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Erstes Kapitel.

Schilderung der Familie von Wakefield, in der eine Familienähnlichkeit in Betreff der Gemüther und Personen herrscht.

Ich war stets der Ansicht, daß der rechtschaffene Mann, wenn er sich verheirathet und eine zahlreiche Familie auferzieht, mehr Nutzen stiftet, als wenn er unverheiratet bleibt und nur von Bevölkerung redet. Kaum war ich ein Jahr im Amte, als ich auch schon, von diesem Beweggrunde bestimmt, ernstlich an meine Verheirathung zu denken begann und meine Frau wählte, gerade wie sie ihr Brautkleid, nicht nach einem glänzenden Aeußern, sondern nach dauernden Eigenschaften. Um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß ich sagen, daß sie eine gutmüthige, betriebsame Frau war; und hinsichtlich der Bildung gab es wenig Landmädchen, die ihr darin gleichkamen. Sie konnte jedes englische Buch lesen, ohne viel zu buchstabiren. Aber im Einpökeln, Einmachen und in der Kochkunst wurde sie von Keiner übertroffen. Sie rühmte sich auch einer trefflichen Erfindungsgabe im Haushalt, obgleich ich nicht bemerkte, daß wir bei all ihren Erfindungen reicher wurden.

Doch liebten wir einander innig, und unsere Zärtlichkeit nahm mit den Jahren zu. Nichts konnte uns mit der Welt oder einander entzweien. Wir hatten ein hübsches Haus, in einer anmuthigen Gegend gelegen, und gute Nachbarn. Das Jahr verging bei geistigen und ländlichen Freuden, indem wir unsere reichen Nachbarn besuchten und die armen unterstützten. Wir hatten keine Glückswechsel zu fürchten, keine Beschwerden zu erdulden. All unsere Abenteuer geschahen an unserm Kamin und all unsere Auswanderungen gingen nur von dem blauen Bette zu dem braunen.

Da wir nahe an der Landstraße wohnten, hatten wir oft Besuche von Reisenden, die unsern Stachelbeerwein kosten wollten, dessen Trefflichkeit allgemein bekannt war, und ich versichere mit der Wahrhaftigkeit eines Geschichtschreibers, daß ihn, so viel ich weiß, Niemand jemals tadelte. Alle unsere Vettern, selbst bis zum vierzigsten Grade, erinnerten sich ihrer Verwandtschaft, ohne den Stammbaum zu Hülfe zu nehmen, und besuchten uns häufig. Einige von ihnen erwiesen uns freilich keine große Ehre durch ihren Anspruch auf Verwandtschaft. Blinde, Lahme und Bucklige befanden sich unter ihnen. Dessenungeachtet bestand meine Frau darauf, daß sie als unser eigenes Fleisch und Blut mit uns an demselben Tische sitzen sollten. So hatten wir zwar keine reiche, aber gewöhnlich sehr glückliche Freunde um uns; denn diese Bemerkung bestätigt sich im Leben: je ärmer der Gast, desto besser ist er stets mit seiner Aufnahme zufrieden, – und wie manche Menschen die Farben einer Tulpe oder einen Schmetterlingsflügel mit Bewunderung betrachten, so war ich von Natur ein Bewunderer fröhlicher Menschengesichter. Doch wenn sich unter unsern Verwandten eine Person von schlechtem Charakter, oder ein zänkischer Gast fand, den wir gern los sein wollten, unterließ ich es nie, ihm beim Abschied einen Oberrock oder ein Paar Stiefeln, zuweilen auch wohl ein Pferd von geringem Werthe zu leihen, und beständig hatte ich das Vergnügen, daß er nie wiederkam und das Geliehene zurückbrachte.

Auf diese Weise wurde das Haus von denen befreit, die uns nicht gefielen; doch konnte man nicht sagen, daß die Familie von Wakefield je einem Reisenden oder Hülfsbedürftigen die Thür gewiesen. So lebten wir mehrere Jahre in sehr glücklichem Zustande. Freilich fehlte es nicht an jenen kleinen Widerwärtigkeiten, welche die Vorsehung sendete, um den Werth ihrer Gaben zu erhöhen. Mein Obstgarten ward oft geplündert von Schulknaben und die Eierkäse meiner Frau wurden von Katzen benascht oder von den Kindern. Der Gutsherr schlief zuweilen bei den erhabensten Stellen meiner Predigt ein, oder seine Gemahlin erwiederte die tiefe Verbeugung meiner Frau mit gnädigem Kopfnicken. Doch verschmerzten wir bald den Kummer über dergleichen Vorfälle, und nach drei oder vier Tagen wunderten wir uns meistens, wie dergleichen uns nur habe beunruhigen können.

Meine Kinder, die Sprößlinge der Mäßigung, wurden nicht weichlich erzogen, und waren daher wohlgebildet und gesund: meine Söhne rüstig und lebhaft, meine Töchter schön und blühend. Wenn ich so da stand in der Mitte des kleinen Kreises, der mir in meinem Alter eine Stütze zu werden verhieß, fiel mir beständig die bekannte Geschichte des Grafen von Abensberg ein, der bei Heinrichs des Zweiten Reise durch Deutschland, als andere Höflinge mit ihren Schätzen ankamen, seine zwei und dreißig Söhne brachte und sie seinem Monarchen darbot, als das kostbarste Geschenk, welches er ihm gewähren könne. Obgleich ich nur sechs hatte, so betrachtete ich sie doch als die werthvollste Gabe, die ich meinem Vaterlande dargebracht, und hielt dasselbe demnach für meinen Schuldner. Unser ältester Sohn hieß Georg, nach seinem Onkel, der uns zehntausend Pfund hinterließ. Unser zweites Kind, ein Mädchen, beabsichtigte ich nach ihrer Tante Gretchen zu nennen; doch meine Frau, die während ihrer Schwangerschaft Romane gelesen hatte, bestand darauf, daß sie Olivia solle genannt werden. In weniger als einem Jahre hatten wir eine zweite Tochter, und nun war ich fest entschlossen, daß sie Gretchen genannt werden solle; doch eine reiche Verwandte bekam den Einfall, Pathenstelle zu vertreten, und so ward das Mädchen nach ihrem Wunsche Sophie genannt. So hatten wir denn zwei romanhafte Namen in der Familie. Doch betheuere ich feierlichst, daß ich nicht dabei im Spiele war. Moses war unser nächster Sohn, und zwölf Jahre später hatten wir noch zwei Söhne.

Es würde vergebens sein, meinen Stolz zu leugnen, wenn ich mich von meinen Kindern umgeben sah; doch die Eitelkeit und Freude meiner Frau übertraf noch die meinige. Wenn unsere Gäste sagten: »Das muß wahr sein, Mistreß Primrose, Sie haben die schönsten Kinder im ganzen Lande,« so pflegte sie zu antworten: »Ja, Nachbar, sie sind, wie der Himmel sie geschaffen hat – hübsch genug, wenn sie nur gut genug sind; denn schön ist, wer schön handelt.« – Und dann gebot sie den Mädchen, die Köpfe hübsch aufrecht zu tragen. Um aber nichts zu verschweigen, muß ich gestehen, daß sie wirklich sehr schön waren. Das Aeußere ist für mich ein so unbedeutender Gegenstand, daß ich es kaum würde erwähnt haben, wäre nicht in der Gegend allgemein davon die Rede gewesen. Olivia, jetzt etwa achtzehn Jahre alt, besaß jene glänzende Schönheit, in welcher die Maler gewöhnlich Hebe darzustellen pflegen, heiter, lebhaft und gebietend. Sophiens Schönheit fiel nicht sogleich in's Auge; doch war ihre Wirkung oft um so sicherer, denn sie war sanft, bescheiden und anziehend. Die Eine siegte beim ersten Anblick, die Andere durch wiederholte Eindrücke. Der weibliche Charakter spricht sich meistens in den Gesichtszügen aus; wenigstens war dies bei meinen Töchtern der Fall. Olivia wünschte sich viele Liebhaber, Sophie wollte nur einen Einzigen fesseln. Olivia zeigte sich oft aus zu großer Gefallsucht affectirt. Sophie verbarg selbst ihre Vorzüge, aus Furcht, Andere dadurch zu kränken. Die Eine ergötzte mich durch ihre Munterkeit, wenn ich heiter, die Andere durch ihr tiefes Gefühl, wenn ich ernst gestimmt war. Diese Eigenheiten wurden aber von Beiden nicht übertrieben, und ich habe oft gesehen, wie sie einen ganzen Tag ihre Charakter gegen einander vertauschten. Ein Trauerkleid vermochte meine Kokette in eine Spröde umzuwandeln und ein neuer Bandbesatz ihrer jüngern Schwester mehr als gewöhnliche Lebhaftigkeit zu verleihen. Mein ältester Sohn Georg war zu Oxford gebildet, da ich ihn für ein gelehrtes Fach bestimmte. Mein zweiter Knabe Moses, der Geschäftsmann werden sollte, erhielt zu Hause eine Art von gemischter Erziehung. Doch würde es zwecklos sein, eine Schilderung der besondern Charaktere junger Leute zu entwerfen, die noch sehr wenig von der Welt gesehen hatten. Kurz eine Familienähnlichkeit herrschte in allen; oder eigentlicher gesagt, sie hatten alle nur einen Charakter, nämlich den, daß sie gleich edel, leichtgläubig, unerfahren und harmlos waren.


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