Friedrich Gerstäcker
Der Kunstreiter
Friedrich Gerstäcker

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8.

An demselben Abend, an welchem beim Kriegsminister von Ralphen die Soiree gehalten wurde, und während dort in den hell erleuchteten und wohltätig durchwärmten, von Blumen duftenden, von sanften Melodien durchströmten Räumen fröhliche Menschen gesellig beieinander saßen, bereitete sich eine andere, von dieser weit verschiedene Szene in der zweiten Etage der Rosengasse vor.

Die Vorstellung im Zirkus war beendet, und mit ihr die letzte, der Gesellschaft für diese Messe gestattete. Draußen auf dem Platze, als die letzten Menschen das hohe, runde Bretterhaus kaum verlassen hatten, arbeiteten, hämmerten und pochten schon wetterbraune Gestalten in Hemdsärmeln und Schurzfellen, um die Bude wieder abzuschlagen und sie so rasch als möglich von dem Platze, den sie mit ihrer bretternen Masse entstellte, zu entfernen.

Auch oben in dem Zimmer Georg Bertrands sah es aus, als ob der Eigentümer des Gemaches im Begriff sei abzureisen, denn wild und unordentlich lagen alle möglichen Kostümstücke bunt zerstreut über Stuhl- und Sofalehnen, ja selbst über den Boden hin. Handschuhe, Hüte, Reitpeitschen, ja selbst andere Teile einer Damengarderobe bedeckten zum Teil den großen runden Tisch, der in der Mitte der Stube stand, und waren nur zur Hälfte zurück- und zusammengeschoben, um dem durch die Hausmagd herausgebrachten Abendbrot für drei Personen notdürftigen Raum zu geben. Die Luft in dem ziemlich geräumigen, aber sehr niedern Gemache war dabei schwül und dumpfig, und kaltgewordener Tabaksqualm, wie der warme Fettgeruch verschiedener Fleischspeisen diente nicht dazu, sie zu verbessern. Auf dem Sofa lag Demoiselle Josefine, Georginens siebenjährige Tochter. Das Kind war von der für seine Jahre übermäßigen Anstrengung erschöpft eingeschlafen, und der Schein der Lampe fiel, ohne die Schläferin zu stören, grell auf das bleiche, aber stark geschminkte, abgespannte Gesicht des Kindes.

Georg Bertrand war noch nicht nach Hause gekommen. Er mußte darauf sehen, daß vor allen Dingen seine Pferde gut gewartet, abgerieben und gefüttert wurden, ehe er selber an seine eigene Verpflegung denken konnte. Fremden Menschen, und noch dazu leichtsinnigem Volke, wie seinen Künstlern, durfte er das, wie er recht gut wußte, nicht überlassen. Georgine dagegen hatte eben das Zimmer betreten, aber ihr leichtes, luftiges Kostüm, mit dem sie in der letzten Piece als Elfe die Zuschauer entzückt, noch nicht abgelegt. Nur ein langer, leichter grauer Mantel, den sie beim Nachhausegehen darüber geworfen, schützte sie gegen die kalte Nachtluft, und selbst hier, in dem fast schwülen Zimmer, hatte sie ihn noch nicht abgelegt, denn ihre Seele beschäftigte anderes als die Veränderung ihrer Toilette. Unruhig und rasch schritt sie in dem breiten, niedern Gemache auf und ab. Die nackten Arme fest auf der unruhig wogenden Brust verschränkt, das Haupt gesenkt, auf dem die noch nicht abgelegten Blumen und Federn herüber und hinüber wehten, maß sie den engen Raum wieder und wieder und unterbrach ihre Schritte nicht einmal, als ihr Vater endlich, ebenfalls noch in seinem Hanswurstkostüm, ins Zimmer trat.

»Ist Georg noch nicht zu Hause?« fragte der Alte, indem er seine Kappe auf dem Kopfe rückte und sich mit der Hand durch die langen, schon dünnen und ergrauenden Haare fuhr.

»Nein,« lautete die kurze Antwort, und die Frau schritt, ohne nur zu ihm aufzusehen, an ihm vorüber.

Der Alte betrachtete sie eine Weile kopfschüttelnd, dann ging er zu dem Sofa, auf dem Josefine lag, und blieb davor stehen. »Hm,« sagte er hier, indem er einen alten, auf der Sofalehne hängenden Rock über die halbentblößten Glieder der Kleinen zerrte, »das Kind wird sich erkälten. Hat sie denn schon zu Nacht gegessen?«

»Ja, sie war früher fertig als wir.«

»Wo hockt denn die Christel, daß sie gewaschen und zu Bett gebracht wird?«

»Rufe sie – die faule Dirne ist nie da, wenn sie gebraucht werden soll.«

Der Alte ging kopfschüttelnd wieder hinaus und kam bald mit einer Art von Dienstmädchen zurück, das den Tag über auch noch dazu verwandt wurde, die verschiedenen Kostüme in Ordnung zu halten. Das Mädchen schien selber irgendwo eingeschlafen und eben geweckt zu sein, denn sie konnte noch nicht in das Licht sehen. Ohne viele Umstände ergriff sie das schlafende Kind mit dem darüber gedeckten Rock, warf es sich halb über die Schulter, ohne daß es dadurch erwacht wäre, und trug es in sein Schlafzimmer nebenan.

»Das Fleisch wird ganz kalt,« sagte indes der Alte, der sich nicht weiter um das übrige bekümmerte. »Wo nur Georg wieder bleibt – setz' dich mit her, man muß jetzt das bißchen Fressen so nur immer in aller Hast hineinsetzen.«

»Iß nur,« erwiderte die Frau, »ich habe keinen Hunger.«

»Keinen Hunger? und nach der Anstrengung?« brummte der Alte. »Dabei kann man doch wahrhaftig nicht von der Luft leben! – Meinetwegen aber, wenn du nicht willst – ich habe Hunger!« Und damit warf er seine alte Filzkappe in die Ecke, holte sich einen großen Krug Bier und vom Fenster eine Flasche Branntwein, langte dann aus den vor ihm stehenden, mit guten, nahrhaften Speisen gefüllten Schüsseln wacker zu, und schien sich bald nach Umständen vollständig behaglich zu fühlen. Nur das unruhige Wesen der Frau störte ihn; er sah ihr ein paarmal auf ihrem Gange kopfschüttelnd nach, und dann wieder nach der alten Schwarzwälder Uhr, die im Zimmer hing, hinüber, rückte ungeduldig eine Weile auf seinem Stuhl hin und her und sagte endlich: »Was hast du denn nur heut' abend, Gine, daß du wie toll im Zimmer auf und ab rennst? Weshalb hast du dich noch nicht ausgezogen? Zum Donnerwetter, setz' dich einmal, man wird ganz wirr im Kopf.«

Die Frau antwortete weder, noch unterbrach sie ihren Gang, und nur manchmal blieb sie einen Moment plötzlich stehen, um nach der Tür hinüber zu horchen. Der Alte sah ihr kopfschüttelnd zu, dann aß er ruhig weiter, bis er satt war, schob jetzt den Teller zurück, schenkte sich ein Bierglas halb voll Branntwein, das er auf einen Zug und ohne eine Miene zu verziehen leerte, und nahm dann das Gespräch noch einmal auf: »Dir geht Georgs neuer Plan im Kopfe herum – er paßt dir nicht, ich weiß es – er paßt auch mir eigentlich nicht recht, aber – bei Lichte besehen, hat er doch am Ende nicht so ganz unrecht. Wir werden alt, und ich für meinen Teil hätte nichts dagegen, wenn ich mich einmal – wenigstens eine Zeitlang – ausruhen könnte, ohne gerade am Hungertuche zu nagen.«

Georgine schleuderte ihm einen finstern Blick zu, erwiderte aber noch immer keine Silbe, und der Alte, noch einmal zu der Flasche greifend, aus der er sich langsam einschenkte, fuhr, eigentlich mehr zu sich selber als zur Tochter redend, fort: »Und es ist doch eigentlich nur ein Hundeleben, das wir führen, Faxen und Narrenspossen machen, daß das Lumpenvolk sich für seine paar Groschen darüber ausschütten kann und besser danach verdaut – Canaillen, verdammte, die uns nachher auf der Straße über die Achsel ansehen oder hinter uns drein feixen – und wegen solcher Bande riskiert man seine Gliedmaßen, bis man einmal zum Krüppel wird! Nachher kann man betteln gehen, mit Krücke oder Stelzfuß und ihretwegen auch verhungern – was kümmert das sie!«

Der alte Mann hatte den Ellbogen auf den Tisch gestützt und schaute mit den kleinen, tiefliegenden Augen finster und verdrossen in die dicht vor ihm flackernde Lampe hinein. Aber wo war jetzt der tolle Humor in diesen Zügen, der noch vor wenigen Viertelstunden das Volk da draußen hatte aufjauchzen und jubeln machen? Wo war die Laune geblieben, mit der er sich dem Stallmeister zwischen die Füße warf und seinen Körper verrenkte und durcheinanderwand, nur um dem süßen Pöbel zu gefallen? Nichts von allem dem ließ sich mehr in dem finstern, verdrossenen und doch so entsetzlich bemalten Angesicht erkennen, auf das die Lampe jetzt ihr volles, grelles Licht goß. Scharf und verzerrt schnitten dabei die weißgemalten Streifen desselben ein, während das Zinnoberrot ordentlich leuchtete und die beiden Augen unter den tief herabgezogenen buschigen Brauen wie ein paar Stücke rotheißen Eisens funkelten. Fest hatte sich dabei die magere, sehnige Hand in das lange dünne Haar gekrallt, das zwischen den Fingern in spärlichen Locken herausquoll, und ein eigener Ausdruck von Trotz, Grimm und Ekel lag in den tiefgefurchten, farbebestrichenen Zügen. Georgine war neben ihm stehengeblieben, und den weißen vollen Arm auf den Tisch stützend, sagte sie mit leiser, wie höhnisch klingender Stimme: »Und willst du ein Bauer werden?«

»Warum nicht?« erwiderte der Mann, ohne seine Stellung auch nur um ein Haar breit zu verändern, »immer noch besser ein Bauer als ein – Hanswurst.«

»So zieht ihr beiden allein zwischen eure Schafe und Kühe!« rief das junge, schöne Weib, in wildem Zorn emporfahrend, »ich selber weiß, was ich mir und Josefinen schuldig bin, und den will ich sehen, der mich zwingen soll, draußen zwischen Kraut- und Kartoffelfeldern mein Leben zu beschließen!«

»Niemand, Georgine, niemand!« sagte in diesem Augenblick die tiefe, klangvolle Stimme Georg Bertrands, der unbemerkt von den beiden in die Tür getreten und auf der Schwelle stehengeblieben war. »Wenn du es übers Herz bringen kannst, deinen Gatten allein ziehen zu lassen, allein deinen Weg dir in der Welt zu bahnen, in Gottes Namen dann, ich kann und werde dich nicht daran hindern.«

»Nicht?« rief die Frau erstaunt, ja überrascht nach ihm herumfahrend, »du würdest dich von mir und Josefinen trennen wollen?«

»Von Josefinen? – nein,« sagte der Mann ruhig, indem er seinen Hut auf den Stuhl neben der Tür legte und langsam jetzt ins Zimmer trat.

»Von Josefinen nicht?« rief in schnell wieder aufloderndem Zorn die Frau, »welche Macht der Erde wird das Kind von der Mutter trennen?«

»Das Gesetz!« erwiderte mit dem vorigen Gleichmut ihr Gatte, »das Gesetz spricht nach dem siebenten Jahre das Kind dem Vater zu.«

»Du darfst mir Josefinen nicht nehmen,« zischte da Georgine zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, »du weißt, daß ich ohne das Kind nicht leben kann, daß ich mit mehr als Mutterliebe an ihm hänge, daß sie mein ein und mein alles ist auf dieser Welt – du kannst und darfst mich nicht töten – und mir das Kind nehmen, hieße mehr als mich morden.«

»Und will ich das?« erwiderte Georg, jetzt vor sie tretend und ihre Hand ergreifend, »habe ich nicht Bitten auf Bitten an dich verschwendet, mir und dem Kinde das Opfer zu bringen, diesem unseligen Leben zu entsagen? Hat nicht Josefine selber dich gebeten, mich nicht zu verlassen und draußen in der freundlichen Natur zu vergessen, was dich hier berauscht – den Beifall der Menge? – Georgine, kann dir denn nicht ein häusliches Familienglück, das du noch gar nicht kennst und das nur zu bald seinen Zauber um dich breiten wird, das Jauchzen und Beifallklatschen fremder, gleichgültiger Menschen ersetzen? Lebst du denn nur für diese Masse, die dir nichts, gar nichts entgegenbringt, als nur das Verlangen, auf angenehme Weise amüsiert zu werben, und die gleichgültig selbst an deinem Sarge vorübergehen würde, wenn ein unglücklicher Fall dich in der nächsten Stunde vielleicht abriefe?«

»Nach meinem Tode? Nicht so viel kümmere ich mich darum!« rief das schöne Weib verächtlich. »Ob sie mich lieben werden oder hassen, was liegt daran! Nur dieses Leben ist mein, nur dem Leben gehöre ich an. Was schiert mich die Liebe oder der Haß des Volkes nach dem Tode!«

»Und ich? – und dein Kind?« sagte Georg mit weicher Stimme.

»Wenn ihr mich liebtet, quältet ihr mich nicht so,« rief die Frau zurück. »Du weißt, daß ich so wenig für das Land passe, wie dein Araber zum Karrenziehen und Ackern; die Hand möchte ich sehen, die uns beide dazu zwingen kann.«

»Du weißt,« sagte Georg ruhig, »daß ich den Araber zu allem zwang, wozu ich ihn haben wollte.«

»Aber mich nicht, Georg, mich bei Gott nicht!« rief die Frau, wieder zu voller Heftigkeit ausbrechend. »Versuch' es nicht, du möchtest es bereuen.«

»Es ist zu spät, darüber noch zu reden,« sagte fest entschlossen Georg. »Heut' abend nach der Vorstellung habe ich den Handel über mein letztes Pferd abgeschlossen, die wenigen ausgenommen, die ich mit mir zu nehmen gedenke, und morgen schon verlassen wir ***, keine weitere Messe mehr zu besuchen. Die Gesellschaft ist aufgelöst, die Leute werden morgen ausgezahlt, und ich und Josefine ziehen hinauf nach Mecklenburg, ein neues Leben von heute an zu beginnen.«

»Und glaubst du, daß ich das Kind dir gutwillig lassen werde?« fragte Georgine, und ihre ganze Gestalt zitterte in der furchtbaren Bewegung, die sich ihrer bemächtigt hatte.

»Du mußt, Georgine,« lautete die feste Antwort, »die Gesetze schützen mich darin – wenn ich deren Schutz anrufen müßte. Ich habe mich genau danach erkundigt. Josefine ist über sieben Jahre alt, und das Gesetz spricht in diesem dem Vater des Kindes, falls sich die Eltern trennen sollten, das Recht zu, über seine Zukunft zu wachen und zu bestimmen.«

»Und wer hat dich mit den Gesetzen so genau bekannt gemacht? – – glaubst du nicht, daß ich deinen Helfershelfer errate?«

»Wenn du den Mann meinen Helfershelfer nennst, der mir wie einem Ertrinkenden die Hand bietet, mich aus einem Leben zu erretten, das mich die letzten Jahre nur zwischen Verzweiflung und Selbstmord schwanken ließ, so hast du recht,« sagte Georg düster.

»Zwischen Verzweiflung und Selbstmord, du?« rief erstaunt die Frau, »du, der nur Lust und Stolz in der Ausübung seiner Kunst fand, dem an Kühnheit und Geschicklichkeit keiner gleichkam?«

»Es ist gut,« erwiderte der Mann, ernst mit der Hand abwehrend, »die Zeiten sind, Gott sei Dank, vorbei, denn du kennst mein früheres Leben nicht, weißt nicht, kannst nicht wissen, was ich gelitten und geduldet habe, um es zu vergessen. Jetzt endlich ist mir Rettung geboten; jetzt endlich streckt sich mir eine Hand entgegen, mich zurück zu Sicherheit und Ruhe zu führen, und, beim ewigen Gott! Ich will sie nicht undankbar von mir stoßen. – Du kennst mich, du weißt, daß ich durchführe, wozu ich einmal fest entschlossen bin; glaube also nicht, mich durch zornige Worte oder machtlose Drohungen schwanken zu machen. Auch dir bietet sich die Hand, auch für dich ist die Hilfe gemeint. Folge deshalb meinem Rat – folge deinem Gatten – deinem Kinde, und stürze dich nicht wieder einem Leben entgegen, an dem du jetzt vielleicht Freude findest, in dem du aber doch mit der Zeit rettungslos untergehen müßtest.«

»Er hat recht, Gine,« sagte auch der Alte, der, ohne bis jetzt seine Stellung zu verändern, aufmerksam den Worten Bertrands gelauscht und nur manchmal langsam dazu mit dem Kopfe genickt hatte. »Wir alle werden nicht jünger, und ein solcher Schlupfwinkel fürs Alter bietet sich nicht einem jeden von uns. Der rote Kaspar war zu meiner Zeit, wie ich noch in Bundhosen herumlief, ein so toller Hanswurst, wie es je einen gegeben hat: die Banden zahlten ihm damals schon sechs- bis siebenhundert Taler jährlich mit Kußhand, und er brauchte sich noch nicht einmal bei ihnen zu bedanken. Auf der Messe jetzt habe ich ihn mit einem abgeschnittenen Beine und einer Drehorgel und Mordgeschichten getroffen, und ich mußte ihm ein paar Groschen geben, daß er nur endlich einmal wieder, wie er meinte, etwas warmes in den Leib bekäme. Ich selber habe nicht die geringste Lust, in meinen alten Tagen mit einer Drehorgel oder mit Fleckseife im Lande herumzureisen, Winter und Sommer draußen auf den Straßen zu liegen und den Bauernlümmeln die alten schmierigen Rockkragen abzuseifen oder schreckliche Blutgeschichten vorzuleiern, in denen zuletzt immer die Polizei gelobt wird. Ich und der Karl, wir gehen mit. Der Karl soll auch Ökonom werden, daß er mir nicht den Hals bricht wie sein Vater, was ihm der lahme Jörgen schon vor vier Jahren prophezeit hat.«

»Geh mit uns, Georgine!« bat da auch Bertrand, mit weit mehr Herzlichkeit, als er bisher zu ihr gesprochen. – »Versuche es nur einmal ein Jahr mit uns, und du wirst sehen, daß du gar rasch und freudig dich in den neuen Zustand findest. – Du kennst das stille bürgerliche Leben ja noch gar nicht; weißt nicht, ahnst noch nicht einmal, welche Reize und Genüsse es bietet. Bleibe bei uns; bleibe bei deinem Kinde, dem doch kein Fremder je die Mutter wird ersetzen können.«

»Soll ich Komödie in deinem Familienkreise spielen?« fragte das schöne Weib höhnisch, indem sie mit untergeschlagenen Armen vor dem Gatten stehenblieb.

»Nenne es die erste Zeit, wie du willst,« sagte Bertrand ruhig, »nur zu bald wirst du doch einsehen lernen, daß du nie mehr dein eigener Herr gewesen, als gerade in jenem einfach natürlichen Leben auf dem Lande!«

»Und glaubst du wirklich, daß du mich je zur Bäuerin machen könntest?« lachte Georgine, indem sie in Verachtung und Zorn die schön geschnittenen Lippen emporwarf, »ich hätte gedacht, daß du mich besser kennen solltest.«

»Und du willst mir wenigstens gestatten den Versuch zu machen?«

»Nein – dreimal und tausendmal nein!« rief Georgine mit wieder aufloderndem Zorn, »bis ich nicht sicher weiß, daß die Gesetze dir wirklich erlauben mir mein Kind zu stehlen. Ich zweifle nicht an der Möglichkeit, denn ihr Männer habt die Gesetze gemacht, und was gilt euch das Herz einer Mutter? Aber selber erfragen will ich erst die Schmach, und ist das sicher – gut – dann gehe ich mit euch. Von Josefinen kann ich, will ich mich nicht trennen, und über sie wachen werde ich dort, wie die Löwin über ihr Junges. Versucht es dann sie mir abtrünnig zu machen.«

»Bah!« sagte der Alte, unwillig seinen Kopf schüttelnd, »schwatze keinen Unsinn; es will sie dir niemand stehlen, und Georg ist am kleinen Finger vernünftiger, als du am ganzen Leibe. Beschlafe die Geschichte; morgen wirst du vernünftiger darüber denken. Morgen halte ich dann auch Auktion mit dem Plunder hier oder werfe ihn am liebsten auf die Straße hinaus. Ich wäre doch wirklich neugierig, zu sehen, ob es noch solch einen Narren hier im Neste gäbe, der ihn aufhöbe. Jetzt macht, daß ihr zu Bett kommt. Es ist ein Uhr vorbei, und mir sind alle Knochen im Leibe schon wie zerschlagen.«

Mit diesen Worten zündete er sich einen Stummel Talglicht an, der auf der Kommode stand, nahm seine Mütze wieder aus der Ecke hervor und verließ langsam, ohne eine »Gute Nacht« weiter für nötig halten, das Zimmer.

 


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