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Siebentes Kapitel

Beschreibung eines Witzlings aus der Stadt. Die albernsten Bursche können einige Abende belustigen.

Als der Morgen kam, wo wir unsern jungen Gutsherrn bewirthen sollten, läßt sich leicht denken, daß alle Vorräthe erschöpft wurden, um uns ein Ansehen zu geben. Auch kann man sich vorstellen, daß meine Frau und Töchter bei dieser Gelegenheit ihr buntestes Gefieder ausbreiteten. Herr Thornhill kam mit ein Paar Freunden und seinem Kaplan, der zugleich das Geschäft hatte, seine Kampfhähne zu füttern. Seine zahlreiche Dienerschaft wollte er aus Höflichkeit in das nächste Wirthshaus schicken, doch meine Frau bestand in der Freude ihres Herzens darauf, sie alle zu bewirthen, in Folge dessen, beiläufig gesagt, sich die Familie drei Wochen nachher mit schmalen Bissen behelfen mußte. Da Herr Burchell uns am Tage vorher einen Wink gegeben, Thornhill habe dem Fräulein Arabella Wilmot, der früheren Geliebten meines Georg, einen Heirathsantrag gemacht, so that dies der Herzlichkeit seines Empfanges großen Eintrag. Doch ein Zufall half uns aus der Verlegenheit; denn als Einer aus der Gesellschaft zufällig ihren Namen nannte, betheuerte Herr Thornhill mit einem Eide, er kenne nichts Abgeschmackteres, als diese Vogelscheuche eine Schönheit zu nennen. »Man soll mich braun und blau schlagen,« fuhr er fort, »wenn ich mir nicht eben so gern beim Schein einer Lampe ein Dämchen unter St. Dunstan's Glocke wählen will.« Hiebei lachte er und wir lachten mit. Die Scherze reicher Leute sind ja immer witzig. Olivia konnte nicht umhin, mir leise, doch hörbar genug, zuzuflüstern, daß er einen reichen Schatz von Laune besitze.

Nach Tische brachte ich meinen gewöhnlichen Toast auf die Kirche aus, worauf mir der Kaplan erwiederte: die Kirche sei die einzige Geliebte seines Herzens. »Hören Sie, Frank,« sagte der Gutsherr mit seiner gewöhnlichen Leichtfertigkeit, »seien Sie einmal ehrlich, gesetzt, Ihre gegenwärtige Geliebte, die Kirche, stände im bischöflichen Gewande auf der einen Seite von Ihnen und Fräulein Sophie ohne Gewand auf der andern, für welche würden Sie sich entscheiden?« – »Gewiß für beide, rief der Kaplan. – »Recht so, Frank!« rief der Gutsherr. »Möge ich an diesem Glase ersticken, wenn ein hübsches Mädchen nicht mehr werth ist, als die ganze Priesterschaft auf der Welt! Was sind ihre Zehnten, ihre Ränke und Kniffe anders, als Betrug, als schändlicher Betrug? Ich kann es beweisen! – »Ich wollte, Sie thäten es,« rief mein Sohn Moses, »und ich glaube im Stande zu sein, Sie widerlegen zu können.« – »Sehr gern! erwiederte der Gutsherr, der seinen Scherz mit ihm treiben wollte und den Andern zuwinkte, daß es einen Spaß geben würde. »Wollen Sie den Gegenstand kaltblütig erörtern, so bin ich bereit, die Forderung anzunehmen. Vorher aber erklären Sie sich; sind Sie für die analogische oder dialogische Beweisführung?« – »Ich bin für die vernunftmäßige Beweisführung,« rief Moses, überglücklich, daß er Gelegenheit habe, zu diskutiren. »Gut,« sagte der Gutsherr. »Für's Erste werden Sie hoffentlich nicht leugnen, daß Alles, was ist, ist. Wenn Sie mir das nicht zugeben, kann ich nicht weiter gehen.« – »Ei nun,« entgegnete Moses, »das kann ich wohl zugeben und es für mich anwenden.« – »So hoffe ich auch,« versetzte der Andere, »Sie werden mir zugeben, daß ein Theil kleiner ist, als das Ganze.« – »Auch zugegeben,« antwortete Moses; »es ist nicht mehr als recht und billig.« – »Hoffentlich werden Sie nicht leugnen, sagte der Gutsherr, daß die Winkel eines Dreiecks zwei rechten gleich sind?«– »Nichts kann klarer sein,« erwiederte dieser, mit wichtiger Miene um sich blickend. – »Vortrefflich!« rief der Gutsherr, indem er sehr rasch sprach; »die Prämissen wären also festgestellt, und ich gehe zu der Bemerkung über, daß die Verkettung von Selbstexistenzen, fortschreitend in gegenseitigem Doppelverhältnisse, nothwendig einen problematischen Dialog hervorbringt, der gewissermaßen, beweist, daß die Essenz der Spiritualität auf das zweite Prädicat bezogen werden muß.«– »Halt, halt,« rief der Andere, »das leugne ich. Glauben Sie, ich werde mich solchen heterodoxen Lehrsätzen bereitwillig fügen?« – »Was!« rief der Gutsherr heftig aus, »nicht fügen! Beantworten Sie mir eine einzige einfache Frage. Glauben Sie, daß Aristoteles Recht hat, wenn er sagt: reative Sätze seien relativ?« – »Ohne Zweifel,« versetzte der Andere. – »Wenn das ist,« rief der Gutsherr, so antworten Sie mir bestimmt auf meine Frage: halten Sie die analytische Untersuchung des ersten Theils meines Enthymema's für unzulänglich secundum quoad oder quoad minus? Geben Sie Ihre Gründe an – geben Sie ohne Umschweife Ihre Gründe an!« – »Ich muß gestehen,« erwiederte Moses, »ich verstehe die Bedeutung Ihres Raisonnements nicht recht. Wenn es auf eine einfache Proposition zurückgeführt würde, glaube ich darauf antworten zu können.« – »O mein Herr,« versetzte der Gutsherr, »ich bin Ihr gehorsamster Diener. Ich sehe schon, ich soll Sie nicht blos mit Argumenten, sondern auch überdies noch mit Verstand versehen. Nein, mein Herr, dagegen muß ich protestiren; Sie sind mir zu hartköpfig.« Jetzt brach ein Gelächter aus auf Kosten des armen Moses, der in der Gruppe von fröhlichen Gesichtern eine traurige Figur spielte und während der ganzen Unterhaltung kein Wort sprach.

Die ganze Sache erregte mein Mißfallen, doch brachte sie auf Olivia eine ganz verschiedene Wirkung hervor. Sie hielt das für Witz und Laune, was bloßer Gedächtnißkram war. Thornhill erschien ihr als ein Mann von feiner Bildung, und wer den mächtigen Reiz kennt, den eine hübsche Gestalt, schöne Kleider und Vermögen solchen Menschen verleihen, der wird es ihr leicht verzeihen. Ungeachtet seiner wirklichen Unwissenheit sprach Herr Thornhill mit großer Leichtigkeit und konnte sich über gewöhnliche Gegenstände der Unterhaltung sehr geläufig ausdrücken. Man darf sich daher nicht wundern, wenn er durch diese Eigenschaften die Zuneigung eines Mädchens gewann, die sich vermöge ihrer Erziehung selber nach dem äußern Scheine beurtheilte und folglich auch den Werth Anderer darnach schätzte.

Als unser junger Gutsherr sich entfernt hatte, stritten wir nochmals über seine Verdienste. Da seine Blicke und seine Unterhaltung beständig an Olivia gerichtet waren, so konnte es nicht länger zweifelhaft sein, daß sie es war, die ihn veranlaßte, uns zu besuchen. Auch schien sie die unschuldige Neckerei ihres Bruders und ihrer Schwester nicht übel zu nehmen. Selbst Debora schien den Ruhm des Tages zu theilen und frohlockte über den Sieg ihrer Tochter, als wäre es ihr eigener. »Und nun, mein Lieber,« rief sie mir zu, »will ich offen bekennen, daß ich meinen Töchtern gerathen habe, unsern Gutsherrn in seinen Bewerbungen aufzumuntern. Ich habe von jeher einen gewissen Ehrgeiz gehabt, und nun siehst Du wohl, daß ich Recht hatte; denn wer weiß, wie das endet?« – »Ach ja, wer kann das wissen!« antwortete ich mit einem tiefen Seufzer. »Mir gefällt diese Sache nicht. Weit lieber wäre mir ein armer und redlicher Mann, als dieser feine Herr mit seinem Reichthum und Unglauben; denn wenn er, wie ich argwöhne, ein Freidenker ist, so soll er nimmer eins von meinen Kindern bekommen.«

»Darin bist Du gewiß zu strenge, lieber Vater,« rief Moses; »der Himmel wird ihn nicht nach dem richten, was er denkt, sondern nach dem, was er thut. Jeder Mensch hat tausend lasterhafte Gedanken, die in ihm aufsteigen, ohne daß er die Macht hat, sie zu unterdrücken. Vielleicht ist es diesem Herrn unwillkürlich, frei über Religion zu denken. Gesetzt, seine Meinungen sind irrig, so verhält er sich doch völlig passiv bei seinen Irrthümern und ist nicht mehr zu tadeln, als der Commandant einer Stadt ohne Mauern, der sie dem eindringenden Feinde zu überlassen genöthigt ist.«

»Sehr wahr, mein Sohn,« rief ich; »doch wenn der Commandant den Feind dorthin einladet, so ist er mit Recht strafbar, und dies ist stets der Fall bei denen, die sich dem Irrthum ergeben. Das Vergehen liegt nicht in der Billigung der Beweise, die sie sehen, sondern darin, daß sie blind sind für so viele Beweise, die sich ihnen darbieten. Wenn unsere irrigen Meinungen auch in ihrem Ursprünge unwillkürlich sind, so verdienen wir doch, wenn wir sie mit Vorsatz oder aus Leichtsinn angenommen haben, Strafe für unsere Vergehungen oder Verachtung wegen unserer Thorheit.«

Nun mischte sich meine Frau in das Gespräch, doch ohne sich auf Gründe einzulassen. Sie bemerkte, daß mehrere sehr verständige Leute unter unsern Bekannten Freidenker und doch sehr gute Ehemänner wären; auch kenne sie einige verständige Mädchen, die Geschick genug hätten, ihre Männer zu bekehren. »Und wer weiß, mein Lieber,« setzte sie hinzu, »was unsere Oivia vermag? Das Mädchen weiß über jeden Gegenstand zu reden, und meiner Ansicht nach ist sie nicht unerfahren in Glaubensstreitigkeiten.

»Aber meine Liebe,« rief ich, »von welchen Glaubensstreitigkeiten kann sie denn etwas gelesen haben? Ich besinne mich nicht, daß ich ihr dergleichen Bücher in die Hand gegeben. Du schlägst ihr Verdienst in der That zu hoch an.« – »Nein, lieber Vater,« versetzte Olivia, »das ist nicht der Fall. Ich habe viel über Glaubensstreitigkeiten gelesen. Ich las die Disputation zwischen Thwackum und Square, auch die zwischen Robinson Crusoe und Freitag dem Wilden, und gegenwärtig lese ich den Controvers in dem Geistlichen Liebhaber.«– »Ei,« rief ich, »das ist ja ein wackeres Mädchen! Ich sehe wohl, Du bist trefflich geeignet, Freigeister zu bekehren; so geh denn nun und hilf Deiner Mutter den Stachelbeerkuchen backen.«


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