Theophile Gautier
Der Roman der Mumie
Theophile Gautier

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V.

So gelangten sie endlich auf das riesige Feld, das zur Abhaltung des Manövers und zur Entfaltung des ganzen militärischen Prunkes des pharaonischen Heeres diente. Der ungeheure Platz war sorgfältig geebnet worden. Dreißig verschiedene unterjochte Nationen hatten arbeiten müssen, um die Terrassenbauten zu vollenden, die das enorme Rechteck einsäumten. Hier standen zu Tausenden die Ägypter in der fortwährend leisen Bewegung, wie sie kompakten Menschenmassen, selbst bei scheinbarer Unbeweglichkeit, eigen ist. Hinter dieser Menschenmasse befanden sich die Wagen und Sänften mit ihren Lenkern und Trägern.

Gegen Süden zu mündete der Platz in eine breite Fahrtstraße, die längs der libyschen Gebirgskette nach Äthiopien führte.

Die beiden Mädchen, denen die Dienerschaft Tahosers den Weg gebahnt hatte, standen hoch auf der Mauerterrasse und soweit vorne, daß sie den ganzen Platz übersehen konnten. Ein fernes Geräusch, wie das des heranbrausenden Meeres ließ die Menge verstummen und bald konnte man aus dem donnerartig, anschwellenden Getöse, das Rollen der Kriegswagen und das Marschieren der Soldaten sowie den Schall von Musikinstrumenten erkennen. Ein rötlicher Nebel, wie ihn der aufgewirbelte Küstensand erzeugt, wurde sichtbar. Dabei war kein Lufthauch zu spüren und auch die kleinsten Palmenblätter waren regungslos, wie die Blattverzierungen der Kapitäle. Jener Nebel war von den dahinziehenden Truppen verursacht worden und begleitete ihren Zug.

Näher kam der Lärm, die Nebelwolken teilten sich und die Musiker hielten als Erste ihren Einzug, zur Freude des Volkes, das trotz seiner Begeisterung für den Pharao bereits unter den Strahlen dieser Sonne ungeduldig zu werden begann.

Die Vorhut der Musik machte Halt. Eine Schar von Priestern und Abordnungen der Bürger von Theben zogen an ihr vorüber, dem Pharao entgegen, und stellten sich dann seitwärts auf, um den Zug an sich vorbeigehen zu lassen.

Die Musiker, die allein schon eine kleine Armee bildeten, trugen Trommeln und Pauken, Tromben, Tuben und Zimbeln. Sie zogen nun weiter vorbei, auf ihren goldglitzernden Instrumenten eine schmetternde Fanfare spielend. Sie waren mit kurzem Lendenschurz bekleidet, dessen Gürtel lang hinabwallte. Ein Reifen mit zwei auseinanderstrebenden Straußfedern schmückte ihren Kopf und gab durch seine Anordnung den Trägern von der Ferne das Aussehen von großen, aufrecht gehenden Käfern. Die Paukenschläger, deren Oberkörper nackt war, bearbeiteten ihre mit Eselshaut überzogenen Instrumente, die sie an breitem Ledergurt über die Schultern trugen, wild mit Schlägern aus Sykomorenholz.

Nach ihnen kamen die Zimbelspieler und dann die Trommler mit rechteckigen Trommeln. Wären alle diese Musikanten, ihre Instrumente spielend, in einem Palast versammelt gewesen, so hätte dies wohl genügt, um die im gleichen Raum anwesenden Zuhörer rasend zu machen.

Nun folgten die exotischen Gefangenen, merkwürdige Gestalten von tierischem Aussehen, tiefschwarzer Farbe, gekräuseltem Haar und nach der Sitte ihres Landes nur mit einem kurzen Lendenschurz bekleidet. Sie waren in grausamster Weise gefesselt. Manchen hatte man die Hände eng auf den Rücken gebunden, anderen wieder über den Kopf in einer möglichst schmerzvollen Stellung. Einzelne trugen Metallfesseln an ihren Handgelenken, dann wieder war eine ganze Reihe hintereinander Marschierender durch einen Strick, der von einem Hals zum anderen ging, miteinander verbunden. Die Gefesselten blickten verzweifelt um sich und machten Gebärden des Schmerzes.

Wenn sie langsamer gingen, wurden sie von den Wächtern, die rechts und links von ihnen schritten, mit Stöcken vorwärts getrieben. Am Schluß dieses Zuges schritten arme, abgezehrte Weiber mit langen herabhängenden Zöpfen, ihre Kinder in einem Tuch mit sich tragend, dessen Enden sie um die Stirne geknüpft hatten. Sie kamen gebeugt einher, verschämt ihre magere verkrüppelte Nacktheit zeigend.

Ihnen folgten andere Frauen, schöne und junge, deren Hautfarbe heller erglänzte. Ihre Arme waren mit Elfenbeinreifen geschmückt, an den Ohren trugen sie große Metallringe. Gekleidet waren sie in lange wallende Gewänder, deren Saum reich bestickt war und die bis zu den Füßen herabfielen, die wiederum von goldenen Reifen umschlossen wurden. Arme Mädchen, die ihrer Heimat entrissen waren, vielleicht ihrer Liebe – aber dennoch lächelten sie, denn die Macht der Schönheit kennt keine Grenzen und vielleicht würde eine von ihnen die kaiserliche Gnade erringen und in die geheimnisvollen Tiefen des pharaonischen Frauengemaches verschwinden können. Soldaten umgaben sie und schützten sie vor Belästigungen der Zuschauer.

Nun folgten die Bannerträger mit hoch erhobenen Fahnen, auf denen mystische Gestalten zu sehen waren, heilige Sperber oder das Haupt Hathors mit Straußenfedern geschmückt, Ibisse mit weit ausgespreiztem Gefieder, Inschriften mit dem Namen des Königs, Krokodile und viele andere heilige und kriegerische Symbole. Die Fahnenstangen waren mit langen, weiß und schwarz gemusterten Bändern geschmückt, die lustig im Winde dahinflatterten.

Beim Anblick der Banner, die das Herannahen des Herrschers kündeten, streckten die Priester und die Abgeordneten der Stadt ihre Hände in der Richtung des Herannahenden aus. Einige von ihnen warfen sich in den Staub in anbetender, unterwürfiger Haltung, den Scheitel zur Erde neigend.

Zwischen den Fahnen und der Leibgarde, die des Königs Sänfte umringte, schritt ein Herold einher, in der Hand eine mit Hieroglyphen bedeckte Rolle haltend. Er verkündete mit schmetternder Stimme dem aufhorchenden Volke des Pharaos Heldentaten. Er zählte die siegreichen Schlachten auf, die Menge der Gefangenen und der erbeuteten Kriegswagen, den Umfang der Goldschätze, die Zahl der Elefantenzähne, Straußfedern, Giraffen, Löwen, Panther und anderer Tiere. Er rief die Namen der feindlichen Heerführer aus, die durch die Schleuder oder den Speer des allmächtigen Pharao, des Lieblings der Götter, gefallen waren.

Bei jeder neu verkündeten Heldentat brach das Volk in Beifallsgebrüll aus und warf Palmenblätter auf den Herold hinab.

Endlich erschien der Herrscher.

Vor ihm schritten rücklings mit gemessenen Bewegungen Priester einher. Sie warfen mit einer langen zepterartigen Spachtel Weihrauch auf die glühenden Kohlen ihrer Opferschalen und ließen die blauen Wolken des Pharaos Stirne umschweben, der unbeweglich wie eine bronzene Gottheit diese Zeichen göttlicher Verehrung entgegennahm.

Zwölf Offiziere, leichte mit Straußfedern geschmückte Helme als Kopfbedeckung tragend, den Oberkörper nackt und einen enggefalteten Rock um die Lenden, trugen einen Aufbau, auf welchem der Thron Pharaos ruhte. Auf dessen beiden Seiten schritten vier Würdenträger einher und brachten dem Herrscher mit großen halbkreisförmigen Federfächern Kühlung. Zwei Priester hielten ein reichverziertes Füllhorn, aus dem große Lotosblumen auf den Weg fielen.

Der Kopf des Pharao war mit einem mitraähnlichen Helm bedeckt, der an den Ohren ausgeschnitten war und den Nacken bis tief hinunter schützte. Auf blauem Grund zeigte der Helm je drei schwarze, weiße und rote Kreise und war mit rotem und gelbem Band eingefaßt. Um den Stirnteil des Helmes ringelte sich goldig die symbolische Viper und streckte sich kerzengerade über der königlichen Stirn nach vorne aus. Als Vollendung dieses königlichen Kopfputzes fielen zwei längsgefaltete rote Bänder über die Schultern hinab. Eine Brustplatte aus sieben Gliedern, emailliert und mit goldenen Perlen und Edelsteinen verziert, erglänzte auf der Brust des Pharao in der Sonne. Als Überkleidung trug er eine Art lichtrot- und schwarzgewürfelte Weste, deren Vorderteil bandförmig verlängert und mehrmals um den Körper geschlungen war. Die Ärmel bedeckten kaum den halben Oberarm und waren mit dünnen Borten aus Gold und roter und blauer Seide eingefaßt. Sie ließen die starken sehnigen Arme bloß, deren linker einen breiten Metallreifen trug. Der rechte Arm war mit einer goldenen, sich mehrmals darumschlingenden Schlange geschmückt und hielt ein goldenes Zepter. Das Hauptkleid war aus feinstem sorgsam gefalteten Linnen und wurde von einem aus Gold und Emailplatten zusammengesetztem Gürtel gehalten. Zwischen Gürtel und Überkleid schimmerte der polierte Brustpanzer hindurch. Spitzig aufgebogene Sandalen bekleideten die langen, schmalen Füße. Des Pharaos glattrasiertes, edel geschnittenes Gesicht schien keinerlei Ausdruckes fähig. Seine marmorne Blässe, die festgeschlossenen Lippen, die künstlich vergrößerten riesigen Augen mit den unbeweglichen Lidern waren geschaffen, Verehrung und Furcht einzuflößen. Von seinem Blick hätte man wohl glauben können, er umfasse nur die Ewigkeit, die Unendlichkeit, und das Gegenwärtige wäre zu gering, daß es sich darin widerspiegeln könnte. Die Übersättigung im Genuß, der Überdruß, stets seinen Willen befolgt zu sehen, die Entfernung, die zwischen ihm, dem Halbgott und den übrigen Sterblichen lag, der Ekel über die Anbetung der Menge und die Langweile der bereits gewohnten Siege hatten dem Antlitz des Herrschers einen statuenhaften Ausdruck eingeprägt. Osiris, der Richter über die Seelen, konnte nicht imposanter und unnahbarer erscheinen.

Neben seinen Füßen ausgestreckt lag wie eine Sphinx ein großer, zahmer Löwe und blinzelte schläfrig mit seinen Lidern. An des Pharaos Sänfte war ein Strick befestigt, der mit den Kriegswagen der besiegten Anführer verbunden war. Er zog sie hinter sich her wie wilde Tiere, diese niedergedrückten, verzweifelten Gestalten, deren Arme fest zusammengebunden waren und die durch die Bewegung der Fahrzeuge hilflos hin und her geschleudert wurden.

Nun folgten die Kriegswagen der königlichen Prinzen, gezogen von je zwei ausgezeichnet schönen Vollblutpferden, deren Köpfe mit roten Federn geschmückt und deren Geschirre reichlich mit Metallverzierungen versehen waren. Auf ihren Rücken lagen scharlachrote Decken und darüber je ein kleiner Sattel mit einer glänzenden Metallkugel. Riemenzeuge und Kopfgestell waren prunkvoll in blauer und roter Farbe gestickt und mit Quasten verziert. Die Wagen selbst waren rot und grün bemalt. An den Seiten befanden sich zwei Behälter für Pfeile und Schleudern. An jeder Wagenwand war ein geschnitzter, reichvergoldeter Löwe mit erhobenen Tatzen und weit aufgerissenem Maul zu sehen, der sich auf den Feind zu stürzen schien.

Das Haar der jungen Prinzen war von einem Leinenstreifen umwunden, um den sich die königliche Viper schlang. Das tunikaartige Gewand war am Hals und an den Armen mit bunter Stickerei eingefaßt und von einem Ledergurt um die Lenden zusammengehalten, dessen Schnalle mit Hieroglyphen geschmückt war. Um den Gurt hing ein langer dreikantiger Bronzedolch, dessen Griff einen Sperberkopf zeigte.

Auf dem Gefährt stand neben dem Prinzen der Wagenlenker, dem auch während der Schlacht die Aufgabe zufiel, die Rosse zu lenken, und der Schildknabe, der mit seinem Schild den Kämpfer zu schützen hatte, während dieser selbst Schleuder und Bogen handhabte.

Nach den Prinzen von Geblüt kamen die Kriegswagen, von zwei Pferden gezogen und immer mit drei Soldaten als Bemannung, insgesamt zwanzigtausend Gefährte, die in Reihen von zehn und zehn dicht aneinander dahinfuhren.

Dann kamen in einem lockeren Schwarm die leichteren Aufklärungswagen, in jedem nur ein einziger Krieger, der die Zügel um den Leib geschlungen trug, um so die Hand für den Kampf freizuhaben. Die Pferde, dem leisesten Wink gehorsam, wurden nur durch ein leichtes Vor- und Rückwärts- oder Seitwärtsneigen des Rumpfes gelenkt.

Auf einem dieser Wagen stand Ahmosis, der Schützling Nofres, und hielt nach Tahoser Ausschau.

Das Dröhnen der Pferdehufe, das donnernde Rasseln der metallbeschlagenen Wagen und das Klirren der Waffen, all dies war wohl dazu geschaffen, selbst den mutigsten Feind zu erschrecken.

Nun folgte das Fußvolk in schöner Anordnung, im linken Arm den Schild, in der rechten Hand je nach der Truppengattung einen Bogen oder eine Schleuder, eine Keule oder einen Speer haltend. Als Kopfbedeckung diente ein kleiner Helm mit zwei Roßhaarbüscheln. Die Kleidung bestand nur aus einem breiten küraßartigen Gürtel aus Krokodilsleder. Ihre stolze Haltung, die Ordnung ihrer Reihen, ihre stärker als gewöhnlich von der Sonne gegerbte Haut, die vor kurzem noch dem Gluthauch Äthiopiens getrotzt hatte, erweckte die Bewunderung der Zuschauermenge.

Nun folgten die Truppen der Verbündeten, leicht erkenntlich an dem fremden Zuschnitt ihrer Kleidung. Sie trugen mitraartige Helme mit einem Halbmond als Verzierung, als Waffen dienten ihnen breite Schwerter und große scharfgeschliffene Beile.

Die von dem Herold angekündigte Beute wurde von den Sklaven auf den Schultern oder auf Tragbahren gebracht. Bändiger führten Rudeln von Panthern und Leoparden einher, die sich scheu am Boden duckten, Strauße, die aufgeregt mit den Flügeln schlugen, weit über die Menge ragende Giraffen und selbst braune Bären, von denen man erzählte, sie kämen aus den Gebirgen des Mondes.

Während der Pharao an dem Platz vorbeigetragen wurde, auf dem sich Tahoser und Nofre befanden, blieb sein schwarzes Auge auf Tahosers Gestalt haften. Die von den Offizieren getragene Sänfte erhob den Herrscher über das Volk und brachte ihn in gleiche Höhe mit dem Mädchen. Die Haltung seines Hauptes blieb unbeweglich, nicht eine Muskel zuckte in diesem Antlitz, das starr war wie die goldenen Masken der Mumien. Nur seine Pupillen bewegten sich ein wenig gegen Tahoser zu und das Leuchten einer Begierde glomm funkenhaft in ihnen auf. Dies wirkte genau so erschreckend, als wenn die Augen eines Götzenbildes plötzlich Leben bekommen hätten. Eine seiner Hände verließ für einen Augenblick die Wagenbrüstung. Niemand bemerkte diese Bewegung, bis auf den treuesten seiner Diener, der neben dem Thron einherschritt. Er folgte der Richtung des königlichen Blicks und entdeckte die Tochter Petamounophs. – –

Es war unvermittelt Nacht geworden, denn langsame Dämmerung gibt es in Ägypten nicht. Es war Nacht geworden, das heißt, ein blauer Tag war dem gelben Tag gefolgt. In diesem durchsichtigen blauen Licht erschienen zahllose Sterne, die sich im Nil widerspiegelten, dessen Fluten von den rückkehrenden Schiffen aufgepeitscht wurden. Die letzten Kohorten der Armee wälzten sich noch über das Manöverfeld, als Tahoser ihr Schiff verließ und den Laubengang ihres Palastes betrat.



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