Friedrich Gerstäcker
Der Kunstreiter
Friedrich Gerstäcker

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6.

Eine volle Woche war nach der gepflogenen Unterredung der beiden Brüder verflossen, und der Rittmeister hatte in der ganzen Zeit nichts weiter von Georg gehört. Nur die Stadt beschäftigte sich indessen mehr und mehr mit dem beabsichtigten Seiltanz zwischen den beiden Türmen, je mehr das Ende der Messe heranrückte; wußte man doch, daß die Erlaubnis dazu erteilt worden, und trotzdem spannte sich kein Seil auf jener Höhe, und nichts verriet, daß es überhaupt noch beabsichtigt werde. War es nur Prahlerei von dem Kunstreiter gewesen, das Publikum neugierig zu machen? Graf Geyerstein kannte den Grund und dankte Gott in seinem Herzen dafür; aber trotzdem beunruhigte ihn dieses Schweigen, und er hatte schon beschlossen, den Bruder heute in seiner eigenen Wohnung aufzusuchen, als sein Bursche ihm meldete, ein junger Herr sei draußen und wünsche ihn zu sprechen. Zugleich überreichte er dem Rittmeister die nämliche, mit seiner Adresse beschriebene Karte, die er damals in der Wohnung Monsieur Bertrands hinterlassen hatte.

»Ein junger Herr?« fragte der Rittmeister erstaunt, die Karte neben sich auf den Tisch werfend.

»Blutjung,« bestätigte Karl, »sieht auch ein wenig lustig aus, als ob er mit zu der – Sie wissen schon – zu der Reiterbande gehörte.«

»Es ist gut – laß ihn eintreten. Du störst uns indessen nicht, hörst du?«

»Zu Befehl, Herr Rittmeister,« erwiderte mit militärischem Takt der Bursche und verschwand aus der Tür, um im nächsten Augenblick den angekündigten Besuch hereinzulassen.

Graf von Geyerstein sah einen jungen, sehr elegant gekleideten Mann zu sich eintreten, mit vollen schwarzen Locken und kleinem, leicht aufgedrehtem Schnurrbart, der erst jetzt, bereits in der Tür, seinen schwarzen breitrandigen Filzhut abnahm. Das Gesicht desselben kam ihm allerdings bekannt vor; er konnte sich aber doch nicht entsinnen, wo er ihm schon begegnet wäre, und der Fremde machte dabei eine sehr formelle und tiefe Verbeugung, bis Karl die Tür wieder hinter sich ins Schloß gedrückt hatte.

»Was steht zu Ihren Diensten?« fragte der Rittmeister gespannt.

»Herr Graf,« erwiderte der Fremde, indem er einen Blick zurück nach der Tür warf, »ich schätze mich unendlich glücklich, daß Sie mir vergönnt haben – wir sind doch einen Augenblick ungestört?«

»Und zu welchem Zwecke, wenn ich fragen darf?«

»Sie kennen mich nicht mehr?« lachte der Fremde, und die Stimme klang dem Rittmeister jetzt ganz anders – viel welcher als vorher.

»Ich muß in der Tat gestehen . . .« sagte dieser.

»Also ist die Verkleidung gelungen,« lachte plötzlich der junge Mann, und mit einem Griff nach dem Munde stand er ohne Schnurrbart vor dem dadurch allerdings überraschten Grafen.

»Madame Bertrand!« rief dieser aber auch im nächsten Augenblick erstaunt aus.

»Bst – nicht so laut!« warnte die mutwillige junge Frau, indem sie dem Grafen lachend mit dem Finger drohte. »Ihr Bursche braucht gerade nicht mit in das Geheimnis gezogen zu werden.«

»Aber was, um Gottes willen, hat Sie bewegen können . . .«

»In Verkleidung zu Ihnen zu kommen?« unterbrach ihn die Schöne. – »In anderer Weise konnte ich Ihnen keinen Gegenbesuch abstatten, ohne sämtlichen Kaffeegesellschaften der Residenz auf wenigstens drei Wochen Stoff zur Unterhaltung zu liefern. Die Verkleidung schlägt aber in meinen Beruf, und daß ich geschickt darin bin, habe ich Ihnen, glaub' ich, bewiesen. Doch Scherz beiseite,« setzte sie plötzlich ernster werdend, hinzu, »ich mußte Sie sprechen, und da Sie uns nicht mehr mit Ihrem Besuch beehrten, so blieb mir keine andere Wahl, als Sie aufzusuchen. Das Resultat sehen Sie vor sich.«

»Und haben Sie nicht bedacht, welchen Mißdeutungen Sie sich durch solch einen – gewagten Schritt aussetzten?« sagte der Graf ernst.

Die junge, schöne Frau warf den Kopf mit einem halb spöttischen, halb verdrießlichen Lächeln zur Seite.

»Von dem Rittmeister eines Kürassierregiments hatte ich allerdings einen anderen Empfang erwartet,« lächelte sie dabei, »als eine ernste Strafpredigt und Ermahnung. Doch wie dem auch sei, mein Herr Graf, ich bin einmal da, und Sie werden mich hoffentlich nicht wieder fortschicken, ohne mich wenigstens zu hören.«

Graf von Geyerstein war in peinlicher Verlegenheit, aber allerdings blieb ihm hier keine andere Wahl, als die Dame eben gewähren zu lassen, und er bat sie artig, dann wenigstens auf dem Sofa Platz, zu nehmen. Er selber rückte sich einen Stuhl zum Tisch und wollte sich eben darauf niederlassen, als Madame Bertrand lachend sagte: »Selbst das kann ich Ihnen nicht gestatten – Sie müssen sich zu mir auf das Sofa setzen, denn was ich Ihnen zu sagen habe, möchte ich eben nicht laut schreien. Fürchten Sie sich vor mir?«

Ihr dunkles Auge brannte ihm dabei entgegen, und der Graf sagte artig: »Ich unterschätze wenigstens die Gefahr nicht – aber wie Sie wollen. Und welcher Ursache verdanke ich jetzt die Ehre dieses so – unverhofften Besuches?«

»Ich danke Ihnen, daß Sie kein härteres Wort dafür gebrauchten,« sagte die schöne Frau, »aber ein eigentümlicher Grund ist es in der Tat, der mich zu Ihnen führt, und zwar kein geringerer als – mein Mann.«

»Monsieur Bertrand?«

»Derselbe. Seit dem Besuch bei Ihnen, Herr Graf, kenne ich ihn nicht mehr. Er ist vollständig ein anderer Mensch geworden: trüb, ineinander gebrochen, zurückhaltend, scheu und – das Schlimmste für und uns alle – verzagt. Die Zeit über habe ich es auch ertragen und geglaubt, er selber würde es mir endlich gestehen was ihn drückt, denn drücken muß ihn etwas – etwas muß ihm auf der Seele liegen, das den sonst so kräftigen, elastischen Geist mit eiserner Schwere daniederhält; aber er bleibt stumm, und ich bin fest überzeugt, niemand kann mir darüber Auskunft geben als Sie.«

»Aber welchen Einfluß könnte ich auf ihn ausgeübt haben?« sagte der Graf, der nichts weniger wünschte, als mit des Bruders Gattin in diesem Augenblicke den Seelenzustand desselben zu besprechen.

»Das ist auch mir rätselhaft,« erwiderte die Frau, indem sie ihm fest und forschend ins Auge sah, »denn ich hatte bis jetzt nicht geglaubt, daß irgend ein Mensch imstande sei, den tollkühnen, vor nichts zurückschreckenden Bertrand zu zähmen. Aber zahm ist er geworden, seit er Sie gesprochen.«

»Wir haben uns allerdings nur über sehr zahme und alltägliche Sachen unterhalten,« lächelte der Rittmeister. »Ist aber wirklich eine Verwandlung in seinem Charakter, sich einer ruhigen Richtung zuzuwenden, eingetreten, so mag er die vielleicht schon früher gefaßt haben; warum soll ich die Schuld deshalb tragen – wäre überdies eine Schuld dabei? Sie selber haben doch auch gewiß schon manchmal an die Zukunft für sich – für Ihre Tochter gedacht, und können doch nur wünschen, diese gesichert zu sehen.«

»Allerdings habe ich das!« rief Georgine, und ihre ganze Gestalt hob sich dabei, ihr Auge blitzte. »Josefine soll und muß die gefeierteste Reiterin Europas werden.«

»Und Sie selber? – wenn Sie einmal altern?«

»Die Zeit liegt noch fern,« sagte die junge, schöne Frau, indem ein leichtes, trotziges Lächeln ihre Lippen umspielte, »und an eine Zukunft für mich habe ich noch nie gedacht.«

»Und könnten Sie sich nicht glücklich fühlen, wenn Sie Ihren Gatten in einem ruhigem Leben glücklich wüßten?« fragte Graf Geyerstein, mit weit mehr Herzlichkeit im Ton, als er bis jetzt gezeigt.

Georgine lachte laut auf. – »Der moralische Ton steht Ihnen prächtig,« rief sie dabei. »Wenn sie sich nur selber sehen könnten, Herr Rittmeister – aber,« unterbrach sie sich plötzlich und fuhr fast erschreckt empor, »liegt Ihren Worten etwa ein tieferer Sinn zugrunde? – Wenn ich mir alles zusammenreime, was Georg in den letzten Tagen gesprochen, auf was er hingedeutet hat – auch seinen unterlassenen Seiltanz, zu dem er schon am Montag die Erlaubnis bekam . . .«

»Ich freue mich recht von Herzen, daß er ihn unterlassen hat,« sagte der Rittmeister ruhig, »diese halsbrechenden Künste sind so undankbar für den Exekutierenden, wie peinlich für die Zuschauer, und Sie selber sollten froh sein, Ihren Gatten von einer Gefahr abstehen zu sehen, der er doch einmal über kurz oder lang erliegen könnte.«

»Gefahr!« rief das schöne Weib verächtlich, »wär' ich noch Georgine Bertrand, wenn ich vor einer Gefahr zurückschrecken wollte? und glauben Sie, daß Georg etwas fürchtet auf der Welt? Nein, das ist es nicht; eine andere Ursache liegt seinem jetzigen Benehmen zugrunde, und nur bei Ihnen, Herr Graf, kann ich die Lösung finden.«

»Und wenn Sie sich dennoch darin irren sollten?«

»Sie haben mir von einer Ähnlichkeit gesagt, die Sie zuerst zu uns geführt!« flüsterte da Georgine, und ihre Blicke bohrten sich in die Augen des Grafen, welcher fühlte, wie ihm das verräterische Blut in die Schläfe stieg, aber seine Züge blieben kalt und fest, und er erwiderte ruhig: »Allerdings, Madame, die Ähnlichkeit mit einem Jugendfreunde, nicht allein im Antlitz, nein, auch selber im Namen; es war aber ein Irrtum. Schon als ich Herrn Bertrand ganz in der Nähe sah, fand ich das.«

»Sie täuschen mich nicht, Herr Graf!« rief Georgine, seinen Arm ergreifend. »Georg ist ein anderer, als er sich mir gegeben, und die Wahrheit soll jetzt selbst seinem Weibe Geheimnis bleiben.«

»Wenn Herr Bertrand ein Geheimnis vor Ihnen hat, Madame,« sagte der Rittmeister artig, aber ernst, »so ist es nicht meine Sache, das zu lüften, selbst wenn ich darum wüßte.«

»So geben Sie mir Ihr Wort als Kavalier –«

»Halt, Madame,« unterbrach der Graf sie kalt, »Sie gehen zu weit. Ich habe Herrn Bertrand allerdings an jenem Morgen gesehen, aber seit der Zeit nicht wieder, weiß deshalb auch nicht, was seine Pläne sind. Was wir damals miteinander gesprochen, deutete wohl darauf hin, daß er dieses wilden, wüsten Lebens überdrüssig sei; wenn dem aber wirklich so wäre, würde ich nur mit Freuden die Hand dazu bieten, ihm einen solchen Plan ausführen zu helfen.«

»Sie?« rief Georgine erstaunt, »und welches Interesse könnten Sie, Graf von Geyerstein, an dem Kunstreiter nehmen, wenn nicht ein besonderer Beweggrund Sie dabei leitete? Sie verschweigen mir, was ich als Georgs Weib erfahren müßte, was ich erfahren will, und gönnen Sie mir nicht gutwillig oder gezwungen Ihr Vertrauen, so seien Sie fest versichert, daß ich Ihre Pläne kreuze.«

»Madame Bertrand –«

»Das ist mein offenes Wort,« rief die Frau, »und Krieg oder Friede liegt jetzt in Ihrer Hand.«

Der Graf schüttelte ernst mit dem Kopfe. »Sie irren sich, schöne Frau,« sagte er, »und würden selbst in dem Falle, da sie recht hätten, einen schweren, nie wieder gut zu machenden Fehler begehen.«

»Wieso, ich?«

»Daß Sie einen Fremden zum Mittelsmanne Ihres häuslichen Friedens machen wollen.«

»Häuslichen Friedens?« rief aber die kecke Reiterin mit spöttischem Lachen, »denken Sie sich unser Leben nicht so idyllisch, Herr Rittmeister. Nicht für die Häuslichkeit sind wir bestimmt oder darauf angewiesen, und die Gesetze, die bei anderen Frauen vielleicht gelten mögen, halten deshalb auch bei mir nicht Stich. Mein Mann und ich haben uns überdies schon lange darüber verständigt, jedes von uns seine eigene, für sich abgeschlossene Bahn zu gehen. Vereinigen sich diese von selber, desto besser; tun sie es nicht, so ist jedes selbständig genug, die eigene zu verfolgen.«

»Und Ihr Kind?«

»Josefine? die allerdings folgt der meinen, wenn ihr Vater derselben abtrünnig werden sollte,« rief Georgine, und der forschende Blick, mit dem sie bei diesen Worten den Grafen betrachtete, sagte diesem, daß sie den Eindruck beobachten wolle, den sie machten. Graf von Geyerstein verriet aber durch keinen Zug, welchen Anteil er an dem eben Gehörten nahm. Wohl schien es, als ob er etwas darauf erwidern wollte; er überlegte sich aber bald, daß ein Drängen von seiner Seite die Frau nur noch mißtrauischer, ja auch neugieriger machen müßte, und kurz abbrechend sagte er nur: »Es ist das ein unerquickliches Gespräch für uns beide, Madame, und kann zu keinem Resultate führen. Ich selber stehe Ihren Familienangelegenheiten auch zu fern, um eine Einmischung in solche zu beanspruchen, selbst wenn sie von dem einen ober dem andern Teil angenommen werden sollte. Machen Sie das, falls er nicht Ihrer Meinung sein sollte, mit Ihrem Gatten ab. Kann ich Ihnen in irgend sonst etwas dienen, so verfügen Sie frei über mich.«

»Sie sind sehr gnädig, Herr Graf,« lachte die junge Frau, »aber so bald und so leichten Kaufes werden Sie mich noch nicht los.«

»Ich habe mich selber erboten . . .«

»Ich weiß es schon und bin Ihnen sehr dankbar dafür – in allem mir gefällig zu sein – nur in dem nicht, was mich hierher geführt!«

»Und das ist?«

»Zu erfahren, in welcher Beziehung Sie zu meinem Gatten stehen – den Beweggrund kennenzulernen, der Sie leiten konnte, sich für den Kunstreiter zu interessieren und auf ihn einzuwirken.«

Wolf war aufgestanden und trat zum Fenster; er kämpfte augenscheinlich mit einem Entschluß, und Georgine fühlte es, denn sie unterbrach ihn nicht. »Madame,« sagte er endlich, zu Georginen zurückkehrend, »ich sehe eigentlich keinen Grund, Ihnen, da Sie auf diese Weise in mich dringen, länger zu verheimlichen, daß ich mich allerdings in der Ähnlichkeit mit Ihrem Gatten nicht getäuscht. Ich habe in ihm einen meiner früheren Jugendgespielen erkannt, aber das Geheimnis ist nicht mein eigenes, es gehört seiner Familie, und der gegenüber stehe ich nur als Mittelsmann zwischen ihr und Herrn Bertrand.«

»Also doch ein Geheimnis,« lachte Georgine bitter vor sich hin, »ein Geheimnis, Frau und Kind um ihre Existenz zu betrügen.«

»Nennen Sie das um Ihre Existenz betrügen, Madame, wenn man Ihnen die Aussicht gibt, sich eine unabhängige und ehrenvolle Stellung im bürgerlichen Leben zu sichern?« sagte der Graf.

»Und ist unsere Stellung nicht unabhängig – nicht ehrenvoll?« rief Georgine gereizt.

»Lassen Sie uns abbrechen,« bat Wolf von Geyerstein, dem das Gespräch schon lange peinlich war. »Das ist eine Sache, die Sie mit Ihrem Gatten weit besser beraten können als mit mir, die Sie nur allein mit ihm beraten müssen. Wenn ich Ihnen die Versicherung gäbe, daß ich selber den wärmsten Anteil an Ihrem Schicksal nehme, glaubten Sie mir vielleicht das nicht einmal.«

»Nein,« sagte Georgine finster, »nicht eher, als bis Sie mir den wahren Grund dafür sagen würden. Glauben Sie mir, Herr Graf, daß wir da nur zu bittere Erfahrungen mit solcher Teilnahme machen. Aber ich fühle, daß Ihnen unsere Unterredung nicht länger angenehm ist.«

»Madame Bertrand.«

»Bitte – keine Komplimente zwischen uns. Ich bin wahr und offen gegen Sie gewesen – ohne dasselbe bei Ihnen erzielt zu haben. Ich will nicht zudringlich sein. – Entschuldigen Sie, daß ich Sie gestört habe.«

Sie war aufgestanden und wandte sich zur Tür, als sich diese in dem nämlichen Augenblick öffnete und eln fremder Bedienter in grauer Livree den Kopf hereinsteckte.

»Was wollen Sie, und wer hat Ihnen erlaubt, hier einzutreten?« rief ihm der Graf finster entgegen.

»Bitte tausendmal um Entschuldigung, Herr Rittmeister,« sagte der Bursche, den Blick dabei auf den Fremden geheftet, »ich habe zweimal geklopft und konnte Ihren Karl nirgends draußen finden.«

»Warten Sie dann draußen, bis er kommt oder bis ich Zeit habe,« lautete die eben nicht freundliche Antwort, und der Bursche verschwand mit einer tiefen Verbeugung, wie er gekommen.

Der Rittmeister hielt den Blick auf die Tür geheftet, aber er hörte keinen Schritt. Der Bediente stand jedenfalls noch vor der Tür und horchte. Madame Bertrand hatte aber indessen wieder mit großer Geschicklichkeit, den benachbarten Spiegel benutzend, den kleinen Schnurrbart befestigt. Dann sich gegen den jungen Mann tief verneigend, aber doch wieder mit dem vorigen Spott um die Lippen, sagte sie laut, indes mit weit tieferer als ihrer natürlichen Stimme: »Herr Graf von Geyerstein, ich habe die Ehre, mich Ihnen gehorsamst zu empfehlen.«

»Bleiben Sie noch,« bat der Graf sie leise, »lassen Sie mich erst den Horcher entfernen.« Dabei öffnete er rasch die Tür – der fremde Bediente stand aber nicht, wie er erwartet hatte, davor, sondern war verschwunden, und nur die draußen angelehnte und nicht wieder ins Schloß gedrückte Vorsaaltür zeigte, daß er sich entfernt hatte.

»Die Bahn ist frei,« sagte Georgine mit ihrer natürlichen Stimm«. Sich leicht gegen den Grafen verneigend verließ sie rasch und jede weitere Begleitung zurückweisend, das Zimmer und gleich darauf das Haus, warf sich in eine Droschke und fuhr ihrer eigenen Wohnung zu. Graf von Geyerstein aber schritt mit untergeschlagenen Armen und gesenktem Haupte rasch in seinem Zimmer auf und ab, ungeduldig dann und wann nach der Tür horchend, bis draußen die Vorsaaltür aufs neue geöffnet wurde und Karl gleich darauf im Zimmer seines Herrn erschien.

»Herr Rittmeister,« berichtete er hier in militärischer, das heißt sehr steifer Haltung, »ein Bedienter Seiner Exzellenz des Herrn Kriegsministers von Ralphen wünscht . . .«

»Wo bist du die Zeit über gewesen?« unterbrach ihn sein Herr.

»Im Stalle unten, zu Befehl, Herr Rittmeister.«

»Laß den Burschen hereinkommen.«

Karl machte rechtsum kehrt, und gleich darauf erschien die graue Livree wieder auf der Schwelle.

»Herr Graf,« sagte der Diener mit einer tiefen Verbeugung, »Seine Exzellenz lassen mit besten Empfehlungen morgen abend um acht Uhr um die Ehre bitten.«

Der Rittmeister antwortete ihm nicht; er sah den Burschen, dessen Erröten ihm nicht entgehen konnte, forschend an und dann schweigend vor sich nieder. Endlich sagte er kalt: »Es ist gut – meine Empfehlung an Seine Exzellenz; ich werde zur bestimmten Zeit erscheinen.«

»Wer war denn der junge Herr, der vorhin bei deinem Herrn Besuch gemacht hat?« sagte der mit der grauen Livree, als er neben Karl über den Vorsaal der Treppe zuschritt.

»Weiß ich nicht,« antwortete, ziemlich kurz angebunden, Karl, »geht mich auch nichts an.«

»Der kommt wohl oft hierher?« fragte der Graue, dadurch nicht im mindesten eingeschüchtert.

»Das weiß ich auch nicht und geht dich wieder nichts an,« meinte aber Karl, »guten Morgen!« und öffnete dem Grauen die Tür.

»Grobian!« murmelte dieser, als er langsam die Treppe hinunterstieg, um die übrigen Einladungen auszuführen.

 


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