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Viertes Kapitel.

Ein Beweis, daß selbst die demüthigste Lage ein Glück gewähren kann, welches nicht von den Umständen, sondern von der Gemüthsbeschaffenheit abhängt.

Unser Zufluchtsort lag in einer von Pächtern bewohnten Gegend, die ihre Felder selbst pflügten und von Ueberfluß und Armuth gleich weit entfernt waren. Da sie sich fast alle Lebensbedürfnisse selbst erwarben, so besuchten sie selten die benachbarten Marktflecken und Städte, um Luxusartikel zu holen. Fern von der verfeinerten Welt bewahrten sie noch die ursprüngliche Einfachheit der Sitten, und mäßig von Natur, wußten sie kaum, daß Enthaltsamkeit eine Tugend sei. Sie arbeiteten mit fröhlichen Muthe an Werktagen; doch die Feiertage waren der Ruhe und dem Vergnügen geweiht. Sie sangen noch ihre alten Weihnachtslieder, schickten einander Liebesbänder am Valentinstage, aßen Pfannkuchen um Fastnacht, zeigten ihren Witz am ersten April und knackten am Michaelisabend gewissenhaft Nüsse auf. Von unserer Ankunft benachrichtigt, zogen sämmtliche Bewohner des Ortes in ihrem Sonntagsstaate ihrem neuen Prediger entgegen. Pfeifer und Trommelschläger gingen voran. Auch hatten sie zu unserem Empfange ein Festmahl bereit, zu dem wir uns fröhlich niedersetzten; und wenn es der Unterhaltung an Witz fehlte, so wurde desto mehr gelacht.

Unsere kleine Wohnung lag am Abhange eines Hügels und war an der hintern Seite durch ein schönes Gebüsch geschützt. Vor dem Hause plätscherte ein Bach und auf der einen Seite befand sich eine Wiese, auf der andern ein Rasenplatz. Meine Pachtung bestand aus zwanzig Morgen vortrefflichen Bodens, welche mein Vorgänger mir für hundert Pfund abgetreten hatte. Nichts übertraf die Zierlichkeit meiner kleinen Gehege mit ihren Ulmen und Hecken, die einen unbeschreiblich schönen Anblick gewährten. Mein Haus bestand aus einem Stockwerk und war mit Rohr gedeckt, welches ihm ein sehr zierliches Ansehen gab. Von innen waren die Wände weiß abgesetzt, und meine Töchter übernahmen es, sie mit selbstgezeichneten Bildern zu schmücken. Da uns dasselbe Zimmer als Küche und Wohnstube dienen mußte, so war es nur um so wärmer darin. Da es sehr zierlich gehalten wurde, und die Schüsseln, Teller und das Kupfergeräth wohlgescheuert in langen Reihen auf dem Gesimse aufgestellt war, so fiel das Ganze sehr gut ins Auge, und man vergaß darüber den Mangel einer reichen Ausschmückung. Außerdem hatten wir noch drei andere Gemächer – eins für meine Frau und mich, ein anderes dicht neben uns für unsere beiden Töchter und ein drittes mit zwei Betten für die übrigen Kinder.

Die kleine Republik, der ich Gesetze vorschrieb, war auf folgende Weise eingerichtet. Mit Sonnenaufgang versammelten wir uns Alle in dem gemeinschaftlichen Zimmer, wo die Magd vorher das Feuer angezündet hatte. Nachdem wir einander mit anständiger Feierlichkeit gegrüßt hatten – denn ich hielt es für zweckmäßig, einige mechanische Formen der guten Erziehung aufrecht zu erhalten, ohne welche die Freiheit beständig die Freundschaft zerstört, – brachten wir dem Wesen unsere Dankbarkeit dar, welches uns einen neuen Tag geschenkt. Nach Erfüllung dieser Pflicht ging ich mit meinem Sohn an unsere gewöhnliche Arbeit außer dem Hause, während meine Frau und Töchter mit der Bereitung des Frühstücks beschäftigt waren, welches stets zur bestimmten Zeit in Bereitschaft stand. Zu diesem Mahle bestimmte ich eine halbe Stunde, zum Mittagsessen jedoch eine ganze, die unter harmlosen Scherzen zwischen meiner Frau und meinen Töchtern und in philosophischen Gesprächen zwischen mir und meinem Sohne vergingen.

Da wir mit der Sonne aufstanden, so arbeiteten wir niemals bis nach Untergang derselben, sondern kehrten zu der Familie zurück, die uns zu Haust erwartete, wo lächelnde Blicke, ein zierlicher Herd und ein behagliches Feuer zu unserm Empfang bereit waren. Auch fehlte es uns nicht an Gästen. Zuweilen machte uns der Pächter Flamborough, unser geschwätziger Nachbar, oft auch der blinde Pfeifer einen Besuch, um unsern Stachelbeerwein zu kosten, dessen Recept und guter Ruf nicht verloren gegangen war. Diese harmlosen Leute waren in mehrfacher Hinsicht angenehme Gesellschafter. Denn während der Eine spielte, sang der Andere irgend eine hübsche Ballade, wie »Hannchen Armstrongs Abschied,« oder »Barbara Allens Grausamkeit.« Der Abend ward beschlossen wie wir den Morgen begonnen hatten. Meine jüngsten Kinder mußten die für den Tag aufgegebenen Lectionen lesen, und wer am lautesten, deutlichsten und am besten las, erhielt einen halben Pfennig, um ihn am Sonntag in die Armenbüchse zu werfen.

Wenn der Sonntag kam, so ging es an ein Putzen, dem alle meine Edicte gegen den Aufwand nicht Einhalt thun konnten. So fest ich auch glaubte, durch meine Predigten gegen den Hochmuth die Eitelkeit meiner Töchter besiegt zu haben, so fand ich doch, daß sie insgeheim noch immer ihrer alten Putzsucht ergeben waren. Noch immer liebten sie Spitzen, Bänder und Corallen; selbst meine Frau behielt eine Vorliebe für ihren carmoisinrothen seidenen Mantel, weil ich einst geäußert, daß er sie gut kleide.

Besonders am ersten Sonntag ärgerte mich ihr Benehmen. Am Abend zuvor hatte ich meinen Töchtern gesagt, sie möchten sich am nächsten Morgen bei guter Zeit ankleiden, denn ich mochte immer gern früher als die Gemeinde in der Kirche sein. Sie gehorchten pünktlich meinem Befehl; doch als wir uns zum Frühstück einfanden, kamen meine Frau und Töchter, völlig in ihrem frühern Glanz gekleidet, das Haar mit Pomade bedeckt, die Gesichter mit Schönpflästerchen beklebt, die langen Schleppen hinten in einen Wulst zusammengebunden, der bei jeder Bewegung rauschte. Ich mußte über ihre Eitelkeit lächeln, besonders über die meiner Frau, der ich doch mehr Klugheit zugetraut hatte. In dieser Verlegenheit wußte ich keinen andern Ausweg, als meinem Sohn mit wichtiger Miene zu befehlen, er möge die Kutsche vorfahren lassen. Die Mädchen erstaunten über diesen Befehl, ich aber wiederholte ihn mit noch mehr Nachdruck. »Das ist offenbar Dein Scherz, lieber Mann!« rief meine Frau, »wir können sehr gut zu Fuße gehen und bedürfen keiner Kutsche.« – »Du irrst, mein Kind,« erwiederte ich, »wir bedürfen einer Kutsche; denn wenn wir in diesem Aufzuge in die Kirche gehen, so werden die Gassenjungen hinter uns her schreien.« – »Ich habe wirklich immer geglaubt,« versetzte meine Frau, »mein Karl sähe seine Kinder gern zierlich und sauber vor ihm erscheinen.« – »Ihr mögt so zierlich und sauber sein, wie Ihr wollt,« unterbrach ich sie, »und Ihr werdet mir nur um so mehr gefallen. Das aber ist nicht Zierlichkeit, sondern Flitterstaat. Diese Manschetten, Spitzen und Schönpflästerchen werden uns nur bei den Frauen unserer Nachbarn verhaßt machen. Nein, meine Kinder,« setzte ich ernsthafter hinzu, »diese Kleider könnten etwas kürzer geschnitten sein; denn solcher Putz ist für uns höchst unpassend, da wir kaum die Mittel haben, uns anständig zu kleiden. Auch weiß ich nicht, ob ein solcher Prunk und Flitterstaat sich selbst für reiche Leute schickt, wenn wir nach einer mäßigen Berechnung erwägen, wie viel Arme mit dem Ueberflusse dieses eitlen Tandes könnten gekleidet werden.«

Diese Vorstellung brachte die geeignete Wirkung hervor. Mit großer Fassung zeigten sie sich sogleich bereit, ihren Anzug zu verändern, und am nächsten Tage sah ich mit Vergnügen, wie meine Töchter aus eigenem Antriebe beschäftigt waren, aus ihren Schleppen Sonntagswestchen für Richard und Wilhelm, meine beiden kleinsten Knaben, zu machen; und was noch das Beste dabei war, die Kleider schienen durch diese Verkürzung sogar gewonnen zu haben.


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