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Achtes Kapitel

Eine Liebschaft, die wenig Glück verheißt, doch aber großes herbeiführen kann

Am nächsten Morgen besuchte uns Herr Burchell wieder, obgleich es mir aus gewissen Gründen mißfiel, daß er sich so häufig einstellte. Doch konnte ich ihm meine Gesellschaft und mein Kaminfeuer nicht versagen. Seine Arbeit brachte freilich mehr ein, als seine Bewirthung kostete, denn er arbeitete nach besten Kräften mit uns und war auf der Wiese oder beim Heuschober stets der Erste. Außerdem hatte er immer etwas Unterhaltendes zu erzählen, wodurch uns die Arbeit erleichtert wurde. Er war zugleich so ausgelassen und doch wieder so verständig, daß ich ihn lieben, über ihn lachen und ihn bemitleiden mußte. Das Einzige, was mir mißfiel, war, daß er Neigung zu meiner Tochter verrieth. Er pflegte sie im Scherze seine kleine Braut zu nennen, und wenn er den beiden Mädchen Bänder kaufte, so war Sophiens Band gewiß immer das schönste. Ich wußte nicht, wie es geschah, doch schien er jeden Tag liebenswürdiger zu werden. Sein Witz verfeinerte sich und sein einfaches Wesen nahm einen Anflug von höherer Weisheit an.

Unsere Familie nahm das Mittagsessen auf dem Felde ein, und wir saßen oder lagerten uns vielmehr um ein einfaches Mahl. Unser Tischtuch war über einen Heuhaufen gebreitet, und Burchell's Heiterkeit würzte den Schmaus. Unsere Freude zu erhöhen, antworteten zwei Amseln einander von den gegenüberstehenden Hecken aus. Das zutrauliche Rothkehlchen kam und pickte die Brodkrumen aus unsern Händen und jeder Ton erschien nur als das Echo der Ruhe und Zufriedenheit. »Immer wenn ich so dasitze,« sagte Sophie, »muß ich an die beiden Liebenden denken, die einander umarmend vom Blitze getroffen wurden, wie es uns Herr Gay so zart geschildert hat. Es liegt etwas so Rührendes in der Beschreibung, daß ich sie hundert mal mit stets neuem Entzücken gelesen habe. – »Meiner Ansicht nach,« versetzte mein Sohn, »stehen die feinsten Züge dieser Schilderung tief unter Ovid's Gedicht: Acis und Galathea. Der römische Dichter versteht die Anwendung des Contrastes besser, und auf der künstlichen Anwendung dieser Redefigur beruht alle Wirkung des Pathetischen.« »Es ist merkwürdig,« bemerkte Herr Burchell, »daß die beiden erwähnten Dichter dazu beigetragen haben, einen falschen Geschmack in ihrem Vaterlande einzuführen, indem sie ihre Verse mit Beiwörtern überluden. Männer von geringeren Talenten fanden es bequem, ihre Fehler nachzuahmen, und die englische Poesie, gleich der in der letzten Periode des römischen Reiches, ist nichts weiter, als ein Zusammenstellen üppiger Bilder ohne Plan und Zusammenhang, eine Reihe von Beiwörtern, die gut klingen, aber keinen Sinn geben. Doch indem ich andere tadle, halten Sie es vielleicht für billig, mein Fräulein, jenen eine Gelegenheit zur Vergeltung zu gewähren; und in der That machte ich nur diese Bemerkung, um die Gelegenheit zu haben, der Gesellschaft eine Ballade vorzutragen, die, welches auch sonst ihre Fehler sein mögen, doch, wie ich glaube, von den eben erwähnten frei ist.«

 

Ballade

Hervor, du guter Eremit,
Führ' mich durch's öde Thal,
Dorthin, wo jene Kerze glüht
Mit gastfreundlichem Strahl.

Verirrt und einsam wandr' ich hier
Mit matten Schritten fort.
Die Wildniß breitet aus vor mir
Sich endlos hier und dort.

Zurück! ruft da der Eremit,
Folg' nicht dem Schein, mein Sohn;
Denn jenes Irrlicht treulos flieht
Und spricht dem Wandrer Hohn.

Des Mangels heimathlosem Kind
Ist offen meine Thür;
Und wenn auch schmal die Bissen sind,
Theil' sie doch gern mit dir.

So tritt denn aus dem finstern Thal
In meine Klause ein;
Mein Binsenbett und nüchtern Mahl,
Segen und Ruh' sind dein.

Kein Lamm, das frei das Thal durchstreift,
Führ' ich zur Schlachtbank hin;
Der mich mit Wohlthat überhäuft,
Lehrt Mitleid meinem Sinn.

Von jenes Hügels Abhang her
Hol' ich, was mir gebricht;
Die Tasche ist von Früchten schwer.
Dem Quell fehlt Wasser nicht.

Komm, Pilger, schlage in den Wind
Die Sorgen schwer und bang;
Nur wenig braucht ein Menschenkind,
Und was es braucht, nicht lang. –

Mild wie vom Himmel Thau sich senkt
Erschallt des Klausners Wort;
Der scheue Pilger schweigend lenkt
Den Schritt zum sichern Ort.

Tief in verborgener Wildniß lag
Das kleine Häuschen dort,
War Armen Schutz in Noth und Plag',
Wandrern ein Zufluchtsort.

Nicht reiche Schätze bietet hier
Das niedre Hüttchen dar;
Die Klinke schließt die schmale Thür,
Empfängt ein harmlos Paar.

Jetzt, wo der Städter bunte Schaar
Zum Schmause eilt in Hast,
Beut einen Sitz der Klausner dar
Am Herd dem stillen Gast.

Der Früchte kargen Vorrath er
Ihm heiter lächelnd beut,
Und bei der Sagen froher Lehr'
Entfliehet rasch die Zeit.

Die Katze auch ihr Theil begehrt
Und schmiegt sich an ihn dicht.
Das Heimchen zirpet unter'm Herd,
Die Motte schwirrt ums Licht.

Doch weder Munterkeit noch Scherz
Stimmt heiter seinen Sinn;
Der Kummer drücket schwer sein Herz,
In Thränen fließt er hin.

Der Eremit bemerkt sein Weh,
Sich gleichen Weh's bewußt:
Woher, Unglücklicher, gesteh.
Die Sorgen deiner Brust?

Weil man dich, in die Welt verbannt,
Aus beßrer Wohnung trieb?
Weil deine Freundschaft man verkannt.
Verachtet deine Lieb'?

Die Freuden, ach! die's Glück verleiht.
Vergänglich, eitel sind;
Und die sie schätzen sind noch weit,
Weit eiteler, mein Kind.

Und Freundschaft ist ein leerer Schall,
Der in den Schlaf dich singt,
Dem Reichen folget überall,
Dem Armen Thränen bringt.

Und noch viel leerer ist die Lieb',
Der heut'gen Schönen Scherz;
Nur in der Taube Nest sie blieb,
Sonst floh sie jedes Herz.

Drum trotze, lieber Sohn, der Noth,
Veracht' das Weib, er spricht;
Doch plötzlich steigt ein hohes Roth
In seines Gast's Gesicht.

Dem hocherstaunten Blicke bot
Manch neuer Reiz sich dar.
Die Wange glüht wie Morgenroth,
Gleich wechselnd und gleich klar.

In holder Scham senkt sich der Blick,
Die Brust sich bebend hebt.
Und vor dem Klausner flieht zurück
Ein Mädchen, reizbelebt.

Verzeiht der Fremden, flehend bat
Die Trostlose, verzeiht.
Daß diese Schwell' mein Fuß betrat.
Der Heiligkeit geweiht.

Habt Mitleid mit dem armen Kind.
Das Lieb' zum Wandern trieb,
Dem Ruh und Glück entschwunden sind
Und nur Verzweiflung blieb.

Mein Vater wohnte an der Tyne,
Ein mächt'ger Lord war er,
Und all sein Land und Gut war mein.
Nicht Kinder hatt' er mehr.

Mich seinen Armen zu entzieh'n,
Kam eine Freierschaar;
Gar manchen Reiz sie mir verlieh'n,
Erdichtet oder wahr.

Ein feiler Haufe immerdar
Mit Gaben Handel trieb;
Auch unter ihnen Edwin war.
Doch sprach er nie von Lieb'.

Nicht reich war er und hochgeehrt
Und kam in simplem Kleid;
Doch seine Weisheit und sein Werth
Waren nur mir geweiht.

Und sang er mir in freier Luft
Ein Liebeslied, verlieh
Sein Hauch dem Winde süßen Duft,
Dem Haine Melodie.

Die Knosp', erblüht im Morgenlicht,
Des Thaues heller Schein,
Sie waren doch bei weitem nicht
Wie seine Seel' so rein.

Der Thau, die Blüthe an dem Baum
Sind schön, doch dauernd nie;
So schön war er, doch war ich kaum
Mehr wandelbar, als sie.

Mit leichtem Herzen übte ich
Die Kunst der Eitelkeit,
Und rührt auch seine Liebe mich.
Ergötzt' mich doch sein Leid.

Von Spott verletzet ließ er mich
Mit meinem Stolz allein;
In Einsamkeit begab er sich,
Soll dort gestorben sein.

Mein ist der Schmerz und mein die Schuld,
Mein Leben zahlt dafür;
Ich such' den Ort, wo in Geduld
Sein Herz gebrochen hier.

Verzweiflungsvoll berg' ich mich dann,
Leg' mich zum Sterben hin;
So hat für mich Edwin gethan,
Und so thu' ich für ihn. –

Bei Gott nicht! ruft der Eremit,
Der an die Brust sie drückt.
Die Schöne bebt zurück und sieht
Edwin vor sich, beglückt.

Komm, Angelina, holdes Lieb,
Geliebte, siehe hier,
Dein lang verlorner Edwin blieb
Der Liebe treu und dir.

So halt' ich fest dich an mein Herz
Gedrückt und bleib' bei dir! –
Uns niemals trennen – ist's kein Scherz –
Mein Leben bleibet mir? –

Von jetzt an trennen wir uns nicht.
Wir theilen Freud' und Schmerz;
Der Seufzer, der dein Herz einst bricht.
Der bricht auch Edwins Herz.

 

Während er diese Ballade vortrug, schien sich in Sophiens Beifall eine gewisse Zärtlichkeit zu mischen. Unsere Ruhe wurde aber plötzlich durch den Knall einer Flinte gestört, die dicht neben uns abgefeuert wurde, und sogleich sahen wir einen Mann durch die Hecke springen, um den getroffenen Vogel aufzuheben. Dieser Jäger war der Kaplan des Gutsherrn, der eine von den Amseln geschossen hatte, die uns eben noch so sehr ergötzten. Ein so lauter und naher Schuß erschreckte meine Töchter, und ich bemerkte, daß Sophie sich furchtsam in Herrn Burchells Arme geworfen hatte. Der Kaplan kam näher, bat um Verzeihung, uns beunruhigt zu haben, indem er versicherte, er habe nicht gewußt, daß wir so nahe wären. Er setzte sich demnach zu meiner jüngsten Tochter und bot ihr nach Jägersitte an, was er an dem Morgen geschossen hatte. Sie war im Begriff, es zurückzuweisen; doch ein geheimer Wink von ihrer Mutter bestimmte sie, ihren Mißgriff zu verbessern, und sie nahm das Geschenk an, obgleich es mit einigem Widerwillen geschah. Wie gewöhnlich, äußerte meine Frau ihren Triumph in einem Flüstern, indem sie bemerkte, Sophie habe an dem Kaplan eben so gut eine Eroberung gemacht, wie ihre Schwester an dem Gutsherrn. Ich vermuthete indeß mit größerer Wahrscheinlichkeit, daß ihre Neigung auf einen ganz andern Gegenstand gerichtet sei. Der Kaplan hatte den Auftrag, uns zu melden, daß Herr Thornhill für Musik und Erfrischungen gesorgt habe, und Willens sei, den jungen Damen an dem Abend auf dem Rasenplatze vor unserer Thür einen Ball bei Mondschein zu geben. »Auch kann ich nicht leugnen,« setzte er hinzu, »daß ich ein Interesse dabei habe, der erste Ueberbringer dieser Botschaft zu sein, da ich erwarte, daß Fräulein Sophie mir als Belohnung dafür die Ehre erzeigen wird, mit mir zu tanzen.« Meine Tochter antwortete, sie würde nichts dagegen einzuwenden haben, wenn es mit Ehren geschehen könne. »Aber hier ist ein Herr,« fuhr sie fort, indem sie Burchell anblickte, »der mein Gehülfe bei unserer Tagesarbeit war, und es ist wohl recht und billig, daß er auch an dem Vergnügen Theil habe.« Herr Burchell dankte für ihre Freundlichkeit, trat aber dem Kaplan sein Recht ab und äußerte, er müsse den Abend noch fünf Meilen wandern, da er in der Gegend zum Erntefeste eingeladen sei. Seine Weigerung schien mir etwas seltsam; auch konnte ich nicht begreifen, wie ein so verständiges Mädchen, wie meine jüngste Tochter, einen Mann von zerrütteten Vermögensumständen einem andern vorziehen könne, der weit bessere Aussichten hatte. Doch so wie die Männer das Verdienst der Frauen am richtigsten zu beurtheilen vermögen, so sind oft auch die Damen die geeignetsten Richterinnen über uns. Beide Geschlechter scheinen bestimmt zu sein, einander auszukundschaften, und sind daher mit den verschiedenen Fähigkeiten zur gegenseitigen Beobachtung ausgestattet.


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