Friedrich Gerstäcker
Der Flatbootmann
Friedrich Gerstäcker

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»Wenn sie das diese Nacht beabsichtigen, wären wir jetzt schon wieder im Kanu unterwegs«, sagte Jack, »und hätten's dann gewiß viel bequemer. Wie die Sache aber jetzt steht, haben sie ihr Boot draußen an den Büschen festgemacht und wollen dort jedenfalls, während sie den Tag abwarten, uns hindern, wieder auszulaufen. Das war auch das Gescheiteste, was sie tun konnten, denn bei Nacht dürfen sie nirgends anlaufen, wie niemand daran denken könnte, uns hier im Wald im Dunkeln zu verfolgen. Was sie für morgen früh beabsichtigen, weiß ich nicht, bis dahin aber, hoff ich, sind wir aus ihrem Bereich. Weiter unterhalb im Strom und kaum eine halbe Stunde Wegs von hier entfernt sah ich nämlich, gerade als ich mir einen Platz zum Landen suchte, ein schwaches Licht aus dem Wald schimmern. Dort liegt jedenfalls die Hütte irgendeines Holzfällers, die sich hier überall am Ufer niedergelassen, um Holz für vorbeikommende Dampfer aufzuklaftern. Alle diese Leute haben aber ein Boot oder Kanu an ihrem Haus, und wenn wir das erreichen, ehe die Sonne aufgeht, dann mögen sie hier oben sitzen und Wache halten nach Herzenslust, dann führe ich dich vor Tag einem freien und, will es Gott, glücklichen Leben entgegen.«

»Glücklich?« sagte seufzend das arme Mädchen. »Darf ich auf Glück noch rechnen?«

»Ja, mein Kind«, sagte da mit weicher Stimme der sonst so rauhe, wetterfeste Bursche, indem er des Mädchens Hand ergriff und hielt. »Ja, Sally, wenn wir all den Gefahren, die uns hier noch umgeben, glücklich entgehen, dann darfst du das und hast es mehr vielleicht verdient als tausend andere, die von ihrer Geburt an darin sich schwelgen. Jetzt aber fasse nur guten, frischen Mut, mein armes Kind! Du hast mir nun einmal dein Leben anvertraut, und daß es dich nie gereuen soll, lasse meine Sorge sein. Aber nun fort: Wir versäumen hier mit Schwatzen die schöne, kostbare Zeit und haben hier das Schlimmste vor uns – einen weiten Weg durch Dornen und Gestrüpp. Ich fürchte fast, es wird zuviel für dich.«

»Oh, sorgt Euch nicht um mich!« rief das Mädchen, und ihre Stimme klang in dem Augenblick zum erstenmal froh und sorgenfrei. »Ihr sollt sehen, wie rüstig ich Euch folgen werde, und jetzt, in diesem Augenblick, ist es mir auch fast, als ob ein schwerer Gram von meiner Seele genommen wäre. Guter Gott, ich habe noch nie in meinem Leben gewußt, wie einem Wesen zumute ist, um das ein anderes sich sorgt! Ihr seid der erste, der freundlich mir entgegentritt, von dessen Lippen ich keine harten, zürnenden Worte höre, und wenn ich jetzt auch meinen Peinigern wieder in die Hände fiele, wenn ich ein ganzes langes Leben durch für diesen einen glücklichen Augenblick büßen müßte – ich will nicht murren -, hab ich doch gelebt.«

»Du armes, armes Kind«, sagte Jack, »daß es solche Teufel mit menschlichen Fratzen gibt, die sich Gottes Ebenbild nennen und eine Hölle um sich schaffen! Aber die Zeit kommt vielleicht auch, wo diese Sklaverei als Fluch und Schande gebrandmarkt wird, wo nicht ein solches Gesindel die Peitsche mehr über ein unglückliches Volk schwingen darf! Doch fort mit den Gedanken – bleibe dicht hinter mir, mein wackeres Mädchen, und halten deine Kräfte nur noch ein paar kurze Stunden aus, so denk ich, haben wir das Schlimmste überstanden.«

Rasch griff er wieder seine zusammengeschnürte Decke, in die er ihren Proviant gewickelt hatte, vom Boden auf, nahm seine Büchse und schritt durch den dunklen, jetzt nicht einmal mehr vom Mond erhellten Wald. Vorsichtig wählte er dabei jede nur einigermaßen lichte Stelle, und wo es ihm die dichten Wipfel erlaubten, blieb er stehen, um nach den Sternen seine Bahn zu finden. Sorglich half er dabei dem Mädchen über jeden in ihrer Richtung liegenden umgestürzten Stamm, führte sie durch hier und da eingerissene Gräben und rückte, wenn auch langsam, doch weiter und weiter mit ihr vor.

So mochten sie zwei volle Stunden gewandert sein, und Jack hatte sich jetzt am Rand eines Schilfbruchs gehalten, wo das Unterholz nicht so dicht stand. Da erreichte er plötzlich einen kleinen freien Platz, und wo er ihn betrat, verkündete ein durch Menschenhand gefällter Baum die Nähe einer Wohnung.

Rasch bog er sich nieder, mit der Hand den Boden fühlend; und mit dem Jubelschrei: »Ein Weg! Ein Weg!« sprang er wieder empor.

»Ist hier ein Weg?« fragte das Mädchen, das schon an seiner Seite stand.

»Ja, mein Herz, ein Fahrweg noch dazu, auf dem die Leute jedenfalls ihr Holz zum Strom geschafft haben, und hier sind wir vom Ufer auch gar nicht mehr so weit entfernt. Hörst du den Dampfer, der dort drüben den Mississippi herunterbraust? Wenn wir die Richtung jetzt genau wüßten, in der das Haus liegt, könnten wir es vielleicht in kurzer Zeit erreichen.«

»Dort bellt ein Hund«, rief Sally plötzlich, des jungen Mannes Arm ergreifend und nach hinüber deutend, wo sie geglaubt, daß sie den Laut gehört.

»Dort läutet die Glocke!« schrie Jack jubelnd. »Das Dampfboot legt an, Holz einzunehmen, und in fünf Minuten wissen wir, woran wir sind.«

»Aber es geht den Strom hinab«, sagte schüchtern das Mädchen.

»Und was tut's?« lachte Jack, die Brust von neuer Zuversicht gefüllt. »Ich bin gern im Wald, Herz, und nie glücklicher, als wenn ich die grünen Wipfel über mir rauschen höre. Der letzte Marsch hat mir den Wald aber auf ein paar Tage verleidet, und mit den tiefen Spuren, die wir dort im weichen Boden hinterlassen, ist es am Ende auch besser, wir machen, daß wir hier fortkommen. Gebe der Himmel, daß wir's zur rechten Zeit auch noch erreichen!«

Wieder schlug die Glocke draußen an. Deutlich konnten sie die scharfen Töne herüberschallen hören, und Jack wußte recht gut, daß dieses Zeichen in der Nacht nur dann gegeben wird, wenn entweder Passagiere zu landen sind oder das Boot Holz einnehmen will. Das erstere war hier nicht wahrscheinlich, denn der dichte Wald verkündete keine Plantage, und nahm das Boot wirklich Holz, so behielten sie auch Zeit genug, den Platz zu erreichen. Vor allen Dingen mußten sie jetzt die Richtung genau wissen, in welcher der Dampfer anlegen würde, und ob sie dem gefundenen Weg hier folgen könnten. Darüber sollten sie auch nicht lange im Zweifel gelassen werden. Wieder gab die Glocke ein paar kurze Schläge, und kaum fünf Minuten später hörten sie das scharfe Zischen des ausgelassenen Dampfes.

»Hurra, jetzt haben wir's! »lachte Jack in wilder Fröhlichkeit. »Und nun vorwärts, Kind – noch eine kurze Strecke, und wir sind am Ziel.«

Rüstig schritt er auf dem Weg hin, und schon sahen sie eine weite Lichtung vor sich, in der sie die dort vielleicht begonnene Farm zu erreichen hofften. Da sah Jack plötzlich die Sterne vor sich im Weg von einem Wasserspiegel widerflimmern und erkannte zu seinem Schreck, daß sie an einem breiten Sumpf standen, der zwischen ihnen und dem Ufer lag.

»Alle Teufel!« murmelte er leise vor sich hin. »Das ist eine schöne Geschichte, so dicht am Ziel, und der verdammte Sumpf.«

»Solche Stellen wimmeln von Alligatoren«, stöhnte entsetzt das Mädchen, während Jack, der eben denselben Gedanken gehabt, sich bestürzt hinter dem Ohr kratzte.

»Ja, ich weiß, mein Herz«, brummte er leise zwischen den Zähnen hindurch. »Deren Bekanntschaft haben wir heute schon einmal gemacht.«

Wieder zischte der Dampf aus dem Boot, und über die offene Waldstelle herüber klang es, als ob es kaum fünfhundert Schritt entfernt liegen könnte.

»Und wenn wir nun versuchten, den Sumpf zu umgehen?« sagte schüchtern das Mädchen.

»Das geht nicht«, rief Jack. »Die ganze Nacht könnten wir dazu gebrauchen und brächen überdies noch Hals und Beine in den verwünschten Zypressenwurzeln. Nein, Sally, hier sind wir einmal und müssen auch hindurch, und was ich heute morgen von den Alligatoren gesehen, läßt mich glauben, daß sie eben feige Bestien sind. Drum frischen Mut – hier, Mädchen, nimm meine Büchse – hab acht, daß du den Hahn nicht spannst, und jetzt trag ich dich hindurch.«

»Durch den Sumpf?«

»Hab keine Angst – das Wasser ist an solchen Stellen selten tief – Bäume stehen ja überall darin, und durch die Pfütze wollen wir uns nicht zurückschrecken lassen. Fürchtest du dich?«

»Ich fürchte für Euch«, sagte leise das Mädchen, indem sie zögernd die dargereichte Waffe nahm. »Ich will lieber den Alligatoren zur Beute fallen, als den Verfolgern.«

»Beides nicht angenehm«, lachte Jack, »aber ich hoffe, wir entgehen den einen wie den anderen, und nun vorwärts!«

Sorgsam hob er die schmale Gestalt in seine Arme, und mit festem, trotzigem Schritt betrat er den weiten, öden Sumpf. Aber der Boden war hart, das Wasser reichte ihm wenig über die Knie, waren ja doch auch schon die Holzwagen hier hindurchgefahren, und weiter und weiter schritt er darin hin. Rechts und links hörte er hier und da ein Plätschern, und der scheu umhergeworfene Blick ließ ihn manchen dunklen Punkt erkennen, den er mißtrauisch für einen der braunen, weitrachigen Burschen hielt. Aber dem Geräusch, das er im Wasser machte, wichen sie aus, und nach kaum einer Viertelstunde fühlte er wieder trockenen Boden unter den Füßen.

Und dort lag auch das Boot. Durch die Büsche konnte er schon die Feuer erkennen, die von der Mannschaft am Ufer entzündet waren, und wie sie jetzt rasch darauf zuschritten, sahen sie, von ihrem Schein erhellt, das kleine Blockhaus an der schmalen Lichtung liegen. Während der Dampfer mit ausgehobenen Planken dicht am Ufer lag, arbeitete die Maschine, und geschäftige Menschen liefen, große Lasten Holz auf den Schultern, an Bord und wieder unbeladen von Bord zurück an Land.

»Aber werden sie uns aufnehmen?« flüsterte das bange Mädchen, dem in der Nähe der vielen Weißen die alte Furcht das Herz beschlich.

»Wir werden sie nicht fragen«, lachte Jack. »Jetzt halt den Kopf oben, Kind, und zeig um Gottes willen keine Scheu. Wir gehen gerade an Bord – fragen wird uns kein Mensch, bis wir erst einmal unterwegs sind, denn dazu haben die Leute jetzt nicht Zeit, und für das andere laß du mich dann sorgen.«

Sallys Hand ergreifend, schritt er jetzt langsam in den Menschenknäuel hinein, der, wenig seiner achtend, geschäftig herüber und hinüber wogte. Ein paar der Leute sahen wohl verwundert nach der weiblichen Gestalt, aber vielleicht waren es Passagiere aus dem Boot, vielleicht gehörten sie hier in das Haus – was kümmerte es sie!

Dicht hinter einigen der Holzträger schritten sie über die schmale Planke hin an Bord und dort ohne weiteres in das düstere Zwischendeck hinein, zwischen Gruppen von Schlafenden und Spielern hin. Niemand kümmerte sich um sie, und Jack hatte bald eine für den Augenblick unbesetzte Koje gefunden, in die er seine Decke warf. Dann blies er das Pulver von der Pfanne seiner Büchse, stellte das Gewehr in die Ecke und schien sich jetzt vollkommen zu Hause zu fühlen.

Draußen läutete in diesem Augenblick wieder die Glocke, die Leute waren fertig; das Boot schob in den Strom hinaus, und die von den Passagieren, die mit Holz getragen, kehrten in das Zwischendeck zurück.

»Hallo, Kamerad,« sagte da ein langer Kentuckier, der in seiner verlassenen Schlafstelle wieder einkehren wollte und sie indessen ganz unerwarteterweise in Besitz genommen fand. »In der Koje schlaf ich, nimm deine Decke nur wieder heraus.«

»Ist das Euer Platz?« fragte Jack.

»Ja – hast du was dagegen?« fragte trotzig der Mann.

»Nein, Kamerad«, lautete die ruhige Antwort, »aber ich bin eben hier mit meiner Frau an Bord gekommen und sehe keinen andern Platz für sie. Wenn du da drinnen schlafen willst, muß sie die Nacht auf einer Kiste sitzen, wenn du ihr aber den Platz überläßt, zahl ich ihn dir.«

»So war's nicht gemeint«, brummte der Bursche gutmütig, als er einen Blick in das freundliche, ihm zugewandte, jetzt von Purpurröte übergossene Gesicht des Mädchens geworfen. »Legen Sie sich ruhig hinein, Ma'm, und wenn Sie die Decke, die da drinnen liegt, als Kopfkissen benutzen wollen, soll's mich freuen – Sie werden so noch hart genug liegen.«

»Dank Euch, Freund«, sagte Jack, des Mannes Hand ergreifend und schüttelnd.

»Unsinn«, brummte dieser, »'s ist gern geschehen.«

Dabei drehte er sich ab, streckte sich auf einer der nächsten Kisten aus und war bald trotz der unbequemen Lage sanft und süß eingeschlafen.

Jack bereitete indessen seinem Schützling das Lager auf dem ihr überlassenen Schlafplatz, hüllte die müden Glieder des armen Mädchens in die wollene Decke ein und ging dann selber vor zu den Heizern, um sich an deren Feuer die naßgewordenen Kleider wieder zu trocknen.


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