Friedrich Gerstäcker
Der Kunstreiter
Friedrich Gerstäcker

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31.

Bei Herrn von Zühbig war großes Diner zur Geburtstagsfeier der gnädigen Frau.

Geladen waren: Herr Staatsrat von Zädnitz mit Gemahlin, Herr General von Schoden mit Fräulein Euphrosyne von Schoden, Herr Geheimer Finanzrat von Eitelbrand mit Gemahlin und Tochter, Fräulein Franziska von Zahbern, Herr Baron Hugo von Silberglanz, Herr Gerichtsassesor Freiherr von Helmersdorf.

Das Diner war verzehrt, die Diener schafften Schüsseln und Weinflaschen hinaus, die Damen und Herren hatten sich in einen benachbarten Salon begeben, wo Kaffee serviert wurde, und während sich die Gäste hier in kleinen Gruppen absonderten, gelang es dem Staatsrat von Zädnitz endlich, wonach er schon lange gestrebt, den Baron Hugo von Silberglanz in einem Knopfloch zu erwischen.

»Aber, mein Herr Baron,« rief der etwas ausgetrocknete Herr, indem er sein scharfmarkiertes Gesicht in ein süßliches Lächeln zog, »man wird Ihrer ja gar nicht habhaft, und ich habe mir bis jetzt die größte, wenn auch immer vergebliche Mühe gegeben, Ihnen auch nur einmal für einen Moment beizukommen.«

»Herr Staatsrat, ich stehe ganz zu Ihren Diensten,« sagte unser alter Freund Hugo von Silberglanz mit einer tiefen Verbeugung, »Sie haben nur zu befehlen.«

»Zu bitten, Verehrtester, zu bitten, nämlich um einige Data über Ihre französische Reise. – Ach, Paris, Baron – es gibt doch nur ein Paris!«

»Da kommen Sie uns zu Hilfe, mein lieber Staatsrat,« sagte Fräulein von Zahbern, die an seiner Seite stand. »Aus dem Baron ist aber nicht so viel herauszubekommen. Wissen Sie, daß ich ihn in Verdacht habe, in Paris unter die Freimaurer gegangen zu sein?«

»Ich glaube schwerlich, daß er dazu in Paris wird Zeit gehabt haben,« lächelte die Frau Staatsrätin, eine volle üppige Gestalt, neben der ihr Gatte sich in den Falten seines Fracks zu verlieren schien.

»Allerdings nicht, gnädige Frau,« sagte von Silberglanz, sich verneigend, »ich war sehr beschäftigt dort, wenn auch nicht in der Weise, wie Sie zu glauben scheinen. Aber auch Fräulein von Zahbern tut mir unrecht, denn ein so schlechter Erzähler bin ich doch wahrhaftig nicht.«

»Mein lieber Silberglanz,« nahm aber auch Herr von Zühbig gegen ihn Partei, indem er seine kleine Gestalt mit dem vom genossenen Weine seligen Gesicht zwischen die Gruppe schob. »Die Damen haben vollkommen recht – ganz ausschließlich. Sie sind eine Sphinx, eine wahre steinerne Sphinx, und da wir Sie jetzt hier eingefangen und fest haben, mache ich den Vorschlag, Sie nicht eher wieder frei zu geben, als bis Sie uns Ihr Abenteuer aus Schildheim gebeichtet haben.«

»Aber, Baron, ich bitte Sie um tausend Gottes willen,« flüsterte leise und erschreckt Hugo von Silberglanz.

»Tut mir leid, hilft Ihnen aber nichts,« lachte von Zühbig, der sich gerade in einer Stimmung befand, alle leichten Hindernisse des menschlichen Lebens als gar nicht bestehend zu betrachten. »Machen Sie keine unnötigen Schwierigkeiten, Freund, Sie sitzen einmal in der Falle.«

»Bravo! bravo!« rief fröhlich in die Hände schlagend Fräulein von Zahbern, die sich heute schon den ganzen Tag in ausnahmsweise froher und heiterer – selbst harmloser Stimmung befand – etwas, das sich von der jungen Dame nicht immer sagen ließ. »Da in die Ecke wollen wir ihn setzen lassen, Herr von Zühbig, und dann Wache bei ihm stehen, bis er auch das letzte gebeichtet hat.«

»Aber was ist das mit Schildheim?« fragte die Frau Staatsrätin. »Ist das nicht das Gut, das der Gräfin Geyerstein gehört und da oben irgendwo an der schwedischen oder norwegischen Grenze liegt?«

»Dasselbe, Verehrteste,« schmunzelte von Zühbig, »und unser leichtfertiger Baron hat da, wie ich fürchte, ein paar abnorme Abenteuer bestanden, von denen es seine Bescheidenheit jetzt nicht erlaubt, Rechenschaft zu geben.«

»Ein paar gleich?« fragte die Frau Staatsrätin, »und sollte ihm seine Bescheidenheit dabei wirklich im Wege stehen? Die ist sonst Ihr Fehler nicht, nicht wahr, Baron?«

»Gnädige Frau,« erwiderte von Silberglanz etwas pikiert, »es tut mir leid, Ihnen diesmal widersprechen zu müssen, denn meine Bescheidenheit verbietet mir allerdings, verschiedene Abenteuer zu erwähnen, und diese nicht allein, sondern auch meine Diskretion.«

»Aber, Herr Baron,« klagte Fräulein von Zahbern, »Sie machen uns dadurch ja nur noch immer neugieriger.«

»Seien Sie nicht ängstlich, mein gnädiges Fräulein,« beruhigte sie von Zühbig mit einer entsprechenden Handbewegung, »seine Diskretion erstreckt sich nicht bis auf Hölderleins Keller, und dort hat er mir schon, gleich gestern nach seiner Ankunft und trotz dieser entsetzlichen Diskretion, ein offenes Bekenntnis der Hauptdata wenigstens abgelegt . . .«

»Aber dabei auf die Ihrige gerechnet, Baron.«

»Ohne Vorbehalt, Freundchen,« schmunzelte von Zühbig gnädig den kleinen Mann an, »ohne den geringsten Vorbehalt.«

»Aber Sie werden doch nicht . . .«

»Erzählen, daß Sie die göttliche Georgine Bertrand wirklich entführt und sie jetzt, ein zweiter Aeneas, auf Naxos haben sitzen lassen? Gott bewahre,« lachte von Zühbig, »das wäre in der Tat indiskret.«

»Ich will doch nicht hoffen –« mischte sich hier etwas rasch Frau von Zühbig in das Gespräch.

»Daß er so glücklich war? – allerdings,« lachte ihr Gatte, »aber das Interessanteste verschweigt er grausamerweise.«

»Aber, Baron, ich bitte Sie ernstlich.«

»Bst! Freundchen, jeder solcher der Gesellschaft vorenthaltene Punkt ist ein Raub, den wir an ihrer Unterhaltung, also an ihrer ganzen Existenz begehen, und sollte einen Platz im Kriminalgesetzbuche finden, wenn überhaupt Gerechtigkeit in der Welt wäre. – Er verschweigt nämlich, was geschehen ist, als er mit dem betrogenen und gekränkten Gatten wieder zusammentraf.«

»In der Tat?« rief Fräulein von Zahbern, jetzt ganz Ohr.

»Und etwas muß da vorgefallen sein,« sagte von Zühbig erbarmungslos fort.

»Lieber Zühbig,« sagte von Silberglanz entschlossen, »Sie mögen mich als einen indiskreten oder vielmehr zu vertrauensvollen Freund kennengelernt haben, aber daß ich ein Prahlhans sei, kann mir niemand vorwerfen.«

»Also Sie haben sich duelliert?« fragte Fräulein Franziska rasch. »Gott! wie schrecklich!«

»Sie sehen, mein gnädiges Fräulein, daß ich noch gesund vor Ihnen stehe,« bemerkte von Silberglanz.

»Und Monsieur Bertrand ist ebenso gesund davongekommen,« kaute der Staatsrat mit seiner breiten Stimme und einem vergnügten Grinsen.

»Aber woher weißt du das?« sagte seine Frau.

»Woher, mein Schatz? – als ob ein Mann in meiner Stellung nicht alles wissen müßte!«

»Alles?« lächelte die Frau Staatsrätin und warf ihrem Gatten einen spöttischen Seitenblick zu.

»Alles, mein Kind,« bestätigte ihr Mann, »und daher weiß ich denn auch, daß eben dieser Georg Bertrand vor etwa drei Wochen drei ganze Tage lang im Hause des Grafen Geyerstein war und dort mit seinem Kinde gewohnt hat.«

»Mit seiner Tochter?« rief Silberglanz rasch.

»Mit seiner Tochter. Sie scheinen auch in der Familie näher bekannt.«

»Aber, Herr Staatsrat,« rief Fräulein von Zahbern, »davon sollten wir in der Residenz gar nichts erfahren haben?«

»Daß es Ihnen entgangen ist, mein gnädiges Fräulein, wundert mich selber,« bemerkte der Staatsrat, »aber seine Abreise stand mit der der Gräfin Geyerstein in genauester Verbindung, denn sie sind – in einem Wagen zusammen abgereist.«

»Und davon haben Sie uns die ganze lange Zeit kein Wort gesagt?«

»Dann hat ihn auch die alte Gräfin mit auf ihre neuen ungarischen Güter genommen,« rief von Zühbig, »und dahin ist denn auch jedenfalls vor acht Tagen das junge Ehepaar nachgereist.«

»Aber in welcher Verbindung könnte Georg Bertrand mit ihnen stehen?« fragte die Staatsrätin; »Franziska, das müßten Sie uns eigentlich herausbekommen. Sie sind ja mit der alten Exzellenz von Ralphen ein Herz und eine Seele, und Melanie . . .«

»Ich habe seit dieser Verbindung keinen Fuß wieder in das Haus gesetzt,« sagte Fräulein von Zahbern, den Kopf stolz zurückwerfend.

»Ein neues Rätsel,« rief der Staatsrat, »und die ganze Stadt behauptete, es sei einzig und allein Ihr Werk gewesen.«

»Dann tut mir die ganze Stadt zu viel Ehre an,« erwiderte Fräulein von Zahbern kalt. »Melanie hat den Grafen Geyerstein nur genommen, weil sie sich Hoffnungen auf Selikoff gemacht hatte und diese zuletzt doch wohl nicht haltbar fand. Sie mochte nicht als alte Jungfer sterben.«

»Sehr vernünftig von der jungen Dame,« bemerkte der Staatsrat mit einem bedenklichen Blicke auf Fräulein von Zahbern, der aber von dieser glücklicherweise nicht bemerkt wurde.

»Apropos, Selikoff,« sagte von Silberglanz, der bei der neuen Wendung des Gespräches eine Last von seinem Herzen gewälzt fühlte. »Als ich damals abreiste, hieß es ja, daß er nur nach Petersburg ginge, um einige Geschäfte dort zu ordnen.«

»Das hieß damals so,« sagte Frau von Zädnitz, »seit sich die Sachen hier aber so geändert haben, wird er schwerlich wiederkehren.«

»Gnädige Frau möchten sich darin doch vielleicht irren,« erwiderte Fräulein von Zahbern, und ein eigener triumphierender Blick schoß dabei nach dem Baron Silberglanz hinüber, von dem er jedoch total abprallte. »Ich weiß aus ganz sicherer Quelle, daß Melanie von Ralphen keinen Einfluß auf sein Herkommen oder Wegbleiben hat, und daß er also, trotz Komtesse von Ralphens Heirat und sehr unbekümmert darum, in etwa vierzehn Tagen wieder hier eintreffen wird.«

»Ei, ei, mein gnädiges Fräulein,« schmunzelte von Zühbig, »sollen wir da vielleicht veranlaßt werden, andere zarte Bande als Magnet zu betrachten, die ihn hierher ziehen könnten? Selikoff hat Ihnen einmal, ehe er sich so ganz nach Ralphens hinzog, entsetzlich die Cour gemacht.«

»Nein, da tun Sie Fräulein von Zahbern unrecht, Herr Baron,« rief der Staatsrat, ihre Partei ergreifend, »diesmal ist das gnädige Fräulein nicht allein vortrefflich unterrichtet, sondern interessiert sich auch aus vollkommen uneigennützigen Absichten für den jungen Russen. Allerdings ist dieser über seine sich früher gesetzte Zeit ausgeblieben – wahrscheinlich hat er nicht früher nach *** zurückkehren können – jetzt weiß ich aber bestimmt, daß er in vierzehn Tagen wieder hier eintreffen wird, um – der Residenz seine junge Frau vorzustellen.«

Fräulein von Zahbern sah vor sich nieder und flüsterte: »Nun, mein Herr Staatsrat, so weit ist die Sache denn doch eigentlich nicht!«

»Allerdings, mein gnädiges Fräulein – Pardon, wenn ich Ihnen widerspreche. Die Trauung wird am 17. dieses Monats mit der jungen Fürstin Orlikoff vollzogen werden.«

Fräulein Franziska wurde leichenblaß; im nächsten Moment aber auch schon zog sich ein höhnisches Lächeln um ihre Lippen, und sie erwiderte: »Der Herr Staatsrat geruhen zu phantasieren, die Braut soll er sich wohl im Vorbeigehen aufgelesen haben!«

»Bitte um Entschuldigung,« entgegnete von Zädnitz mit der boshaftesten Geflissenheit, »er hat um sie nach alten Rechten und Gebräuchen geworben – wahrscheinlich, um Komtesse Ralphen zu beweisen, daß er nicht um eine gute Partie verlegen zu sein braucht, denn die junge Fürstin soll eine der ersten Partien in Petersburg sein.«

»Es ist eine boshafte Erfindung von Ihnen,« sagte Fräulein von Zahbern, indem ihr Antlitz eine fast dunkle Färbung annahm und ihre Augen wie ein paar Brillanten leuchteten.

»Dann habe ich auch wahrscheinlich diesen Brief gefälscht,« sagte der Staatsrat, indem er ein Kuvert aus der Tasche und sorgfältig und sehr langsam ein zierliches Billet aus diesem nahm. Höchst vorsichtig und umständlich faltete er es dabei auseinander, indes Fräulein Franziska wie auf Nadeln neben ihm stand und sich augenscheinlich alle Gewalt antun mußte, es ihm nicht aus den Fingern zu reißen, von Zädnitz sah das auch recht gut, wenn sein Auge auch nicht nach ihr hinüberflog, und ein leises Lächeln zuckte ihm dabei um die dünnen Lippen. Aber er beeilte sich deshalb nicht im geringsten, und endlich das zartduftende Bittet vor sich haltend, las er:

»Lieber Zädnitz!

Ich weiß, daß Sie Anteil an mir nehmen, deshalb zeige ich Ihnen hiermit, und nur Ihnen, meine am 17. d. stattfindende Vermählung mit Feodorowna Fürstin von Orlikoff an. Teilen Sie es meinen Freunden mit. Zugleich bitte ich Sie, mir zu Ende des Monats und für den Sommer ein passendes Quartier in *** auszumachen, in bester Lage, und mit jeder irgend möglichen Räumlichkeit für uns, Dienerschaft und zehn Pferde. Der Preis ist natürlich gleichgültig. Indem ich Sie bitte, mich Ihrer liebenswürdigen Frau Gemahlin zu Füßen zu legen, bleibe ich wie immer Ihr –«

»Bitte, gnädiges Fräulein, kennen Sie die Unterschrift?«

»Selikoff,« las Fräulein von Zahbern, die sich indessen gewaltsam gesammelt hatte, vollkommen gleichgültig. »Der Herr Staatsrat mußten nach solcher direkten Anzeige allerdings besser unterrichtet sein als wir.«

»Aber die liebenswürdige Frau Gemahlin,« bemerkte Frau von Zädnitz, »hat ja bis jetzt kein Wort, nicht einmal von dem Gruß erfahren.«

»Weil ich den Brief zehn Minuten vorher erhielt, ehe wir von Hause fortfuhren, mein Schatz,« erwiderte ihr Gatte, »und ich dann von deiner brillanten Toilette so geblendet war, daß ich alles andere darüber vergaß.«

»Und Fräulein Franziska hättest du die Nachricht auch nicht so unvorbereitet mitteilen sollen.«

Der Blick, den die junge Dame in diesem Augenblicke – vielleicht unbewußt, aber gewiß nicht unbeobachtet – auf die Frau Staatsrätin warf, hätte, wäre er ein Dolch gewesen, ihren unmittelbaren Tod zur Folge haben müssen. Lächelnd aber erwiderte sie: »Und warum nicht mir, gnädige Frau? Sie glauben doch hoffentlich nicht, daß ich solches Interesse an jenem sibirischen Grafen nehme, wie – vielleicht manche andere ›liebenswürdige‹ Damen dieser Stadt? – Aber, Herr von Zühbig, ich dächte, es wäre Zeit zum Theater, und ich möchte das heutige Stück um keinen Preis versäumen.«

»Parbleu! das gnädige Fräulein hat recht,« rief Herr von Zühbig, erschreckt nach seiner Uhr sehend, »in so angenehmer Gesellschaft hätte ich beinahe meine eigene Pflicht versäumt. Bitte, meine Herrschaften, lassen Sie sich ja nicht durch mich stören – aber ich muß fort.«

»Donnerwetter, Zühbig, es ist wohl Theaterzeit,« rief der alte General von Schoben vom Fenster aus, »warten Sie – wir gehen alle mit.«

»Aber, liebe Euphrosyne,« rief Frau von Zühbig, »Sie wollen doch nicht auch schon fort?«

»Wenn ihr Weiber hier noch einen Klatsch zusammen halten wollt, so habe ich nichts dagegen – du kannst noch da bleiben, Kind,« sagte der alte General.

»Papa, je vous prie!« rief das gnädige Fräulein, die Hände zusammenlegend.

Die Gesellschaft war aber einmal gestört, das Zeichen zum Aufbruch gegeben. Die Herren sehnten sich auch hinaus in die freie Luft, ihre Zigarre zu rauchen – die Damen mußten noch Toilette zum Theater machen – die Wagen hielten außerdem schon großenteils vor der Tür, und eine Viertelstunde später saß Frau von Zühbig allein in ihre Sofaecke hineingeschmiegt, sah träumerisch vor sich hin, und ein eigenes Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie an ihre arme Freundin Franziska dachte.

 


 


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