Friedrich Gerstäcker
Der Flatbootmann
Friedrich Gerstäcker

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Die beiden Neger, die sich da oben wirklich gezeigt, waren aber im nächsten Augenblick schon wieder hinter dem am ganzen Ufer des Mississippi aufgeworfenen Damm verschwunden, und zehn Minuten später ritt ein Weißer langsam die breite, vortreffliche Uferstraße herauf und stieg, als er das eben dort gelandete Boot bemerkte, vom Pferd. Es dauerte auch nicht lange, so erschien er oben auf dem Damm, wo er, den rechten Arm in die Seite gestemmt, stehenblieb und das Fahrzeug eine Weile schweigend betrachtete.

Es war der Aufseher der Plantage, ein Bursche von vielleicht drei- oder vierunddreißig Jahren, aber mit scharf markierten, häßlichen und tief gefurchten Zügen, die ihn wenigstens um zehn Jahre älter scheinen ließen. Auch die kleinen farblosen Augen, das linke noch dazu mit einem sogenannten ›falschen Blick‹, schweiften unstet herüber und hinüber und hafteten eigentlich nie auf dem, mit dem sie sprachen.

Er ging in die gewöhnliche Tracht derartiger Leute gekleidet: weite Hosen und leichter Rock von hellkariertem Zeug, am linken Stiefel einen Sporn, keine Weste und das buntkattunene Hemd von einem blauseidenen Tuch locker zusammengehalten. Den Kopf bedeckte ein breitrandiger Strohhut ohne Band, und am rechten Handgelenk hing ihm eine schwere, fest aus Rindsleder gedrehte, sogenannte Negerpeitsche. Eine lange Bronzeuhrkette und ein paar große Ringe an den Fingern vollendeten mit der nie fehlenden Zigarre den Mann, der, so gute Eigenschaften er auch sonst vielleicht haben mochte, durch sein Äußeres keineswegs dahin empfohlen wurde.

Der alte Poleridge hatte indessen unten seine ›Ufertoilette‹, wie er's nannte, beendet, das heißt, ein reines Hemd und Schuhe und Strümpfe angezogen, denn an Bord gingen die Männer in dem warmen Klima meist barfuß. Langsam, die Hände in den Taschen kam er oben aufs Deck, als der Aufseher vom Damm aus sein Boot betrachtete, und schien ganz mit seinem eigenen Fahrzeug beschäftigt, keine Notiz von dem Mann am Land zu nehmen. Gesehen hatte er ihn aber nichtsdestoweniger schon von dem Augenblick an, wo er sich zuerst gezeigt.

Noch ein neuer Insasse des Boots kam zugleich zum Vorschein, und zwar niemand Geringeres als Mrs. Poleridge selbst, die Frau des Kapitäns, die mit einem ziemlich roten Gesicht, das Bonnet etwas zurückgeschoben, einen Blick nach dem vor ihr liegenden Ufer hinaufwarf. Dort unten aber, wo sie stand, konnte sie von dem Land weiter nichts erkennen als den grasbewachsenen, hochaufgeworfenen Damm. Mit der Aussicht also eben nicht besonders zufrieden, drehte sie sich um, hob einen kleinen braunen Dackel, der neben ihr winselte, auf das höhere Deck hinauf, das er allein nicht erreichen konnte, und verschwand gleich wieder, wie sie gekommen, in dem inneren Raum.

Der ›Alte‹ hatte sich nicht einmal nach ihr umgedreht; er schaute nach den Tauen, ob die auch gehörig befestigt waren, stieß mit dem Fuß eine im Weg liegende Rolle Leine beiseite und blickte dann über Bord hinunter ins Wasser.

»Hallo, das Boot!« rief da der Mann vom Ufer aus den Alten an. »Habt Ihr gar keinen schlechteren Fleck am Land hier finden können? Wer soll denn da zu Euch hinunterklettern?«

»Hallo?« sagte der Yankee, sich langsam nach der Stimme umdrehend. »Wer hat Euch denn schon gesagt, daß jemand hier zu uns herunterklettern soll?«

»Hm«, brummte der Mann oben, über die barsche Antwort etwas erstaunt. »Seid Ihr kein Handelsboot?«

»Handelsboot allerdings«, sagte der Yankee, seinen Tabaksaft weithin über Bord spritzend, »aber mit wenig zu verkaufen, was Ihr hier wahrscheinlich brauchen könnt, und mit einkaufen wird's hier bei Euch wohl auch dünn aussehen.«

»Habt Ihr Whisky an Bord?« fragte der Aufseher.

»Whisky? Nein«, sagte der Händler ruhig, »ist welcher hier in der Nähe zu bekommen? Der meinige ist alle, und ich möchte gern für die Leute etwas haben.« Der Aufseher sah ihn zum erstenmal mit seinem rechten Auge scharf an, während das andere die übrige Mannschaft zu mustern schien. Er mochte dem Mann die trockene Versicherung nicht gleich glauben. Poleridge blieb aber so vollkommen ruhig und gleichmütig dabei, daß er auch wieder anfing, seinen Verdacht fallenzulassen. Doch das bekam er schon noch heraus.

»Kommt Ihr an Land?« fragte er endlich nach längerer Pause.

»Werde wohl müssen«, sagte der Händler. »Wir haben kein Kochholz mehr an Bord. Gibt's dort oben trockenes Holz?«

»Wenig genug hier herum«, lautete die Antwort, »wenn Ihr nicht ein Stück zurück, nach dem Sumpf zu geht. Aber Ihr steckt ja da zwischen Holz. Haut Euch doch von dem ab!«

»Sieht so naß aus«, meinte der Yankee, die unterhalb im Strom liegenden Bäume betrachtend. »Kann nicht einer von Euren Negern hier nach Feierabend ein paar Cents verdienen?«

»Hm – das ginge vielleicht – wie lange wollt Ihr da liegenbleiben?«

»Wenn's hier nichts für mich zu tun gibt, nur bis morgen früh. Aber ich komme ein wenig hinauf, ein paar Dutzend Orangen wird man doch hier wohl kaufen können!«

»Ich will Euch von einem der Leute einige abschlagen lassen«, sagte der Overseer, während der Yankee eine aus dem Damm vorstehende Wurzel ergriff und sich mit deren Hilfe auf festes Land hinüberschwang.

»Habt Ihr guten Tabak an Bord?« fragte da der Aufseher, als der Händler neben ihm stand und seine beiden Hände wieder sorgfältig in die Taschen schob.

»Sollte es denken«, brummte dieser. »Echten süßen Kentucky – aber nicht viel. Hatte nur ein paar Kisten davon, die ich in Vicksburg absetzte. Die Leute rissen sich ordentlich darum, und was ich zurückbehielt, wollte ich eigentlich selber verbrauchen.«

»Ausgenommen, Ihr bekämt einen guten Preis dafür.«

»Das immer ausgenommen«, sagte der Händler ruhig. »Vom Ein- und Verkaufen leb ich, und wer mir etwas zu verdienen gibt, ist mein Mann.«

»Und kauft Ihr auch für Bargeld?« fragte der Aufseher, als er sein Pferd am Zügel nahm und langsam mit dem Alten an dem Damm, der sogenannten Levée, hinaufschritt.

Der Händler wußte ganz genau, was die Frage bedeuten sollte. Er kannte den Overseer schon von früher her, wenn sich dieser auch keinesfalls mehr auf sein Gesicht besinnen konnte. Dem Yankee war es aber gar nicht darum zu tun, alle seine Geschäfte hier im Fluge abzumachen. Er wollte vor allen Dingen Zeit gewinnen, drei oder vier Tage an der Stelle liegenzubleiben, und deshalb lag es in seinem Vorteil, den Aufseher hinzuhalten. Sein Hauptplan bestand nämlich darin, mit den Negern heimlichen Branntweinhandel zu treiben, und der konnte nur dann für ihn erfolgreich sein, wenn die Schwarzen Zeit behielten. Sie selber haben selten oder nie Bargeld, stehlen aber dafür alles, was sie in der Nachbarschaft bekommen können. Die eigene und nächste Plantage schonen sie allerdings soviel wie möglich – gerade wie es der Fuchs und Marder auf ihren Raubzügen machen –, sonst aber ist ihnen auch kein Platz zu entlegen, wo sie Hühner, Ferkel, oder was sonst gerade zu bekommen ist, finden können. Unverdrossen laufen sie die ganze Nacht hindurch, ja hetzen nicht selten ihrer Herren Pferde zuschanden, und sind am nächsten Morgen wieder so rüstig und zeitig bei der Arbeit wie nur je. Wenn der Lohn der so streng verbotene Branntwein ist, dünkt ihnen keine Mühe zu groß, kein Weg zu weit.

In ein oder zwei Tagen ließ sich aber kein ordentliches Geschäft mit ihnen machen. Sie brauchten länger, um in der ganzen Nachbarschaft herumzukommen. Nur wenn er vier bis fünf Tage liegenblieb, durfte der Yankee hoffen, seine Zeit bezahlt zu bekommen. Dann freilich war es aber auch geraten, sein Boot wieder loszuwerfen und den freien Strom zu erreichen, denn kam einer oder der andere von den Diebstählen wirklich heraus, hätte es doch unangenehme Erörterungen und Untersuchungen geben können. Denen entging er aber vollständig, sowie er sich nur wieder einmal im Strom befand. Wer wollte sein Boot dann von den anderen unterscheiden, hätten sie ihm selbst folgen mögen!

»Für Bargeld?« wiederholte er deshalb die Frage, als ob er sich die Sache erst ein wenig überlegen müsse. »Für Bargeld nicht gerade gern – es müßte denn ein entsprechender Gewinn dafür in Aussicht stehen. Am liebsten treib ich Tauschhandel, denn Güter oder Produkte, die ich im Norden wieder gut verwerten kann, sind mir eigentlich fast lieber als Bargeld.«

»Ich fragte Euch, ob Ihr auch Bargeld für Produkte gebt?« sagte der Aufseher. »Ihr versteht doch Englisch?«

»Hm ja, ein wenig – ja so, in der Art – oh, gewiß, wenn ich einen vorteilhaften Handel machen kann!«

»Und kauft Ihr auch Baumwolle?«

»Nicht gern. Unsereiner kann da nicht mit den Dampfbooten konkurrieren, und so billig bekommt man sie selten, daß das Risiko zugleich gedeckt wäre.«

»Und wenn Ihr sie nun so billig bekämt?«

»Das wär freilich etwas anderes«, schmunzelte der Händler. »Habt Ihr welche? Na, ich will Euch was sagen«, schnitt er aber die Antwort selber ab, als er sah, daß der Aufseher damit zögerte. »Wenn Ihr glaubt, daß sich hier ein mögliches Geschäft machen läßt, bleib ich auch morgen hier liegen. Ich möchte überdies etwas ›Holz einnehmen‹, wie die Dampfboote sagen, das heißt, so mancherlei Frisches vom Lande holen, und wenn ich das hier bekommen könnte, wär mir's recht. Bauen Eure Neger keine Wassermelonen, Feigen oder sonstige Sachen?«

»Mehr als genug«, brummte der Aufseher. »Anstatt sich nach Feierabend aufs Ohr zu legen und für den nächsten Tag auszuruhen, kriechen sie oft noch so lange in ihren kleinen Gärten herum und hacken und graben, bis ich sie mit der Peitsche ins Bett jage. Die haben schon derlei, aber – keinen Whisky dafür, Kamerad. – Ihr kennt wahrscheinlich die Strafe, die darauf steht?«

»Whisky? Unsinn«, lachte der Händler. »Ich wollte, ich hätte selber welchen; das einzige Spirituose, was ich an Bord führe, ist Apfelwein. Wenn Ihr ein Freund von dem seid, damit kann ich Euch dienen...«

»Nein, ich danke Euch«, sagte der Aufseher kopfschüttelnd. »Aber – noch eins möcht ich Euch sagen, wenn Ihr denn doch morgen hier liegenbleibt. Laßt Euch nicht mit den Niggern, die Ihr hier oder da trefft, in lange Gespräche ein. Der ›Alte‹ hat's nicht gern und ich auch nicht. Die Schufte sind so schon zu übermütig und müssen tüchtig im Zaum gehalten werden.«

»Habt Ihr Not mit Euren Schwarzen?« fragte der Händler, den das von früheren Zeiten her noch interessierte.

»Not?« lachte der Aufseher mit einem finsteren Blick, indem er langsam und wie in Gedanken die Peitsche hob. »Not? Wenn jemand Not hat, so sind die's. In Ordnung wissen wir sie schon zu halten, und aufmucksen darf mir keiner, sonst gnade ihm Gott. Seit einiger Zeit aber streicht hier so ein sogenanntes frommes Gesindel im Süden herum und hat den Niggern Ideen in den Kopf gesetzt, die wir die größte Mühe haben, ihnen aus den Rippen wieder herauszupeitschen. Es hieß allerdings einmal, daß eine Verschwörung unter ihnen im Werke sei und daß sie im Sumpf drinnen Waffen versteckt hätten. Das ist aber Larifari, und wie wir erst einmal ein paar von den Dickköpfigen ergriffen, ausgepeitscht und zum guten Beispiel für die anderen aufgehängt hatten, sind sie vernünftig genug gewesen, ihre Dummheit einzusehen.«

»Hm«, sagte der Händler und strich sich mit der Rechten das glattrasierte Kinn. Es war ihm eben nicht besonders lieb, das zu hören, denn wo derartige Sachen vorfielen, wurde gewöhnlich auf die Schwarzen zu scharf aufgepaßt, ihnen freie Hand zu lassen. Je stärker der Druck freilich, desto stärker auch der Widerstand, und Poleridge war überhaupt nicht der Mann, sich von einem einmal gefaßten Plan abschrecken zu lassen, noch dazu, wenn sein eigener Nutzen im Hintergrund lag.

»Aber was habt Ihr eigentlich zu verkaufen?« fragte da der Aufseher wieder, der überhaupt gewohnt war, in dann und wann anlegenden Booten die Monotonie seines Pflanzerlebens unterbrochen zu sehen. »Man wird sich die Sachen doch wohl einmal anschauen können?«

»Oh, gewiß – heut abend ist's nur zu spät«, sagte der Händler, »kommt aber morgen früh einmal an Bord und wir finden doch am Ende etwas, mit dem wir ein Geschäft zusammen machen können. Ich habe beinahe ein ›bißchen von allem‹, wie wir Yankees gewöhnlich unsere Fracht einnehmen.«

»Nur keinen Whisky?«

»Aus Grundsatz«, erwiderte Poleridge ruhig. »Ich selber gehöre zum Mäßigkeitsverein und halte es für Sünde, das Gift zu verbreiten. Das veranlaßt mich aber nicht, ihn meinen Leuten zu mißgönnen, die auch überdies weit besser und williger arbeiten, wenn sie einen Schluck von dem nichtswürdigen Stoff im Leib haben. Die Verantwortung dafür mögen sie auf sich selber nehmen; das geht mich nichts an.«

»Sehr christlich gedacht«, lachte der Aufseher. »Man gibt auch einem Pferd Branntwein auf Bord, damit es besser laufen soll.«

»Und warum nicht?« brummte der Händler. »Aber wenn's Euch recht ist, schickt mir nachher was von Euren Früchten herunter. Wieviel Tabak wollt Ihr haben?«

»Ich komme morgen früh an Bord und werde ihn mir ansehen«, lautete die Antwort des Aufsehers, der wieder in den Sattel stieg und sein Pferd rasch beiseite lenkte. Die Straße herauf von dem weiter unten liegenden Herrenhaus kamen vier Reiter, zwei Herren und zwei Damen, angaloppiert, und die schnellen Ponys berührten kaum den Boden, über den sie dahinbrausten. Der Aufseher behielt auch eben nur Zeit, auf die Seite zu reiten, wobei er ehrerbietig den Hut abnahm. Der Händler blieb auf dem Damm, die Hände in den Taschen, stehen. Die Herrschaften nickten kaum nach dem Aufseher hinüber, nach dem Fremden drehten sie nicht einmal den Kopf.

»War das der Baas?« fragte der Yankee, als sie vorüber und in einer hinter ihnen aufwirbelnden Staubwolke verschwunden waren, indem er nur eben mit dem Kopf nach der Richtung nickte.

»Der vorn, ja. Mr. Beauchamps mit seinen beiden Töchtern und einem Besuch aus New Orleans.«

»Ahem! Furchtbar aufgeschwollen, aber...«

»Hat seine Ursache – wenn wir beide das nur im Jahr zu verzehren hätten, was der in jedem Monat allein durchbringt.«

»Phew!« pfiff der Alte zwischen seinen Zähnen durch, drehte sich ab und schlenderte langsam am Ufer hinaus, sich die Gegend und Gelegenheit ein wenig zu betrachten.

Eine halbe Stunde später kam ein alter Neger und brachte einen Korb voll Apfelsinen und Feigen. Der alte Poleridge nahm ihm die Früchte selber ab und drückte ihm dabei ein Geldstück in die Hand, aber er sprach keine drei Worte mit ihm. Drüben auf dem Damm hielt der Aufseher wieder, der aus dem Feld zurückgekommen war, und sah nach dem Boot hinab.

Ein kleiner Bursche kam etwas später und brachte einen Armvoll Feuerholz, den er, ohne an Bord zu klettern, von der Uferbank hinunterwarf. Als ihm der Alte etwas dafür geben wollte, war er schon wieder hinter dem Damm verschwunden.

In der Pflanzung läutete nämlich die Negerglocke, die den Sklaven ihren heutigen Feierabend verkündete. Hinter dem niederen Waldstreifen, der die nächsten Felder begrenzte und den Sumpf bezeichnete, sank eben die Sonne. Die Dämmerung ist in Amerika nur kurz, und bald darauf strichen lange Züge von Wildenten schwirrend über die mit einem leichten Nebel bedeckte Stromfläche. Weit draußen auf der breiten, rasch vorübergurgelnden Flut rief der Loon sein monotones Lied, und in den Büschen des benachbarten Orangendickichts flötete der Spottvogel, die amerikanische Nachtigall, ihre leise klagende, liebliche Weise.


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