Glauser, Friedrich
Matto regiert
Glauser, Friedrich

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Mattos Puppentheater

»Ist's gut gegangen?« fragte die Frau.

Und der Mann antwortete:

»Der Schroter hat mich nicht erwischt.«

Studer lächelte im Dunkeln. Die Blätter der Erlen und Weiden schimmerten grau im farbigen Licht des Mondes. Träge floß der Fluß und murmelte dunkle Worte, die niemand verstand. »Was ist gestern gegangen?« fragte die Frau. »Bist du nicht unvorsichtig gewesen, Pierre?«

»Ich hab' den Schroter getroffen, wie ich hab' den Dr. Laduner suchen wollen. Schad, daß der Gilgen tot ist, er war ein feiner Köbi…«

Schweigen. Die Frau hatte sich an den Mann gelehnt. Vor den beiden lag eine kleine Fläche Sand, und sie glitzerte unter den Mondstrahlen, die durch die Zweige brachen…

»Warst du nie eifersüchtig, Pierre?« fragte die Frau.

Wie eine Stimme sich verändern konnte! Studer hatte sie gehört, als sie von Tränen feucht war… Jetzt klang sie energisch. Gütig und zärtlich zugleich.

»Eifersüchtig?« Es klang erstaunt. »Warum eifersüchtig? Ich hab' doch Vertrauen zu dir gehabt. Du hast mir doch gesagt, du gehest mit dem Direktor, nur um ihn umzustimmen wegen mir. Weißt, ich bin noch so dumm, daß ich alles glaube… Und warum hätte ich dir nicht glauben sollen?«

»Hast recht gehabt, Pierre… Weißt, was der Schroter gedacht hat? Er hat gemeint, ich wolle Frau Direktor werden… Ja, die Schroter! Es großes Muul, süscht nüt…«

»Ach«, sagte das Demonstrationsobjekt Pieterlen, »er ist eigentlich ein anständiger Kerl. Er hat immer zum Laduner gehalten. Wenn er gewollt hätte, hätt' er ihm schon lang Schweinereien machen können…«

»Magst den Laduner lieber als mich?« fragte die Irma Wasem. Das waren so Fragen, wie sie Frauen gerne stellen. Studer lauschte andächtig. Das Ganze gefiel ihm, er hätte nicht sagen können, warum. Er mußte an Dr. Laduners Ausspruch denken: ›Sollen nicht auch wir einmal ein Idyll in unsern roten Mauern haben?‹ In solch einem Fall war es angenehm, sich geirrt zu haben… Und auch der große Psychiater Laduner hatte sich geirrt. Das Meitschi war recht. Es hielt zu seinem Freunde. Zwar, Frauen waren manchmal merkwürdig, man konnte nicht immer alles glauben, was sie erzählten… Aber in diesem Falle schien die Irma Wasem ehrlich zu sein, und man hatte wüscht daneben gehauen, als man dachte, man habe es mit einem jungen Totsch zu tun, der darauf spekuliere, Frau Direktor zu werden… Der Angeschmierte war in diesem Falle Herr Direktor Ulrich Borstli, aber da er begraben war, konnte es ihm gleich sein…

»Weißt«, sagte die Irma Wasem, »am besten ist, du bleibst nicht mehr im Hause vom Gilgen. Ich war heut bei meinem Bruder. Er ist in deinem Alter und ein feiner Kerl. Ich hab' dir seinen Heimatschein mitgebracht. Mit dem fährst du nach Basel, meldest dich unter seinem Namen an, und in einer Woche läßt du dir einen Paß ausstellen und fährst dann nach Frankreich. Ich hab' eine Schwägerin, die ist in der Provence verheiratet. Zu der kannst du gehen. Ich werd dir dann noch schreiben… Schließlich wirst du nur von der Anstalt gesucht, ich glaub nicht, daß der Laduner dich als gemeingefährlich bezeichnet hat, und so wird dich die Polizei nicht allzu eifrig suchen…«

»Es wär auch nicht mehr gegangen im Haus vom Gilgen. Der andere macht die ganze Zeit Krach… Ich glaub nicht, daß ich jemals so verrückt war wie der… Einen Revolver hat er auch und droht, er will sich erschießen. Ich dank dir auch… Weißt, ich werd die Nacht durch laufen und dann in Burgdorf den Zug nehmen.«

»Hast Geld?«

»Nein… Kannst mir etwas geben? Wenn ich etwas verdien', schick ich's dir wieder…«

Er solle keinen Chabis reden, sagte die Irma Wasem. Studer hörte das Rascheln von Banknoten.

»Wenn's geht, komm ich dich in Basel besuchen…« sagte die Irma. Dann war es lange Zeit still, nur der Fluß murmelte. Ein kleiner Wind spielte mit den Blättern der Erlen…

»Leb' wohl«, sagte das Demonstrationsobjekt Pieterlen.

»Mach's gut«, sagte die Irma Wasem…

Und dann verschwanden die beiden Schatten in der Dunkelheit. Es war die beste Lösung! Das Demonstrationsobjekt Pieterlen verschwand. Es war ihm zu gönnen… Neun Jahre! Neun Jahre eingesperrt wegen Kindsmordes! Und was lag alles dazwischen? Särge machen in der Zelle, Knopflöcher nähen, bis man verrückt wurde, weil man es nicht mehr aushielt… Glasscheiben zertrümmern, Sondenernährung, Schlafkur. Und das Aufwachen, das Zurückfinden aus einem andern Reich, die Flucht aus dem Land, in dem Matto regierte… Aber regierte Matto nicht auf der ganzen Welt?…

Es war da immerhin der Traum mit den eleganten Bomben, die in Reih und Glied standen, es war da die Stimme im Radio: »Zweihunderttausend Männer und Frauen…« und nicht anders hatte die Stimme geklungen, wie jene des Kranken in der Ecke, der seine imaginären Herden und sein imaginäres Vermögen zählte…

Glück sollte man dem Pieterlen wünschen, dem Pierre Pieterlen, der wieder einmal seine Haut zu Markte trug… Vielleicht gelang es der Irma Wasem, dem Demonstrationsobjekt begreiflich zu machen, daß auch ein Handlanger mit weltanschaulichen Ambitionen das Recht hat, Kinder auf die Welt zu stellen und mit ihnen glücklich zu sein. Glücklich!… Das war auch so ein Wort. Vielleicht zufrieden…

Nach Frankreich… Gut! Studer hatte Frankreich gerne… Es war viel Unordnung dort, und eine Politik trieben sie dort manchmal, daß Gott erbarm!… Aber immerhin, man sagte, es sei das Lieblingsland unseres Herrgotts. Nehmen wir es an und wünschen wir dem Pierre Pieterlen Glück. Wenn einmal die Irma Wasem ihre Stelle kündigte, dann wußte man, was los war, dann konnte man eine kleine Glückwunschkarte schicken…

Und übrigens, es würde nicht schwerfallen, den Dr. Laduner zu überzeugen, daß dies die beste Lösung sei. Der Dr. Laduner hatte einem allerhand zu verdanken – er, der mit dem Brot und mit dem Salz so freigebig umging…

Was war Pieterlen gewesen? Ein Aktenbündel. Und Dr. Laduners Worte hatten das Aktenbündel zum Leben erweckt.

Und warum Pieterlen in jener Sichletennacht entflohen war? – Auch das würde sich klären… Es war ja immer so bei diesen Fällen, man tappte im Dunkel, man strengte sich an, man fand schließlich das Fadenende… Aber damit war die Sache erledigt. Der Fall rollte sich von selber auf…

Pieterlen verhaften? Wozu? Studer hatte, wie man im Bernbiet sagte, einen Steckgring. Er war gebeten worden, den Dr. Laduner behördlich zu decken… Hatte er das nicht getan? Das Signalement des Pieterlen war verbreitet worden… Waren die Kollegen in Basel so dumm, das Demonstrationsobjekt durchschlüpfen zu lassen – mira… Man konnte nicht überall zu gleicher Zeit sein…

Pieterlen Pierre, schizoider Psychopath, du hast lange genug die Freiheit entbehrt, versuch', dich durchzuschlagen… Wenn's dir gelingt, desto besser… Wir sind allesamt arme Sünder. Wie hat einer einmal gesagt? Derjenige, der ohne Schuld sei, werfe den ersten Stein!…

Studer schritt nachdenklich auf der Straße zurück. Als er in die Nähe von Gilgens Haus kam, trat er schnell hinter den Busch, der ihm schon einmal als Deckung gedient hatte… Die Türe stand weit offen und ein Lichtkegel fiel auf den Gartenweg. Im Parterre waren die Läden eines Fensters geöffnet.

Aber es war nicht die ungewohnte Beleuchtung, die Studer hinter den Busch getrieben hatte. Über den Gartenweg ging ein Mann auf das Haus zu. Der Wachtmeister erkannte den Portier Dreyer…

Studer schlich sich ans Haus heran. Er blickte durchs erleuchtete Fenster. Drei Personen standen im Zimmer. In einer Ecke der junge blonde Mann, der auf dem Ruhebett geweint hatte. Er hielt eine Browningpistole in der Hand. Ihm gegenüber, in starrer Haltung, saß der Abteiliger Jutzeler. Dann wurde die Türe leise geöffnet. Der Portier Dreyer betrat das Zimmer, sah sich um, schwang einen Stuhl an der Lehne zu sich heran und setzte sich neben Herbert Caplaun.

Studer betrat das Haus…


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