Friedrich Gerstäcker
Der Kunstreiter
Friedrich Gerstäcker

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12.

Auf Schloß Schildheim wurde jetzt ein Doppelleben geführt. Äußerlich schien es, als ob nicht das geringste Außergewöhnliche vorginge. Was an Feldfrüchten noch draußen war, wurde nach und nach eingefahren. Die Knechte ritten morgens zum Ackern hinaus und kamen zum Mittagessen wieder heim – auf zwei Tennen wurde sogar schon gedroschen, um das junge Korn, das heuer noch einen guten Preis hatte, bald auf den Markt zu bringen. Wie die Welt draußen keinen Stillstand kennt, welchem Wechsel auch ihre einzelnen Teile unterworfen sein mögen, so ging das Wesen hier auch ruhig und ununterbrochen fort, welche wichtige Veränderung auch in der inneren Verwaltung vorgehen mochte.

Das Dienstpersonal berührte das alles nicht; das schaffte und arbeitete unverdrossen weiter, denn der Lohn ging fort, die Arbeit mußte getan werden, unter wessen Leitung das Ganze auch stand, wer auch die Zügel in die Hände nahm. »Der König ist tot! es lebe der König!« Das alte Machtwort, wie dort im großen, so hier im kleinen, übte seine alte Kraft und Eigenschaft, und als am Abend des zweiten Tages der frühere Pächter sich in seinen Wagen setzte, die Leute grüßte und zum Tor hinausfuhr, hörten die Drescher einen Augenblick mit Dreschen auf und sahen ihm nach; als aber der Wagen um die Biegung verschwand, fielen die Flegel wieder klappernd im Takt ein, und der ganze Epilog, der ihm auf der Tenne gehalten wurde, war: »Glückliche Reise, Herr Pächter – bin jetzt nur neugierig, wie der neue einschlägt.«

Die ersten Tage vergingen so in dem Einrichten des neuen Pächters, und selbst Frau von Geyfeln – wie sich Georgine gar nicht ungern nennen hörte, war es doch nur eine neue Rolle, die sie spielte – fand Unterhaltung darin, sich von der alten Wirtschafterin, die gar geschäftig in den weitläufigen Gebäuden hin und her fuhr, in die Geheimnisse einer ländlichen Haushaltung einweihen zu lassen. Sie war dabei klug genug der Frau zu verheimlichen, daß sie noch gar nichts von solchem Wirtschaftswesen verstand, und bei ihr vollkommen fremden Sachen fragte sie erst auf weiten Umwegen vorsichtig herum, bis sie zum Ziele kam und erfuhr, was sie eben wissen wollte. Frau Sibylle fühlte sich dabei außerordentlich geschmeichelt über das herablassende Benehmen der gnädigen Frau, die sich natürlich nur informieren wollte, wie die Sachen hier in ihrer Gegend gemacht und vorgenommen würden; denn jedenfalls hatten sie es bei ihr zu Hause ganz anders, nur lange nicht so gut und zweckmäßig betrieben. Die Wirtschafterin wollte sie auch überhaupt sehen, die so gute Käse machte wie sie, die solch fette Butter lieferte, deren Kühe so fette Milch gäben, und was das Trocknen von Obst, das Räuchern von Fleisch, das Einmachen von Kraut und Gurken betraf, da suchte sie ihren Meister. – Und wie vornehm sah die neue Frau Pächterin dabei aus! was für seine Hände hatte sie, und wie lief sie mit den blankgewichsten, papierdünnen Schuhchen so keck mit durch alle Ställe und in Milch- und Käsekammern, auf Rauch- und Trockenböden! Und kannte sie nicht schon am ersten Abend alle Kühe beim Namen nach der Reihe her? Selbst in den Pferdestall, obgleich sie da eigentlich nicht hingehörte, war sie gleich am ersten Morgen gegangen und hatte gefragt, wie die Tiere behandelt würden und wie viel Futter sie bekämen – und vor den Pferden fürchtete sie sich nicht so viel! Georg indessen, der, wenn auch mit stiller, doch inniger Freude dem wirtschaftlichen Leben seiner Frau aus der Ferne zusah, hatte selber alle Hände voll zu tun, um die kurze Zeit zu benutzen, die sein Bruder noch bei ihnen auf dem Gute zubringen konnte, um soviel wie möglich von dem Verwaltungswesen eines solchen Gutes zu lernen. Die Zeit war doch so kurz und gar so mancherlei dabei zu erfragen, was sich durch Erfahrung gewöhnlich nur mit Schaden lernen läßt. Aber er hatte den festen, männlichen Willen, sich in dieses neue Leben einzuarbeiten, und Wolf war unermüdlich, ihm, was er selber wußte, darüber mitzuteilen.

Der einzige, der, wenn auch nicht teilnahmlos, doch vollkommen untätig dem ganzen Treiben und Schaffen zusah und alles ruhig an sich vorübergleiten ließ, war der Alte, Georginens Vater, der unter seinem wirklichen Namen Mühler eingeführt war, und auch keine weitere Auszeichnung beanspruchte, als daß man ihn eben zufrieden ließ. Er glich dabei einem Manne, der nach harter Anstrengung und Arbeit längere Ferien angetreten und vorderhand auch weiter keinen Zweck hatte, als sich recht ordentlich und gründlich auszuruhen. Er schlief gewöhnlich bis morgens acht oder neun Uhr, frühstückte dann mit den Kindern auf seinem Zimmer, machte einen Spaziergang mit ihnen nach dem Walde zu, kam mittags wieder nach Hause, aß sehr stark und verträumte dann seinen Nachmittag in ähnlicher Weise, wie er den Vormittag durchgebracht hatte. Georg sah nun wohl ein, daß dieses Nichtstun auf die Länge der Zeit nicht ausführbar sein würde und einer, wenn auch geringen, doch festen Tätigkeit weichen müsse. Für jetzt ließ er den Alten aber gewähren, einesteils, weil er zu viel zu tun hatte, um sich mit ihm abzugeben, andernteils, weil er hoffte, daß sein Schwiegervater endlich selber zu ihm kommen würde, ihn um irgend eine Beschäftigung zu bitten. Selber an Tätigkeit gewöhnt, hielt er es nicht für möglich, daß sich irgend ein Mensch an einem solchen Leben lange freuen könne.

Die Kinder befanden sich jedenfalls am wohlsten; denn ganz ungewohnt, so wie hier in der freien, schönen Natur zu schwelgen, mit dem grünen Rasen unter, den breitästigen Bäumen über sich, sangen und hüpften sie mit den Vögeln draußen um die Wette und schienen am raschesten das früher geführte Leben vergessen zu wollen. Nur die eine Angst hatte Georg, daß sie auch am leichtesten und unbefangensten ihren früheren Stand ausplaudern würden, und obgleich ihnen, selbst von der Mutter, auf das strengste eingeschärft war, mit niemandem, wer es auch sei, darüber zu sprechen, erhielt der alte Mühler noch besonders den Auftrag, darüber zu wachen, daß dieses Verbot nicht übertreten würde – und daß es ein notwendiges sei, wußte er am besten.

Wolf von Geyerstein, mit dem Charakter von Georgs Frau jetzt genau bekannt, fühlte, daß ihr, besonders in der ersten Zeit, in diesem einförmigen Leben auch etwas geboten werden mußte, um sie zu unterhalten, und beschloß, ehe er wieder in die Residenz zurückkehrte, sie bei einigen der Nachbarn, mit denen er selber befreundet war, einzuführen. Daß sie diesen gefallen würde, daran zweifelte er keinen Augenblick, und einmal in bessere Gesellschaft gebracht, als sie bisher gekannt hatte, ließ es sich auch denken, daß ihr Stolz darin Befriedigung und sie sich selber, wenn auch nicht glücklich, doch zufrieden fühlen würde. Damit verging wieder eine Woche, und Georg und Georgine wurden überall, schon in Rücksicht auf den allgemein beliebten Grafen, mit offenen Armen empfangen, ja für den Winter die verschiedensten Pläne entworfen, wie man häufiger zusammenkommen, geselliger leben wolle. Graf von Geyerstein fühlte damit eine große Last von seiner Seele genommen, denn er hatte jetzt die feste Hoffnung, daß der Bruder von seiten seiner Frau keinen so harten Widerstand mehr würde zu bekämpfen haben – und erst einmal ein halbes Jahr nur hinter sich, und das Schwierigste war überwunden. Ein besonders drückendes Gefühl blieb es ihm nur in dieser ganzen Zeit, und zwar weniger in Gegenwart von Fremden als der Georginens, gegen den Bruder kälter zu scheinen, als sein Herz sprach, ja ihn als einen Fremden zu behandeln. Der durch ihr Mißtrauen scharfsichtigen Frau war dabei der Zwang nicht entgangen, den er sich augenscheinlich antat. Vergebens hatte sie aber bis jetzt durch Anspielungen versucht, ihn zum Reden zu bringen. Sie fühlte, daß die beiden Männer ein Geheimnis vor ihr hatten, und tat, wenn auch ohne Erfolg, ihr möglichstes, dieses zu lüften.

Graf Geyerstein mußte nach Schwerin, um die Papiere des jetzigen Barons von Geyfeln, die er durch seinen Einfluß in *** erhalten hatte, dort vorzulegen. Dadurch entzog er ihn allen weiteren Umständen und beugte möglicherweise daraus entstehenden Schwierigkeiten vor. Es gibt nun einmal in unserem gar künstlich eingerichteten Staate eine Menge von Formalitäten, die beachtet sein wollen, die sich aber, wo ihnen irgend ein Einfluß entgegentritt, auch immer sehr leicht als bloße Formalitäten behandeln lassen – man muß nur eben wissen, wie man es anzugreifen hat. Graf Geyerstein war auch dazu der richtige Mann; er hatte in der Residenz Verbindungen genug, um sich das zu erleichtern, und wußte, daß nur eben seine Gegenwart dort nötig war, die Sache rasch und mit günstigem Erfolg zu beseitigen. Er kannte aber auch den Zeitverlust, der bei allen mit den Gerichten zu verhandelnden Gegenständen unausbleiblich war, und durfte deshalb nicht zu lange säumen, um seinen Urlaub nicht zu überschreiten. Von Schwerin aus wollte er dann direkt nach Hause zurückkehren.

Es war der letzte Abend, den er bei ihnen in der breiten, geräumigen Stube saß, in deren Ofen schon, der vorgerückten Jahreszeit wegen, ein lustiges Feuer knisterte. Das Wetter draußen hatte sich kalt und unfreundlich gestaltet, der Regen schlug an die Fenster, und der Wind heulte draußen durch die Gipfel der alten Linden und warf die schwanken Pappeln in seinen tollen Spiele herüber und hinüber. An dem heutigen Tage war eine von dem Grafen verschriebene Erzieherin – eine junge Französin aus guter Familie – eingetroffen, die von jetzt an Josefinens Ausbildung übernehmen sollte. Georgine hatte vorher nichts davon gewußt und war damit, aber nicht unangenehm, überrascht worden, denn an dem Kinde hing ihr ganzes Herz. Klug genug, dabei einzusehen, daß Josefine nicht zu viel lernen könne, fürchtete sie aber doch auch wieder, daß dies am Ende ein neues Band werden könne, sie an dieses ruhige Leben zu fesseln und ihren Hoffnungen und Plänen zu entziehen. Aber ein Kind des Augenblicks, wie sie es ihr ganzes Leben gewesen, tröstete sie sich auch hierin mit der Gegenwart. Sie selber wollte erst sehen und prüfen, und das andere fand sich von selber früh genug. Josefine war mit ihrer neuen Erzieherin in das ihnen angewiesene Zimmer, der alte Mühler mit dem Knaben auf seine Stube gegangen, doch hatte der Rittmeister auch für diesen schon gesorgt und mit seinem Bruder Rücksprache genommen, daß er in nächster Zeit der ausschließlichen und für ihn nicht wohltätigen Gesellschaft des alten Mannes entzogen werden solle. Nur allmählich durfte das geschehen, um Georginen in ihrem Vater nicht zu sehr zu kränken.

Das Essen war abgeräumt, die beiden Männer arbeiteten noch mit dem Verwalter zusammen, das Nötigste für die nächste Zeit zu besprechen und festzustellen, und Georgine lehnte auf dem Sofa und las – hatte wenigstens ein Buch in der Hand, denn ihre Augen flogen immer und immer wieder nach der Gestalt des Grafen hinüber, der in einem einfach grauen, aber militärisch zugeschnittenen Rocke neben ihrem Gatten saß und mit ihm die Wirtschaftsbücher durchging. Endlich war alles besorgt, der Verwalter empfahl sich, die Bücher wurden weggelegt – es mußte schon elf Uhr sein – und Graf Geyerstein erhob sich ebenfalls, um sein Lager aufzusuchen.

»Unser trockenes Gespräch und Geschäft wird Sie gelangweilt haben,« sagte er, als er zu Georginen trat, ihr gute Nacht zu bieten, »aber morgen sind Sie dessen enthoben, und Ihr Gatte wird schon alles tun, was in seinen Kräften steht. Ihnen das Leben hier angenehm und lieb zu machen.«

»Herr Graf,« sagte das schöne Weib, indem sie aufstand und ihm entgegentrat, »ich bin schon einmal von Ihnen mit einer Bitte abgewiesen worden, aber jetzt weichen Sie mir nicht mehr aus. Fremde Ohren hören uns nicht, also beantworten Sie mir wahr und offen nur die eine Frage: Wem verdanken wir den Anteil, den Sie uns gezeigt?«

»Madame . . .«

»Halten Sie es nicht für leere Neugierde,« fuhr die Frau fast bewegt fort, »es ist mehr als das. Sie haben sich uns mit einer Aufopferung gewidmet, die für einen Fremden unerklärlich ist. Sie sorgen für unser Wohl, wie kaum ein Bruder für uns sorgen könnte – Sie denken auf das Kleinste wie auf das Größte, Sie müssen sogar Bertrand mit Geldmitteln unterstützt haben, er wäre sonst nicht imstande, trotz dem, was uns noch von dem Verkauf der Pferde geblieben, und was ich genau taxieren kann, ein solches Anwesen, wie dieses, auf dem wir uns jetzt befinden, zu übernehmen, und so dabei zu leben, wie Sie es für uns in Absicht zu haben scheinen. Daß dem allen ein Geheimnis zugrunde liegt, haben Sie mir schon dadurch zugestanden – daß Georg ein anderer ist, als er sich mir gezeigt. Sie mußten mir soviel eingestehen, denn Sie fühlten, daß es zu unwahrscheinlich bleiben würde, den Grafen als einfachen Freund und Protektor des Kunstreiters hinzustellen – auch unser Namenswechsel zeigt das an. Aber selbst dieser ist noch darauf berechnet mich irre zu führen. Vollenden Sie deshalb – behandeln Sie mich nicht länger als eine Fremde – lassen Sie mich wissen, wem wir diese Aufopferung verdanken – welches der wahre Name und Rang meines Mannes ist, und ich werde dann alles, was in meinen Kräften steht, tun, Sie zu unterstützen. Verweigern Sie mir aber meine Bitte – wollen Sie mich als eine Fremde betrachtet wissen, so – könnte ich mich an nichts gebunden halten.«

»Georgine,« sagte Georg mit leisem Vorwurf im Ton, »ist es recht, daß du in den Mann, den du selber unsern Wohltäter nennst, mit solchen Fragen dringst?«

»Wohltäter?« rief das schöne Weib, sich stolz emporrichtend, »den Namen leugne ich. Der Wohltaten waren wir nie bedürftig, sind es noch nicht, denn frei wie der Vogel in der Luft zogen wir unsere Straße, erwarben, was wir gebrauchten, ja, mehr als das, und durften niemandem dafür danken als unserer eigenen Kraft. Das auch ist es allein, was mir jetzt am Leben zehrt, daß ich nicht mehr mein eigenes Brot verdienen soll, daß ich dem Manne – daß ich einem Fremden dafür danken muß.«

»Nicht doch, gnädige Frau,« sagte der Graf ernst, »so viel wie je werden Sie jetzt dazu beitragen müssen. Ihr Brot, wie Sie es nennen, zu verdienen. Bei einer solchen Wirtschaft ist nicht allein der Mann, der draußen die Felder baut, der Ernährer und Erhalter, sondern ebensoviel die Frau, die daheim den Viehstand überwacht, das ganze innere Hauswesen besorgt und in Ordnung hält. Glauben Sie mir, daß bei einem solchen Gute fast mehr von der Tüchtigkeit der Frau als von der des Mannes abhängt, und haben Sie auch noch in diesem Augenblicke nicht alle dazu nötigen Kenntnisse, so wird es Ihnen, mit nur einigem guten Willen, nicht schwer fallen, sich die anzueignen.«

»Und weshalb nennen Sie mich gnädige Frau? Wir sind hier unter uns, und Sie wissen, daß mir der Titel nicht gebührt.«

Graf Geyerstein hatte mit sich geschwankt. Auf die erste, fast herzliche Anrede der Frau war er – uneinig mit sich, ob es zum Guten oder Bösen führen könne – schon fast geneigt gewesen, Georginen, gegen seine frühere Absicht, in sein Geheimnis einzuweihen. Ihre letzte, halbversteckte Drohung, ihr zorniges Auffahren jedoch zerstörte den guten Eindruck wieder, den ihre ersten Worte gemacht. Wer bürgte ihm dafür, daß die Frau nicht doch über kurz oder lang – und wenn sie wußte, wer ihr Gatte war – zu dem alten liebgewonnenen Leben zurückkehren könne, und dann war ihrem leichtfertigen Gutdünken das Geheimnis eines edlen Hauses unwiderruflich anvertraut. Soviel aber fühlte er, etwas mußte ihr jetzt geboten werden, sie wenigstens vorderhand zufrieden zu stellen, denn sie durfte nicht gereizt und zum Äußersten getrieben werben. Mit ruhiger Stimme sagte er deshalb: »Im Gegenteil, gnädige Frau, ich weiß, daß er Ihnen gebührt, Sie haben recht; ich kenne Ihren Gatten von früheren Zeiten her. Wir waren, wie ich Ihnen schon gesagt, Jugendfreunde, ich kenne seine Familie und weiß, wie unglücklich sich diese fühlen würde, ihn in eine Laufbahn geworfen zu sehen, die – Sie mögen dafür noch so sehr eingenommen sein – seinem Stande nicht entspricht. Ich selber versichere Ihnen aber jetzt, ich handle in dem, was ich scheinbar für Sie tue, nicht in meinem Namen allein, sondern in dem seiner Familie, in die Sie selber einst aufgenommen werden können – wenn Sie Ihr früheres Leben eben vergessen wollen. Denken Sie dabei an Ihr Kind – denken Sie, welchen verschiedenen Rang Josefine einst im Leben einnehmen wird, als Baronesse und als Kunstreiterin. Denken Sie daran, daß Sie jetzt noch imstande sind, durch Fleiß und Sparsamkeit ihr auch die Mittel dazu zu verschaffen, und ich bin überzeugt, Sie werden Ihre neuen Verhältnisse im Leben nicht allein mit anderen Augen ansehen, sondern Ihrem Gatten auch danken, der Mut und Selbstbeherrschung genug hatte, einem augenblicklichen und doch nur sehr zweifelhaften Ruhme zu entsagen, um in stiller Zurückgezogenheit für Sie und sein Kind zu wirken und sich später mit seiner Familie wieder auszusöhnen.«

»Und seine Familie heißt in der Tat Geyfeln?« fragte Georgine gespannt.

»Ihr Gatte heißt Georg von Geyfeln,« erwiderte ernst der Graf, »und ich bin fest überzeugt, daß es Ihnen genügen wird, wenn Sie wissen, daß er Titel und Namen mit Recht führt.«

»Und wenn es mir nicht genügt«?« sagte Georgine.

»Es wird dir genügen,« erwiderte hier, an des Grafen Stelle, Georg mit finsterem Blick. »Herr Graf, verzeihen Sie der tollen Neugierde einer Frau, die bis letzt nur zu sehr gewohnt war, ihren eigenen Launen und Neigungen zu folgen. Aber ihr Herz ist gut und ihr Verstand klar; sie wird in kurzer Zeit einsehen lernen, wie töricht sie gehandelt hat, auf so kindliche Weise in Sie zu dringen. Es ist spät, lassen Sie uns zur Ruhe gehen, denn Sie müssen morgen früh aufbrechen, um den Ort Ihrer Bestimmung zu erreichen. Daß ich Ihnen dann bald recht gute und erfreuliche Nachrichten über uns alle geben kann, ist mein heißer Wunsch, meine feste Hoffnung.«

»Und hoffen Sie das auch, gnädige Frau?«

»Ja,« sagte Georgine, ihre Rechte in die dargebotene Hand des Grafen legend, es war das erste Mal, daß er sie ihr bot, »ich will sehen, ob ich mich, wie mein Mann hofft, bessern kann; sonst verspreche ich vorderhand noch nichts.«

»Auf gute Besserung denn!« lächelte der Graf, hob die Hand Georginens leise an seine Lippen und verließ, nach einem herzlichen Händedruck Georgs, rasch das Zimmer.

 


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