Theophile Gautier
Der Roman der Mumie
Theophile Gautier

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II.

Der offene Sarg stand nun inmitten der Kabine. Noch nie hatte das alte Ägypten eines seiner Kinder so sorgfältig für die Ewigkeit vorbereitet. Obwohl es schwierig war, die Formen der Mumie zu unterscheiden, da aus der Umhüllung nur die Schultern und der Kopf hervorsahen, ahnte man doch einen jungen, geschmeidigen Körper. Das vergoldete Antlitz mit seinen langgeschlitzten Augen, die kleine Nase mit den feinen Nüstern, die Rundung der Wangen, die blühenden Lippen mit dem sphynxartigen Lächeln, das runde, weiche, etwas zu kurze Kinn, boten das reinste Bild des ägyptischen Schönheitsideales. Feine Zöpfchen fielen reichlich zu beiden Seiten des Antlitzes herab. Eine Lotosblume schlang sich am Genick empor und öffnete ihren blauen Kelch gerade über dem goldenen Scheitel der Toten. Ein Brustlatz aus feinster Gold- und Emailarbeit umschloß den Hals, zog sich tiefer hinab und umrahmte zwei schöne, jungfräuliche Brüste, die wie goldene Schalen erglänzten. Ein schmales Band, das vom Gürtel zu den Füßen hinablief, war mit Hieroglyphen bedeckt. Alle Zieraten und Malereien zeigten durch ihre Farbenpracht, durch die Schönheit der Linienführung und durch die edle Zusammenstellung dem Kenner, daß sie aus der Blütezeit altägyptischer Kunst stammten.

Nachdem der Lord und sein Begleiter die erste Decke genug bewundert hatten, hoben sie die Mumie samt der Umhüllung aus der Truhe und stellten sie an der Kabinenwand auf.

Es war ein wunderbarer Anblick, diesen phantastischen Körper mit dem goldenen Antlitz da aufrechtstehend zu sehen. Die Seele der Verstorbenen, die ein Anrecht auf Ruhe besaß, die zu sichern man sich so viel Mühe genommen hatte, mußte wohl in dem Augenblick auf der Wanderung durch alle ihre Metamorphosen im Jenseits erbeben.

Rumpius, bewaffnet mit einer Schere und einem Stichel, ging daran, die Hülle zu entfernen. Dies war bald vollbracht. Der Leinenpanzer teilte sich, fiel von beiden Seiten ab und die Mumie zeigte sich im Glanze ihrer Totentoilette, die mit solcher Koketterie gemacht worden war, als hätte es gegolten, die Geister der Unterwelt zu bezaubern.

Ein feiner, aromatischer Geruch von Zedernsaft, Myrrhen und Sandelholz verbreitete sich in der Kabine. Der Körper war nicht, wie es sonst üblich gewesen, mit schwarzem Harz präpariert worden; die Einbalsamierer von Memnonia hatten ihre ganze Kunst aufgeboten um diesen kostbaren Leichnam zu bewahren. Das Haupt war von feinen Leinenstreifen umhüllt, die der Balsam, in den sie getaucht waren, bräunlich gefärbt hatte. Von der Brust hinab hing ein feines Gewebe aus kleinen, blauen Glasperlen, die mit Goldkörnchen durchflochten waren, ähnlich den Perlenstickereien der Spanier. Der obere Rand dieses Perlengewebes war mit den Figuren verschiedener Götter bestickt, nach unten lief das Gewand in herrliche Goldfransen aus.

Unter dem Haupte der Mumie lag ein Spiegel aus poliertem Metall, als hätte man der Seele der Verstorbenen die Möglichkeit geben wollen, die eigene Schönheit in der langen Nacht des Grabes zu betrachten. Zur Seite des Grabes lag eine kleine Schale mit Schmuck und ein viereckiges Waschbecken aus Sandelholz.

»Wie rührend,« rief Doktor Rumpius begeistert, »einer jungen Frau ihren ganzen Toilettenapparat ins Grab mitzugeben. Im Vergleiche zu Ägyptern sind wir wirklich Barbaren. Durch das Leben verroht, fehlt uns die ideale Auffassung des Todes. Wieviel Liebe, wieviel Tränen, wieviel Sorgfalt liegt in diesen kleinen Nebendingen. Wieviel Mühe wurde aufgewendet, um diesen geliebten Leichnam bis zum Tage seiner Wiedervereinigung mit der Seele zu erhalten.«

»Vielleicht,« setzte Lord Evendale fort, »vielleicht ist unsere Zivilisation, die wir so hoch schätzen, nichts anderes als eine tiefe Dekadenz, der nicht einmal die Erinnerung an die geschwundene Kultur geblieben ist. Wir bilden uns in geistloser Weise ungeheuer viel auf einige mechanische Erfindungen ein und vergessen ganz die monumentalen Errungenschaften, die unerreichbar gigantischen Werke der alten Pharaonen. Alle unsere mechanischen Kräfte sind lange nicht so stark wie jene, die Pyramiden erbauten, Grüfte aus den Felsen aushoben und Sphinxe und Obelisken aus dem Gestein schnitten.«

»Oh,« lächelte Rumpius, »die Ägypter waren fabelhafte Architekten, große Künstler, tiefe Denker. Die Priester von Memphis und Theben hätten es mit allen Weisen Deutschlands aufnehmen können. – Wir wollen nun daran gehen, ihre Aufschreibungen zu entziffern und ihnen ihr Geheimnis zu entreißen. Der große Champollion hat ein Alphabet zusammengestellt, um diese Schrift hier rasch zu entziffern. Zuerst aber werden wir diese dreitausendjährige Schönheit mit all der uns zu Gebote stehenden Zartheit fertig entkleiden.«

»Arme Frau,« murmelte der Lord, »fremde Augen werden nun deine geheimnisvollen Reize entweihen, die einstens vielleicht nicht einmal die Liebe enthüllt hat. Trotz unserer Gelehrsamkeit sind wir doch ebensolche Barbaren wie die Perser des Kambyses und wenn ich nicht fürchten müßte, diesen biederen Doktor dem Wahnsinn aus Verzweiflung in die Arme zu treiben, würde ich dich in deinen dreifachen Sarg zurücklegen, ohne dich gesehen zu haben.«

Rumpius hob die Mumie aus ihren zerschnittenen Hüllen heraus; sie wog nicht schwerer als ein kleines Kind. Er begann, sie mit der Umsicht und Zartheit einer jungen Mutter, die ihren Säugling umbettet, gänzlich auszuschälen.

Erst kam ein zusammengenähter Überzug aus Leinwand, die mit Palmensaft durchtränkt war, und breite streifenartige Bänder, die den Körper umschlossen. Dann waren die einzelnen Glieder mit schmalen Bandagen umhüllt.

Je weiter der Doktor in seiner Arbeit fortschritt, desto reiner zeigten sich die Formen der Mumie, so wie die Konturen einer Statue langsam aus einem Marmorblock hervortreten. Nach der zweiten Bandagenschicht kam noch eine dritte, fest angespannt und so zart im Gewebe wie ein Schleier. Sie umschloß genau jedes kleinste Glied, Finger und Zehen. Der Balsam, mit dem der Stoff getränkt war, hatte diesen so starr gemacht, daß er unter den Händen des Doktors knisterte und raschelte wie Papier.

Diese Umkleidung blieb noch zu beseitigen, aber trotzdem der Doktor an einen solchen Anblick gewöhnt war, hielt er doch einen Augenblick inne – sei es aus Ehrfurcht vor der Keuschheit der Toten oder aus jenem Gefühl heraus, das uns hindert, einen fremden Brief zu erbrechen, eine verbotene Türe zu öffnen oder einen Schleier zu lüften, der ein Geheimnis verdeckt.

Endlich fiel auch das letzte Band und nun sah man den jungen Frauenkörper in seiner nackten Schönheit. Die vollendeten Formen hatten, den Jahrtausenden zum Trotz, ihre Rundung und Weichheit und alle Feinheit der Linien bewahrt. Die Gestalt hatte entgegen den ägyptischen Gebräuchen die Haltung der Venus von Medici, als ob die Einbalsamierer diesen reizenden Körper vor der traurigen, starren Totenstellung hätten bewahren wollen.

Evendale und Rumpius stießen beim Anblick solcher Vollkommenheit gleichzeitig einen Ruf des Entzückens aus.

Niemals hatte griechische oder römische Bildhauerkunst reinere Linienführung geboten. Die charakteristischen Merkmale des ägyptischen Schönheitstypus gaben diesem wunderbaren Körper eine Grazie und Anmut, die den antiken Statuen fehlt. Die Feinheit der langfingrigen Hände, die Zartheit der schmalen Füßchen, die Nägel, die wie Halbedelsteine glänzten, die Linien des Oberkörpers, die Form der Brüste, die wie Mandelblüten unter goldenen Blättern schimmerten, die schmalen Hüften, die Rundung der Schenkel, die langgestreckten, feingefesselten Beine erinnerten an die Tänzerinnen auf den Fresken der Bilder zu Theben. Diese kindlichen Formen, verbunden mit weiblicher Reife finden sich manchmal in so vollkommener Weise in der Malerei und Plastik der Ägypter.

Die auf gewöhnliche Weise mit Natron und Harz präparierten Mumien bleiben zwar unversehrt erhalten, sehen aber schwarz wie Ebenholz aus und jeder Schimmer des Lebens geht verloren. Die Leichen zerfallen nicht zu Staub, aber ihr Anblick ist höchst unerquicklich. Hier war der Körper mit größter Sorgfalt und in langwieriger Arbeit so präpariert worden, daß er alle Weichheit der Glieder, ja sogar die Zartheit der Haut und ihre Färbung beibehalten hatte – ein sehr helles Braun, das an neue Florentiner Bronzen erinnerte. Dieser warme Bernsteinton, den man auf den Meisterwerken eines Tizian oder Giorgione bewundern kann, war sicherlich die natürliche Hautfarbe der jungen Ägypterin gewesen.

Das Antlitz schien das einer Schlafenden. Die langbewimperten Lider ließen die noch glänzenden Augensterne durchschimmern. Man hätte glauben können, daß die hier Liegende eben erwache. Die schmale, kleine Nase hatte ihre Form behalten, die Wangen zeigten eine natürliche Rundung, der leicht gerötete Mund schien zu atmen und die sinnlichen Lippen waren von einem sanften, süßen, ein wenig traurigen Lächeln umspielt.

Um die schmale, niedrige Stirne legten sich glänzend schwarze, in der Mitte gescheitelte Haare, die, in kleine Zöpfchen geflochten, auf die Schultern herabfielen. Zwanzig goldene Nadeln waren wie zu einem Ballfest in die Flechten gesteckt worden und glichen Sternen, die über dieser schwarzen Flut schwebten. Zwei strahlende Ohrgehänge von runder Form hoben sich von dem braunen Ton der Wangen ab. Ein Halsband aus drei Reihen Götterbildern zusammengestellt, lag um den Hals der Mumie und tiefer unten fielen gegen die Brust noch zwei Reihen auf das Feinste aus Perlen, Goldrosetten, Lapislazuli und Karneolen gearbeitete Gehänge herab.

Ein ähnlicher Gürtel umschloß die Hüften.

Ein Armband aus Gold und Karneolen schlang sich um das linke Handgelenk und am Zeigefinger derselben Hand saß ein Skarabäus aus Gold und Email auf einem Ring, der durch feingegliederte Goldkettchen mit dem Armband verbunden war.

Welch eigenartiges Gefühl, einem Wesen gegenüberzustehen, welches vor Jahrtausenden gelebt hatte, in einer Zeit, von der uns kaum mehr als die Umrisse bekannt sind – eine Zeitgenossin Moses vor sich zu sehen, deren Körper noch das Aussehen der Jugend bewahrt hatte! Diese kleine, weiche, wohlriechende Hand zu berühren, die vielleicht ein Pharao geküßt hatte, diese schmiegsamen Haare zu streicheln, die Reiche überdauert hatten, standhafter als Monumente aus Granit!

Beim Anblick der schönen Toten empfand der junge Lord den Wunsch, in die Vergangenheit zurückzufliehen, wie dies manchmal ein Bild oder eine Statue vergangener Zeiten in uns erweckt; er dachte daran, wie süß es wäre, diese Frau gekannt und geliebt zu haben – diese Schönheit, die der Zeit Trotz geboten hatte – und seine zitternde Sehnsucht begegnete vielleicht der irrenden Seele, welche die entweihte Hülle umschwebte.

Prosaischer veranlagt als der junge Lord, schritt der Doktor zur Inventarisierung des Geschmeides, ohne es jedoch abzunehmen, da Evendale dies nicht wünschte. Plötzlich zog eine Papyrusrolle, die unter dem Arm der Mumie lag, die Aufmerksamkeit des Forschers an sich.

»Aha,« rief er, »das ist sicher eine Abschrift des Totenritus!«

Und er entfaltete die dünne Rolle. Schon nach dem Lesen der ersten Zeilen schien er höchst erstaunt. Er fand hier nicht die gewöhnlichen Zeichen und Formeln. Vergebens suchte er nach der Abbildung des Totenzuges oder nach der Litanei mit den hundert Namen des Osiris, nach dem Reiseausweis für die Seele oder dem Gebet an die Götter der Unterwelt. Zeichen ganz anderer Art, von lebendigem Sein sprechend, aber keine Totenbilder enthielt die Rolle. Abschnitte trugen rote Überschriften, wie um die Aufmerksamkeit des Lesers zu fesseln. Ganz vorne schien eine Kopfzeile den Inhalt des Ganzen anzuzeigen und den Namen desjenigen, der das Schriftstück angefertigt.

»Mylord,« rief Rumpius, »wir haben ganz sicher den armen Griechen benachteiligt. Dies ist der erste Fall, daß ein ägyptischer Papyrus etwas anderes enthält als ein Totenritual. Oh, ich werde ihn entziffern, selbst wenn ich dabei mein Augenlicht verlieren müßte! Ja, ich werde dieses ägyptische Geheimnis entschleiern und dein Rätsel lösen, schöne Mumie! Dieser an deinem Herzen verborgen gelegene Papyrus wird es mir verraten! Und ich werde dadurch so berühmt werden, daß der Ruhm eines Champollion oder Lepsius dagegen verblassen wird. – – – –

Der Doktor und der Lord kehrten nach Europa zurück. Die Mumie ruht mit all ihren Hüllen wieder in ihrem Marmorsarkophag, den Lord Evendale von Biban-el-Molouk nach Lincolnshire hatte bringen lassen, um ihn dort in seinem Parke aufstellen zu lassen. Dem britischen Museum hat er die Mumie nicht geschenkt. Oft lehnt er seufzend in tiefem Sinnen an dem Marmor. – – – –

 

Nach dreijähriger anstrengender Arbeit war es Dr. Rumpius gelungen, die Rolle zu entziffern, mit Ausnahme einiger weniger, noch unerforschter Zeichen.


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