropfen angehören.«

»Ja,« versetzte die Lady, »so viel kann ich versichern, daß die Herzogin mir keine Silbe von der Sache sagte, und ich glaube, Ihre Hoheit hat kein Geheimniß vor mir. Darauf können Sie sich gewiß verlassen, daß Mylord am nächsten Morgen seinen Kammerdiener dreimal zurief: Therningham! Therningham! Therningham! Bringe mir meinen Hosenbandorden.«

Vorher aber hätte ich das unhöfliche Benehmen des Herrn Burchell erwähnen sollen, der während dieser Unterhaltung mit dem Gesicht nach dem Feuer gewendet da saß und am Schluß jedes Satzes »Unsinn!« ausrief, welcher Ausdruck uns Allen sehr mißfiel und den Aufschwung der Unterhaltung etwas dämpfte.

»Ueberdies, meine liebe Skeggs,« fuhr die Lady fort, »steht davon nichts in der Abschrift des Gedichts, welches Doctor Burgock bei dieser Gelegenheit machte.« – »Unsinn!«

»Dies setzt mich in Erstaunen,« rief Fräulein Skeggs, »denn er läßt selten etwas aus, da er nur zu seinem Vergnügen schreibt. Würden nicht Ihre Herrlichkeit die Güte haben, mir das Gedicht zu zeigen?« – »Unsinn!«

»Mein liebes Wesen,« versetzte die Lady, »glauben Sie, ich führe dergleichen Dinge bei mir? Obgleich sie gewiß sehr schön sind und ich darüber urtheilen zu können glaube, so weiß ich doch, was mir gefällt und was nicht. In der That bewunderte ich stets die sämmtlichen kleinen Gedichte des Doctor Burgock; denn außer dem, was er und unsere liebe Gräfin am Hannover Square schreiben, kommt jetzt nur das gemeinste Zeug zu Tage. Keine Spur von seinem Ton ist darin zu finden.« – »Unsinn!«

»Ihre Herrlichkeit sollten Ihre eigenen Aufsätze in dem Damen-Magazine ausnehmen,« sagte die Andere. Sie werden mir hoffentlich zugeben, daß kein schlechter Ton darin herrscht. Werden wir nicht noch einige erhalten?« – »Unsinn!«

»Ach meine Liebe,« sagte die Lady, »Sie wissen ja, meine Vorleserin und Gesellschafterin hat mich verlassen, um sich mit dem Capitain Roach zu verheirathen, und meine armen Augen erlauben es mir nicht, selber zu schreiben, so daß ich mich schon seit einiger Zeit nach einer andern umsehe. Eine geeignete Person dazu ist nicht leicht zu finden, und freilich ist dreißig Pfund auf's Jahr nur ein kleiner Gehalt für ein wohlerzogenes Mädchen von gutem Ruf, welches lesen und schreiben kann und sich in Gesellschaft zu benehmen weiß. Doch die Stadtklatscherinnen kann ich durchaus nicht leiden.« – »Unsinn!«

»Das weiß ich aus Erfahrung,« rief Fräulein Skeggs, denn von den drei Gesellschafterinnen, die ich in diesem letzten halben Jahre hatte, weigerte sich die eine, den Tag nur eine Stunde weiße Wäsche zu nähen; die andere hielt fünfundzwanzig Guineen jährlich für einen zu kleinen Gehalt, und die dritte mußte ich fortschicken, weil ich den Verdacht hegte, als habe sie eine Liebschaft mit dem Kaplan. Tugend, meine theure Lady Blarney, Tugend ist doch das Höchste, aber wo ist die zu finden?« – »Unsinn!«

Schon lange hatte meine Frau alle Aufmerksamkeit auf dieses Gespräch gerichtet; der letztere Theil desselben hatte sie aber besonders interessirt. Dreißig Pfund und fünfundzwanzig Guineen auf's Jahr betrugen nach englischem Gelde sechsundfünfzig Pfund fünf Schillinge. Das ließ sich gewissermaßen spielend verdienen und konnte unserer Familie leicht zu Gute kommen. Sie beobachtete mich einen Augenblick, um zu sehen, ob ich damit übereinstimme, und ehrlich gestanden, die beiden Stellen schienen mir für unsere Töchter sehr geeignet. Hatte überdies der Gutsherr redliche Absichten auf meine älteste Tochter, so war dies der Weg, sie auf jede Weise für ihren künftigen Stand zu bilden. Meine Frau war daher entschlossen, sich diesen Vortheil nicht durch Schüchternheit rauben zu lassen, und übernahm es, für die Familie das Wort zuführen. »Ich hoffe,« rief sie, »Ihre Herrlichkeit werden meine Dreistigkeit verzeihen. Freilich haben wir kein Recht, auf solche Gunst Anspruch zu machen, aber doch ist es ein natürlicher Wunsch von mir, meine Kinder in der Welt vorwärts zu bringen. Ich darf wohl behaupten, daß meine beiden Töchter eine ganz hübsche Bildung und Fähigkeit besitzen; wenigstens findet man sie auf dem Lande nicht besser. Sie können lesen, schreiben und rechnen; verstehen sich auf ihre Nadel, sind im Seidesticken, im Säumen, Kreuzstich und allen Arten des Weißnähens erfahren, können Spitzen klöppeln und Busenstreifen verfertigen. Sie verstehen ein wenig Musik, können Kinderkleider zuschneiden und sticken auf Marli. Auch kann meine Aelteste Silhouetten ausschneiden, und die Jüngste besitzt ein sehr hübsches Talent, aus der Karte wahrzusagen.« – »Unsinn!«

Als sie dieses Meisterstück der Beredtsamkeit geendet hatte, sahen sich die beiden Damen eine Weile schweigend an, mit zweifelhaften und bedenklichen Mienen. Endlich ließ sich Fräulein Caroline Wilhelmine Amalie Skeggs zu der Bemerkung herab, so viel sie nach einer so flüchtigen Bekanntschaft beurtheilen könne, schienen ihr die jungen Damen zu einer solchen Stelle sehr geeignet. »Aber dergleichen, Madame,« sagte sie zu meiner Frau, »erfordert eine genaue Prüfung der Charaktere und eine längere gegenseitige Bekanntschaft. Nicht daß ich im geringsten die Tugend, Klugheit und Besonnenheit der jungen Damen bezweifelte; doch muß man bei dergleichen Dingen die Form beobachten, Madame, die Form!« – »Unsinn!«

Meine Frau billigte diese Vorsichtsmaßregel sehr und äußerte, daß sie selber gern vorsichtig zu Werke gehe. Hinsichtlich des Rufs ihrer Kinder berief sie sich auf das Urtheil der ganzen Nachbarschaft. Die Lady hielt dies aber für unnöthig und bemerkte, daß die Empfehlung ihres Vetters Thornhill ihr schon genüge. Und darauf stützten wir denn unser Gesuch.


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