Friedrich Gerstäcker
Der Kunstreiter
Friedrich Gerstäcker

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23.

Wir haben Georg verlassen, als damals der alte Tobias auf seinen Befehl aus dem Hofe gejagt wurde. Damit war er allerdings für den Augenblick den Burschen los; daß dieser aber, über die Behandlung wütend und von Branntwein und Ärger aufgeregt, ins Dorf hinabgehen und dort sein Geheimnis ausschreien würde, ließ sich voraussehen – und was dann? Wie unangenehm mußte selbst hier auf dem Gute Georgs Stellung werden, wenn die Bauern von Schildheim, ja seine eigenen Knechte erfuhren, daß er unter einem angenommenen Namen hierhergekommen wäre! und wie erst sollte sich sein Verhältnis zu den benachbarten Gutsbesitzern stellen, wenn aus dem Baron von Geyfeln der frühere Kunstreiter Monsieur Bertrand wurde? Er selber hätte sich vielleicht darüber hinweggesetzt, aber würde Georgine dieses einsame Leben ertragen, wenn sie von da an nur auf ihre eigene Familie angewiesen blieb?

Selbst der frühere Besuch von Zühbigs – wenn auch seit der Zeit Wochen vergangen waren – kam ihm wieder ins Gedächtnis und zeigte ihm mehr und mehr, daß sein Geheimnis bald kein Geheimnis mehr bleiben würde. Die Bosheit des alten Possenreißers und der Zufall hatten sich in die Hände gearbeitet, und er sah mit recht bitteren, sorgenden Gefühlen der Zukunft entgegen.

Vor allem mußte er aber jetzt erfahren, was unten im Dorfe vorgefallen sei oder noch geschehe, und er schickte deshalb den Verwalter mit einem gleichgültigen Auftrage zum Sternenwirt hinunter. Dort sollte er nebenbei erfragen, ob Mühler im Krug noch eingekehrt oder seinen Weg gleich weitergezogen sei.

Das abgemacht, setzte er sich hin und schrieb einen ausführlichen Brief über die Erlebnisse der letzten Wochen, besonders über sein Begegnen mit Herrn von Zühbig, an Wolf und sprach dahin die Befürchtung aus, daß seine Stellung hier nicht lange mehr haltbar sein würde; denn zogen sich die benachbarten Gutsbesitzer von ihm zurück, so sah er voraus, wie unglücklich sich Georgine fühlen und ihm das Leben dann auf jede Art verbittern würde. In dem Briefe teilte er aber auch dem Bruder mit, daß ihn Karl, der Neffe des Alten, heimlich verlassen habe und er jetzt fest entschlossen sei, nach dem Vorhergegangenen, möge sich Georgine darüber gebärden, wie sie wolle, den alten Mühler selbst nicht wieder bei sich aufzunehmen.

Den Brief sandte er durch einen besonderen Boten auf die nächste Postexpedition, sagte aber Georginen noch nichts von dem Vorfalle mit ihrem Vater. Da der Alte, wie es nicht anders sein konnte, das Geheimnis Georgs ausgeplaudert hatte, so war es mehr als wahrscheinlich, daß er selber gar nicht beabsichtige zurückzukehren, und in dem Falle vermied Georg eine fatale Erörterung mit der überhaupt leicht reizbaren Frau. Solange das umgangen werden konnte, sollte es geschehen.

Ungelegen kam ihm in dieser Zeit gerade eine kleine Reise, die er in Geschäften machen mußte. Diese betraf aber seinen Getreideverkauf und ließ sich nicht länger aufschieben, und die Abreise war schon auf den nächsten Morgen angesetzt. Die Vorbereitungen dazu nahmen auch jetzt seine Zeit in Anspruch, und damit beschäftigt, suchte er das unangenehme Gefühl zu bewältigen, das ihn immer und immer wieder beschleichen wollte, wenn er an den letzten Auftritt mit dem alten Trunkenbold zurückdachte.

Der Verwalter war indessen in das Dorf hinabgegangen und erfuhr dort bald Mühlers letzte Erlebnisse in Schildheim. Ohne daß er eine Frage danach tat, erzählte ihm der Wirt, wie der »Schwiegervater vom Gute« heute nachmittag bei ihm vier Flaschen Wein mit dem faulen Tobias getrunken und – nicht bezahlt habe und dann mit einem Bündel in der Hand den Weg am See entlang marschiert sei. Er wollte dabei vom Verwalter wissen, ob der Schwiegervater wiederkomme oder nicht; der Verwalter beruhigte ihn indes darüber, denn seines Wissens hatte Mühler allerdings nur eine kleine Reise vor, von der er vielleicht schon in zwei oder drei Tagen zurück wäre. Vom Krug aus ging der Verwalter, ehe er nach dem Gute zurückkehrte, am Bache hinauf. Er hatte dort in der letzten Woche Weiden schneiden lassen und wollte sehen, was da noch zu tun wäre. Der Bach war durch die letzte milde Witterung ziemlich angeschwollen. Das Wetter änderte sich aber; seit Mittag wurde die Luft auffällig kälter, und einzelne Flocken aus dem grauen Himmel verkündeten einen Schneefall für die Nacht. Der Verwalter schritt rasch am Bache entlang, ohne sich länger als irgend nötig an den einzelnen Stellen aufzuhalten, und dort angelangt, wo das schmale Wasser eine scharfe Biegung nach Norden machte, wollte er sich eben wenden und in gerader Richtung wieder nach dem Gute hinaufschneiden, als seine Aufmerksamkeit auf einen in seinem Wege liegenden Gegenstand gelenkt wurde. Es war ein alter Hut, der dort, unter einem Weidenbaume auf der Wiese, etwa drei oder vier Schritte vom Wasser entfernt, lag. Er blieb einen Augenblick dabei stehen und drehte ihn mit dem Fuße um; die fragliche Kopfbedeckung sah aber so schäbig und abgenutzt aus, daß er sich nicht zu wundern brauchte, wenn den der Eigentümer in Ekel fortgeworfen hatte – eher war es ein Rätsel, daß er ihn noch so lange getragen. Die Schneeflocken wurden auch schärfer, der Wind setzte mit größerer Härte ein, und seine Hände in die Taschen schiebend, eilte er, so rasch er konnte, den schützenden Gebäuden des Gutes wieder zu.

In der Nacht fiel ein tüchtiger Schnee. Der Förster schickte allerdings einen Boten aufs Gut, daß er zwei Füchse stecken habe und ob der Herr Baron nicht herauskommen wolle, diese zu schießen; Georg aber hatte seine Abreise auf neun Uhr festgestellt, und der Schlitten hielt zur bestimmten Zeit vor der Tür.

Georg hatte mit seiner Frau schon am vorigen Abend seine Reise und die Zeit seiner Abwesenheit besprochen. Als er an diesem Morgen von ihr Abschied nehmen wollte, war sie gerade mit Ankleiden beschäftigt und ließ sich nicht darin stören. Georg ging zu Josefinen hinüber, um ihr Adieu zu sagen. Die Kleine saß bei ihrer Erzieherin am Schreibtisch und arbeitete fleißig. Der Vater nickte ihr freundlich zu und trat dann, während Mademoiselle Adele aufstand, näher zum Tische.

»Es tut mir leid, daß ich Sie störe, Mademoiselle! bitte, behalten Sie Ihren Platz – aber ich werde drei oder vier Tage in Geschäften abwesend sein und wollte nur Josefinen Adieu sagen. Leider bin ich gerade in der letzten Zeit gar zu sehr beschäftigt gewesen, mich viel mit ihr abzugeben. Sind Sie noch zufrieden mit ihr?«

»Recht sehr zufrieden,« antwortete das junge Mädchen aus vollem Herzen. »Josefine ist ein braves Kind und macht mir viel, viel Freude; ich darf das wohl in ihrem Beisein sagen.«

»Sie glauben nicht, Mademoiselle, wie große Freude Sie mir mit dieser Nachricht machen, und dir, Josefine, danke ich besonders dafür. Leid hat es mir bis jetzt auch immer getan, daß du so allein, ohne Spielgefährtin, besonders den langen Winter hier verbringen mußtest, und ich will dir jetzt zeigen, daß ich auch dankbar für dein gutes Betragen sein kann. Sie werden bald noch einen Zögling bekommen, Mademoiselle. Der Geistliche in Sostheim ist gestorben. Sie wissen, er war schon ein Jahr Witwer und hat ein Töchterchen in Josefinens Alter hinterlassen. Das arme kleine Wesen ist dort von der Gemeinde einer Familie zugeteilt worden, in der es sich nicht wohlfühlt, sich nicht wohlfühlen kann. Ich habe deshalb beschlossen, es zu mir zu nehmen und mit meinem Kinde zu erziehen. Meine Frau ist allerdings noch nicht damit einverstanden und glaubt vielleicht, daß wir dadurch zu große Verantwortlichkeit auf uns nehmen. Sie wird sich aber leicht darein finden, wenn sie die liebe kleine Marie erst kennenlernt.«

»Marie heißt sie?« rief Josefine rasch und errötend.

»Ja, mein Kind.«

»Und ich will ihr gern,« sagte Adele herzlich, »die Mutter zu ersetzen suchen, soweit das in meinen Kräften steht. Ich glaube auch mit Ihnen, Herr Baron, daß solche Gesellschaft einen glücklichen und segensreichen Einfluß auf Ihre Tochter ausüben wird – nicht gerechnet das gute Werk, das Sie an der verlassenen Waise üben.«

»Ich komme jetzt dort in die Nähe,« fuhr Georg fort, »und werde das Kind wahrscheinlich gleich mitbringen. Haben Sie die Güte, alles vorzubereiten, daß es hier eine freundliche Heimat findet. Und du wirst gut mit deiner neuen Schwester sein, Josefine?«

»O gewiß, Papa, gewiß,« rief die Kleine, die Hände zusammenschlagend, »ich freue mich so sehr – so sehr auf die – Marie!«

»So bleibe denn hübsch brav, bis ich wiederkomme, und folge der Mademoiselle in allen Dingen. Sie meint es gut mit dir. Ich selber,« wandte er sich dann an die Erzieherin, »werde in drei, spätestens vier Tagen zurück sein, leben Sie wohl bis dahin.« Und seiner Tochter freundlich zunickend, verließ er das Zimmer.

»Wird der Schlitten gehen?«

»Gewiß,« sagte der Kutscher, »trotz dem Tauwetter ist doch noch alter Schnee genug liegengeblieben, und heute nacht hat es eine tüchtige Partie frischen darauf geworfen. Jedenfalls geht es besser als der Wagen.«

Georg stieg ein und warf noch einen Blick nach den Fenstern hinauf. Die Georginens waren verhängt, und Fräulein Adeles Zimmer lag nach dem Garten hinaus, aber sie war mit der Kleinen in die dem Hofe zunächst liegende Stube gekommen, um den Vater abfahren zu sehen. Das Fenster wurde geöffnet, und Josefine bog sich heraus und winkte fröhlich herab. Der Vater grüßte hinauf, und der Schlitten klingelte lustig zum Tor hinaus, der breiten, weißgedeckten Straße folgend, und zwar in der entgegengesetzten Richtung von Schildheim fort.

Etwa eine Stunde vom Gute entfernt, begegnete der Schlitten einem leichten Reisewagen. Ein einzelner Herr saß darin, aber so bis unter die Augen in Pelz eingehüllt, daß man seine Züge nicht erkennen konnte. Georg achtete auch nicht auf ihn, denn andere Dinge gingen ihm im Kopfe herum als sich um gleichgültige Reisende zu bekümmern. Der Fremde aber bog sich, als er an ihm vorüber war, rasch aus dem Wagen hinaus und sah ihm nach, so lange er den Schlitten noch erkennen konnte, dann sich zu seinem Kutscher wendend, sagte er: »Kanntest du den Herrn, der da eben an uns vorüberfuhr?«

»Das war der Baron vom nächsten Gute Schildheim,« erwiderte der Mann. »Vom Dorfe Schildheim, wohin ich Sie fahren soll, liegt es kaum zehn Minuten oder ein Viertelstündchen entfernt. Sie wollten wohl den Herrn Baron besuchen?«

»Nein,« sagte der Fremde, »überdies bleibe ich einen Tag in Schildheim, und wenn ich ja noch hinübergehen wollte, ist er bis dahin jedenfalls zurück. Er wird wohl nur auf die Jagd gefahren sein.«

Die Sache interessierte den Kutscher zu wenig, und er antwortete nichts darauf, hieb dagegen auf die Tiere ein, um sobald wie möglich aus dem ihm immer schärfer entgegenwehenden Nordwinde und in die warme Stube zu kommen, wo er die Gewißheit eines Rasttages hatte. Die Pferde griffen tüchtig aus, und bald konnten sie von weitem die roten Dächer des kleinen freundlichen Ortes und die weite Fläche des Sees durch die Bäume herüberschimmern sehen. Der Wagen rollte jetzt in dem flachen Tale hin, und der Kutscher, nach links hinauf deutend, sagte: »Da drüben liegt das Gut, das der Herr Baron gepachtet hat.«

»So? – das ist Schildheim?« sagte der Fremde mit großem Interesse, »also sind wir jetzt auch gleich im Dorfe?«

»Wird nicht mehr lange dauern – da vorn liegt's schon,« sagte der Kutscher, und während er mit leisem Schnalzen die Peitsche schwang, legten sich die Pferde von selber mehr in den Zug, als ob sie den ihrer wartenden Hafer und den warmen Stall schon witterten. Es dauerte auch nicht lange, so erreichten sie die ersten Außengebäude, und bald darauf hielt das leichte Fuhrwerk vor dem Stern, an dem sie der Wirt mit abgezogenem Käppchen bewillkommte und Gast wie Pferden vortreffliches Unterkommen versprach. Zu gleicher Zeit kam von der andern Seite die Briefpost durch das Dorf, hielt am Wirtshause, um die Briefe für Dorf und Gut abzugeben, und rasselte dann weiter. Ein Knecht aber, der um diese Zeit immer vom Gute herabgeschickt wurde, etwa eingetroffene Briefe und Zeitungen in Empfang zu nehmen, tat die erhaltenen Papiere in einen hierzu bestimmten ledernen Beutel und wollte damit ungesäumt nach Hause zurückkehren, als er von jemand angerufen wurde. Er drehte sich nach der Stimme um und sah den Schulzen mit dem Müller und noch zwei anderen Bauern, die ihm winkten und dann zu ihm herankamen.

»Hör' einmal, Gottlieb,« sagte der erstere, als sie nahe genug waren, sich verständlich zu machen, »was habt Ihr denn gestern auf dem Gute mit dem Tobias angefangen?«

»Wir?« lachte der Knecht, »an die Luft haben wir ihn gesetzt, wie es uns der gnädige Herr geheißen?«

»Wieso, an die Luft gesetzt?«

»Nun, vors Tor gebracht und laufen lassen. Er war so betrunken, daß er kaum stehen konnte. Hat er uns verklagt?«

»Nein, das nicht,« sagte der Schulze, »habt Ihr ihm weiter nichts zuleide getan?«

»Nicht das geringste,« erwiderte der Knecht. »Er schimpfte wohl und räsonierte in einem fort; aber was ist mit einem besoffenen Menschen anzufangen?«

»Und was machte er, als Ihr ihn vor das Tor setztet?«

»Erst schimpfte er und wollte wieder zurück, dann aber, als wir ihm drohten, drehte er sich um und torkelte seiner Wege. Wir haben uns nicht weiter um ihn bekümmert.«

»Und der Baron auch nicht?«

»Der Baron?«

»Hat sich auch nicht weiter um ihn bekümmert?«

»Wird sich der mit dem betrunkenen Menschen einlassen!« lachte der Knecht. »Was ist denn aber los, daß ihr alle miteinander so lange Gesichter schneidet?«

»Weiter nichts,« sagte der Müller, »als daß mein Schwiegervater, seit ihr ihn oben aus dem Gute gejagt habt, nicht wieder, weder hier im Dorfe noch irgendwo anders, gesehen worden ist.«

»Und er wäre die Nacht nicht nach Hause gekommen?«

»Mit keinem Schritt.«

»Und im Wirtshause ist er auch nicht gewesen?«

»Nein.«

»Dann ist er sicher unter irgendeinem Baume umgefallen und eingeschlafen,« meinte der Knecht, »aber jedenfalls hätte ihn doch heute morgen die Kälte wecken müssen.«

»Wenn ihn die Kälte die Nacht über nicht umgebracht hat,« sagte der Schulze. »Weshalb habt Ihr ihn denn vom Hofe gejagt?«

»Ich weiß es nicht,« erwiderte Gottlieb, »er ist wohl unverschämt gegen den gnädigen Herrn gewesen, denn er war oben bei ihm im Zimmer und hatte ein schrecklich großes Maul, wie uns der Baron hinaufrief; der war aber ganz ruhig und befahl uns nur, wir sollten den Besoffenen vors Tor bringen und nicht wieder ins Gut lassen.«

»Na, Müller,« sagte der Schulze, »wenn ihm wirklich etwas Menschliches begegnet wäre, könntet Ihr Euch trösten – und das Dorf auch. Freude hätten wir an dem Tobias nicht mehr erlebt.«

»Das ist wohl wahr,« sagte der Müller, »und die Haare würde ich mir deshalb nicht ausraufen. Es bleibt aber doch immer meiner Frau Vater, und daß mir die Leute später nachsagten – wenn's auch nicht wahr wäre – daß ich ihn draußen auf der Straße hätte liegen und umkommen lassen, das könnt Ihr ebenfalls glauben.«

»Dann beruft Euch nur auf uns hier im Dorfe, Müller,« beruhigte ihn der Schulze. »Ihr habt an dem faulen Strick getan, was kein anderer getan hätte und braucht Euch wahrhaftig keine Gewissensbisse darüber zu machen. Jetzt wollen wir indessen einmal die Gemeinde aufbieten und sehen, ob wir nicht herausbekommen können, was aus ihm geworden ist. Weit kann er auf keinen Fall gestern mehr gelaufen sein, und ist ihm ein Unglück passiert, so müssen wir ihn ganz in der Nähe finden.«

Die Gemeinde wurde zusammengerufen; als Sammelplatz gab es natürlich keinen andern und passenderen Ort als den Krug, und hier füllte sich indessen auch die Gaststube mehr und mehr mit eintreffenden und eifrig debattierenden Bauern. Sobald die Gemeinde vollzählig war, wollte man ausrücken. Der hatte aber noch dies, jener das zu Hause zu tun; andere waren auf dem Felde draußen und mußten erst hereingeholt werden, und die Leute im Wirtshause konnten indessen ihre Zeit nicht besser verwerten, als daß sie Bier tranken und ihre Pfeifen in Brand hielten.

Das Gespräch drehte sich dabei natürlich ausschließlich um den »faulen Tobias«, sein früheres und jetziges Leben, seine guten und seine bösen Seiten, und man kam, trotz allen seinen Fehlern, doch zu dem Resultat, daß man wünschte, es möchte ihm kein Unglück geschehen sein. – Im stillen hoffte freilich doch ein jeder, daß er nicht wieder zum Vorschein käme, denn er war in der letzten Zeit dem Dorfe eine Last geworden.

Eine volle Stunde war mit solchen Vorbereitungen vergangen, und noch immer fehlten einige. Der Schulze aber erklärte, daß sie jetzt nicht länger warten könnten, rief die Leute in der Stube zusammen und wollte sie eben einteilen, wie sie nach verschiedenen Richtungen hin ausgehen und ihnen angewiesene Distrikte absuchen sollten, als der Verwalter in die Stube trat.

»Hört einmal, ihr Leute,« redete dieser die Bauern an, »wie mir eben der Gottlieb sagt, vermißt ihr den Müllers-Tobias seit gestern. Ist dem so?«

»Ja, Herr Verwalter,« sagte der Schulze, »wir wollen eben fort und ihn suchen.«

»Dann geht vor allen Dingen einmal am Bache hinauf,« sagte der Verwalter, »ihr wißt, dort, wo das Wasser die scharfe Biegung macht und die beiden Steine stehen, auf denen früher einmal eine hölzerne Bank lag.«

»Ist er dort?« riefen einige durcheinander.

»Das weiß ich nicht,« sagte der Verwalter, »aber als ich gestern abend dort hinaufging, um nach den Kopfweiden zu sehen, fand ich nicht weit vom Ufer einen alten Hut, der recht gut dem Tobias gehört haben kann. Ich habe allerdings weiter nichts von ihm gesehen und mich gestern abend, an keinen Unfall denkend, auch nicht länger dort aufgehalten, denn das Wetter war mir zu schlecht; aber ich fürchte fast, wenn ihm irgend etwas zugestoßen ist, war's an der Stelle. Ist's euch recht, gehe ich mit, und finden wir dort nichts, so könnt ihr euch ja nachher noch immer einteilen und die Nachbarschaft ordentlich absuchen.«

Gegen den Vorschlag ließ sich nichts einwenden; gab er ihnen doch auch ein bestimmtes Ziel, und die ganze Schar brach lärmend auf, den bezeichneten und nicht sehr entfernten Platz, den sie alle recht gut kannten, sobald als möglich zu erreichen. Als sie vor das Wirtshaus kamen, sahen sie einen fremden Herrn, der allein den Weg zum Gute einschlug.

»Wer ist das, Verwalter?« fragte diesen der Schulze.

»Ich weiß es nicht,« lautete die Antwort. »Jedenfalls ein Fremder, der den Baron zu sprechen wünscht – da kommt er aber zu spät, denn der ist heute morgen verreist.«

»Vielleicht ein Bekannter von der Herrschaft?«

»Möglich.«

»Er ist vor etwa einer Stunde aus dem Lande unten heraufgekommen,« sagte einer der Bauern, »muß auch wohl etwas hier im Orte zu tun haben, denn sein Kutscher sagt, daß er einen Tag hier bleiben wolle.«

»Dann müßte er aber ja unserem Herrn begegnet sein!«

»Vielleicht ein Getreidehändler – die reisen jetzt im ganzen Lande umher, das liebe Gut aufzukaufen, und wenn sie's uns um einen Spottpreis abgeschwatzt haben, machen sie nachher ihre eigenen Preise und treiben's in die Million 'nauf.«

Aber die Leute hatten jetzt andere Dinge im Kopfe, als sich diesen über den Fremden zu zerbrechen. Rechtsab bogen sie von der Straße, dem Wasserkurs aufwärts folgend, und während einige der jüngeren Burschen lange Stangen mit Haken trugen, den Bach damit auszufühlen, liefen andere voraus, um den Hut wiederzufinden und sich damit der genauen Stelle zu versichern, in deren Nachbarschaft sie den armen Teufel vielleicht doch noch auf trockenem Boden antreffen konnten.

Mit dem Hute hatte es indessen einige Schwierigkeit. Der in der letzten Nacht ziemlich dicht gefallene Schnee deckte alles mit seiner weichen, ausgleichenden Masse, und so genau konnte der alte Verwalter die Stelle ebenfalls nicht angeben, denn er erinnerte sich nur ungefähr des Platzes. Während aber einige am Ufer auf und ab liefen und jeden Baum untersuchten, klopften andere auf jede kleine Erhöhung im Schnee und stocherten sie auf, bis sie endlich wirklich den alten Hut fanden. Er wurde von dem Müller augenblicklich als Tobias' Eigentum anerkannt, und die Arbeiter begannen jetzt den Bach abwärts von dort mit den Stangen nachzusuchen. Leider bewährte sich hier, was der Müller gleich von Anfang an gefürchtet. Gleich wo sie begannen, und der Stelle genau gegenüber, an welcher der Hut gelegen, trafen die eingeworfenen Stangen auf die Leiche, die von einem Gegenstande unter Wasser festgehalten wurde. Man mußte sie mit einiger Gewalt ans Ufer ziehen, und dabei hob sich ein alter Weidenast mit aus dem Wasser, der sich fest in den Rock des Unglücklichen verwickelt hatte. Die Ursache seines Todes war deshalb auch allen klar; er mußte, jedenfalls im Trunke, hier den Weg verfehlt haben und in das Wasser hineingetaumelt sein, dessen Ufer er doch wohl wieder erreicht hätte, wenn ihn eben nicht der zähe, elastische Zweig daran verhinderte, überdies seiner Sinne nicht mächtig und mit dem geschwächten Körper, ließ es sich leicht erklären, daß er selbst in dem schmalen und eben nicht tiefen Bache ertrinken konnte.

Die Männer hoben die Leiche schweigend aufs Trockene, und einige der mitgebrachten Seile quer zwischen die beiden Stangen bindend, machten sie eine Art von Bahre daraus, auf der sie den alten Tobias ins Dorf und in die Mühle hinabtrugen.

 


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