Theophile Gautier
Der Roman der Mumie
Theophile Gautier

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IX.

Als es tagte und Nofre, die in der Nähe Tahosers zu schlafen pflegte, sich vom Lager erhob, wunderte sie sich, keinen Ruf ihrer Herrin zu hören. Sie spähte vorsichtig durch den Vorhang auf das Bett. Dieses war leer. Die ersten Strahlen der Sonne erglänzten eben erst auf den vergoldeten Kapitälen der Häuser und Tahoser pflegte sonst nicht allzufrüh aufzustehen. Auch erhob sie sich sonst niemals vom Lager, ohne die Dienste ihrer Frauen in Anspruch zu nehmen.

Beunruhigt warf Nofre ein leichtes Gewand um, schlüpfte in die Sandalen und begann ihre Herrin zu suchen.

Vielleicht hatte der Schlummer Tahoser geflohen und sie hatte in den Wandelgängen Luft und Kühlung gesucht. Aber nur die Wasservögel begrüßten die Suchende mit ihrem Gekreisch. Sie weckte das ganze Haus und Diener durchstreiften den Garten nach allen Richtungen. Auch die Gemächer, die Terrassen, das Dach, jeder Winkel wurde gründlich durchstöbert. In ihrer Verzweiflung blickte Nofre in alle Truhen, als ob Tahoser sich dort hätte verbergen können.

Aber diese war nirgends zu finden.

Endlich kam ein alter kluger Diener auf den Einfall, den Kies nach Spuren abzusuchen. Nofre hatte zwar bei ihrem Kreuz- und Querlaufen zahlreiche Spuren hinterlassen, doch bei eingehender Prüfung fand der Alte einen leichten, viel kleineren Abdruck, als den der treuen Dienerin. Er folgte der Spur, die vom Turm bis zum Wassertor führte. Hier fand er die Riegel zurückgeschoben und die Tür unverschlossen. Demnach konnte Petamounophs Tochter nur hier durchgeschlüpft sein.

Aber auf dem Steindamm verlor sich die Spur und die Schiffsknechte, die unten am Ufer umherliefen, behaupteten, sie hätten nichts gesehen. Ein einziger berichtete, eine den ärmeren Ständen angehörende Frau hätte sich bei Morgengrauen über den Fluß bringen lassen. Durch diese Aussage verwirrt, hatten die Suchenden auch die letzte Spur Tahosers verloren. Entmutigt und voll Trauer kehrten sie in das Haus zurück.

Nofre gebärdete sich wie verzweifelt. Sie jammerte:

»O geliebte Herrin, wüßte ich nur, wo Du weilst! Welches schreckliche Schicksal hat Dich aus Deinem Hause geführt. Vielleicht hat ein Magier Dich durch seine Zauberkünste angelockt und zerstört nun grausam Deinen schönen Körper und Deine Seele wird am Tage der Gerechtigkeit nur einen zerstückelten Körper vorfinden. Du wirst nicht neben Deinem Vater ruhen können und Dein Name wird von keinem Kolchiten in das Totenverzeichnis eingetragen werden!«

Der alte Diener sprach zu Nofre:

»Beruhige Dich! Noch ist kein Grund zum Verzweifeln. Tahoser kann wiederkehren. Vielleicht ist sie nur zu ihrem Vergnügen ein wenig von uns gegangen und kommt bald zurück, lächelnd und glücklich.«

Der Alte hockte nieder und vergrub nachdenkend seinen Schädel zwischen den hageren Armen, endlich sprach er: »Sicherlich ist die Tochter Petamounophs verliebt!«

»Wer verriet Dir dies,« erwiderte Nofre, die es nicht vertragen konnte, wenn andere klüger waren als sie.

»Niemand,« sprach der Alte weiter, »doch Tahoser ist sehr schön! Sechzehnmal hat sie den Nil steigen und fallen gesehen. Mit sechzehn Jahren erfüllt sich das Schicksal der Frauen. Und bedenke, sie hat in der letzten Zeit oftmals und zu ganz verschiedenen Stunden ihre Musikantinnen zu sich kommen lassen, wie jemand, der durch Musik den Aufruhr in seinem Innern übertönen will.«

»Du sprichst wahr,« entgegnete Nofre, »Weisheit scheint in Deinem Kopf zu wohnen, doch wer lehrte Dich, der Du den ganzen Tag die Felder umgräbst oder Wasser in Tonvasen herbeibringst, die Frauen kennen?«

Mit vielsagendem Lächeln zwei Reihen glänzender Zähne zeigend, erwiderte der Alte: »Nicht immer bin ich alt und nicht immer bin ich Sklave gewesen.« Und er entfernte sich.

Nofre dachte über das eben Gehörte nach, Ahmosis fiel ihr ein und neue Hoffnung erwachte in ihrem Innern. Da sie selbst ihn liebte, war sie überzeugt, daß auch ihre Herrin ihn lieben mußte. Sie wechselte rasch ihre Kleider und eilte zu dem Haus des Offiziers. Dort würde sie sicherlich Tahoser finden.

Ahmosis befand sich in seinem Zimmer, an dessen Wänden Trophäen verschiedenster Art, erbeutete Waffen und Schmuckstücke hingen. Als er Nofre, die er sofort erkannte, eintreten sah, röteten sich die braunen Wangen des Jünglings und sein Herz schlug rascher, denn er glaubte, nun endlich eine Botschaft von Tahoser zu erhalten, trotzdem sie ihn bisher niemals beachtet hatte.

Er eilte der Dienerin entgegen, die, aufgeregt in alle Winkeln spähte, da sie hoffte, Tahoser hier zu erblicken.

»Was führt Dich hieher, Nofre?« fragte Ahmosis, nachdem er einige Zeit vergebens auf ein erklärendes Wort des Mädchens gewartet hatte. »Ich hoffe, daß es Deiner Herrin gut geht, da ich sie doch noch vor kurzem beim Einzug des Pharao sehen konnte.«

»Wie es meiner Herrin geht, mußt Du doch am besten wissen,« erwiderte Nofre. »Sie ist aus ihrem Heime verschwunden, ohne irgend welche Nachricht zu hinterlassen und ich hätte bei Hathor geschworen, daß ich sie bei Dir finden würde.«

»Verschwunden«, rief Ahmosis mit ungekünstelter Überraschung.

»Ich glaubte, daß sie Dich liebte,« erklärte Nofre, »und da junge Mädchen oftmals unberechenbar sind, dachte ich, sie bei Dir anzutreffen.«

»Phre, der Allwissende, weiß allein, wo sie jetzt ist. Hieher hat sie jedenfalls keiner seiner Strahlen geleitet; doch wenn Du willst, durchsuche das Haus.«

»Ich glaube Dir wohl, Ahmosis. Denn wenn sie bei Dir wäre, würdest Du mir dies nicht verschweigen, mir, die ich so gerne eurer Liebe gedient hätte.«

Voll Verzweiflung kehrte Nofre nach Hause zurück. – – –

Auch die Gedanken des Pharao waren bei Tahoser. Träumend saß er in der Halle seines Palastes. Kein Blick fiel auf die Frauen, die blumengeschmückt im klaren Wasser des Beckens spielten und lachend umhertollten, um die Aufmerksamkeit ihres Gebieters zu erregen. Ja, er hatte nicht einmal wie sonst daran gedacht, die Favoritin der Woche zu erwählen.

Die vielen schönen Frauenkörper erglänzten wie Jaspis im Wasser und als die Badenden, des Spielens müde, sich am Rande des Bassins niederließen, perlten die Wassertropfen über ihre samtweiche Haut. Aber weder dieser Anblick, noch die Grimassen des mißgestalteten Zwerges, der zu seinen Füßen saß, oder die Verrenkungen seines Lieblingsaffen, der auf der Stuhllehne eifrig Datteln verzehrte, konnte die Aufmerksamkeit des Herrschers auf sich lenken.

Er erhob sich mißgelaunt und durchschritt die hohen Gemächer des Palastes, vorbei an den riesigen Schatzkammern mit kostbarer Kriegsbeute. Barren von Edelmetallen befanden sich dort, Gold- und Silberkronen, Hals- und Armbänder und Ohrringe, Berge von Stoffen, die so fein waren, daß man sie durch einen Ring hätte ziehen können, Straußfedern in allen Farben, Riesenzähne von Elefanten, Statuetten von Alabasterarbeit und viele andere Kostbarkeiten.

Der Pharao ließ zwei Tragbahren mit den kostbarsten von all diesen Dingen vollfüllen, dann sprach er zu Timopht, dem Diener, der ihm Tahosers Namen verraten hatte:

»Bringe dies zu Tahoser, Petamounophs Tochter, und sage ihr, der Pharao sende ihr seinen Gruß.«

Timopht wählte eine Schar Sklaven aus und ließ die Tragbahren auf ein königliches Schiff bringen, das bald vor dem Hause Tahosers landete.

Als Nofre die Schätze erblickte und hörte, woher sie kämen, war sie einer Ohnmacht nahe. Halb vor Verwunderung und halb vor Schrecken, denn sie fürchtete den Zorn des Pharao, wenn dieser von dem Verschwinden des Mädchens erfahren würde.

»Tahoser ist verschwunden,« sagte sie zitternd, »aber bei den heiligen Göttern schwöre ich, daß ich nicht weiß, wo sie sich aufhält!

»Pharao, der Liebling Phres, der Schützling Ammon-Ra's sendet diese Geschenke und ich darf sie nicht zurücknehmen. Hebe sie auf, bis Tahoser wiederkehrt. Und lasse sie bestens bewachen, denn Du haftest mir mit Deinem Leben dafür«, sprach der Abgesandte des Königs. Dann bestieg er das Schiff, um zu seinem Herrn zurückzukehren.

Er trat vor den Pharao hin, warf sich zu Boden und berichtete von dem Verschwinden Tahosers. Der Pharao geriet außer sich vor Wut. Er stieß sein Zepter so heftig gegen den Boden, daß der Steinquader zersprang.



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