Theophile Gautier
Der Roman der Mumie
Theophile Gautier

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XIV.

Der Greis zog sich zurück.

Tahoser regte sich auf ihrem Lager, schlug die Augen auf und blickte um sich. Sie zog das gestreifte Tuch enger um sich und richtete sich empor. Fieber und Müdigkeit waren von ihr gewichen. Sie fühlte sich erquickt und erfrischt wie nach langem Schlummer. Mit beiden Händen strich sie die Haare aus der Stirn und wendete ihr liebeerglühendes Antlitz Poeri zu. Doch da dieser unbeweglich neben Rachel stehen blieb, verließ Tahoser das Lager, trat auf die Jüdin zu und umschlang sie leidenschaftlich. Sie brach in Tränen aus und so, schluchzend und das Haupt an der Rivalin Schulter gelehnt, blieb sie lange.

Rachel war gerührt von dieser stummen Bitte. Sie erwiderte herzlich die Umarmung und sprach: »Trockne deine Tränen, laß deine Verzweiflung enden. Du liebst Poeri. Nun gut. So sollst du ihn denn glücklich lieben. Ich werde niemals auf dich eifersüchtig sein. Jakob, einer unserer Patriarchen hatte zwei Frauen, Rachel hieß die eine, so wie ich, und Lia die andere. Jakob hat Rachel vorgezogen, aber dennoch konnte Lia zufrieden und glücklich an seiner Seite leben.«

Tahoser kniete vor Rachel nieder, umfaßte ihre Hand, um diese zu küssen, doch das Mädchen zog sie sanft zu sich empor.

Es hätte keinen wohltuenderen Anblick geben können, als diese beiden Schönheiten von solch verschiedener Art. Tahoser schmal, schlank und zart, von beinahe kindlichem Aussehen, Rachel imposant und stark, ein Weib in voller Blüte.

»Du bist Tahoser, die Tochter Petamounophs?« fragte Poeri.

Die Ägypterin nickte.

»Wie ist es möglich, daß du unter all deinen Bewerbern und unter all deinen Reichtümern gerade an mich gedacht hast, an mich, der ich der Sohn eines geknechteten Stammes und um so vieles geringer bin wie du?«

Rachel und Tahoser blickten sich lächelnd an und letztere sprach: »Gerade deshalb liebe ich dich!«

»Ich stehe zwar beim Pharao in Gunst, ich bin Verwalter seiner Güter und sein goldenes Abzeichen schmückt meine Kopfbedeckung, aber dennoch bin ich nicht viel mehr als ein Sklave, während du der priesterlichen Kaste angehörst, einer der vornehmsten im Reiche. Wenn du mich liebst, mußt du zu mir hinabsteigen.«

»Bin ich nicht schon deine Dienerin geworden? Hat Hora nicht schon längst Tahoser vergessen, samt deren Geschmeide, Reichtum und den reichen Gewändern? Das war ja auch die Ursache, warum ich dir nicht gefallen habe.«

»Du mußt auch deiner Heimat entsagen und mir durch die Wüste folgen, durch Sand und glühende Stürme, durch Not und Entbehrungen.«

»Auch das werde ich tun«, sprach Tahoser feierlich.

»Aber das ist noch nicht alles,« setzte Poeri fort, »denn deine Götter sind nicht die meinen. Sie sind aus Basalt und Erz und Granit von Menschenhänden geformt und mit greulichen Tierköpfen versehen. Es steht geschrieben: Du sollst weder Stein noch Holz noch Metall anbeten, es gibt nur einen einzigen Gott, der unbegrenzt, ewig und ungreifbar das Weltall erfüllt. Er ist der Eine und Einzige, der uns erschaffen hat.«

So groß auch die Liebe Tahosers war, so erweckten diese Worte trotzdem Zwiespalt in ihrem Innern. Denn sie war die Tochter des Hohen Priesters, die Anbetung ihrer Götter war ihr von Kindheit an das Selbstverständliche und Heilige gewesen und Poeris Worte klangen ihr wie ein Frevel.

Sie blieb einen Augenblick stumm, während in ihrer Brust Glaube und Liebe miteinander stritten. Aber schließlich sagte sie:

»Du wirst mich lehren, deinen Gott zu erkennen und ich werde bemüht sein, ihn ganz zu verstehen.«

»Nun wohl,« sprach Poeri, »so sollst du mein Weib werden. Doch zunächst mußt du hier verweilen, denn der Pharao, der dich sicherlich liebt, läßt dich überall suchen. Hier werden seine Häscher dich nicht finden und in wenigen Tagen sind wir außerhalb des Bereiches seiner Macht. Nun lebt wohl, ich muß fort.«

Er ging. Als es Nacht wurde, legten sich die beiden jungen Mädchen, einträchtig wie Schwestern, auf dasselbe Lager zur Ruhe.

Thamar, die alle Gespräche des Tags über belauert und aufmerksam verfolgt hatte, erhob sich um Mitternacht vorsichtig von ihrem Lager. Sie überzeugte sich davon, daß die beiden Mädchen ruhig schliefen. Dann schlich sie leise aus der Hütte.

Im Freien angelangt, begann sie, den Fluß entlang zu laufen, ohne sich um die Hunde zu scheren, die sich ihr in den Weg stellten und nach ihr schnappten. Bald hatte sie das verrufene Viertel hinter sich gelassen und näherte sich dem Palaste des Pharao.

Aber es war kein leichtes Beginnen für eine ärmliche alte Jüdin, zu so vorgerückter Stunde in das königliche Haus zu dringen. Am Haupteingang wurde sie unsanft von den Schildwachen aufgehalten und zurückgestoßen.

»Ich muß den Pharao sprechen«, wiederholte sie immer wieder, begleitet von dem lauten Gelächter der Soldaten und als sie sich zwischen ihnen hindurchdrängen wollte, sausten die Schäfte der Spieße auf ihren Rücken nieder. Sie schrie wie besessen. Dadurch herbeigelockt, tauchte ein Offizier bei der Gruppe auf.

Thamar warf sich zu seinen Füßen nieder. »Ich will zum Pharao«, schrie sie und rang die Hände.

»Unmöglich, Alte!« erwiderte der Offizier.

Thamar richtete sich auf und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich bringe Kunde von Tahoser.«

Sofort ergriff sie der Offizier bei der Hand und führte sie an den staunenden Wachen und Soldaten vorbei in das Innere des Palastes, wo er sie Tymopht übergab.

Dieser brachte sie zur Terrasse, auf welcher der Pharao noch immer ruhte. Thamar warf sich flach zur Erde nieder und sprach: »O Pharao, töte mich nicht! Ich bringe dir gute Kunde.«

»Sprich ohne Furcht«, antwortete der Gebieter.

»Ich weiß, wo Tahoser zu finden ist.«

Beim Klang dieses Namens sprang der König von seinem Sitze auf und schritt auf die Alte zu.

»Wenn du die Wahrheit sprichst, kannst du dir so viel Gold aus meiner Schatzkammer nehmen, als Du zu tragen vermagst.«

»Ich will dir das Mädchen ausliefern, das schwöre ich dir«, antwortete die Alte mit boshaftem Grinsen. Dabei dachte sie daran, daß nun Rachel der Rivalin ledig sein würde. Denn einmal im Palaste des Pharao, würde Tahoser sicherlich nicht mehr daraus entkommen können.

»Wo ist sie? Ich will es augenblicklich wissen!« sprach der Pharao.

Die Alte erhob sich. »Ich werde dich hingeleiten, denn ich allein kenne den Ort, an dem sie verborgen ist.«

»Ich will Dir Vertrauen schenken. Tymopht, laß einen Wagen bespannen.«

Der Diener entfernte sich und schon wurde ein leichtes Fahrzeug in den Hof geführt. Der König schritt hinab, schwang sich auf das Gefährt, ergriff die Zügel der Rosse und befahl Thamar, zu ihm zu steigen. Dann stoben die Pferde in sausendem Galopp davon.

Wie die beiden so dahinfuhren, glich der Pharao in seiner gewaltigen Größe einem furchterregenden Gott, während die zusammengekauerte, schmutzige Alte neben ihm ein böser Dämon schien.

Tahoser und Rachel schliefen sorglos auf ihrem Lager. Die Ägypterin hatte einen sonderbaren Traum.

Sie sah sich in einem großen Tempel mit bunten Säulen und sternenbesäter Decke. Die Wände waren ringsum mit Hieroglyphen bedeckt; alle Götter Ägyptens waren in diesem Raum versammelt, doch hatten sie die Gestalt und das Wesen von Menschen angenommen. In der ersten Reihe saßen die obersten der himmlischen Götter, hinter ihnen folgten die zwölf Gottheiten niedrigeren Grades, schließlich die vielen Tagesgötter und die irdischen Genien. Im Schatten der Wände standen die tierischen Götzenbilder.

In der Mitte der Halle lag in einem offenen Sarg der Hohepriester Petamounoph und blickte nachdenklich in der Versammlung umher. Dann sprach er zu seiner Tochter: »Frage sie, ob sie die wahren Götter sind.«

Folgsam schritt Tahoser von einem zum anderen, immer wieder dieselbe Frage wiederholend und sie erhielt stets die Antwort:

»Wir sind nur die Versinnbildlichung von Kräften und Eigenschaften Gottes, aber keiner von uns ist der wahre Gott.«

Poeri erschien an der Schwelle des Tempels, reichte ihr die Hand und leitete sie einem strahlenden Licht entgegen, in dessen Mittelpunkt ein Dreieck rätselhafte Worte umschloß.

Inzwischen eilten die Pferde durch die Nacht.

»Laß die Rosse langsamer ausgreifen, o Herr,« sagte Thamar zum König, »denn es ist hier still und einsam und der weithin schallende Lärm könnte dich verraten.« Der Pharao, der die Wahrheit ihrer Worte erkannte, befolgte ihren Rat und zügelte seine Ungeduld.

»Nun sind wir am Ziel«, flüsterte die Alte. »Die Türe ist bloß angelehnt, tritt ein, ich werde deine Pferde bewachen.«

Der König stieg ab, öffnete die Türe und schritt in die Hütte.

Noch schwelte die Lampe und beleuchtete die Gestalten der beiden Mädchen.

Der Pharao ergriff mit starken Armen Tahoser, hob sie empor und verließ mit ihr die Hütte. Das Mädchen erwachte und als sie des Pharaos Antlitz dem ihren entgegenflammen sah, dachte sie zuerst, auch dies wäre ein Traum. Aber der nächtliche Windhauch schlug ihr ins Antlitz und brachte sie in die Wirklichkeit zurück.

Tödlicher Schrecken erfüllte sie, sie wollte schreien, um Hilfe rufen, doch kein Ton entrang sich ihrer Kehle – und wer wäre auch imstande gewesen, sie vor dem Pharao zu schützen.

Mit einem Satz war der König am Wagen, er schlang die Zügel um seine Hüften und die ohnmächtige Tahoser fest an sein Herz pressend, flog er dem Nordpalast zu.

Schlangengleich schlich sich Thamar wieder in die Hütte zurück und ließ sich dort nieder. Ihre Blicke weilten auf der noch immer schlafenden Rachel mit dem Ausdruck einer liebevollen sorgsamen Mutter.



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