Theophile Gautier
Der Roman der Mumie
Theophile Gautier

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VIII.

Beglückt durch Poeris freundliche Worte erhob sich Tahoser. Eine feine Röte übergoß ihre blassen, tränennassen Wangen. Zugleich mit der Hoffnung, kehrte auch ihre Schamhaftigkeit wieder, die bisher von der Leidenschaft zurückgedrängt worden war. Es kam ihr zum Bewußtsein, wie weit sie durch ihre Liebe gebracht worden war und sie zögerte, diese Schwelle zu überschreiten, die doch das Ziel ihrer Träume war.

Der Jüngling, der meinte, daß jene innere Scheu, die sich oftmals mit Unglück paart, Tahoser abhielt, einzutreten, sprach mit sanfter, melodischer, ein wenig fremdländisch klingender Stimme:

»Tritt ein, mein Kind, und fürchte dich nicht. Mein Haus ist groß genug, um auch dich in seiner Mitte aufzunehmen. Bist du müde, so ruhe dich aus, bist du durstig, so will ich dir gekühltes Wasser reichen lassen und wenn du hungrig bist, so sollen meine Diener dir Kornbrot und Feigen bringen.«

Petamounophs Tochter überschritt die Schwelle und der Hausherr führte sie in ein ebenerdiges Gemach, dessen Wände mit langgestielten Lotosblumen auf weißem Grund bemalt waren. Eine schilfgeflochtene Matte bedeckte den Boden, Blumenvasen standen in den vier Ecken und an den Wänden luden Bänke mit schwellenden Polstern zum Ausruhen und Träumen ein. Zwei tiefe Weidensessel mit hohen Lehnen, ein dreifüßiger Schemel in Muschelform und ein geschnitzter Tisch mit gefüllten Blumenvasen darauf ergänzten die ländlich anmutende Einrichtung.

Poeri ließ sich auf eine Bank nieder und Tahoser kniete zu seinen Füßen, während des Jünglings fragender, wohlwollender Blick lange auf ihr ruhte. Sie war schön! Der Schleier, mit dem sie ihren Kopf umhüllt hatte, war zurückgefallen und ließ die Fülle ihres Haares frei, das nur durch ein Band zusammengehalten wurde. Ihr feines Antlitz trug einen rührend traurigen Ausdruck. Das einfache Leinenkleid ließ die vollkommenen Arme bis zu den Schultern frei.

»Ich bin Poeri,« sprach der Jüngling, »der Verwalter der königlichen Güter.«

Tahoser, die ihren kleinen Roman schon vorbereitet hatte, erwiderte: »Hora werde ich genannt, meine beiden Eltern sind tot und haben mir gerade so viel hinterlassen, daß ich ihre Beerdigung bezahlen und die Gläubiger befriedigen konnte. Ich bin allein und arm, aber ich hoffe, daß ich mich dir erkenntlich zeigen kann, wenn du mich aufnimmst. Ich besitze Fertigkeit in den Handarbeiten, kann spinnen, vielfarbige Webereien, Blumen- und Ornamentstickereien herstellen. Und wenn du müde bist und Ablenkung brauchst, so kann ich dir Lieder zur Harfe singen.«

»Hora,« erwiderte der Jüngling, »Poeri heißt dich willkommen. Du wirst hier Beschäftigung finden, die dich nicht anstrengen wird, denn du bist zart und scheinst der Arbeit ungewohnt. Unter meinen Dienerinnen wirst du freundliche, junge Mädchen finden, die dich mit den Gebräuchen dieses Hauses vertraut machen werden. So werden dir die Tage rasch vergehen und vielleicht wird dir das Schicksal einstens wieder bessere Zeiten bringen. Aber wenn du willst, kannst du auch hier ruhig und sorgenlos bis in dein spätes Alter bleiben. Der Gast, den mir der Himmel sandte, ist mir heilig.«

Poeri erhob sich nach diesen Worten, um sich den Dankesbezeugungen Horas zu entziehen. Sie hatte sich zu seinen Füßen niedergeworfen, wie dies Bettler zu tun pflegen, wenn sie ein Almosen empfangen haben. Die Liebe war neu in ihr erwacht und sie küßte mit Inbrunst diese schönen, makellosen Füße, die ihr als die Füße einer Gottheit schienen.

Poeri entfernte sich nun, um nach seinen Arbeitern zu sehen, doch an der Schwelle wandte er sich nochmals dem Mädchen zu.

»Bleib hier, bis ich dir ein Zimmer zugewiesen haben werde. Ein Diener wird dir Labung bringen.«

Und er entfernte sich ruhigen Schrittes. Die Arbeiter begrüßten ihn, indem sie eine Hand über das Haupt, die andere gegen den Erdboden neigten und an der Art ihrer Gebärde, wie an ihrer Miene, konnte man erkennen, daß sie ihren Herrn lieben mußten. Manchesmal blieb er bei einem von ihnen stehen, erteilte Befehle und setzte dann seinen Rundgang fort, alles erblickend und beobachtend. Tahoser, die an die Schwelle der Türe getreten war und sich hier zusammenkauerte, stützte den Ellbogen auf das Knie und die Wangen in die Handfläche legend, blickte sie ihm nach, bis er zwischen den Zweigen und Ranken verschwunden war. –

Poeri hatte im Vorbeigehen einem der Diener Weisung gegeben und dieser brachte nun dem fremden Mädchen auf einer Platte Stücke einer gebratenen Gans, in Asche gerösteten Zwiebel, Kornbrot und Feigen, sowie eine Tonvase mit frischem Wasser. Er sprach: »Dies schickt dir der Herr, o Mädchen. Iß und stärke dich.«

Tahoser war nicht besonders hungrig, aber da Bettler sich gewöhnlich auf die ihnen gereichten Speisen stürzen und das Mädchen nicht aus der Rolle fallen wollte, aß sie und erfrischte sich an dem kühlen Trunk.

Der Diener verschwand mit dem Geschirr und sie verfiel wieder in ihr Grübeln. Tausend widerstrebende Gedanken durchkreuzten ihren Kopf. Bald bereute sie in jungfräulicher Scham den unternommenen Schritt, bald wieder frohlockte ihre Liebessehnsucht ob dieses mutigen Unternehmens. Sie sprach zu sich selbst: »Ich bin hier unter Poeris Dach. Jeden Tag und jede Stunde werde ich ihn erblicken. Ich kann mich sattsehen an seiner Schönheit, die eher göttlich denn menschlich ist und werde die Stimme hören, die meiner Seele Musik ist. Doch wird er, der mich nicht bemerkte, als ich reich geschmückt auf goldenem Wagen vorbeifuhr, wird er jetzt Augen für das arme Mädchen haben, das bettelnd zu ihm kam? Wird meiner Armut beschieden sein, was mein Reichtum nicht erreichen konnte? Vielleicht bin ich nicht einmal schön – bin häßlich – und Nofre hat schmeichlerisch gelogen, als sie behauptete, daß am ganzen Laufe des Nils vom Ursprung bis zur Mündung kein schöneres Mädchen zu finden sei, als ich es bin! – – – Doch nein, ich bin schön, ich weiß es! Die begehrlichen Blicke der Männer haben es mir oft genug verraten und mehr noch die neidischen Blicke der Frauen. Wird Poeri – er, den ich so abgöttisch liebe – mich jemals wiederlieben? Er war freundlich mit mir, aber mit derselben Freundlichkeit hätte er sicher auch ein altes, häßliches Weib aufgenommen. Jeder andere hätte mich sofort erkannt, mich – Tahoser – die Tochter des Hohen Priesters Petamounoph! Doch er hat mich ja niemals angeblickt, ebensowenig, wie Götter die Andächtigen beachten, die ihre Opfer darbringen!«

Diese Betrachtungen betrübten Tahosers Gemüt. Aber dann wurde sie wieder zuversichtlicher. Warum sollte es ihrer Jugend, ihrer Schönheit und ihrer Liebe nicht gelingen, dieses Herz zu bewegen. Sie wollte gut und sanft und aufmerksam gegen ihn sein, mit den einfachen Mitteln, die ihr zu Gebote standen, würde sie sich zu schmücken wissen und Poeri würde ihr nicht widerstehen können – und dann wollte sie ihm verraten, wie reich sie war – an Gütern, Gold und Sklaven. – – – Das Glück, das in der Einfachheit entstanden, würde in Reichtum und Überfluß seinen Fortgang nehmen.

»Vor allem handelt es sich darum, schön zu sein!« sprach sie und schritt dem Weiher zu. Sie kniete auf dem Steinrand nieder, wusch sich Gesicht, Arme und Nacken, befestigte zwei Lotosblumen in ihrem Haar mit solchem Geschick, daß Nofre mit allen Kostbarkeiten sie nicht anmutiger hätte schmücken können. Dann erhob sie sich frisch und glücklich und nahm ihren Platz bei der Türe wieder ein, um Poeri zu erwarten.

Der Himmel leuchtete dunkelblau, die Luft flimmerte, Blüten und Sträucher dufteten, Vöglein huschten von Ast zu Ast und große leuchtende Schmetterlinge spielten und tanzten miteinander. Und in diesem fröhlich pulsierenden Leben regte sich allenthalben Arbeitslust und verlieh ihm Sinn. Gärtner gingen geschäftig durch die Alleen und trugen Garben und Gemüse herbei, oder standen unter den Feigenbäumen, um die Früchte aufzufangen, die von dressierten Affen gepflückt wurden.

Mit Entzücken blickte Tahoser in dieses heitere Treiben, dessen Harmonie ihre Seele beruhigte und sie dachte daran, wie süß es wäre, hier geliebt zu werden.

Poeri kehrte zurück und begab sich in seine Gemächer, um während der heißen Mittagsstunden zu ruhen. Tahoser folgte ihm schüchtern nach und blieb in der Nähe der Türe stehen. Poeri hieß sie nähertreten und sprach:

»Hora, du sagtest, daß du singen und spielen könntest. Nimm jenes Instrument von der Wand und singe mir ein leises sanftes Schlummerlied, damit ich bei dem Klang der Laute träumen kann.«

Die Tochter des Priesters tat, wie ihr geheißen und näherte sich dem Ruhelager, auf dem Poeri ausgestreckt lag. Sie preßte das Instrument fest an ihr pochendes Herz, griff in die Saiten und nach einigen präludierenden Akkorden stimmte sie mit süßer, anfangs etwas zitternder Stimme eine ägyptische Weise von rührender Schlichtheit und Anmut an.

»In der Tat,« sprach Poeri, als sie geendet hatte, und blickte zu dem Mädchen auf »du hast dein Versprechen gehalten! Du könntest dich im Palaste des Pharao hören lassen. Es klingt so, als ob deine ganze Seele in deinem Gesang läge und man könnte glauben, du hättest das Lied improvisiert, so entzückend neu klingt dieses Lied von deinen Lippen. Du bist seit heute früh völlig verwandelt, du scheinst mir nun eine ganz Andere zu sein. Wer bist du?«

»Ich bin Hora,« erwiderte Tahoser, »wie ich dir schon sagte. Meine Geschichte habe ich dir ja schon erzählt. Nun habe ich den Wanderstaub von meinen Wangen gewaschen und mir die Blumen ins Haar gesteckt. Muß ich denn häßlich erscheinen, nur deswegen, weil ich arm und verlassen bin? – – Soll ich mit meinem Gesang fortfahren?«

»Ja – sing mir das Lied noch einmal, das mich berückt und einwiegt, wie der Trank des Vergessens. Singe, bis der Schlaf zu mir herniedersteigt.«

Die Augen Poeris, die auf Tahoser ruhten, fielen allmählich zu, während das Mädchen Akkorde griff und mit immer leiserer Stimme den Nachgesang wiederholte. Poeri schlief und Tahoser legte das Instrument beiseite und betrachtete den Ruhenden. Unter den langen Wimpern, die seine Wangen umschatteten, schien er schöne Bilder zu sehen und seine roten Lippen bebten, als formten sie Worte der Liebe.

Tahoser betrachtete ihn lang, endlich beugte sie sich über den Schlafenden, hielt den Atem an und küßte ihn sanft auf die Stirne. Dann trat sie errötend und beschämt zurück.

Der Schlafende mochte in seinem Unterbewußtsein die Liebkosung empfunden haben, er seufzte und murmelte in hebräischer Sprache: »O Rachel, geliebte Rachel!«

Petamounophs Tochter verstand den Sinn der Worte nicht, sie lächelte und ergriff ein Palmenblatt, um dem Schläfer Kühlung zuzufächeln. Und sie dachte daran, was geschehen würde, wenn er erwachte. –



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