Theophile Gautier
Der Roman der Mumie
Theophile Gautier

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Das Grabmal.

I.

Rings umschlossen von unregelmäßig verstreuten, gigantischen Felsblöcken und bedeckt von dünnem Felsenstaub, dehnt sich an dem Ufer des Nils, das Luksor gegenüberliegt, ein ödes und langes Felsental dahin, das Tal Biban-el-Molouk, die Totenstadt der Pharaonen.

Der Anblick ist von trostloser Öde, denn jegliche atmosphärische Perspektive geht hier infolge des Mangels an Feuchtigkeit der Luft gänzlich verloren. Alle Einzelheiten zeigen sich selbst in größerer Entfernung mit scharfer Deutlichkeit und kein Verschwimmen der Linien mildert den traurigen Anblick des Tales.

Diesem Orte näherte sich ein kleiner Zug von Europäern. Vorne ritt auf einem edlen arabischen Hengst ein junger Engländer, der auch hier inmitten der ägyptischen Wüste mit jener peinlichen Sorgfalt gekleidet war, die dem englischen Gentleman eigen ist, möge er nun durch Londons Straßen bummeln, oder die Wildnis durchstreifen. Neben ihm ritt auf einem Maultier ein kleiner dicker Mann, glatzköpfig und rothaarig. Die großen Brillen wie die sorglose Kleidung ließen unschwer den Gelehrten erkennen. Die Beiden, die hier der Totenstätte der ägyptischen Könige zustrebten, waren Lord Evendale, ein reicher Engländer, und sein deutscher Begleiter Dr. Rumpius.

»Ich hoffe, daß wir hier nun endlich einmal das unberührte Grab finden werden, das wir schon so lange suchen«, meinte der Gelehrte und trocknete sich den Kahlkopf.

»Osiris erhöre Sie,« erwiderte der Engländer, »aber trotz Ihrer zahlreichen Ahnungen sind wir bisher leider immer wieder enttäuscht worden. Jedesmal waren uns andere zuvorgekommen.«

»Sie werden sehen, Mylord, wir entdecken doch noch einmal ein völlig unberührtes Grab, eines, das bisher weder die Perser noch die Griechen, die Römer oder Araber vor uns betreten und entheiligt haben, und das nun uns sein jungfräuliches Geheimnis offenbaren wird.«

Die Augen des Wissenschaftlers erglänzten unter der blauen Brille.

»Und Sie, lieber Freund,« lächelte der Engländer, »verfassen dann einen umfangreichen gelehrten Folianten darüber und haben damit Gelegenheit, sich würdig in eine Reihe mit Gelehrten wie Champollion, Rosselini, Wilkinson, Lepsius oder Belzoni zu stellen.«

»Ein Werk, das ich dann natürlich Ihnen widme, Mylord, Ihnen, dessen außerordentliche Freigebigkeit es mir ermöglicht hat, meine Heimat zu verlassen und die von mir seit Jahren aufgestellte Theorie nun auch nach der praktischen Seite hin zu erforschen. Ohne Sie hätte ich niemals die Wunderwelt, die wir jetzt durchstreifen, erblicken können.« –

Hinter den Beiden marschierte ein kleiner Zug von englischen Matrosen, ein Teil der Bemannung des Segelbootes, das in der Ferne zu sehen war und das den Lord nilaufwärts gebracht hatte. Das Boot lag regungslos am Ufer des Flusses, die Ruderstangen eingezogen und die dreieckigen Segel zusammengefaltet.

Der Engländer hatte zunächst die gigantischen Ruinen Thebens, die am anderen Ufer lagen, besichtigt. Nun war er im Begriffe, die kahlen Felsen aufzusuchen, welche tief in ihrem Innern die einstigen Beherrscher jener Stadt bargen oder geborgen hatten.

Der kleine Zug näherte sich immer mehr dem Tale Biban-el-Molouk, als plötzlich ein Mann aus der dunklen Mündung eines leeren Grabes hervortrat.

Der so unvermutet Aufgetauchte, der mit dem demütigen Gruße des Orientalen die Fremden begrüßte, war ein Grieche, einer jener Geschäftsleute, die sich hier mit Ausgrabungen und Fälschungen von Altertümern beschäftigen, um diese dann den Fremden zu verkaufen. Er hatte bereits längere Zeit hindurch das Segelboot des Lords beobachtet und an dessen Größe, an der Zahl der Ruderknechte und vor allem an dem britischen Wimpel, das hoch oben im Winde flatterte, die Nähe eines guten Geschäftes gewittert. So war er den Ausflügen der Beiden jenseits des Nils gefolgt und hatte wohl vorhergesehen, daß sie zum Schlusse auch an das diesseitige Ufer kommen würden, um die königlichen Grabstätten zu besichtigen. Hier mußten sie ihm ins Garn laufen.

Während er nun vor ihnen stand, schätzte er rasch Evendales Reichtum nach dessen äußerer Erscheinung und überlegte, ob es klüger wäre, ehrlich mit ihm zu verhandeln oder zu versuchen, ihn zu betrügen. Letzteres erschien ihm weniger ratsam. So ließ er im vorhinein den Gedanken fallen, den Engländer durch jene leeren Grabstätten zu führen, für deren gründliche Ausraubung schon längst gesorgt worden war und dafür Bezahlung zu fordern, oder ihm einige kleine blau und grün gefärbte Tonstatuetten und ziselierte Skarabäen um schweres Geld anzuhängen.

Der Grieche hatte mit Kennerblick vor längerer Zeit in einem der Felsen eine außerordentlich kunstvoll angelegte Verkleidung entdeckt, hinter der er ein noch uneröffnetes Grabmal vermutete. Diese Entdeckung hatte er bisher auf das sorgsamste geheim gehalten und sich aus Angst vor seinen Konkurrenten immer gehütet, seine Schritte und selbst seine Blicke nach jenem Orte zu lenken. Nun beschloß er, diesen Schatz endlich auszubeuten.

»Eure Lordschaft wollen wohl Nachforschungen halten?« sprach der Grieche den jungen Engländer in einem jener kosmopolitischen Dialekte an, die sich kaum naturgetreu wiedergeben lassen und jedem bekannt sein dürften, der schon einmal im Orient gereist ist und dort mit den vielsprachigen Dragomans zu tun gehabt hat. Diese Dolmetscher beherrschen meistens zum Schluß überhaupt keine Sprache mehr richtig, nicht einmal ihre Muttersprache. Glücklicherweise verstand sowohl der Engländer wie sein Begleiter fast alle jene Sprachen, aus denen der Grieche seine Worte entlieh.

»Wenn Eure Lordschaft befehlen, kann ich Ihnen ein Dutzend Fellahs zur Verfügung stellen, die unter dem doppelten Ansporn der Peitsche und des Bakschisch für Sie mit Ihren Fingernägeln bis zum Zentrum der Erde graben werden. Wenn Eure Herrlichkeit befehlen, könnte es uns gelingen, eine Sphynx zu finden oder das Innere eines Tempels oder gar ein Totengewölbe zu ergründen.«

Der Grieche bemerkte, daß der Lord trotz dieser herrlichen Versprechungen keine Miene verzog und daß sein Begleiter sogar ein leichtes Lächeln zeigte. Dies bestärkte ihn darin, daß er es hier mit Kennern zu tun habe und er ging daran, sein Geheimnis zu verkaufen.

»Ich merke,« sprach er, indem er sich bemühte so rein englisch zu sprechen, als es ihm nur möglich war, »die Herrschaften sind Gelehrte und reisen nicht aus Neugierde. Ich werde Ihnen eine Gruft zeigen, die keine Menschenseele noch gesehen hat und deren Geheimnis ich nur für einen besonderen Kenner aufgespart habe.«

»Der dafür natürlich auch ganz besonders zu bezahlen hat«, lächelte der Lord.

»Meine Wahrheitsliebe verbietet mir, Ihnen zu widersprechen, mein Lord. Ich rechne tatsächlich darauf, aus meiner Entdeckung entsprechenden Gewinn zu ziehen. Denn schließlich lebt jedermann von seinem Gewerbe. Ich grabe Pharaonen aus und verkaufe sie. Doch heute gehören Pharaonen auch schon zu den Seltenheiten. Die Nachfrage ist eine große, die Zeit, in der sie geschaffen wurden, liegt schon zu weit zurück.«

»In der Tat,« warf der Gelehrte ein, »es sind allerdings einige Jahre verstrichen, seitdem die Kolchyten oder Paraschiten ihre Fabriken geschlossen haben.«

Der Grieche betrachtete den Doktor von der Seite – schloß aber aus dem unscheinbaren Aussehen des Gelehrten, daß von diesem nicht viel zu erwarten wäre und wandte sich daher gänzlich dem Lord zu.

»Sind tausend Guineen etwa zu viel für ein uraltes Grabmal, das noch von keinem betreten wurde, seitdem vor mehr als 3000 Jahren die Priester der Isis die Felsen davor gerollt haben? Bei Allah, mein Lord, Sie erhalten es geschenkt! Wer weiß, wieviel Schätze an Gold, an Perlen und Diamanten darin ruhen, wer weiß wieviel Münzen und Edelmetall von unschätzbarem Werte dort verborgen liegen.«

»Alter Gauner,« rief Rumpius, »Du verstehst es, Deine Waren anzupreisen. Dabei weißt Du doch selbst am besten, daß man derartige Schätze hier niemals noch in Gräbern gefunden hat.«

Der Grieche, der erkannt hatte, daß es nicht ratsam wäre, sich mit dem Begleiter des Engländers in ein eingehenderes Gespräch einzulassen, wandte sich nochmals eindringlich an Evendale.

»Nun, mein Lord, wollen Sie in den Handel eingehen?«

»Du sollst die Summe haben,« erwiderte dieser, »wenn das Grab tatsächlich noch nicht geöffnet worden ist, aber nicht den kleinsten Betrag, wenn nur ein einziger Stein von der Stelle gerückt wurde.«

»Und unter der Bedingung, daß alles im Grabe befindliche unser Eigentum wird«, setzte Rumpius bedächtig hinzu.

Der Grieche schlug rasch ein. »Einverstanden,« rief er, »bereiten Sie Ihr Geld vor, Sie werden Ihren Entschluß nicht zu bereuen haben.«

Der Engländer neigte sich seinem Begleiter zu.

»Lieber Doktor, Ihr Wunsch scheint in Erfüllung zu gehen, wenn man dem sicheren Auftreten dieses Griechen trauen darf.«

»Das walte Gott«, erwiderte der Doktor und zog mit einer aufgeregten und zweifelnden Bewegung seinen Rockkragen am Nacken hoch. »Das walte Gott! Die Griechen sind seit jeher unverschämte Lügner gewesen. ›Lügenhaft wie ein Grieche‹ ist ein schon uraltes Sprichwort.«

»Nun vielleicht ist dieser hier eine Ausnahme von der Regel,« warf der Lord ein, »oder er hat wenigstens dieses einemal die Wahrheit gesprochen.«

Inzwischen schritt der also Angezweifelte mit den ruhigen Schritten eines Mannes voran, der seiner Sache sicher ist. Bald gelangte die Kavalkade an den kleinen Engpaß, der in das Tal Biban-el-Molouk hinabführte. Der schmale Weg schien von Menschenhänden durch den Fels gebahnt worden zu sein. Links und rechts an steilen Wänden erblickte man die Reste von Inschriften, aber so abgenützt vom Zahn der Zeit, daß die Zeichen und Figuren nur noch wie schwache Unebenheiten des Gesteins anzusehen waren. Und nun zeigte sich das Tal in seiner trostlosen Gestalt. Überall umschlossen es hohe zum Himmel ragende Felsen aus Kalk, gespalten, zerklüftet und zerbröckelnd, als wären sie mit Aussatz behaftet oder zerfielen langsam unter der ungeheuren Glut der Sonnenstrahlen.

Die Felsen glichen verdorrten Gebeinen ungeheurer Toter, die nun der Ewigkeit aus unzähligen Sprüngen entgegengähnten, seit Jahrhunderten auf einen erlösenden Wassertropfen harrend, der hier niemals noch gefallen war. Mit ihren zerrissenen, schmutzigweißen Zacken rahmten die Wände einen indigoblauen Himmel ein, der stellenweise dunkel erschien, wie die dichten Wipfel eines riesenhaften Waldes.

Unbarmherzig brannten die Sonnenstrahlen auf den einen Teil des Tales nieder, während die andere Hälfte die scharf begrenzten violetten Schatten der Tropen zeigte, Schatten von einer Farbe, die dem Nordeuropäer fast unglaublich erscheint, wenn er diese auf Landschaftsbildern sieht. Schatten, die so scharf umgrenzt sind, wie auf dem Plan eines Architekten.

Auf einem Teil der Felsen in der Sonnenseite glänzte den Reisenden ein Wasserfall von glühenden und sprühenden Funken entgegen, ähnlich der herabstürzenden Flut flüssigen Metalls. Jede der tausend kleinen Felsenstufen, zum brennenden Spiegel verwandelt, strahlte das Funkeln wieder, und diese sich kreuzenden Rückstrahlungen des glühenden Sonnenscheines und die Hitze, die aus dem Boden empordrang, vereinigten sich mit der Glut der Sonne zur Temperatur eines Hochofens.

Im ganzen Tal fand sich nicht das kleinste Zeichen von Fruchtbarkeit, kein Grashalm, keine Blume, – nicht einmal dürres Moos – nichts milderte den Eindruck dieser tropischen Wüste. Nirgends fand sich auch nur die geringste Spur von Feuchtigkeit, um etwa Moos oder einer armseligen Schlingpflanze die Möglichkeit des Vegetierens zu geben. Man hätte glauben können, hier die vertrockneten Aschenreste einer Bergkette aus der Zeit der kosmischen Katastrophen zu finden. Verstärkt wurde der Eindruck durch die langen schwarzen Furchen, die das Gestein gleich Wundnarben durchzogen.

Tiefes Schweigen lag über der ganzen Gegend. Kein Lebenszeichen war zu vernehmen, weder der Flügelschlag eines Vogels, noch das Summen eines Insekts, oder das leise Rascheln irgend eines Reptils. Nicht einmal die Zikade, die sich sonst mit Vorliebe an warmen und einsamen Plätzen aufhält, ließ ihr Zirpen ertönen.

An den Seitenwänden der Felsen gähnten ab und zu dunkle Schlünde, eingesäumt von Felsenblöcken. Die vierkantigen Öffnungen, flankiert von Pfeilern, waren mit Hieroglyphen bedeckt. Die Kapitäle trugen geheimnisvolle Ornamente, in deren Mitte auf gelbem Schild die Abbildung eines Käfers, des heiligen Skarabäus, oder der Sonne mit dem Kopf eines Widders, oder Bilder der Göttin Isis und Nephthys in knieender und aufrechter Stellung zu erblicken waren.

Das waren die Grabmäler der Könige von Theben. Der Grieche blieb nicht davor stehen. Er führte die Gesellschaft über eine Art Rampe, die stellenweise wie aus dem Felsen herausgehauen schien, dann wieder beinahe ungangbar wurde, zu einem kleinen Felsenplateau, das aus den senkrecht aufsteigenden Wänden vorsprang.

Die Felsen, die dieses Plateau einrahmten, schienen zunächst der Natur ihre Anordnung zu verdanken. Bei näherer Besichtigung zeigte sich jedoch eine eigentümliche Symmetrie, die wohl künstlichen Ursprunges sein konnte.

Der Grieche wartete, bis der Lord und sein sich schwer fortbewegender Begleiter emporgelangt waren, dann klopfte er mit triumphierender Miene auf den riesigen Felsen und rief: »Hier ist es.«

Er klatschte einige Male in die Hände und von allen Seiten strömten zerlumpte Gestalten herbei. Es waren Fellahs, die, ausgerüstet mit Beilen, Spaten und Leitern, bis an die Füße der Reisenden auf den Fels zukrochen, sich mit allen Vieren an die abfallende Wand klammernd. Der Grieche suchte sich drei der Stärksten unter ihnen aus, rief ihnen einige Worte zu und die Burschen klemmten ihre Eisenstangen hebelartig unter einen der Felsblöcke. Mit ihrem ganzen Gewicht legten sie sich auf das hervorragende Ende der Stangen, die Muskeln ihrer Arme spannten sich unter der Kraft ihrer Bewegungen. Auch der Lord, Rumpius und der Grieche legten sich auf das Ende einer der Stangen und endlich bewegte sich der Block, drehte sich um die eigene Achse, schlug auf die Felsplatte und rollte in die Tiefe. Einige kleinere Blöcke folgten rasch nach und schließlich zeigte es sich, daß die Spürnase des Griechen richtig gewittert hatte. Der Eingang zu einem Grabmal lag bloß und zeigte sich den Blicken der Europäer.

Ein Toreingang war hier in den Felsen gehauen worden. An den Seitenwänden befanden sich zwei Pfeiler, deren Kapitäle Kuhhäupter mit sichelförmig zurückgebogenen Hörnern zeigten. Über den niedrigen Türen, deren Einfassungen mit Hieroglyphen bedeckt waren, befand sich auf gelbem Schild ein Skarabäus, das Zeichen der Wiedergeburt des Sonnengottes, als Symbol der ewigen Schöpferkraft und darunter ein Widderkopf, das Sinnbild der untergehenden Sonne. Neben dem Schild sah man Abbildungen der Isis und Nephthys, die Versinnbildlichung von Anfang und Ende. Die beiden Göttinnen knieten, das Knie in Ellbogenhöhe aufgestellt. Die Arme streckten sie wie in Erstaunen weit von sich. Der ganze Körper schien in Linnen eingehüllt, das an den Hüften von einem Gürtel gehalten wurde, dessen Enden weit herabhingen.

Niemand beachtete diese Verzierungen des Einganges. Die Gesellschaft drang rasch bis zu einer dünnen Ziegelmauer vor, die leicht durchbrochen wurde. Und nun zeigte sich ein ungeheurer Stein, der den eigentlichen Eingang zu verschließen schien.

Rumpius entdeckte hier ein angebrachtes Siegel, und da ihm die Enträtselung der Hieroglyphen keine besonderen Schwierigkeiten bot, fand er auch das Zeichen des Kolchyten, der das Totengelaß einstens für alle Zeiten zu verschließen gemeint hatte.

»Ich fange an, zu glauben,« rief der Doktor voll Freude, »daß wir am Ziele sind und ich nehme alles zurück, was ich an Verdächtigungen über diesen braven Griechen gesagt habe.«

»Wenn wir nicht zu früh triumphieren,« meinte der Lord, »wir erleben vielleicht dieselbe Enttäuschung wie einst Belzoni, da er hoffte, als Erster das Grabmal Menephta-Seti's zu betreten. Wie Sie wissen, hat er nach Wegräumung eines anscheinend noch unberührten Einganges, nach mühsamer Wanderung durch Labyrinthe von Gängen, Schächten und Kammern schließlich nichts gefunden als einen zerbrochenen, leeren Sarkophag. Forscher, die vor ihm dagewesen waren, hatten sich nämlich von einer anderen Seite her den Eingang durch den Felsen gebahnt gehabt.«

»Das kann hier nicht der Fall sein,« bemerkte der Gelehrte lebhaft, »denn dieser Felsen ist so gebaut, daß man von anderer Seite wohl schwerlich in sein Inneres gelangen kann.«

Inzwischen hatten die Fellahs, angespornt durch den Griechen, begonnen, den großen Quader vorsichtig von seinem Platze zu rücken. Beim Wegräumen des unter dem Stein befindlichen Sandes kamen kleine Statuetten zum Vorschein. Sie waren nicht höher als daumengroß, in blauer und grüner Tönung und schienen die einstigen Gaben von Seite Verwandter und Freunde, Gaben, die etwa unseren jetzigen Kranzspenden vergleichbar sind.

Und endlich erschloß sich die Höhlung hinter dem riesigen Stein, nach fünfunddreißig Jahrhunderten drang zum ersten Male wieder Tageslicht in den Raum und eine Glutwelle stieg aus der Öffnung empor. Riesenhafte Atmungsorgane schienen ein mächtiges Seufzen auszustoßen.

An den Wänden leuchteten auch hier wieder Hieroglyphen und Figuren auf. Besonders bemerkbar war eine riesige Gestalt, rötlich bemalt und mit dem Kopf eines Sperbers versehen, ein Schild vor sich hinhaltend, auf dem eine geflügelte Kugel zu sehen war. Die Figur schien hiehergesetzt, um an der Schwelle des Grabmales dessen Unvergänglichkeit zu behüten.

Ein Teil der Fellahs war inzwischen nachgekommen, einige zündeten Fackeln an, die schwach in der dumpfen Luft leuchteten. Der ganze Trupp, mit den Fellahs voran, drang in die Gänge ein. Rumpius atmete mühsam und das Wasser rann in Strömen über seine Stirn hinab.

Selbst Lord Evendale fühlte sich erhitzt. Nur der Grieche, ausgedorrt von dem heißen Odem der Wüste, blieb trocken wie eine Mumie.

Der Gang, den sie nun verfolgten, führte gerade auf den Mittelpunkt des Felsens zu. Die hier herrschende Hitze war so unerträglich geworden, daß sowohl der Lord wie auch der Gelehrte zuerst ihre Röcke, dann ihre Westen ablegten und schließlich den Oberkörper entblößten.

Der Grieche, der die mühsame Atmung der beiden Europäer bemerkte, winkte einem Fellah, dieser eilte zum Eingang zurück und brachte zwei große in Wasser getauchte Schwämme, die den Beiden mit der Weisung übergeben wurden, sie vor Mund und Nase zu halten, um durch die nassen Poren hindurch die gekühlte Luft einzuatmen.

Am Ende des Ganges zeigte sich eine zweite Tür. Sie war bald eröffnet und man erblickte eine Reihe in den Felsen gehauener Stufen, die bergab führten. Die Wände waren hier mit einer Unmenge symbolischer Figürchen bedeckt, deren Farben glänzten, als wären sie eben erst aufgetragen worden. Sie erstrahlten einen Augenblick im Schein der Fackeln und tauchten dann sogleich wieder wie Traumgebilde in die Dunkelheit zurück. Der Untergrund dieser Gemälde war tief grün, als Einfassung lief eine blaue Borte. Über den Fresken waren Hieroglyphen angebracht, in der Art der chinesischen Schrift in senkrechten Streifen angeordnet. An anderen Stellen der Wände sah man einen liegenden Schakal, mit ausgestreckten Pfoten und gespitzten Ohren und eine knieende menschliche Figur, auf dem Haupte die Mitra, die Hand auf einen Reifen gestützt und so Wache stehend vor einer Tür, deren Sims von zwei Pfeilern getragen wurde. Diese stellten Frauen dar, eng in Linnen gehüllt und die Arme gleich Flügeln weit ausbreitend.

»Bei Gott!« rief der Doktor und setzte sich am Beginn der Stufen nieder, wenn das so weiter geht, enden wir noch im Zentrum der Erde. Nach der Hitze zu schließen, müssen wir schon in nächster Nähe der Hölle sein!«

Die Gesellschaft schritt die Stufen hinab und wieder zeigte sich ein langer Gang ihren Blicken, gleichfalls mit allegorischen Gestalten, erklärenden Hieroglyphen und langen Zügen von kleinen Figürchen bedeckt.

Plötzlich warf sich der Fellah, der vorausschritt, mit warnendem Schrei nach rückwärts. Der Weg nahm unerwartet ein Ende und ein tiefer dunkler Schacht tat sich auf.

Der Grieche ergriff eine der Fackeln, schüttelte sie, damit sie stärker aufflamme und warf sie in den Schacht hinab. Pfeifend und sich überschlagend stürzte sie in die Tiefe hinunter, man hörte das Aufpoltern des Holzes, Funken und Rauch schlugen aufwärts und dann leuchtete die Fackel wieder auf, so daß die Grube, gleich dem Auge eines Zyklopen, rötlich erglänzte.

»Das ist schon mehr als kunstvoll,« sprach der Lord, »solche Labyrinthe sind wohl imstande, Gelehrte und Diebe abzuschrecken.«

»Weder die einen noch die anderen«, widersprach der Doktor. »Denn die einen suchen Gold, die anderen Wahrheit – also die beiden kostbarsten Dinge der Welt – und ich glaube nicht, daß man sich von der Suche danach so leicht abschrecken läßt.«

Der Grieche ließ ein Seil herbeiholen und glitt daran, während zehn Fellahs das andere Ende hielten, mit der Behendigkeit eines Akrobaten in eine Tiefe von etwa zwanzig Metern hinab. Er schlug dabei mit dem Fuß gegen die Wände, doch überall kam der Klang voll zurück und auch der Boden klang durchaus massiv, als er, drunten angelangt, einige Male stark dagegen stieß.

Evendale und Rumpius beugten sich erregt über den Rand des Schachtes und verfolgten alle Bewegungen des Griechen, dessen Schatten, von der Fackel emporgeworfen, gleich einem Riesenvogel an der Höhlendecke umherschwebte.

Endlich kam der Mann emporgeklettert. Seine Miene war höchst niedergeschlagen und die Zähne unter dem mächtigen Schnauzbart bissen die Lippen wund.

»Nirgends das kleinste Zeichen eines weiteren Ganges und doch kann der Weg hier nicht völlig enden!« rief er verzweifelt.

»Vielleicht ist der Ägypter, für den das Grab ursprünglich bestimmt war, in der Ferne gestorben, auf der Reise oder im Kampfe und dieses Grab daher nicht weiter gebaut worden. Solche Fälle sind öfters vorgekommen«, meinte der Doktor.

»Wir wollen vorläufig noch weiter hoffen«, sagte Evendale. »Wenn es nicht anders geht, werden wir es eben mit Sprengungen versuchen.«

»Diese verdammten Ägypter! Niemand war so erfinderisch wie sie. Es sieht beinahe so aus, als ob sie eventuelle Nachforschungen absichtlich irreführen wollten«, murmelte der Grieche vor sich hin. Er trat nochmals an den Rand des Abgrunds und spähte mit Raubvogelblick die oberen Wände ab. Er erblickte nichts als die üblichen Darstellungen der Seelenwanderung – Osiris als Richter auf dem Throne, in der einen Hand den Hirtenstab, in der anderen die Peitsche. Daneben die Göttinnen der Gerechtigkeit und der Wahrheit, die den Geist des Toten vor das göttliche Gericht zu führen hatten.

Der Grieche wandte sich um. Seine Augen streiften den Gang, den sie soeben durchschritten hatten. Einer plötzlichen Eingebung folgend, nahm er dem nächsten Fellah die Hacke aus der Hand und zurückeilend, begann er, links und rechts an die Felswände zu schlagen, ohne dabei der Hieroglyphen und Wandmalereien zu achten, die er beschädigte.

Endlich, endlich gab es einen anderen Klang. Ein Ausruf des Triumphes war die Antwort des Griechen und sein Auge glänzte.

Der Gelehrte und der Lord klatschten Beifall.

Die Hacken traten in Tätigkeit. Bald war eine Öffnung gewonnen, durch die ein Mann sich hindurchzwängen konnte. Eine Galerie, die im Innern des Berges den Schacht umkreiste, der gegen Eindringlinge schützen sollte, führte zu einem großen quadratischen Saal, dessen blaue Decke von vier Säulen getragen wurde.

Diese zeigten in einfacher Malerei menschliche Gestalten, deren Hautfarbe rot und deren Kleidung weiß war. Die Körper waren dem Beschauer zugewandt, während der Kopf im Profil zu sehen war.

Aus diesem Saal ging es in einen zweiten, dessen Decke höher und nur von zwei Säulen getragen war. Auch hier erblickte man verschiedene Malereien – den Stier Apis, der den Leichnam des Toten gegen Sonnenaufgang zu tragen hatte, das Gericht über die Seelen, die Wage, auf der die Taten des Verstorbenen gewogen wurden.

Alle diese Verzierungen waren von einer Feinheit der Ausführung und von einem Prunk, daß man daraus auf eine ganz besondere Persönlichkeit schließen konnte, die in diesem so wohl verborgenen Grab liegen mußte.

Als die Gesellschaft nach Besichtigung all dieser im reinsten Stil altägyptischer Kunst ausgeführten Arbeiten weiter vordringen wollte, konstatierte man das Fehlen eines zweiten Ausganges.

Die Luft wurde wieder drückend. Die Fackeln begannen zu schwelen, was die Hitze noch erhöhte, und der Rauch ballte sich zu dichten Wolken zusammen. Der Grieche tobte und fluchte.

Man versuchte abermals die Wände abzuklopfen, doch ohne den geringsten Erfolg. Der kalte, unerschütterliche Fels gab immer denselben Ton zurück. Nirgends Anzeichen einer Öffnung.

Der Doktor ließ in stummer Verzweiflung seine beiden dürren Arme hängen und selbst der Lord schien jede Hoffnung aufzugeben. Der Grieche, in Sorge um seine fünfundzwanzigtausend Francs, benahm sich wie ein Wahnsinniger. Schließlich mußte man an den Rückzug denken, denn die Atmosphäre wurde immer unerträglicher.

Die Gesellschaft kehrte in den ersten Saal zurück und dort begann der Grieche, der nichts unversucht lassen wollte, den Schaft der Säulen zu untersuchen. Vielleicht enthielten sie irgend eine Handhabe, eine Feder, irgend ein Geheimnis. In den fiebernden Gehirnen verschwamm altägyptische Baukunst mit Erzählungen arabischer Märchen.

Aber die Säulen waren aus einem einzigen Stein gehauen und der ganze Saal eine Aushöhlung des Felsens.

Jede Hoffnung schwand!

»Dennoch«, sprach Rumpius, »hat sicherlich niemand nur zu seinem Vergnügen diese Riesenarbeit unternommen und es muß ein Weg vorhanden sein. Sicherlich hat der Abgeschiedene den Wunsch gehabt, vor jeder Belästigung geschützt zu bleiben – aber mit etwas Zähigkeit und Hartnäckigkeit ist schon manches erreicht worden. Vielleicht ist ein Quader geschickt in den Fußboden eingefügt, den der feine Staubsand unseren Augen verdeckt, und darunter befindet sich das eigentliche Totengemach.«

»Sie können Recht haben, Doktor,« nickte Lord Evendale, »suchen wir weiter.«

Man suchte im ganzen Gelasse den Fußboden ab.

Endlich hörte das geschärfte Ohr des Griechen einen Unterschied im Klang. Er stürzte auf die Knie und säuberte die Stelle mit den Lumpen eines Burnusses, den ihm einer seiner Araber gereicht hatte. Es war nicht so leicht, den von fünfunddreißig Jahrhunderten angehäuften Staub hinwegzufegen, aber als man den Boden ganz bloßgelegt hatte, zeigten sich endlich feine schwarze Striche, in Form eines Rechteckes.

»Ich sagte es ja!« rief begeistert der Gelehrte, »die Sache könne nicht so enden!«

»Tatsächlich«, bemerkte der Lord mit britischem Phlegma, »es macht mir beinahe Gewissensbisse, daß wir den Schlaf dieses armen Toten stören sollen, der sich doch solche Mühe gegeben hat, ungestört zu bleiben. Unser Besuch wird ihm sicher nicht angenehm sein.«

»Umsomehr, da niemand hier ist, der uns entsprechend anmelden könnte«, meinte der Doktor. »Aber schließlich habe ich mich genügend mit den Pharaonen beschäftigt, um Sie dem erlauchten Bewohner dieser Stätte stilgemäß vorstellen zu können.«

Dünne Hebel wurden in den Spalt gezwängt und der Stein alsbald gehoben. Eine Stiege mit hohen, steilen, in die Finsternis mündenden Stufen zeigte sich den Reisenden, die eiligst den Abstieg begannen.

Eine steil abfallende, mit Figuren und Zeichen geschmückte Galerie folgte den Stufen, dann ein kurzer Gang und ein Saal, ähnlich dem schon durchforschten, nur noch größer und durch sechs in den Fels gehauene Pfeiler gestützt. Rechts und links zeigte der Fels je eine kleine Kammer, die ganz mit Totengaben aus emaillierter Tonerde, Bronze und Sykomorenholz angefüllt war.

»Dies ist das Vorzimmer zu dem Saale, in dem sich der Sarkophag befinden muß«, rief der Doktor und seine Augen glänzten in freudiger Erwartung.

»Der Grieche hat seine Sache gut gemacht,« erwiderte Evendale, »wir sind wirklich die Ersten, die hier eintreten, seit der Tote der Ewigkeit und dem Vergessen anheim gegeben wurde.«

»Es muß eine ganz besondere Persönlichkeit gewesen sein«, meinte der Doktor. »Sobald ich seinen Totenbrief gelesen habe, werden wir wissen, wer hier ruht.«

Als der Lord als erster über die Schwelle des eigentlichen Totengemaches trat, bückte er sich und starrte zu Boden, als ob er etwas Ungewöhnliches gesehen hätte.

Auf dem feinen grauen Sand, der den Boden bedeckte, zeichnete sich in reinen Konturen die Form eines menschlichen Fußes ab, wohl der Fußabdruck eines Priesters oder Freundes, der hier fünfzehn Jahrhunderte vor Christi das Totengemach als letzter verlassen hatte. Der ägyptische Sand, der ebenso die Zeiten überdauert wie der Granitblock, hatte den Abdruck in reinster Form bewahrt, so wie der versteinerte Schlamm den Fußabdruck vorsintflutlicher Tiere wiedergibt.

Nun traten auch die anderen in den Saal, sorgsam darauf bedacht, die Fußspur zu erhalten.

In diesen Sekunden bemächtigte sich des unerschütterlichen Engländers ein eigentümliches Gefühl.

Der Begriff der Zeiten war ihm plötzlich entschwunden, die Erinnerung an das moderne Zeitalter ausgetilgt.

Er vergaß Großbritannien und seine Schlösser in Lincolnshire, seine Paläste in West-End, Hyde Park und Picadilly, er vergaß alles, was sein Leben in England ausfüllte. Die Geschichte der Völker war ausgelöscht, Moses lebte und Pharao – – – Lord Evendale war beinahe bestürzt, daß er nicht die ägyptische Kopfbedeckung trug, den Halsschmuck aus köstlichen Steinen und Linnen um die Hüften. Ein sonderbarer Schauder ergriff ihn – da er im Begriffe stand, von diesem Grabe Besitz zu ergreifen, er hatte das Gefühl, als ob sich der tote Pharao erheben würde, um ihn mit seinem Zepter wegen dieser Schändung des Heiligtums zu zerschmettern.

Einen Augenblick zögerte er, den Schleier von dieser versunkenen Welt zu heben, da hörte er den begeisterten Ruf des Doktors: »Mylord, Mylord, der Sarkophag ist unberührt!«

Dieser Ausruf weckte Lord Evendale aus seiner Träumerei, er durchflog in einem Augenblick die fünfunddreißig Jahrhunderte, um die er zurückversetzt worden war, und antwortete: »Wirklich, lieber Doktor, ganz unversehrt?«

Der Grieche wußte sich vor Begeisterung nicht zu fassen.

Als er allerdings die Entzückensrufe des Doktors vernahm, machte er sich Vorwürfe, daß er nicht mehr als 25.000 Francs verlangt hatte und schwor sich, eine derartige Dummheit kein zweitesmal zu begehen.

Die Fellahs hatten alle ihre Fackeln angezündet, um das Gewölbe so hell als möglich zu erleuchten. Der Anblick, der sich nun den Fremden bot, war in der Tat wunderbar und gewaltig. Der Lord und der Doktor waren sprachlos vor Entzücken, obwohl sie die Herrlichkeit ägyptischer Grabmäler bereits kannten. Während die Galerien und Säle, die sie gerade durchschritten hatten, einfache Gewölbe von acht bis zehn Fuß Höhe mit flachen Decken waren, war dieses Totengemach – der »goldene Saal«, wie ihn die Ägypter nannten – von gewaltigen Dimensionen. Er schien in der Fackelbeleuchtung plötzlich aufzuflammen und seine bunte Farbenpracht erglänzte vielleicht zum erstenmal in solchem Licht.

Rote und blaue, grüne und weiße Farben hoben sich leuchtend vom goldenen Hintergrunde ab und fesselten das Auge, ehe es noch Figuren oder Hieroglyphen unterscheiden konnte.

An den Wänden erglänzten überall die symbolischen Flügelkugeln. Isis und Nephthys breiteten ihre geflügelten Arme aus. Die Pfauen blähten ihre blauen Hälse, die Skarabäen streckten ihre Fühler aus, die Götter mit Stierköpfen spitzten ihre Schakalohren, wetzten die Sperberschnäbel, schüttelten ihre Hundeschnauzen oder steckten ihren Geierhals lang zwischen den Schultern hervor. Geheimnisvolle Todesgöttinnen glitten auf ihren Schlitten vorüber, gezogen von ernstblickenden und in eckiger Pose erstarrten Figuren oder wurden auf dem gleichmäßig gewellten Wasser von halbnackten Ruderern geführt. Klagende Frauen, knieend, die Hand als Zeichen der Trauer auf ihre blauen Haare gelegt, beugten sich gegen den Katafalk, Priester mit geschorenen Häuptern verbrannten wohlriechende Kräuter. Andere Personen brachten dem Verstorbenen Lotosblumen, Geflügel, Wildbret oder Kannen mit Getränken dar. Versinnbildlichungen der Gerechtigkeit – Figuren, denen das Haupt fehlte – brachten die Seelen vor Osiris, dessen Arme wie in einer Zwangsjacke gefesselt schienen. Daneben standen in zwei Reihen die zweiundsechzig Richter des letzten Gerichtes mit ihren mit einer Straußenfeder geschmückten Tierköpfen.

Alle diese, mit herrlichen, lebhaften Farben bemalten Figuren zeigten das starre Leben, die geheimnisvolle Unbeweglichkeit der ägyptischen Kunst.

Mitten im Saale erhob sich gewaltig der Sarkophag, aus einem riesigen schwarzen Basaltblock gehauen. Die vier Seiten des Blocks zeigten Figuren und Hieroglyphen, so fein ausgearbeitet wie das Werk moderner Goldschmiedekunst, obwohl die Ägypter Eisenwerkzeug nicht kannten und Basalt so hart ist, daß selbst Stahl daran zerbricht. Es ist unbegreiflich, wie dieses Volk auf Granit und Porphyr schreiben konnte, als wäre es Wachs.

An den vier Ecken des Sarkophags prangten Alabastervasen. Sie enthielten die Eingeweide der Mumie. Zu Häupten des Sargs erhob sich ein Bildnis des Osiris, der über den Schlaf des Toten zu wachen schien. Zwei weibliche Statuen standen auf den Seiten und hielten über ihren Köpfen viereckige Truhen.

Neben der ersten befanden sich drei große Wasserkrüge, einstens wohl mit Nilwasser gefüllt, welches beim Verdunsten nur trockenen Schlamm zurückgelassen hatte, und Platten mit verdorrten Speisen.

Neben der zweiten standen zwei kleine Schiffe, ähnlich unseren Schiffsmodellen. Das eine sollte die Barke versinnbildlichen, welche die Leichen von Diospolis nach Memnonia führte, das zweite das Schiff, welches die Seelen nach den Gefilden des Sonnenunterganges bringen sollte. Nichts war vergessen, weder Segel noch Steuer, Steuermann noch Ruderknechte, auch nicht die Mumie, umgeben von Klageweibern, die sie beweinten, und von Totengöttern, die ihre Opfer darboten.

Schädel und Gebeine, da und dort am Boden des Gemaches verstreut, zeigten, daß hier Tieropfer gebracht worden waren, um alles abzuwenden, was den Frieden des Todes hätte stören können.

Kleine bemalte Kästchen lagen auf dem Sarkophag, Rosenholztische trugen noch die Totengaben. Nichts war berührt worden seit dem Tage, an dem die Mumie in ihren Doppelsarg gebettet worden war.

»Sollen wir den Sarg öffnen?« fragte der Grieche, nachdem er den Herren genügend Zeit gelassen hatte, die Herrlichkeiten zu bewundern.

»Gewiß,« antwortete der junge Lord, »aber geben Sie acht, daß Sie mit ihren Eisenstangen nicht die Ränder des Deckels beschädigen, denn ich will diesen ganzen Fund unversehrt dem britischen Museum schenken.«

Die Fellahs vereinten ihre Kräfte, um den Verschluß, der aus dem gleichen Gestein wie der Sarg war, von diesem herabzuheben. Runde Holzpflöcke wurden zwischen die Fugen gezwängt und endlich gelang es, die Platte vorsichtig herunterzuschieben. Ein zweiter, fest verschlossener Sarg wurde sichtbar. Auch dieser wurde erbrochen und Rumpius, der sich als erster über die Mumie beugte, rief in höchster Überraschung:

»Ein Weib, – es ist ein Weib!«

Der Grieche war ebenso erstaunt; seine alte Erfahrung als Händler ließ ihn erraten, welch seltener Fund dies war. Denn die Totenstadt der Königinnen lag in einem anderen Felsentale und ihre Gräber waren sehr einfacher Art. Die Frauen waren im Orient seit jeher als tief unter dem Manne stehend betrachtet worden und dementsprechend war auch ihr Begräbnis gewesen. Durch welches Wunder, welche Verwechslung, welchen Zufall befand sich also eine weibliche Mumie in diesem königlichen Sarkophag, in diesem Felsenpalaste, welcher würdig war, den größten und mächtigsten der Pharaonen zu beherbergen?

»Das stößt alle meine Kenntnisse und Theorien um«, sprach der Doktor zum Lord. »Es ist sicher ein ganz besonderer Fall, irgend ein geschichtliches Geheimnis vielleicht. Nur eine einzige Frau ist auf dem Throne der Pharaonen als Herrscherin gesessen und hat Ägypten regiert. Sie hieß Tahoser, wenn die alten Inschriften nicht trügen. Ist sie es, deren Grabmal wir gefunden haben? Oder lebte noch eine zweite Ehrgeizige ihrer Art, deren Name der Geschichte verloren ging?«

»Niemand wird besser als Sie imstande sein, dieses Geheimnis zu ergründen«, sagte Lord Evendale. »Wir wollen den ganzen Sarg zu uns auf das Schiff nehmen, wo Sie in aller Ruhe daran gehen können, das Rätsel zu lösen.«

Die Fellahs hoben die schwere Truhe auf ihre Schultern und die Mumie kehrte denselben Weg zurück, auf dem man sie einstens zu Moses Zeiten hineingetragen hatte. Am Nil wurde der Sarg in das Schiff der Europäer gehoben und in der Kabine verstaut. Rund herum wurden alle Gegenstände aufgehäuft, die man in dem Grabmal gefunden hatte. Dann wurden der Grieche und die Fellahs bezahlt und verabschiedet.



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