Friedrich Gerstäcker
Der Flatbootmann
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7. Im Kanu

Bill, der einem anderen das Steuer überlassen, hatte indessen vorn vom Boot aus einen scharfen Ausguck gehalten. Der Mond stand allerdings schon ziemlich tief am Himmel, aber es war noch hell genug, eine weite Strecke aus zu sehen. Der Alte überlegte sich dabei, ob die beiden Leute nicht doch am besten täten, den Untergang des Mondes abzuwarten; dann aber waren sie auch der Gefahr ausgesetzt, daß sich ihre Verfolger ganz dicht beim Flatboot hielten und sie, sowie sie ihre Flucht bemerkten, unfehlbar augenblicklich eingeholt hätten. Jetzt blieben diese doch ein Stück davon entfernt, und wenn sie, einmal unter der Insel, zurück hinter das Flatboot ruderten, hatten sie noch die Hoffnung, ihnen zu entgehen. Wenigstens mochten sie soviel Vorsprung gewinnen, daß sie das Ufer des Mississippistaates erreichen konnten. Im Wald war Jack daheim, und der Aufseher hätte dort außerdem vorher einen Warrant bei einem dortigen Sheriff beantragen müssen, um die entlaufene Sklavin gerichtlich verfolgen zu können und ausgeliefert zu bekommen.

Das Boot hatte, wie Bill nicht entgangen war, allerdings an der Spitze der Insel auf sie gewartet, um vor allen Dingen erst zu sehen, welches Fahrwasser das Flatboot annehmen würde, das rechte oder linke. Die Insel war zwar nicht groß, aber mit hohen Baumwollholzbäumen und Weiden dichtbewachsen, und die durften sie nicht zwischen sich und das verfolgte Boot lassen. Mr. Hoof übrigens, mit Wut und Haß im Herzen seine Beute überwachend, wußte recht gut, daß hier eine günstige Stelle zur Flucht sei. Trotz aller Vorsicht Jacks hatte er, oder vielmehr einer seiner mitgenommenen Negertreiber, das Ausschöpfen des Kanus gehört und kannte die Bedeutung des Lautes. Die Weißen wollten den Tag nicht abwarten, sondern, um jeder Verantwortung ledig zu werden, jedes Zeugnis gegen sich abzuschütteln, das Mädchen wahrscheinlich hier im Schatten der Insel an Land schicken, von wo aus sie dann später, sobald sie selber außer Sicht wären, ihre Flucht ungehindert fortsetzen könnte. Das mußte er zu verhindern suchen, und deshalb blieb er jetzt hier auch ruhig auf seinen Rudern, im Schatten eines in den Strom gestürzten Baums liegen, um sich von da an nur einfach zwischen der Insel und dem Boot zu halten. Sowie sie weiter unterhalb wieder freies Wasser erreichten, hatte er kaum zu fürchten, daß ihm das Kanu ungesehen entkommen könnte.

An Bord des Boots war ihnen das aber ebenfalls nicht entgangen, und Jack baute darauf seinen Plan. Mr. Hoof hatte nicht bedacht, daß die Flüchtige nicht wagen durfte, an einer Insel zu landen, wo sie, wenn entdeckt, ihren Verfolgern gar nicht mehr entgehen konnte. Die Insel lag nun ziemlich in der Mitte des Stroms, aber fast noch mehr nach der Mississippiseite als gegen Louisiana zu, so daß die Entfernung nach jenem Staat auch nicht so groß war. Das Kanu schien außerdem vortrefflich gebaut und lag leicht auf dem Wasser, und mit zwei Rudern konnten sie, wenn selbst verfolgt, ihre Entfernung schon eine Weile halten. Das Mädchen mußte deshalb den Platz vorn im Kanu einnehmen, das Gesicht dem Bug zugekehrt, um im schlimmsten Fall ihr Ruder ebenfalls zu gebrauchen. Jack dagegen, mit einem anderen sogenannten Paddel, das er vom Bord des Flatbootes mitgenommen, stand daneben noch auf dem niederen Vorbau und wartete auf das Zeichen, das ihm der Alte geben sollte.

Dieser hatte die Stelle nicht außer acht gelassen, wo er das verfolgende Boot wußte – jetzt trieben sie in etwa hundert Schritt daran vorüber. Jetzt! »flüsterte er zu dem ungeduldig darauf harrenden Jack hinab. »Halte nur das Flatboot genau zwischen dir und der Insel, und mach so wenig Geräusch wie möglich.«

Die Warnung war unnötig. Jack wußte schon selber ganz genau, was er zu tun hatte, und seine Büchse in der einen, das Ruder in der andern Hand sprang er in das Kanu – die Frau warf vorn das dünne Tau los und in den Bug hinein, und mit einem leise geflüsterten »Lebt wohl« drehte der scharfe Bug vom Boot ab und in den Strom hinaus. Vollkommen geräuschlos setzte dabei der junge Bootsmann sein kurzes, leichtes Ruder ein, nur dann und wann den Kopf über die Schulter wendend, um die rechte Höhe mit dem Boot zu halten. Kein Wort wurde zwischen den beiden gewechselt. Jetzt mußten sie vor allen Dingen die Verfolger von ihrer Fährte bringen, und Gott würde dann schon weiterhelfen.

Das ging auch vortrefflich. Mr. Hoof hielt sein Boot soviel als möglich zwischen der Insel und dem Flatboot und konnte dabei den ganzen Strom recht gut übersehen, die Stelle allein ausgenommen, die hinter dem letzteren lag. Dicht zur Insel hatte das letzte hohe Wasser aber eine Menge Holz, ganze Stämme und an diese wieder einzelne Äste angeschwemmt, und um nicht mit den langen Riemen darin hängenzubleiben oder gar aufzulaufen, mußte er gerade vom Land abhalten. Dadurch aber kam das Flatboot ein Stück voraus, und der eine Negertreiber, der schon lange gedrängt hatte, daß sie nicht so weit von dem Boot abbleiben, sondern sich dicht dahinterhalten sollten, was ihnen die Bootleute gar nicht verwehren konnten, entdeckte plötzlich, schon eine tüchtige Strecke entfernt, das flüchtige Kanu.

Wenige Worte genügten, den Steuernden darauf aufmerksam zu machen. »Ruder scharf ein, meine Burschen! »schrie Mr. Hoof, als er den Bug seines Boots herumwarf, um die Verfolgung aufzunehmen.

Der Alte an Bord hatte die Bewegung natürlich gleich gesehen und die Ursache vermutet. Dem Kanu durfte er dabei auch kein Zeichen geben, daß es entdeckt sei, um späteren Folgen vorzubeugen, aber mit dem Boot konnte er sich unterhalten, darin lag nichts Sträfliches.

»Hallo, Sir!« rief er deshalb nach diesem hinüber, und zwar viel lauter, als nötig gewesen wäre, ein noch einmal so weit entferntes anzuschreien. »Wohin soll denn jetzt die Reise so eilig gehen? – Ich dachte, Sie wollten uns begleiten.«

»Bestie! »murmelte der Aufseher zwischen den Zähnen hindurch, lachte dann aber ingrimmig vor sich hin. »Es hilft dir doch nichts, mein Bursche, die Dirne ist mein, ehe sie nur in Rufnähe vom Ufer kommt. Wacker, Jungen, wacker, legt euch in die Riemen, und ich gebe jedem von euch fünf Dollar aus meiner Tasche, wenn wir das Mädchen sicher wieder an Bord haben.«

Die Leute bedurften keiner weiteren Ermahnung, mit besten Kräften legten sie sich in die Ruder, und das leichte, trefflich gebaute Boot schoß schäumend über die Flut. Aber auch Jack hatte das laute Reden an Bord gehört, und wenn er das, was dort im Schatten der Insel vorging, auch noch nicht sehen konnte, erriet er doch leicht die Ursache.

»Jetzt nimm das Ruder, Kind«, rief er dem still im Boot kauernden Mädchen zu, »und wenn du noch imstande bist, deine Arme zu gebrauchen, so hilf, soviel du kannst, den Schuften zu entgehen. Hab aber keine Angst, Herz«, setzte er fröhlichen Muts hinzu, »wenn sie uns auch wirklich einholen sollten, haben sie uns deshalb noch immer nicht. Ich bin nun einmal mit dir ausgelaufen und will dich retten, oder – wir gehen eben zusammen, wenn's sein muß. Nur den Burschen da drüben überlaß ich dich nicht, darauf darfst du rechnen.«

Das Mädchen erwiderte kein Wort – wenn ihre Arme auch schmerzten, griff sie das Ruder, dem Befehl gehorsam, auf, und daß sie es zu gebrauchen wußte, hatte sie schon vorher bewiesen. Das Kanu tanzte auch nur so über das Wasser hin, und näher kamen sie dem dunklen Waldstreifen, der sich vor ihnen am gar nicht mehr so fernen Ufer hindehnte. – Aber näher kam auch das Boot, und Jack, als er den Kopf mit einem leise gemurmelten Fluch zurückdrehte, konnte sich nicht verhehlen, daß ein Zusammenstoß mit den Feinden, ehe sie das Land erreichten, fast unvermeidlich sei. Allerdings hatte er seine Büchse neben sich und war fest entschlossen, sie im äußersten Notfall auch zu gebrauchen, aber einmal abgeschossen, konnte er sie in dem schwankenden Kanu gar nicht wieder laden – und was dann? – So viel hatte er dabei gemerkt, daß ihr Kanu das Wasser weit rascher durchschnitt, wenn er nicht zu viel gegen die Strömung anhielt, sondern ihr mehr folgte. Dadurch verlängerte er aber auch die Entfernung zwischen sich und dem Land, dabei konnten die Verfolger nur gewinnen. Es blieb ihm deshalb schon nichts anderes übrig, als das nächste Land in so gerader Richtung als möglich anzusteuern; wer konnte wissen, welche Vorteile ihm die Nähe des Lands selber bot, und daß er solche dann nach Kräften nützen würde, dazu war er fest entschlossen.

Das Mädchen ruderte indessen still und schweigend fort. Nur einmal, als die Ruderschläge der Verfolger zum erstenmal ihr scheues Ohr trafen, wandte sie den Kopf dorthin, dann arbeitete sie geduldig weiter. Hinter ihr lag der Tod, vor ihr das Leben; und an das klammerte sich ja das arme junge Mädchen noch mit allen Fasern ihres Herzens fest. Jack ruderte ebenfalls aus Leibeskräften, aber je mehr er sah, daß die Verfolger näher kamen, desto fester und ingrimmiger biß er die Zähne zusammen. Furcht kannte er dabei gar nicht; sein Leben hatte er schon oft selbst eines gleichgültigen Erfolgs wegen gewagt, aber das ärgerte ihn, daß er vor dem feigen Burschen von Aufseher fliehen mußte.

»Schuft von einem Kerl«, murmelte er dabei vor sich hin, »hätt ich nur ein Boot unter mir, wie du, in dem ich mich aufrichten dürfte, ohne die Gewißheit zu haben, im nächsten Augenblick damit umzuschlagen, wie in der Nußschale von einem Ding hier, ich wollte dich lehren, arme Mädchen blutigpeitschen!«

Weiter – immer weiter ruderte er. Der Schweiß stand ihm in großen Tropfen auf der Stirn, und trotzdem schallten die Ruderschläge immer lauter und deutlicher zu ihnen herüber. Dabei war es, als ob das Land, das ihm am Anfang so nahe geschienen, gar nicht näher kommen wolle. Noch immer lag eine weite Wasserfläche zwischen ihm und dort, und das verfolgende Boot hätte er schon mit der Büchsenkugel erreichen können. Aber kein Wort sagte er; was half jetzt alles Reden, wo sie handeln mußten, und überdies entschied die nächste Viertelstunde ja auch ihr Schicksal – zum Guten oder Bösen –, aber immer näher kam das Boot. Während des Mädchens Arme, von der Entzündung des Rückens angegriffen, mehr und mehr ermatteten, legten sich die Verfolger nur mit frischerer Lust in die Ruder, je deutlicher sie sahen, wie sie dem Kanu näher kamen. Auf der einen Seite winkte ihnen für sie reichlicher Gewinn, auf der andern drohte ihnen die Peitsche, kein Wunder, daß sie da ihr Bestes taten, um den ausgesetzten Preis zu verdienen. Zehn Minuten waren solcherart noch vergangen. Das Boot konnte kaum noch hundert Schritt von ihnen entfernt sein, und das laute Lachen des Aufsehers, der über den glücklichen Fang jubelte, tönte schon zu ihnen herüber. – Jack knirschte vor Wut die Zähne zusammen, und ein toller Entschluß reifte auf einmal in ihm.

»Und sie sollen dich doch nicht fangen, Sally!« flüsterte er dem Mädchen zu. »Wenn wir auch nicht zusammen fliehen können, will ich den Hunden da drüben doch den Spaß vereiteln.«

»Es ist vergebens«, stöhnte das Mädchen, indem sie das Ruder sinken ließ, »ich danke Euch für alle Güte, die Ihr mir erwiesen, und hätt ich noch Tränen! Aber es ist vorbei – in wenigen Minuten sind wir in ihrer Gewalt.«

»Noch nicht«, sagte aber Jack, das Ruder mit doppelter Kraft gebrauchend. »Teufel! Das Land ist kaum zweihundert Schritt mehr entfernt, und so nahe vor dem Hafen noch zu scheitern – aber noch gibt es ein Mittel. Die kurze Strecke kannst du auch allein noch rudern, und daß dir die anderen nicht folgen, dafür laß mich sorgen. Ich rudere dich jetzt noch so weit als irgend möglich, die Entfernung zu verringern, und laufen sie dann an uns heran, dann sitz nur fest, dann spring ich hinüber in ihr Boot und will sie schon am Rudern hindern, bis du in Sicherheit bist.«

»Und Ihr? – Was wird aus Euch?«

»Pah!« sagte der junge Bursche. »Was können sie machen? – Sie sollen mir nachher einmal beweisen, daß du gerade hier in dem Kanu gewesen – wenn sie überhaupt imstande sind, mich zu halten. Ich kann schwimmen wie ein Fisch und will ihnen schon entgehen.«

»Es ist umsonst«, sagte kopfschüttelnd das Mädchen. »Was hilft es mir auch, wenn ich allein, mit dem Boot doch hinter mir, das Ufer erreiche! Sie würden mein Kanu finden und zerstören, und morgen hätte ich die Aufseher der nächsten Plantagen mit ihren Bluthunden auf meiner Fährte. Meine ganze Flucht war Wahnsinn und hat nur dazu gedient, Euch noch mit in mein Verderben zu reißen.«

»Unsinn«, brummte Jack zwischen den Zähnen hindurch, »soweit sind wir aber noch nicht, und du kannst doch wenigstens den Versuch machen, zu entkommen. Doch immer besser das Letzte versucht, als sich frei in sein Schicksal zu ergeben.« Das Mädchen schwieg einen Augenblick und senkte den Kopf, endlich sagte sie mit leiser, kaum zum Ohr des jungen Manns dringender Stimme:

»Ihr habt gesagt, daß wir zusammen fliehen wollen. – Sie werden Euch töten, während ich das Ufer erreiche – ich gehe nicht – ich will mit Euch sterben.«

Ein eigenes, wunderlich wildes und schmerzliches und doch auch wieder so süßes Gefühl zuckte durch des jungen Burschen Herz bei diesen Worten.

»Mit mir sterben, Sally? Nun gut dann, Kind – es ist möglich, aber – so weit sind wir noch nicht. Wenn uns der Bursche da drüben zum Äußersten treibt, mag er sich die Folgen dann auch selber zuschreiben, Gnade gibt er nicht und hat sie deshalb auch nicht zu erwarten, und wenn du so gesonnen bist, dann...« Er brach kurz ab, aber ein wildes Feuer glühte in seinen Augen, und doch war in diesem Augenblick auch aller Schmerz, jede Angst von ihm gewichen. Er warf den Kopf zurück, sah das Boot kaum einen Steinwurf weit hinter sich, und drohend klang zugleich des Negertreibers Stimme zu ihnen herüber.

»Willst du es aufgeben, mein Schatz, und hast du eingesehen, daß du uns nicht mehr entgehen kannst?«


 << zurück weiter >>