Friedrich Gerstäcker
Der Flatbootmann
Friedrich Gerstäcker

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2. Der nächtliche Besuch

Es war finstere Nacht geworden. Nur die Sterne blitzten von dem dunklen Firmament herab, aber sie konnten sich nicht einmal im trüben Strom widerspiegeln, auf dem sich der Nebel nach dem Sonnenuntergang nur noch mehr und mehr verdichtet hatte. Unser Flatboot selbst lag so dicht unter der etwa sechs Fuß höheren Uferbank, daß man es selbst vom Damm aus kaum erkennen konnte, während dieser es allen denen, die auf der Straße ab- oder aufwärts gingen, vollständig verdeckte.

Die Leute waren etwa eine Stunde am Ufer gewesen, hatten sich dort, unbekümmert, ob es erlaubt oder verboten sein könne, Orangen, Feigen und Granatäpfel gepflückt und kehrten erst mit einbrechender Nacht an Bord zurück, Der ›Alte‹ hatte sein Boot aber, seit er seinen kurzen Spaziergang beendet, nicht wieder verlassen.

So verging die Zeit. Drüben aus dem Negerdorf herüber war dann und wann die schwermütige Melodie irgendeines Liedes zu ihnen gedrungen, dem sich, allerdings vereinzelt, auch eine geistliche Hymne beimischte. Die Flatbootleute hatten sich indessen schon in ihre Kojen und unter ihre Moskitonetze zurückgezogen. Die Insekten wurden nach Dunkelwerden und bei der fast gänzlichen Windstille so arg an Deck, daß man es kaum dort oben aushalten konnte. Der alte Poleridge saß nichtsdestoweniger unverdrossen mit dem Dackel neben sich vorn im Bug des Bootes, qualmte aus seinem kurzen Pfeifenstummel vor sich hin und nahm diesen nur zeitweilig aus dem Mund, um nach einem geglaubten Geräusch am Ufer hinzuhorchen. Es war fast, als ob er jemanden erwarte.

Eine reichliche Stunde mochte er so allein gesessen haben, und eben stopfte er sich zum viertenmal die Tonpfeife mit dem feingeschnittenen schweren Tabak, als von der gerade über ihm befindlichen Uferbank Erde herunterbröckelte; der Dackel knurrte leise.

Der Händler drehte allerdings rasch den Kopf nach dem Geräusch, rührte aber sonst kein Glied und blieb, wie er bisher gesessen, vorn auf Deck, bis er hörte, daß eine ziemlich schwere Gestalt die Uferbank herunterglitt und auf die Planke trat, die von dem Boot aus an Land geschoben war.

»Hallo«, rief da der Alte. »Wer kommt da?«

»Pst! »unterbrach ihn aber der warnende Ton des Kommenden, wer das auch immer war, und der Händler lächelte leise vor sich hin, schwieg aber doch und wartete geduldig, bis sein später Besuch in der Dunkelheit das Deck glücklich erreicht hatte.

»Und wer ist das?« sagte Poleridge jetzt, aber mit unterdrückter Stimme, während er seinen stärker knurrenden Hund beschwichtigte und vergebens in der Dunkelheit das schwarze Gesicht zu erkennen suchte. Der Neger ließ sich aber hier oben auf keine Erörterungen ein.

Selbst in der Nacht hielt er sich auf dem offenen Deck und so dicht am Ufer nicht für sicher. Hinter dem etwa neun Fuß hohen Damm und auf dem Rasen konnte auch leicht ein Horcher vollkommen geräuschlos und gedeckt anschleichen, und dem mochte sich der Bursche wahrscheinlich nicht aussetzen.

»Kommt hinunter«, flüsterte er und glitt dann, mit einem scheuen Blick nach dem Land zurück, und mit der Konstruktion dieser Art Boot vollkommen gut vertraut, ohne weiteres die paar Stufen nieder, die in die kleine ›Kajüte‹ führten.

Der Händler blieb noch eine Weile an Deck, ohne seine Stellung zu verändern, und wie er so ziemlich tief auf seinem Boot saß, bildete der hohe Damm für ihn den Horizont, auf dem hin er jede Erhöhung gegen den helleren Himmel leicht erkennen konnte. Erst als sich nichts weiter dort erkennen ließ, stand er langsam auf, sah sich noch einmal um und sagte dann zu dem aufmerksam neben ihm sitzenden kleinen Hund:

»Paß auf, mein kleiner Bursche, paß hübsch auf!« und folgte dann dem Neger in das Innere des Bootes. Unten angekommen, kümmerte er sich aber gar nicht um seinen späten Gast, nahm vor allen Dingen aus einem kleinen Seitenfach Schwefelhölzer, entzündete eine Lampe, die auf dem Tisch stand, und sah sich dann erst nach dem Neger um, der mit dem Strohhut zwischen beiden breiten Fäusten an der Tür lehnte. Noch immer konnte er ihn aber nicht erkennen, bis er das ziemlich hell strahlende Licht mit der Hand so weit bedeckte, daß es ihm nicht mehr die Augen blendete, während der Schein voll auf den Schwarzen fiel.

»Aha, Salomo«, nickte er da grüßend zu dem Sklaven hinüber. »Noch so spät, mein Bursche? Nun, wie ist's die Zeit gegangen?«

»Danke, Massa, danke«, sagte der Mann. »Schlecht genug, wie man's so nimmt, konnte nicht früher kommen; Massa Hoof überall zwischen den Hütten umhergeschlichen.«

»Massa Hoof? Wer ist Massa Hoof?«

»Der Overseer – wahrer Teufel von einem Menschen. Paßt jedesmal so auf, wenn hier ein Boot anlegt, daß armer Nigger ja nie ein Vergnügen haben soll. Es gibt doch recht schlechte Buckras auf der Welt, Massa Poleridge.«

»Hm, ja, mein Bursche – könntest recht haben«, sagte der Alte, »und euer Mr. Hoof, wie du ihn nanntest, sieht mir gerade nicht so aus, als ob er zu den besseren gehörte. Aber was bringst du?«

»Heut abend nichts«, flüsterte der Neger vorsichtig. »Doch kann niemand von der Uferbank herunterkommen?«

»Hab keine Angst«, sagte der Händler, »mein kleiner Hund liegt oben an Deck, und sowie sich nur etwas Fremdes regt, macht er Lärm.«

»Gut – heut abend bring ich nichts«, wiederholte der Schwarze, jetzt vollkommen beruhigt. »Aber gegen Morgen kommen meine beiden Jungen und noch drei oder vier andere mit Vorrat. Massa Poleridge hat doch den versprochenen Whisky mitgebracht?«

»Mehr, als ihr verbrauchen könnt, Salomo«, lachte der Händler, »da drinnen liegen einige dreißig Fässer echten Monongahelas; habt ihr da genug?«

Der Schwarze zeigte eine Reihe blendendweißer Zähne.

»Sehr gut, Massa«, nickte er vergnügt vor sich hin, »sehr viel gut – Salomo und Sambo werden Krüge und Fäßchen bringen.«

»Fäßchen? Hallo, mein Schatz, du glaubst wohl, daß ich euch den Whisky nur so einlaufen lasse? Er ist wenigstens um fünfzig Cents die Gallone teurer im Norden geworden, und wenn ihr nicht etwas Ordentliches dafür geben könnt, behalt ich ihn lieber an Bord.«

»Ordentliches?« wiederholte Salomo erstaunt. »Massa weiß, wir bringen Hühner, Eier, Pecan-Nüsse, süße Kartoffeln.«

»Ja, ich weiß, ich weiß – aber ich will besonders Ferkel haben«, sagte der Händler. »Futter für die hab ich genug an Bord und kann sie am besten wieder weiter unterhalb verkaufen.«

»Ferkel quietschen so«, sagte Salomo ängstlich.

»Quietschen? Den Henker auch!« lachte der Händler. »Ihr werdet mit ihnen umzugehen wissen, daß sie nicht mehr Spektakel machen, als nötig ist.«

»Ja, da hat sich's wohl – mit ihnen umgehen«, brummte Salomo. »Ferkel ist ein schrecklich unabhängig Tier und quietscht, wenn Lust hat, ob man's beim Ohr oder beim Schwanz nimmt, und Massa Hoof ist wie der Böse bei der Hand, wenn er Ferkel quietschen hört.

»Aber wo schläft Massa Hoof?«

»Gut Stück von hier, gerade vor den Niggerhütten in kleinem Häuschen mit Veranda«, schmunzelte Salomo.

»Nun siehst du, mein Bursche«, sagte der Händler, »das habe ich mir etwa gedacht und bin deshalb so weit hier oben angelaufen, wo ihr mit allem, was ihr mir bringen wollt, durch das Orangendickicht kommen könnt. Also vergiß die Ferkel nicht! Vor Tag werde ich munter sein und euch geben, was ihr haben wollt. Habt ihr kein Bargeld?«

»Bargeld? Ja, Massa, aber nicht viel; Sip hat Bargeld und Lucy – Lucy viel – schlaues Mädchen, die Lucy, aber bös – viel bös – kommt einmal nicht in Himmel, wenn sie stirbt.

»Das kann uns einerlei sein, mein Junge«, sagte der Händler, »aber schick mir die Mädchen, die Geld haben, morgen mittag herunter und sag ihnen, ich hätte prachtvolle Tücher und Bänder und eine Menge anderer hübscher Sachen mitgebracht. Vielleicht können sie auch morgen abend nach Feierabend kommen.«

»Nach Feierabend geht nicht«, sagte Salomo, bedenklich den Kopf schüttelnd. »Massa Hoof läßt niemand nach Feierabend heraus, besonders keins der Mädchen. – Mittag geht eher, müssen aber geschwind machen; ist nur eine Stunde Rastezeit. Jetzt muß ich aber auch wieder fort. – Hm – ist der Whisky diesmal recht gut, Massa?«

»Sollst ihn kosten, alter Bursche«, lachte der Händler, »und wirst mir das andere dann wohl ordentlich besorgen?«

»Gewiß, Massa, gewiß«, rief der Neger mit einem vergnügten Grinsen, während der Yankee eine neben ihm stehende Kruke aufgriff, einen Blechbecher von dem Gesims nahm und ihn halb mit gelbem Branntwein füllte.

Der Neger machte, schon im Vorgefühl des erwarteten und so lange entbehrten Genusses, eine etwas ungeschickte, aber nicht weniger gutgemeinte Verbeugung mit einem halben Kratzfuß, ergriff dann das Blechmaß, das ihm der Händler hinschob, und wollte es eben an die Lippen heben, als oben der Hund anschlug. Erschreckt setzte er es wieder hin und sah den Weißen an, der ebenfalls aufmerksam nach oben horchte. Der Hund war in diesem Augenblick still, und Poleridge sagte:

»Trink nur erst einmal deinen Whisky aus, nachher wollen wir sehen, was mein Dackel hat.«

»Wenn das Massa Hoof wäre«, flüsterte der Neger bestürzt, »er brächte armen Nigger um, wenn er ihn hier nachts auf fremdem Boot träfe.« Wieder horchte er nach oben, dann aber, um wenigstens das Gebotene erst einmal in Sicherheit zu bringen, nahm er den Becher auf, kostete den Inhalt erst und schüttete ihn dann in einem langen Zug die durstige Kehle hinab.

Dem Händler lag indessen selber daran, daß nicht schon jetzt ein Neger heimlich an seinem Bord gesehen wurde. Hatte er erst seinen Handel mit den Burschen gemacht und aus ihnen herausbekommen, was eben zu bekommen war, ei, dann mochte auch seinetwegen der Aufseher erfahren, daß er ihnen verbotenen Branntwein verkauft. Wenn man ihn nicht dabei ertappte, konnte ihm niemand etwas anhaben, und ehe die Sache gerichtlich gemacht wurde, warf er eben seine Taue los und schwamm wieder den Strom hinunter. Mit ein paar Worten ermahnte er deshalb Salomo, sich hier unten ganz ruhig zu verhalten, bis er oben selber einmal nachgesehen hätte, und trat dann vorn in sein Boot hinein, wo er, wenn er sich aufrichtete, mit dem halben Leib über das Verdeck hinausschaute. Ganz an Deck mochte er nicht gehen, denn unten stand Salomo neben der Whiskykruke, und allein wollte er die beiden doch nicht miteinander lassen.

Der Hund hatte sich indessen keineswegs beruhigt, und wenn er auch nicht mehr bellte, knurrte er doch noch leise und verdrießlich vor sich hin. Es war jedenfalls am Ufer nicht alles, wie es sein sollte. Poleridge riet auch dem Neger, als der dem Hund ein paar ermunternde Worte gesagt und wieder in seine Kajüte zurückgekehrt war, lieber noch ein wenig zu warten, ehe er an Land ging. Dieser behauptete aber, zurückzumüssen, damit die Sachen noch vor Tag an Bord kämen, denn dann könne man sich fest darauf verlassen, daß ›Massa Hoof‹ ihnen nicht im Weg wäre.

»Wenn er jetzt auch draußen steckt«, lachte der Neger dabei vor sich hin, »schadet nichts. Salomo ebenso klug wie Buckra. Kann da oben lange stehen, bis er Nigger findet.«

»Was willst du tun, Salomo?« fragte der Händler erstaunt, als der Neger ohne weiteres zu dem Tisch ging und die Lampe ausblies. »Was, zum Henker, ist jetzt los?«

»Will an Land, Massa«, kicherte aber der Neger, »good bye! Vor Tag ist Salomo wieder unten.«

Und damit glitt er wie eine Schlange aus der Kajüte, hob sich, ohne seinen Oberkörper über dem Verdeck zu zeigen, vorsichtig auf den vorderen und niederen Rand des Bootes, das dort, wie alle diese Fahrzeuge, eine Art von Ausbau bildete, und war im nächsten Augenblick im Wasser. So geräuschlos verschwand er aber darin, daß selbst der neben ihm stehende Yankee nicht das geringste plätschernde Geräusch hören konnte, und ob er sich auch überbog und ihm nachschaute, es ließ sich nichts weiter von dem Schwarzen erkennen. Unter Wasser war er den Strom hinabgeschwommen. War übrigens wirklich jemand an der Uferbank gewesen, so ließ er sich an dem Abend nicht wieder sehen, und Poleridge suchte jetzt selber sein Lager, um zur rechten Zeit am nächsten Morgen bei der Hand zu sein.


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