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Der Sturm, der bei der rasenden Fahrt um Tahosers Antlitz wehte, brachte diese völlig zu Bewußtsein. Eng an die Brust des Pharaos gepreßt, fühlte sie schmerzhaft den Druck seiner goldenen Ketten an ihrer Haut. Sie konnte sich kaum soweit bewegen, um Atem zu schöpfen. Die Rosse stürmten vorwärts, im Dunkel der Nacht Traumgespenstern gleichend.
Das arme Mädchen war nicht imstande, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Ihr war zumute, wie einer Taube, die von den unbarmherzigen Fängen eines Raubvogels gepackt wird. Dumpfe Verzweiflung lähmte ihre Glieder und ihre Muskeln versagten ihr völlig den Dienst. Zweimal vermeinte sie, an ihrer Wange den heißen Hauch eines Mundes und den Druck zweier brennender Lippen zu verspüren. Aber sie hatte nicht einmal genügend Kraft in sich, um den Kopf abzuwenden. Als der Wagen, über unebene Stellen dahinrasend, ins Schwanken geriet, hielt sie sich unwillkürlich an des Pharaos Schultern fest und ihr zarter Körper schmiegte sich an seine breite Brust.
Nun flog eine Sphinxen-Allee an ihren Blicken vorbei und Tahoser sah in der Dämmerung des Morgens den königlichen Palast vor sich auftauchen. Mit einem letzten Aufflackern ihres Willens wollte sie sich nun zur Wehr setzen, aber die starken Arme ihres Entführers raubten ihr jede Bewegung und ein Kuß verschloß ihren Mund, als sie schreien wollte. Schnaubend hielten die Rosse im Hofe still. Voll hoffnungsloser Verzweiflung blickte sich Tahoser um; vor ihr erhob sich der große Palast. Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne vergoldeten bereits die Spitzen und Türme der Obelisken, während der untere Teil der Gebäude von Dämmerung umgeben war. Ihr Anblick wirkte gewaltig und unerbittlich, sie schienen den Zeiten und den Elementen ewigen Trotz bieten zu wollen und selbst wenn Feuer vom Himmel gefallen wäre, hätte es diesen Türmen und Mauern nichts anhaben können. Umsonst rief Tahoser alle himmlischen Götter an, nichts konnte den Pharao aufhalten, als er sie wie ein Kind in das Innere des Palastes trug.
Im Innern des Hauses angelangt, ließ er das Mädchen sanft aus den Armen gleiten und da er ihre Furcht erkannte, sprach er zu ihr: »Ängstige dich nicht, denn du beherrschest mich, den Pharao, der die ganze Welt beherrscht.«
Dies waren die ersten Worte die er zu ihr sprach.
Wenn sich Liebe von der Vernunft beeinflussen lassen würde, hätte Tahoser Pharao sicherlich dem jungen Hebräer vorgezogen, denn auch der König war schön, seine Gestalt und seine Gesichtszüge waren edel und die Gewohnheit des Befehlens und die uneingeschränkte Macht hatten seinen Augen einen Ausdruck verliehen, wie er nur Göttern und Königen eigen ist. Wenn er einmal lächelte, so übte dies einen Zauber aus, dem man sich nicht widersetzen konnte. Wie konnte Poeri neben diesen Mann bestehen, der, wenn er von Weihrauch umhüllt und von Fuß bis zum Kopf mit Gold bedeckt sich vor seinem Volk blicken ließ, tatsächlich überirdischer Abkunft erschien.
Und dennoch liebte Tahoser Poeri; denn alles ist leichter zu enträtseln, als das weibliche Herz. Die Gelehrten können die Geheimnisse der Sterne und die Erschaffung der Welt erforschen, sie wissen, daß im Augenblick der Schöpfung der Mond im Zeichen des Krebses stand und die Sonne in dem des Löwen, daß sich Merkur im Zeichen der Jungfrau, Venus in dem der Wage und Mars im Skorpion befand, aber sie können nicht erklären, warum das Herz den Einen wählt und den Anderen verwirft und wie es möglich war, daß Tahoser den niedrigen Hebräer dem allmächtigen Pharao vorzog.
Der König führte Tahoser durch mehrere Räume, bis sie in ein reich ausgestattetes Gemach gelangten, in dem die Bemalung der Wände und die Verzierungen der Einrichtung die unbeschränkte Macht des ägyptischen Herrschers versinnbildlichten.
Aber Tahoser dachte mit Sehnsucht an das ländliche Haus Poeris zurück und an die ärmliche Hütte, in der Rachel gewiß noch schlafen mochte. – Glückliche Rachel – du wirst nun allein an der Seite Poeris ruhen können!
Der Pharao ließ sich auf einen thronartigen Sessel nieder und blickte Tahoser lange an, während er ihre Hände in den seinen hielt. Ihre Gestalt war nur notdürftig mit dem einfachen Kleid verhüllt, das Rachel ihr geschenkt hatte. Und gerade deshalb erschien sie doppelt begehrenswert. Jeden künstlichen Schmuckes entbehrend kam ihre Schönheit ganz zur Geltung. Viele herrliche Frauen hatte der Pharao schon besessen, doch keine schien ihm so reizend wie Tahoser und seine Augen ruhten mit einem derartigen Blick des Begehrens auf ihr, daß sie erschrocken und schamhaft ihr Tuch an sich zog. In ihrem Innern empfand sie ein Gefühl des Stolzes, daß sie dieses Herz erobert hatte, aber trotzdem konnte sie nur Poeri lieben. Der König flößte ihr Furcht ein, ihre Knie zitterten und sie war nahe daran, umzusinken. Der Pharao, der ihre Bewegung erkannte, ließ sie auf ein Kissen zu seinen Füßen niedersetzen.
Er küßte ihr wohlriechendes Haar und sprach: »Ich liebe Dich, Tahoser! Als bei der siegreichen Rückkehr ich dich das erstemal erblickte, da hat ein mir bisher unbekanntes Gefühl von meinem Herzen Besitz ergriffen. Ich, der ich bis dahin wunschlos gewesen, war plötzlich nur noch von einem Verlangen erfüllt. Außer der Zeit, die ich im Felde zugebracht hatte, habe ich einsam in meinem Palast dahingelebt, umgeben von gefälligen Schatten, die sich Frauen nannten. Wie aus unendlicher Ferne hörte ich Bitten und Anliegen des Volkes, aber sie gelangten nicht bis zu meinem Herzen und nichts rührte mich. Ich dachte, daß nichts Irdisches mich erschüttern und mich aus dem Gleichgewicht bringen könnte. So oft ich auch die schönsten Mädchen und Frauen von meinen Kriegszügen als Beute mitbrachte, stets warf ich sie wie vertrocknete Blumen achtlos beiseite, nachdem ich mich einen Augenblick lang an ihrem Duft berauscht hatte. Keine von ihnen konnte in mir den Wunsch erwecken, sie ein zweitesmal zu besitzen. Waren sie um mich, beachtete ich sie kaum und wenn sie abwesend waren, sind sie meinem Gedächtnis entschwunden gewesen. Wenn ich einige von ihnen um mich behielt, so war dies nur deshalb, damit ich der Mühe enthoben war, mir Neue auszuwählen. Sie alle waren mir nicht mehr wie Phantome, wie Schatten. Meine Seele konnte sich ebensowenig mit der ihren vereinen, wie sich der Leopard mit der Gazelle paaren kann. Die Götter haben mich erwählt, außerhalb des Bereichs der Menschen zu verweilen, und so dachte ich, daß mich weder menschliches Leid, noch menschliche Freude erreichen könnte. Ewige Langweile erfüllte mich, gleich einer Mumie, die darauf harren muß, bis ihre Seele nach all den vorgeschriebenen Wandlungen wieder zu ihr zurückkehrt. Oftmals saß ich stumm und allein auf meinem Thron und dachte an die Geheimnisse des Unendlichen und war versucht, die Schleier der Isis zu lüften, auf die Gefahr hin, diesen Frevel mit meinem Leben bezahlen zu müssen. Ich sagte mir, vielleicht findest du hier die Erfüllung deiner Träume. Vielleicht ist ihr Antlitz das Einzige, das Liebe in dir erwecken kann und da ich auf Erden dieses Glück nicht finden konnte, wollte ich schon nach dem Bereich der Götter greifen, um es zu erlangen. – Aber dann sah ich dich! Du hast mich ein bisher ungekanntes Empfinden gelehrt, mit einem Male wußte ich, daß es außerhalb meines eigenen Ichs ein Wesen gibt, das mir notwendig ist, das ich nicht entbehren kann und will und das imstande ist, mich glücklich und unglücklich zu machen. Ich war ein König, mehr noch, beinahe ein Gott, und du Tahoser hast mich zum sterblichen Menschen gemacht.«
So sprach Pharao. Ein einziges Wort, ein Blick oder eine Bewegung hatten stets genügt, um seinen Willen zu verkünden und nun hatte er um Tahosers Willen sein göttliches Wesen abgelegt und sprach zu ihr wie Sterbliche es zu tun pflegen.
Tahoser war bis in ihr Innerstes bewegt, denn sie wußte wohl zu beurteilen, was der Pharao ihretwegen tat. Aber trotzdem keimte kein Gefühl der Zuneigung in ihrem Herzen und noch immer drückten sie Furcht und Schrecken nieder. Ihre Seele war bei Poeri.
Der Pharao wartete auf ihre Entgegnung und so nahm sie sich zusammen und sprach: »Wie kommt es, oh Herr, daß unter all den Töchtern des Landes, die schön, jung und vornehm sind, dein Blick auf mich gefallen ist? Warum hast du nicht eine unter den schönen und vollerblühten Lotosblumen gewählt, sondern nach mir gegriffen, dem unansehnlichen Halm?«
»Dafür kann ich dir keine Erklärung geben, für mich bist du die Eine und Einzige und Königstöchter werden dir als Sklavinnen dienen.«
»Wenn ich dich aber nicht liebte?« wagte Tahoser zu fragen.
»Was kann das bedeuten, wenn ich dich liebe. Die schönsten Frauen sind an meiner Schwelle gelegen, vergebens um Liebe bettelnd. Aber du kannst mich abweisen und du wirst mir im Zorne noch schöner erscheinen, zum erstenmal werde ich einen ebenbürtigen Gegner finden – und ich werde Sieger bleiben!«
»Und wenn ich einen Anderen liebte«, warf das Mädchen ein;
Die Brauen des Pharao zogen sich finster zusammen, er biß sich in die Lippen, daß das Blut hervordrang und sein eiserner Griff zerdrückte beinahe die zarten Hände Tahosers; aber er beherrschte sich und sprach, langsam jedes Wort betonend:
»Wenn du erst einige Zeit hier zugebracht haben wirst, umgeben von Pracht und Glanz, umschwebt von meiner Liebe, wirst du alles übrige vergessen, dein früheres Leben wird dir nur noch als ein Traum erscheinen, deine bisherigen Gefühle werden sich verflüchtigen und in nichts aufgehen, gleich dem Weihrauch auf glühenden Kohlen. Als Geliebte eines Königs wirst du alle anderen Männer vergessen. Komm, teile mit mir Glanz und Herrlichkeit, lasse das Gold in Strömen dahinfließen, befiehl und dein Wort soll mir und meinem Reich Gebot sein, sei mir Geliebte, Weib und Königin! Ich lege Ägypten mit seinen Heeren und Priestern, mit seinen Arbeitern und seiner ganzen Bevölkerung, seinen Palästen, Villen und Tempeln dir zu Füßen. Vernichte alles und du erhältst von mir ein neues Reich, ein anderes, ein größeres, mächtigeres und schöneres. Und wenn die Erde nicht mehr genügt, will ich Planeten erobern und für dich Götter entthronen, denn du bist mein Weib, das Weib, das ich liebe!«