Friedrich Gerstäcker
Der Kunstreiter
Friedrich Gerstäcker

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17.

Der letzte Abend war nicht allein oben im Gute, sondern auch in Schildheim ein sehr ereignisreicher gewesen, denn die Verheiratung von des Sternenwirts einziger Tochter, der hübschen Kathrine, bildete schon an und für sich eine Ära in dem sonstigen Stilleben des kleinen, abgeschiedenen Ortes. Der Sternenwirt hatte sich aber auch noch außerdem an dem Abend sehr splendid gezeigt, und der Tanz, neben anderen teils vorbereiteten, teils zufälligen Genüssen, bis nahe zum Morgengrauen gedauert; mit ihm natürlich das Zechen und Jubilieren.

Der alte Mühler wäre mit Karl gern ebenfalls an dem gestrigen Abende ins Dorf hinuntergegangen, nur der Vorfall des Morgens hielt ihn ab, denn er wußte recht gut, daß Georg nicht damit einverstanden war, und wollte ihn nicht noch böser machen. Auch Karl durfte nicht fort, und wenn etwas, so erbitterte das den jungen, bis dahin keines Zwanges gewohnten Burschen nur noch mehr. So saß er um elf Uhr mittags etwa – Georg war schon lange wieder auf das Gut zurückgekehrt und arbeitete auf seiner Stube – dem alten Onkel gegenüber, an dem auf den Hof hinausführenden Fenster, kaute an den Nägeln und baute und verwarf Plan nach Plan, um sich diesem, ihm unerträglich werdenden Leben zu entziehen. Da ertönte plötzlich unten auf dem Hofe lustige Musik – die Kirche war aus, und die Musikbande, die gestern abend im Stern aufgespielt, war hinauf aufs Gut gezogen, sich dort ein Trinkgeld zu verdienen. Mit ihnen aber – und Karl fuhr mit einem Freudenschrei von seinem Sitz empor – waren wunderlich und phantastisch gekleidete Gaukler gekommen, die in kurzen Jacken und eng anliegenden Trikots zum Takte der Musik auf dem Hofe und vor den Fenstern Georgs ihre Künste begannen. Einer hatte Stelzen an die Füße geschnallt, womit er zur Musik einen Walzer tanzte und andere Kapriolen ausführte; ein anderer überschlug sich und kugelte sich, Brust und Bauch nach außen, wie ein Ring zusammen, und der dritte lief an einer freistehenden kurzen Leiter hinauf, auf deren oberster Sprosse er dann mit großer Geschicklichkeit seine Künste ausführte.

»Bei Gott, Onkel!« rief Karl jubelnd aus, »da unten ist Müllheimer, Hentz und Bentling – komm rasch – Hentz macht sein Leiterkunststück – siehst du dort?«

»Alle Teufel!« murmelte der Alte in den Bart, »was wollen die denn hier, und wo kommen sie her? Ob sie wissen, daß Georg das Gut bewohnt?«

»Schwerlich,« lachte Karl, »sonst hätten sie wohl kaum ihre Kunststücke im Hofe gemacht, sondern wären gleich von vornherein heraufgekommen. Die werden Augen machen!«

»Was willst du tun?« rief der alte Mühler erschreckt als Karl eben im Begriff war, das Fenster zu öffnen.

»Ich?« sagte der junge Bursche erstaunt, »sie anrufen natürlich; ich soll doch wohl meine alten Freunde und Kameraden bei euch hier nicht auch noch verleugnen und nicht mehr kennen dürfen?«

»Du bist rein verrückt!« rief der Alte, bestürzt dazwischen springend. »Na, das Donnerwetter und das Hallo von dem da drüben möcht' ich sehen, wenn der dazu käme. Wenn du nicht absolut willst, daß er uns beide noch heute am Tage zum Tempel hinausgejagt, so geh vom Fenster und tu' gar nicht, als ob du die da unten siehst.«

Karl war leichenblaß vor verhaltenem Grimm geworden, aber er ließ es geschehn, daß ihn der Alte beim Handgelenk vom Fenster zog und das Rouleau herunterließ, jedes weitere Hinaussehen zu verhindern. Er selber blinzelte nur eben einmal hinter der Gardine vor und sah gerade, wie der alte Verwalter auf die Leute zuging, ihnen ein Geldstück gab und sie vom Hofe schickte. Das Geschenk mußte auch ein ziemlich reichliches gewesen sein, denn die Gaukler schienen sehr erfreut. Desto weniger zufrieden waren aber die Leute vom Hofe damit, die sich schon um sie gedrängt hatten und ihnen jetzt, als sie den Hof verließen, meist in das Dorf hinabfolgten, um dort vielleicht noch mehr von den fabelhaften Künsten zu sehen zu bekommen. Noch stand er am Fenster und sah ihnen nach, als die Tür aufging und Georg eintrat.

»Das ist recht, Mühler,« sagte er, als er die niedergelassene Gardine bemerkte. »Ich weiß nicht, durch welchen Zufall, aber einige unserer alten Bekannten haben, wahrscheinlich auf der Durchreise, ihren Weg bis zu uns hierher gefunden. Ihr seid, wie ich sehe, vernünftig genug, Euch fern von ihnen zu halten; überdies werden die Burschen Schildheim jedenfalls heute wieder verlassen. Ich brauche Euch also nicht weiter zu ermahnen, Euch heute lieber zu Hause zu halten, damit Ihr ihnen nicht etwa zufällig in den Weg liefet.«

»Denke gar nicht dran, auszugehen,« brummte Mühler, »und will selber mit ihnen nichts zu tun haben.«

»Ich habe es von Euch nicht anders erwartet,« sagte Georg, »und auf den jungen Burschen da werdet Ihr mir auch ein wachsames Auge haben. Ich hoffe, Karl, daß du verstanden hast, was ich eben sagte?«

»Ja,« erwiderte der junge Bursche, sich gleichgültig abdrehend, »wenn ich's nicht wieder vergesse.«

»Nicht wieder vergesse?« fragte Georg scharf, »ich ersuche dich, Geselle, dein Gedächtnis anzustrengen, oder du möchtest das nächste Mal nicht wieder so leicht davonkommen. Ich will, daß du es nicht vergißt, und das merke dir, Patron, sonst sprechen wir ein anderes Wort zusammen. Ich werde überhaupt – doch genug,« brach er kurz ab, »es wird keine weitere Warnung nötig sein, denn du weißt selber am besten, Karl, was dir gut ist und was du von mir zu hoffen – oder zu fürchten hast.« Mit diesen Worten verließ er rasch das Zimmer.

»Verdammt, ob ich das nicht weiß,« fluchte der junge Bursche, als die Tür kaum hinter dem Forteilenden zugefallen war, »besser als du es vielleicht denkst, mein Herz, und daß ich es tun werde, darauf kannst du dich verlassen.«

»Karl,« warnte ihn der Alte, »sei vernünftig und mach' keine dummen Streiche. Georg läßt nicht mit sich spaßen.«

»Ob er's tut ober nicht, was kümmert's mich!« trotzte der Knabe. »Wenn du Lust hast, Onkel, seinen Knecht und gehorsamen Diener zu machen und dafür das Gnadenbrot zu nehmen, gut – du bist alt genug, um zu wissen, was dir zusagt, ich aber vertrage es nicht. Er hat gesagt, ich wisse, was mir gut sei, und ich will ihm dieses Mal wenigstens beweisen, daß er sich nicht geirrt.«

»Was hast du vor?« sagte der alte Mann besorgt, als Karl seine Mütze aufgriff, »du darfst nicht fort.«

»Darf ich nicht?« lachte der junge Bursche, der ihm unter den Händen fort und zur Tür glitt, »und wer will mich hindern?« und mit diesen Worten schon verschwand er im Gange draußen.

»Karl!« rief ihm der alte Mühler besorgt nach; Karl aber war nicht mehr zurückzurufen, und mit dem Gute und dessen Ausgängen genau bekannt, lief er in die untere Etage hinab, sprang von da in den Garten, um Georg in diesem Augenblicke nicht zu begegnen, und gelangte ungesehen, wenigstens ungehindert, in das Dorf hinab. Dort brauchte er auch nicht lange nach seinen früheren Kameraden zu suchen. Ein Volkshaufen, der sich vor einem Bauernhause schreiend und lachend umherdrängte, verriet ihm augenblicklich die Stelle, wo die drei »Künstler« eine rohe Schar von Zuschauern entzückten und unterhielten, hätte selbst nicht Hentz schon wieder auf der Spitze der Leiter, den Kopf nach unten, die Beine in die Luft gestreckt, hoch über die ihn umgebenden Dörfler hinausgeragt.

Karl hatte auch vom Fenster aus ganz recht gesehen. Es waren in der Tat jene drei jungen Burschen, die früher zu ihrer Gesellschaft gehörten und bei der Auflösung derselben brotlos in die Welt geworfen wurden. Wie sie indessen ihr Leben gefristet, zeigte sich deutlich in dem gegenwärtigen Possenspiel auf offener Straße, und Karl schämte sich fast, sie hier vor allen Leuten anzureden. Aber sprechen wollte und mußte er mit ihnen – er wußte überdies, daß die Mittagszeit sie zwingen würde, ihre Künste einzustellen, denn hier und da entfernten sich schon einzelne der bisherigen Zuschauer, um ihren eigenen Wohnungen und gedeckten Tischen zuzueilen. Karl hatte sich darin auch nicht geirrt. Die Glocke des kleinen Kirchturmes hob kaum aus, ihre zwölfmal anzuschlagen, als die Zuschauer, die bis jetzt einen festen Ring um das Künstlertrifolium geschlossen, nach allen Richtungen hin auseinander stoben, und ohne daß einer von ihnen daran gedacht hätte, die doch jedenfalls ebenso hungrigen Equilibristen einzuladen, ja ohne selbst das geringste für den gehabten Genuß zu zahlen, waren sie im nächsten Augenblicke spurlos verschwunden.

»Alle Teufel!« rief der eine von ihnen, Hentz, der diesen plötzlichen Rückzug aus der verkehrten Vogelperspektive von der Leiter aus mit angesehen, indem er mit einem geschickten Satz herunter und auf die Füße kam, »wie die Canaillen laufen, und du, Müllheimer, läßt sie auch fort, ohne einzusammeln!«

»Da sammle du einmal,« brummte der Angeredete, »wenn bei derartigem Gesindel, noch dazu an einem Sonntage, die Freßglocke schlägt! Aber nach Tische will ich sie schon wieder zusammenkriegen, und dann sollen sie doppelt dafür bluten. – Wetter – wer ist denn das, der da drüben steht? – das Gesicht kommt mir sehr bekannt vor.«

»He, Roter, wie geht's?«

»Charles! bei allen sieben Todsünden!« rief der bei seinem Spottnamen Angeredete erstaunt aus, »alle Hagel, Junge, wo kommt du auf einmal wie aus den Wolken hergeschneit?«

»Davon nachher,« sagte Karl, dem nicht daran lag, hier auf der Straße ein langes Gespräch mit ihnen anzuknüpfen. »Kommt ins Wirtshaus nach – ich werde dort für euch etwas zu essen bestellen« – und ohne eine Antwort abzuwarten, bog er in die nach dem Stern führende Gasse ein und überließ es seinen früheren Gefährten, ihm, der willkommenen Einladung nach, so rasch mit ihren verschiedenen Utensilien zu folgen, wie sie eben konnten.


Es war dreiviertel auf ein Uhr – pünktlich um ein Uhr wurde Sonntags auf dem Gute gegessen – als Karl, ebenso heimlich, wie er sich entfernt, durch das in den Garten führende Saalfenster mit Hilfe einer in der Nähe lehnenden Stange zurückstieg und seines Onkels Zimmer betrat.

»Na, da ist er – gottlob!« sagte dieser. »Ich fürchtete wahrhaftig, er hätte dumme Streiche gemacht. Es ist gleich eins, Junge.«

Karls Blick haftete auf Georginen, die in der Mitte der Stube, die rechte Hand auf den Tisch gestützt, stand und starr vor sich niedersah, ohne von dem Eintretenden die geringste Notiz zu nehmen.

»Ja, Onkel,« erwiderte Karl ruhig, ohne den Blick von der Frau zu wenden, »und wahrscheinlich auch das letzte Mal, daß ich es hier werde eins schlagen hören.«

»Bist du toll?« rief Mühler erschreckt, und Georgine sah rasch und forschend zu ihm auf. Karl aber, ohne sich im geringsten irremachen zu lassen, entgegnete: »Nichts weniger als das, Onkel; ich habe im Gegenteil heute, wie ich glaube, meinen Verstand erst wieder gefunden und bin nicht gesonnen, mich hier länger knechten und mißhandeln zu lassen, nur um zu leben, wie es einem dritten gefällt, während ich draußen mein eigener freier Herr sein kann. Die Kameraden gehen nach Altona, wo sich ein neuer Zirkus unter dem berühmten Royazet etabliert hat. Royazet zahlt brillante Gagen, und wenn Georgine mit Josefinen bei dem einträte, könnten sie . . .«

»Royazet?« unterbrach ihn Georgine, emporfahrend, und tiefes Rot färbte in dem Augenblicke ihre Wangen, »weißt du das gewiß?«

»Gewiß,« erwiderte Karl bestimmt, »Mülllheimer, Hentz und Bentling sind eben dorthin unterwegs. Royazet hat sich mit dem größten Teil seiner früheren Gesellschaft veruneinigt oder sonst Schwierigkeiten mit ihnen gehabt, denn sie sind ihm fast alle von London aus nach Australien durchgegangen. Hier allerdings bekommen wir nichts zu hören noch zu sehen, draußen aber hat's in allen Zeitungen gestanden, daß er eine neue Gesellschaft gründen will, um mit ihr nach Rußland zu gehen, und deshalb alle namhaften Künstler aufgefordert, sich an ihn zu wenden.«

»Aber ich habe keine einzige solche Aufforderung in den Zeitungen gelesen,« sagte Georgine.

»Das glaube ich,« lachte Karl erbittert, »wer liest sie zuerst? Georg, und was wir nicht wissen sollen, das weiß er gut genug zu unterschlagen. Erst vorgestern kam ich gerade dazu, wie er die neue Zeitung in den Ofen steckte, und meinen Kopf setze ich zum Pfande, daß in der die nämliche Aufforderung stand.«

»Von Royazet will er überhaupt nichts wissen,« meinte Mühler nachdenklich, »und du kennst den Grund gut genug, Georgine, denn er ist eifersüchtig wie der Teufel auf ihn. Aber wenn er wirklich die Zeitung verbrannt hätte, hat er doch nur recht damit gehabt. Was nützt es uns hier, zu wissen, daß sie da draußen in der Welt noch lustige Streiche treiben! Wir haben nichts mehr damit zu tun.«

»Meinst du, Onkel?« rief Karl, »wenn du wirklich eine solche Schlafmütze geworden bist, dich ruhig unter dem Daumen halten zu lassen . . .«

»Junge,« lachte der Alte, »ich bitte mir mehr Respekt aus . . .«

»So magst du es tun,« fuhr jedoch Karl unbekümmert fort.

»Er hat recht,« fuhr Georgine dazwischen, »wenn ich so wenig hätte, was mich hier bindet, wie er, nicht drei Tage würde ich den Zwang ertragen haben.«

»Den Henker auch,« sagte knurrend der Alte, »er hat seine ganze Familie hier, und wenn ihn die nicht bindet, was sonst?«

»Wenn die von der Familie, an denen mir etwas liegt, gescheit sind,« entgegnete Karl, »so machen sie es gerade so wie ich und lassen den alten Brummbär seine Felder allein düngen. Zum Henker, wenn Georgine zu Royazet käme, der stellte sich auf den Kopf vor lauter Freude, und auf den Händen würde sie dort getragen, von den Leuten wie vom Publikum.«

»Na ja, setz' du ihr nur auch noch solche Dinge in den Kopf,« schalt der Alte, »weiter hat gar nichts mehr gefehlt! Das braucht's auch eben noch, sie über die Stränge schlagen zu machen – und sie weiß, daß sie nicht darf.«

»Ich kann nicht fort,« erwiderte auch Georgine, düster vor sich niederblickend, »er gibt mir mein Kind nicht, und ohne Josefinen geh' ich keinen Schritt.«

»So nimm dir's,« trotzte der junge Bursche. »Was will er machen, wenn wir heute abend unsere Sachen heimlich zusammenpacken und am nächsten Morgen über alle Berge sind?«

»Bah, du sprichst, wie du's verstehst,« sagte der Alte, »du könntest vielleicht weglaufen, und ich glaube nicht einmal, daß es Georgs Herz brechen würde, aber die Frau und das Kind – in zwei Stunden hätt' er sie wieder, und nachher . . .«

Die Augen der Frau leuchteten von einem unheimlichen Glanze, aber sie sagte kein Wort. Karl dagegen lachte: »Aber mein armer Kandidat – dem breche ich das Herz gewiß. Wen hat er nun morgen, den er quälen und drangsalieren kann? Und die lateinische Grammatik nehme ich zum Andenken mit.«

»Red' nicht so tolles Zeug, Karl!« ermahnte der Alte, »du sprichst wahrhaftig, als ob du ganz im Ernst an solche Torheit dächtest.«

»Tu' ich wirklich?« spottete ihm Karl nach, »gut, dann komm doch morgen früh an mein Bett, Onkel, und weck' mich – willst du?«

»Da schlägt's eins,« rief Mühler, der froh schien, dieses Gespräch abbrechen zu können. »Wir müssen hinüber. Georg ist Sonntags immer auf die Minute bei Tische.«

»Dann dürfen wir natürlich als gehorsame Diener unseres Herrn nicht säumen,« spottete Karl.

»Höre, mein Bursche,« sagte der Alte ernsthaft, indem er sich zum Gehen rüstete, »sei nicht übermütig! Wenn ich die Beine unter eines andern Tisch stecke, muß ich auch tun, wie der andere mich heißt – solange ich nämlich keinen eigenen habe.«

»Und siehst du, das ist der Haken!« rief Karl, »denn ich habe von nächster Woche an einen eigenen und will dann nur abwarten, wie lange du dich hier wirst füttern lassen. Royazet hat gar keinen ordentlichen Clown mehr. Sie sind ihm alle davongelaufen, und wenn er schon in Frankreich enorme Gagen zahlte, kannst du dir denken, daß er in Rußland nicht weniger geben wird. Jetzt weißt du, was dir zu wissen not tut, und nun mach', was du willst; ich rede kein Wort weiter drum.«

Mühler, der den trotzköpfigen, unbändigen Charakter des Knaben nur zu gut kannte und schon oft darunter gelitten hatte, schritt mürrisch den Gang entlang, dem Eßzimmer zu. Georgine aber, Karls Arm ergreifend, hielt ihn noch einige Sekunden zurück, bis ihr Vater so weit voran war, sie nicht mehr hören zu können, dann flüsterte sie rasch: »Schreib' mir von dort, Karl, willst du?«

»Gewiß will ich, und ausführlich.«

»Gut, ich werde dir nach Tische einen Zettel geben, auf dem eine Unzahl Fragen stehen. Schreib' mir die Antwort darauf – aber vergiß keine und – laß mich nicht lange warten.«

»Und du willst kommen?« fragte der junge Bursche mit glänzenden Augen. »Du weißt am besten, wie sich Royazet darüber freuen würde.«

»Ich kann nichts Bestimmtes sagen. – Wir müssen auch fort. Georg darf nicht ahnen, daß ich mit dir darüber gesprochen.«

»Hab' keine Furcht,« lachte Karl, »wir beide stehen auf keinem solchen Fuße miteinander, daß wir uns unsere Geheimnisse anvertrauen, und ich besorge es dir – darauf kannst du dich verlassen.«

»Ich danke dir – ich werde nachher wieder herüberkommen und dir Reisegeld bringen – du mußt wenigstens einen Zehrpfennig haben, daß du nicht als Bettler dort ankommst.«

»Desto besser,« lachte der Knabe still vor sich hin, »aber auch ohne einen Schilling in der Tasche hätt' ich meinen Plan durchgeführt.«

Georgine antwortete ihm nichts darauf, sondern eilte dem Vater nach, die streng gehaltene Essensstunde nicht zu versäumen. Karl folgte ihr langsamer. Was lag ihm daran, wenn er auch zu spät kam und Georg böse darüber wurde – es war das letzte Mal heute und wenn er sich über ihn ärgerte, desto besser!

 


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