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Zweites Kapitel.

Familienunglück. – Der Verlust des Vermögens dient nur dazu, den Stolz der Rechtschaffenen zu vermehren.

Die irdische Sorge für unsere Familie war hauptsächlich der Leitung meiner Frau übertragen; die geistigen Angelegenheiten hatte ich gänzlich unter meiner Aufsicht. Die Einkünfte meiner Stelle, die jährlich etwa fünfunddreißig Pfund Sterling betrugen, hatte ich den Waisen und Wittwen der Geistlichkeit unseres Kirchsprengels überwiesen; denn da ich ein hinlängliches Vermögen besaß, so kümmerte ich mich wenig um das Zeitliche und fand ein geheimes Vergnügen daran, ohne Belohnung meine Pflicht zu thun. Ich faßte auch den Entschluß, keinen Gehülfen zu halten, mit allen Gemeinde-Mitgliedern bekannt zu werden, die verheirateten Männer zur Mäßigung und die Junggesellen zum Ehestande zu ermuntern. So wurde es in wenig Jahren zum allgemeinen Sprichwort: es wären drei seltsame Mängel in Wakefield – dem Prediger fehle es an Hochmuth, den Junggesellen an Frauen und den Bierhäusern an Gästen.

Der Ehestand war stets mein Lieblingsthema gewesen, und ich schrieb mehrere Abhandlungen, um den Nutzen und das Glück desselben zu beweisen. Doch gab es einen besonderen Satz, den ich zu vertheidigen suchte. Ich behauptete mit Whiston, es sei einem Priester der englischen Kirche nicht erlaubt, nach dem Tode seiner ersten Frau eine zweite zu nehmen; oder um es in einem Worte auszudrücken, ich war stolz darauf, ein strenger Monogamist zu sein.

Schon früh ließ ich mich auf diesen wichtigen Streit ein, über den schon so viele mühsam ausgearbeitete Werke geschrieben worden. Ich ließ einige Abhandlungen über diesen Gegenstand drucken, und da sie nie in den Buchhandel kamen, tröstete ich mich damit, daß sie nur von wenigen Glücklichen gelesen worden. Einige von meinen Freunden nannten dies meine schwache Seite; doch leider hatten sie die Sache nicht wie ich zum Gegenstande langen Nachdenkens gemacht. Je mehr ich darüber nachsann, desto wichtiger erschien sie mir. Ich ging in der Entwicklung meiner Grundsätze sogar noch einen Schritt weiter als Whiston, der in der Grabschrift seiner Frau bemerkte, daß sie Wilhelm Whistons einzige Gattin gewesen. Ich schrieb eine ähnliche Grabschrift für meine noch lebende Frau, und rühmte darin ihre Klugheit, Sparsamkeit und ihren Gehorsam bis zum Tode. Diese Grabschrift wurde zierlich abgeschrieben und in einem schönen Rahmen über dem Kamingesims angebracht, wo sie manche nützliche Zwecke beförderte. Sie erinnerte meine Frau an ihre Pflicht gegen mich und mich an meine Treue gegen sie. Sie begeisterte sie zum Streben nach Ruhm und stellte ihr stets ihr Lebensende vor Augen.

Vielleicht kam es von dem häufigen Anhören der Lobreden auf den Ehestand, daß mein ältester Sohn kurz nach seinem Abgange von der Universität seine Neigung auf die Tochter eines benachbarten Geistlichen richtete, der eine hohe Würde in der Kirche bekleidete und im Stande war, ihr eine bedeutende Mitgift zu geben. Vermögen war jedoch ihr geringster Vorzug. Fräulein Arabella Wilmot wurde von Allen, meine beiden Töchter ausgenommen, für eine vollendete Schönheit gehalten. Ihre Jugend, Gesundheit und Unschuld wurden noch durch einen so zarten Teint und einen so seelenvollen Blick erhöht, daß selbst ältere Personen sie nicht mit Gleichgültigkeit ansehen konnten. Da Herr Wilmot wußte, daß ich meinen Sohn anständig ausstatten könne, so war er der Verbindung nicht entgegen, und beide Familien lebten in all der Eintracht, die meistens einer erwarteten Verbindung voranzugehen pflegt. Da ich aus eigener Erfahrung wußte, daß die Tage des Brautstandes die glücklichsten unseres Lebens sind, so war ich sehr geneigt, diese Periode zu verlängern, und die mannichfachen Freuden, die das junge Paar täglich mit einander genoß, schienen ihre Liebe nur noch zu vermehren. Morgens wurden wir gewöhnlich durch Musik erweckt, und an heitern Tagen ritten wir auf die Jagd. Die Stunden zwischen dem Frühstück und der Hauptmahlzeit widmeten die Damen dem Ankleiden und der Lectüre. Sie lasen gewöhnlich eine Seite und betrachteten sich dann im Spiegel, dessen Fläche, was selbst Philosophen zugeben müssen, oft höhere Schönheit zeigte, als die, welche im Buche enthalten ist. Beim Mittagsmahl übernahm meine Frau die Leitung, und da sie stets darauf bestand, Alles selber vorlegen zu wollen, so theilte sie uns bei solchen Gelegenheiten zugleich die Geschichte jedes Gerichtes mit. Wenn das Mittagsessen geendet war, ließ ich gewöhnlich den Tisch wegnehmen, damit uns die Damen nicht verlassen möchten, und zuweilen gaben uns die Mädchen mit Hülfe des Musiklehrers ein angenehmes Concert. Spazierengehen, Theetrinken, ländliche Tänze und Pfänderspiele verkürzten den übrigen Theil des Tages, ohne Hülfe der Karten, denn ich haßte jedes Glücksspiel, Trictrac ausgenommen, in welchem mein alter Freund und ich zuweilen eine Zweipfennigpartie wagten. Einen Umstand übler Vorbedeutung darf ich hier nicht übergehen, der sich ereignete, als wir das letzte Mal mit einander spielten. Mir fehlte nämlich nur noch ein Wurf von Vieren, und doch warf ich fünfmal nach einander zwei Asse.

Einige Monate waren auf diese Weise vergangen, als wir es endlich für passend hielten, den Hochzeitstag des jungen Paares zu bestimmen, das ihn mit Sehnsucht zu erwarten schien. Weder die wichtige Geschäftigkeit meiner Frau, während der Vorbereitungen zur Hochzeit, noch die schlauen Blicke meiner Töchter will ich zu schildern wagen. Meine Aufmerksamkeit war auf einen ganz andern Gegenstand gerichtet, nämlich auf die Vollendung einer Abhandlung über mein Lieblingsthema, die ich baldigst herauszugeben gedachte. Da ich dieselbe hinsichtlich des Inhalts und Styles als ein Meisterstück betrachtete, konnte ich mich in dem Stolze meines Herzens nicht enthalten, sie meinem alten Freunde Herrn Wilmot zu zeigen, da ich nicht zweifelte, daß er mir seine Billigung würde zu Theil werden lassen. Doch erst als es schon zu spät war, entdeckte ich, daß er ein leidenschaftlicher Anhänger der entgegengesetzten Meinung sei, und zwar aus gutem Grunde, weil er eben um die vierte Frau warb. Wie sich erwarten läßt, entstand ein Streit daraus, der mit einiger Heftigkeit geführt wurde und unsere beabsichtigte Familienverbindung zu unterbrechen drohte. Doch kamen wir überein, über jenen Gegenstand am Tage vor der Hochzeit ausführlicher zu verhandeln.

Der Kampf begann mit gehörigem Muthe von beiden Seiten. Er behauptete, ich sei heterodox; ich gab ihm die Beschuldigung zurück. Er entgegnete und ich erwiederte. Als der Streit am heftigsten war, ward ich von einem meiner Verwandten aus dem Zimmer gerufen, der mir mit besorgter Miene rieth, den Streit wenigstens so lange einzustellen, bis die Trauung meines Sohnes geschehen sei. »Wie?« rief ich, »ich sollte die Sache der Wahrheit verlassen und zugeben, daß er ein Ehemann werde, nachdem ich ihn bereits so in die Enge getrieben, daß er nicht zurück kann? Eben so gut könnten Sie mir sagen, ich solle mein Vermögen aufgeben als diesen Streit.« – »Ihr Vermögen,« entgegnete mein Freund, »es thut mir leid, es sagen zu müssen, – ist so gut wie verloren. Der Kaufmann in der Stadt, dessen Händen Sie Ihr Geld übergaben, hat sich davon gemacht, um dem Bankerottgesetze zu entgehen, und man glaubt, daß kaum ein Schilling vom Pfunde übrig bleiben wird. Diese unangenehme Nachricht wollte ich Ihnen und der Familie erst nach der Hochzeit mittheilen. Jetzt aber möge sie dazu dienen, Ihre Hitze in dem Streite zu mäßigen; denn gewiß wird Ihre eigene Klugheit Ihnen die Nothwendigkeit der Verstellung wenigstens so lange empfehlen, bis Ihr Sohn das Vermögen der jungen Dame in Händen hat.« – »Gut,« erwiederte ich, »wenn es wahr ist, was Sie sagen und ich ein Bettler bin, so soll mich das doch nicht zu einem Schurken machen, oder mich nöthigen, meine Grundsätze zu verleugnen. Ich gehe sogleich, die ganze Gesellschaft mit meiner Lage bekannt zu machen. Was aber den Streitpunkt betrifft, so nehme ich jetzt sogar zurück, was ich früher dem alten Herrn zugestanden habe, und er soll jetzt durchaus kein Ehemann sein in irgend einem Sinne des Worts.«

Es würde endlos sein, wollte ich die verschiedenen Empfindungen beider Familien bei dieser unglücklichen Nachricht schildern. Doch was die Andern fühlten, war unbedeutend gegen das, was die Liebenden zu erdulden schienen. Herr Wilmot, der schon früher geneigt geschienen, die Verbindung abzubrechen, faßte bei diesem Schlage bald seinen Entschluß. Eine Tugend besaß er im vollkommensten Grade, nämlich die Klugheit – leider oft die einzige, die uns im zwei und siebzigsten Jahre noch übrig ist.


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