Friedrich Gerstäcker
Der Flatbootmann
Friedrich Gerstäcker

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Der Pflanzer schien noch immer unschlüssig. Er trat ans Fenster und sah hinaus. Endlich sagte er:

»Ich will selber zum Richter hinüberreiten.

»Sehr schön – ich werde indessen unten am Strom eine Promenade machen.«

»Und möchten Sie nicht vielleicht selber mitkommen? Es würde das die Sache bedeutend vereinfachen.«

»Ich danke Ihnen«, sagte Jack, »ich habe Mühe und Aufenthalt genug damit gehabt und möchte mich nicht gern weiter bemühen, als unumgänglich nötig ist. Wenn es Ihnen recht ist und Sie überhaupt Lust haben, den Kauf abzuschließen, so seien Sie so gut und bringen Sie die Papiere dazu in Ordnung. Ich biete Ihnen sechshundert Dollar für das Mädchen und halte mein Gebot bis heut abend acht Uhr. Von da an betrachte ich mich an nichts mehr gebunden.«

Der Pflanzer schien über die so kurz angebundene Rede etwas erstaunt. Jack hatte aber, mehr nach einer Art Instinkt als Überlegung, den rechten Ton getroffen, mit dem er dem Mann gegenüber auftreten mußte. Er mußte ihm imponieren, oder er setzte sich der Gefahr aus, den schon erweckten Verdacht noch weiter zu festigen. Ohne weiteres stand er jetzt auch auf, nahm seinen vorher abgelegten Hut und wollte sich kurz empfehlen. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und eine junge Dame steckte den Kopf herein.

»Oh, Papa – entschuldige«, sagte sie mit einer flüchtigen Verbeugung gegen den Fremden, »ich glaubte, du wärest allein.«

»Bitte, komm herein«, rief Mr. Beauchamps, »Mr. Dodge von Kentucky – meine älteste Tochter Louise – wo ist Eugenie, mein Herz?«

»Draußen auf der Veranda, Papa, wir wollten dich eben zu unserem gewöhnlichen Spaziergang abholen.«

»Dann werde ich Mr. Dodge ersuchen, heute meine Stelle zu übernehmen. Ich habe ein kleines Geschäft mit dem Richter, das mich auf etwa eine halbe Stunde entfernt halten wird.«

Jack verbeugte sich, und Miß Louise rief:

»Oh, das ist prächtig! Von Kentucky müssen Sie uns viel erzählen. Dort haben sie noch solch erschreckliche Wälder, wie mir gesagt wurde, voll Bären und Panther. Nicht wahr, Kentucky liegt hoch oben im Norden, in Schnee und Eis?«

»Doch nicht so ganz weit im Norden, mein Fräulein«, lächelte Jack, »aber wenn Sie mir erlauben, begleite ich Sie, damit wir Ihr Fräulein Schwester nicht so lange warten lassen.«

Mit kurzer Verbeugung verabschiedete er sich von dem Pflanzer, der einen der kleinen zur Aufwartung bestimmten Neger nach seinem Pferd schickte, und ersuchte die junge Dame, ihn einen Augenblick zu entschuldigen, bis er seine heutige Jagdbeute, die Alligatorhaut, dem unten seiner harrenden Negerknaben abgenommen habe. Sie möge ihn im Garten unten erwarten.

Das war übrigens bald geschehen. Während Mr. Beauchamps auf dem rasch herbeigebrachten Pony an der Levée hinaufsprengte, nahm er dem Jungen die Alligatorhaut ab und trug sie selber über die Levée hinüber zu der kleinen Baumgruppe, wo seine beiden Freunde noch immer lagerten. Mit diesen wechselte er ein paar flüchtige Worte, ließ ihnen seine Büchse und ging dann in den Garten zurück, wo ihn die beiden jungen Damen schon erwarteten.

Jack war übrigens ganz der Mann, sie zu unterhalten, denn von Jugend auf an ein tätiges, abenteuerliches Leben gewöhnt, hatte er die nördlichen Staaten schon nach allen Richtungen hin durchzogen und wußte vortrefflich davon zu erzählen. Er sprach nicht allein gut, sondern verstand auch die Sitten und Gebräuche des Nordens mit solch lebendigen Farben zu schildern, daß er seine beiden Begleiterinnen vollkommen fesselte und eine Stunde ihnen in wirklich kaum geahnter Schnelle verstrich.

Unbemerkt fast wußte er ihren Spaziergang dabei aus dem Garten auf die Levée oder wenigstens die daran hinführende Straße zu lenken.

Von dem noch dort liegenden Boot, das sie überdies von der Straße aus gar nicht sehen konnten, nahm er jedoch nicht die mindeste Notiz und hielt sich nur immer in der Nähe der kleinen Baumgruppe, die er über den Damm hin erkennen konnte und an der er seine Freunde wußte.

Die Sonne sank dabei immer tiefer, die Luft hatte sich schon abgekühlt, und leichter Nebel fing an, sich auf der Oberfläche des Mississippi zu sammeln. Hier und da deckte er denselben erst wie ein weißes Gespinst, durch das man noch deutlich die darunter hinkochende Flut erkennen konnte. An anderen Stellen aber begann er schon, sich in kleinen milchigen Wolken zu sammeln, die sich dann später zu starken Schwaden verdichten und gar nicht selten zu zwanzig, dreißig Fuß Höhe in fester Nebelmasse den Strom bedecken.

Da sprengten Reiter, von einem Neger gefolgt, den Weg herab, der an der Levée niederlief, und da sie ihnen entgegengingen, dauerte es nicht lange, daß die Spaziergänger mit ihnen zusammentrafen.

»Ah, da kommt Papa!« rief da Miß Eugenie freudig aus.

»Und wer ist der Herr, der bei ihm ist?«

»Der Richter«, erwiderte Miß Louise. »Monsieur Lacoste, ein Hausfreund von uns.«

Jack lächelte leise vor sich hin und begrüßte die beiden heransprengenden Männer, die dem ihnen folgenden Neger die Zügel ihrer Pferde zuwarfen.

»Nun, haben Sie den Kaufbrief, Mr. Beauchamps?« sagte Jack nach kurzer Begrüßung der beiden.

»Allerdings«, erwiderte der Pflanzer, »ich – werde Sie aber vorher noch bitten, mir einige nähere Aufklärungen über das Ganze zu geben.«

»Soweit ich das imstande bin, mit dem größten Vergnügen, darf ich das Papier einmal sehen?«

Der Pflanzer zögerte, nahm es aber doch endlich heraus und übergab es dem jungen Mann zur Ansicht.

»Es ist rechtsgültig ausgestellt«, sagte er dabei, »ich – muß Sie aber doch ersuchen, mein Gast zu bleiben, bis Sie mir die Beweise bringen, daß Sally wirklich nicht mehr in der Jurisdiktion der Vereinigten Staaten zu erreichen ist.«

»Sally?« rief Miß Louise rasch und erstaunt aus. »Was ist mit der, Vater – weiß der Herr von ihr?«

»Allerdings, mein Fräulein«, lächelte der junge Mann, indem er den flüchtig durchgesehenen Kaufbrief ohne weiteres in die eigene Tasche schob, »erlauben Sie mir, daß ich Ihnen hier vor allen Dingen die Kaufsumme einhändige!«

Er überreichte dabei dem Pflanzer ein kleines Paket zusammengewickelter Banknoten, die dieser aber noch nicht ansah, sondern in der Hand behielt und rief:

»Erst bitte ich um Ihre Beweise – unser Handel ist noch nicht gültig, bis Sie mir die gebracht haben.«

»Genügen Ihnen zwei Bürgen, die ich Ihnen stellen kann?« fragte Jack.

»Das kommt darauf an, wer sie sind«, sagte der Richter. »Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, die ganze Sache kommt mir etwas verdächtig vor, und Sie werden keinesfalls diesen Parish wieder verlassen, bis Sie uns nicht dargetan haben, daß Sie selber mit dem damaligen Raub und besonders dem Mord des Aufsehers in keiner Verbindung standen.«

»Ich selber?« lächelte Jack, indem er stehenblieb und den Richter ansah. Sie befanden sich gerade der kleinen Gruppe Bäume gegenüber, unter denen seine beiden Freunde lagerten und deren Wipfel über die hier wohl zehn Fuß hohe Levée herübersahen. »Sie sind unendlich freundlich, mir so etwas zuzutrauen, verehrter Herr; meine Bürgen werden Sie aber wohl eines Besseren belehren.«

»Und wer sind die?« fragte Mr. Beauchamps.

»Männer«, sagte Jack ernst, »die Ihnen augenblicklich hier zu Diensten stehen. Hallo!« rief er dann, sich gegen die Levée wendend. »Seid Ihr da?«

Mr. Beauchamps und der Richter wandten sich rasch und erstaunt dorthin, und die Mädchen stießen einen leisen Schrei aus, als in diesem Augenblick die kräftigen Gestalten der beiden Bootsleute, ihre Büchsen in der Hand, auf der Levée erschienen.

»Alles in Ordnung, Jack?« rief der Alte herunter.

»Alles«, sagte Jack, ihm freundlich zunickend, »genügt Ihnen deren Bürgschaft, meine Herren?«

»Halt!« sagte der Richter, während er seinen Hut abnahm und um den Kopf schwenkte. »Das ist eine Drohung den Gesetzen gegenüber, die Sie büßen sollen, Sir. Sie sind mein Gefangener.«

Jack lachte laut auf, ein Blick aber, den er die Straße hinaufwarf, belehrte ihn, daß von dort noch einige Reiter kamen.

»Ich bedauere«, rief er, »Ihnen die Gefälligkeit versagen zu müssen – Sally kann unmöglich so lange auf mich warten.«

»Sally?« rief Miß Louise, die mit wachsendem Erstaunen dem allen zugesehen, während Eugenie scheu vor dem Fremden zurückwich. »Wo ist das Mädchen jetzt, und was ist mit ihr?«

»Sally, mein Fräulein«, rief da der junge Mann, »ist seit drei Jahren mein liebes Weib und läßt sich Ihnen allen herzlich empfehlen.«

»Maria und Josef!« schrie da die junge Dame auf. »Das ist, beim Himmel, derselbe Mann, der damals verhindern wollte, sie zu peitschen.«

»Sie haben ein vortreffliches Gedächtnis, mein Fräulein«, lachte Jack, »aber jetzt muß ich wirklich fort...«

»Halt da! »rief der Richter, indem er ihm den Weg abzuschneiden suchte. »Sie sind der Mörder des Aufsehers.«

»Halt ihn, Salomo!« schrie auch der Pflanzer, den Schwarzen anrufend, der den Nachmittag am Fluß Holz gefangen und sich jetzt unbemerkt immer näher und näher hier herangezogen hatte. Jack aber war nicht der Mann, sich so leicht fangen zu lassen. Den jetzigen Augenblick hatte er lange vorhergesehen, und den nach ihm ausgestreckten Arm des Richters abwehrend, war er mit zwei flüchtigen Sätzen oben auf der Levée.

»Es tut mir leid«, rief er lachend zurück, in dem er auf die jetzt rasch herbeigaloppierenden Leute deutete, »daß Sie die Herren dort umsonst bemüht haben. Auf Nimmerwiedersehen!« Und mit diesen Worten war er auch schon hinter der Levée verschwunden.

Die beiden Bootsleute hatten bei dem vermuteten Angriff auf ihren Kameraden fast unwillkürlich und gleichzeitig die Büchse im Anschlag emporgerissen, und der Richter selber wich scheu vor der drohenden Bewegung zurück. Wie sie Jack aber neben sich auf der Levée sahen, verschwanden sie ebenso rasch mit ihm hinter dem hohen Damm. Wohl hörten sie die donnernden Hufschläge auf der harten Straße herankommen, aber mit wenigen Sprüngen waren sie auch im Boot – ein Messerschnitt trennte die Schnur, die es am Lande befestigt hielt, und hinaus in den Strom schoß der scharfe Kiel.

In diesem Augenblick erschienen die Verfolger auf der Levée – aber zu spät. Der Bug des trefflich gebauten Boots war dem Strom schon zugekehrt, und pfeilschnell flog es auf seiner Bahn dahin. Einer der letztgekommenen Reiter, der Konstabler, hatte ein doppelläufiges Schrotgewehr mitgebracht und feuerte es hinter dem Boot her. Ehe er aber vom Pferd herunter- und auf die Levée hinaufkommen konnte, schlugen die Schrote schon zu kurz auf dem Wasser ein, und als das niedere Fahrzeug in dem auf dem Strom lagernden Nebel eben verschwand, sahen die Leute am Ufer noch, wie einer der Bootsleute, der aufrecht in dem kleinen Fahrzeug stand, in spöttischem Hohn den Hut nach ihnen schwenkte. Allerdings sprangen die Weißen augenblicklich nach dem nicht fern von dort an einer kleinen ausgebauten Werft befestigten Boot, die Flüchtlinge jedenfalls zu verfolgen. Die beiden Fremden, die dort so lange am Damm gelagert, hatten ihre Zeit aber trefflich genutzt und das kleine Fahrzeug, für den Augenblick wenigstens, durch eingebohrte Löcher unbrauchbar gemacht. Bis das wieder hergestellt werden konnte, waren die Flüchtigen lange aus jedem Bereich irgendeiner Gefahr, und mit bitteren Flüchen auf den Lippen kehrte der Pflanzer, von seinen Gästen begleitet, in das Haus zurück.

Hinter ihm drein aber, den Damm hinauf, kroch die Gestalt des alten Negers und schaute ihnen, nur den Kopf über die Levée hebend, vorsichtig nach, bis sie im Garten verschwunden waren und die Tür wieder hinter ihnen in das Schloß fiel.

Dann aber glitt der Alte blitzschnell zum Ufer zurück, riß den Hut vom Kopf, und ihn in der Luft herumschwenkend und dabei auf einem Bein tanzend, lachte er mit nichtsdestoweniger vorsichtig gedämpfter Stimme jubelnd vor sich hin:

»Massa Poleridge, Massa Poleridge und Sally junge Farmers Frau – weiße Manns Frau, Buckras Frau im Norden und Madam, oh, Golly – Golly – Golly!«

»Was, zum Teufel, hast du da unten zu tanzen und zu springen, he?« rief da plötzlich eine rauhe Stimme oben von der Levée den Alten an, und als dieser bestürzt hinaufsah, schaute der Aufseher eben über den Rand des Damms herüber.

»Oh, Golly, Massa«, rief der Schwarze rasch gefaßt, »habe mir eben groß Stück Holz auf den Fuß geworfen, oh, Golly – Golly!«

»Du bist doch immer Master Ungeschickt«, rief der Weiße, »mach, daß du zum Haus kommst! Was hast du hier überhaupt noch allein herumzukriechen?«

»Gleich, Massa, gleich«, sagte der Alte, hob sich ein neben ihm liegendes schweres Stück Holz keuchend auf die Schulter und hinkte damit, hinter dem Aufseher drein, dem Negerdorf zu.


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