Theophile Gautier
Der Roman der Mumie
Theophile Gautier

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XIII.

Rachel stand auf der Schwelle ihres Hauses und winkte Poeri, so lange er zu sehen war. Da glaubte sie in ihrer Nähe ein schwaches Seufzen zu hören.

Sie horchte, vernahm jedoch nichts mehr, als das gewöhnliche Lärmen der Tiere. Einige Hunde heulten den Mond an, Eulen ließen ihren Totenruf ertönen und aus dem Nil hörte man das leise Winseln der Krokodile, die das Weinen der neugeborenen Kinder nachahmten. Schon wollte die Jüdin ins Haus zurück, als ganz in ihrer Nähe neuerdings ein Laut der Klage erscholl. Sie folgte vorsichtig dem Tone und sah im Schatten der Hütte einen menschlichen Körper auf dem Erdboden liegen. Als Rachel erkannte, daß sie eine ohnmächtige Frau vor sich hatte, kniete sie bei ihr nieder und horchte auf den Schlag des Herzens, der, wenn auch schwach, zu vernehmen war.

Rachel dachte, daß sie hier das arme Opfer irgend eines Verbrechens vor sich habe. Sie rief ihre Dienerin Thamar zur Hilfe herbei und die beiden Frauen trugen die Bewußtlose in das Innere der Hütte.

Sie entledigten den Körper der nassen Kleidung, betteten ihn auf das Lager und suchten nach irgend einer Verwundung, ohne eine solche zu finden. Sie rieben das Mädchen kräftig mit warmen Tüchern und endlich schlug Tahoser, unter der wohltuenden Wirkung der Wärme, langsam ihre Augen auf. Schüchtern wie eine umstellte Gazelle blickte sie um sich, zögernd kehrte ihr das Bewußtsein zurück. Wie kam sie nur in dieses Zimmer, auf dieses Ruhelager, auf dem eben noch Poeri und Rachel mit verschlungenen Händen beisammengesessen waren und Küsse getauscht hatten, während sie selbst arm und verlassen draußen an der Wand gestanden war. Zugleich mit der Erinnerung kam auch das Bewußtsein ihrer seltsamen Lage über sie.

Das Antlitz Rachels befand sich im Bereiche des Lichtes und Tahoser, die voll echt weiblicher Sucht nach irgend einem Fehler darin suchte, mußte sich eingestehen, daß sie, wenn auch nicht eine überlegene, doch eine ebenbürtige Gegnerin gefunden hatte. Rachel war der ideale Typus der jüdischen Schönheit, sowie Tahoser der Typus der schönen Ägypterin war.

»Es war sicherlich ein Fehler von mir,« sagte sich Petamounophs Tochter, »daß ich als arme Bettlerin zu Poeri kam, einzig und allein nur auf den Reiz meiner Schönheit angewiesen. Ich handelte wie ein Soldat, der ohne Waffen und Rüstung in den Krieg zieht! Wenn ich, in meine reichen Gewänder gehüllt, vor ihm erschienen wäre, behängt mit meinem kostbaren Schmuck, auf meinem goldenen Wagen stehend, umgeben von meinen Sklaven, hätte ich wenigstens seine Eitelkeit erregt und vielleicht wäre seine Liebe nachgefolgt.«

»Wie geht es Dir«, fragte Rachel, indem sie sich über die Liegende beugte. Sie sprach ägyptisch, da sie wohl bemerkt hatte, daß ihr Schützling keine Jüdin war. Ihre Stimme klang gütig und teilnehmend und der fremde Beiklang gab ihr einen süßen schmeichelnden Ton.

Tahoser, die unwillkürlich gerührt war, antwortete: »Schon geht es mir besser und in deiner Hut werde ich bald gänzlich gesunden.«

»Du bist müde,« sprach Rachel, »schlafe jetzt, damit deine Kräfte wiederkehren können. Thamar und ich werden deinen Schlaf bewachen.«

Und Tahoser entschlief, aufs äußerste erschöpft durch das lange Schwimmen im Nil, durch die Fußwanderung durch die Straßen Thebens und die seelischen Aufregungen, die sie mitgemacht hatte. Aber der Schlaf war unruhig. Sie sprach fiebernd unzusammenhängende Worte und warf sich auf ihrem Lager hin und her. Ihr zu Häupten saß Rachel und beobachtete sorgsam den Schlummer der jungen Ägypterin.

Thamar, die Dienerin, kniete in einem Winkel und beobachtete von dort die Schlafende. Aber aus ihren Mienen sprach Mißmut und unfreundliche Gedanken drängten sich hinter der gefurchten Stirne. Ihre kleinen, glänzenden Augen blickten neugierig auf die Fremde. Die langgebogene Vogelnase schien das Geheimnis, das hier verborgen liegen mochte, zu wittern und die trockenen Lippen bewegten sich immer wieder wie in stummer Frage.

Woher mochte dieses unbekannte Wesen, das da draußen an der Schwelle gelegen, kommen, wer war sie und was wollte sie hier? So fragte sich Thamar. Aber sie fand keine Antwort darauf. Jedenfalls mißfiel ihr Tahoser vom ersten Augenblick an, da sie wie viele alte Frauen eine Abneigung gegen Schönheit hatte. Ihrer Ansicht nach war es nur allein ihrer Herrin erlaubt, schön zu sein. Sie war stolz auf deren Vollkommenheit und bewachte sie treu und eifersüchtig.

Da sich Rachel in Schweigen hüllte, setzte sich endlich die Alte zu ihr und raunte ihr in ihrer Muttersprache zu: »Hüte dich, Herrin – dieses Weib mißfällt mir. Warum mochte sie gerade vor unserem Hause zusammengefallen sein?«

»Wahrscheinlich haben sie die Kräfte erst hier verlassen«, erwiderte Rachel leise.

Die Alte schüttelte das Haupt.

»Du glaubst doch nicht, daß hier irgend ein Betrug vorliegt«, fragte die Geliebte Poeris. »Sie sah doch aus wie eine Tote, ihre Augen waren erloschen, ihre Glieder eiskalt und steif, so kann man sich unmöglich verstellen.«

»Das glaube ich auch nicht,« sprach Thamar, »obwohl es sicherlich Frauen gibt, die die Kunst der Verstellung so weit treiben können; aber dieses Mädchen war tatsächlich ohnmächtig.«

»Worauf stützt sich also dein Verdacht?«

»Wie konnte sie in dunkler Nacht allein in diese Gegend kommen, die nur von uns armen geknechteten Juden bewohnt wird. Warum gelangte die Ägypterin hieher, bekleidet mit einem durchnäßten Gewande, als ob sie soeben aus einem Bade oder sogar aus dem Flusse kommen würde.«

»Das weiß ich so wenig wie du«, sagte Rachel.

»Vielleicht ist sie eine Spionin,« meinte die Alte und blickte haßerfüllt auf die Schlafende, »denn große Dinge bereiten sich vor und es ist vielleicht schon ein Gerücht davon zu den Ohren der Ägypter gelangt.«

»Wie könnte uns dieses arme kleine Mädchen irgendwie schaden? Sie ist doch nun völlig in unseren Händen und im Notfall können wir sie als Gefangene bei uns behalten, bis zum Tage der Erlösung.«

»Jedenfalls müssen wir auf unserer Hut sein. Sieh nur wie zart und fein ihre Hände sind«, und Thamar hob Tahosers Arm empor.

»Ich sehe noch immer nicht ein, wieso uns diese zarten kleinen Hände gefährlich werden könnten.«

»Oh sorglose Jugend,« rief Thamar aus »sie lebt vertrauensvoll dahin, ohne an irgend eine Gefahr zu denken, ohne die Dornen zu beachten, die rings um uns sind; sie wäre imstande, eine Viper zu liebkosen, wie einen harmlosen Wurm. Glaube mir, Rachel, dieses Weib ist nicht das, was sie dir zu sein scheint. Ihre Hände haben nie gearbeitet, sie sind nur geliebkost und gepflegt worden. Dieses armselige Äußere ist nur eine Verkleidung.«

Diese Worte Thamars blieben nicht ohne Wirkung und Rachel begann, Tahoser genauer zu betrachten. Die Schlafende lag in ihrer ganzen Schönheit vor ihr. Ein Arm ruhte auf dem rauhen Stoff und erschien durch diesen Kontrast noch zarter und feiner zu sein. Das Armband aus Sandelholz war zwar ein Schmuckstück, wie es arme Mädchen zu tragen pflegen, aber die Haut darunter schien in der Tat sorgfältig gepflegt worden zu sein, wie sich dies nur die Reichen vergönnen können. Rachel bewunderte diese Schönheit, ohne daß irgend ein böses Gefühl bei deren Anblick in ihr aufkam. Im Gegensatz zu der Alten war sie von dem Anblick gerührt und sie wollte nicht glauben, daß diese edle Hülle nicht eine gleich schöne Seele umschließen könnte.

Der Tag zog herauf.

Tahosers Fieber nahm stündlich zu, sie sprach irre und wälzte sich wild umher.

»Wenn sie hier stirbt,« sprach Thamar, »wird man uns ihren Tod zum Vorwurf machen.«

»Sie wird nicht sterben«, erwiderte Rachel zuversichtlich, während sie der Kranken zu trinken gab.

»Auf jeden Fall«, setzte die Alte fort, »werde ich dann den Leichnam in den Nil werfen, damit die Krokodile ihn fressen können.«

Der Tag ging dahin und als er sich neigte, betrat Poeri wie immer das Haus. Rachel schritt ihm entgegen, einen Finger auf die Lippen gelegt, da ihr Schützling schlief. Sie nahm den Geliebten bei der Hand und führte ihn leise an das Lager. Sofort erkannte Poeri Hora, wegen deren Verschwinden er voll Sorge war, seitdem der Gesandte des Königs bei ihm nach ihr gefragt hatte. Er kniete nieder und beugte sich über sie, um sie genauer zu betrachten und seiner Sache ganz sicher zu sein.

Rachel hatte sein Staunen bemerkt, sie stellte sich vor ihn hin, legte ihre Hand auf seine Schultern und fragte, ihm in die Augen blickend: »Kennst du sie?«

Thamar lauerte auf seine Antwort. Ihr Verdacht war also doch nicht grundlos gewesen.

»Ich kenne sie«, erwiderte Poeri einfach.

Thamar frohlockte. Die Spannung in Rachels Zügen jedoch verschwand und vertrauensvoll lehnte sich das Mädchen an den Geliebten. Sie hörte aufmerksam zu, als er erzählte, daß Hora als Bettlerin zu ihm gekommen sei, wie er sie aufgenommen und wie sie dann vermißt worden sei. Er konnte nicht begreifen, wie sie hier wieder auftauchen konnte. Schließlich erzählte er, daß Diener des Pharao überall nach Tahoser, der Tochter Petamounophs suchten, da diese aus ihrem Palaste verschwunden sei.

»Du siehst also, daß ich recht hatte,« sprach Thamar, »denn Hora und Tahoser sind sicherlich ein und dieselbe Person.«

»Das kann wohl möglich sein,« meinte Poeri »aber damit ist noch manches nicht aufgeklärt. Warum ist zum Beispiel Tahoser aus ihrem Palast entwichen, warum fand ich sie hier am anderen Ufer des Nils wieder.«

»Sie ist dir gefolgt«, warf Rachel ein.

»Ich kann beschwören, daß kein Fahrzeug außer dem meinen am Flusse zu sehen war.«

»Nun weiß ich, warum ihre Kleider völlig durchnäßt waren und warum das Wasser von ihren Haaren rann. Sie hat den Fluß durchschwommen.«

»Es kam mir tatsächlich einmal so vor, als ob ein menschlicher Körper über den Wellen auftauchte.«

»Das war ohne Zweifel sie,« sagte Rachel, »ich habe sie gleich nach deinem Fortgehen durchnäßt und bewußtlos an der Rückseite der Hütte gefunden.«

»Es mag so sein, wie du sagst,« meinte der Jüngling, »aber wenn ich auch die Tatsachen anerkenne, so finde ich doch keinen Zusammenhang zwischen ihnen und keinen Ausweg aus diesem Wirrsal.«

Rachel lächelte sanft und sprach: »Ich will dir die Erklärung geben, obwohl ich nur ein einfaches und beschränktes Mädchen bin und mich an Weisheit nicht mit dir messen kann. Wenn ihr Männer auch vieles von Astronomie, Musik und Rechenkunst versteht, so überseht ihr doch oftmals die Geheimnisse des Mädchenherzens. Ihr könnt am Himmel in größter Entfernung einen Stern genau beobachten, aber ihr seid blind gegen die Liebe, die neben euch emporwächst. Hora oder vielmehr Tahoser hat nur deshalb diese Verkleidung angenommen, um in dein Haus kommen zu können und um in deiner Nähe weilen zu dürfen. Aus Eifersucht ist sie dir nachgefolgt, weder Krokodile noch andere Gefahren haben sie zurückhalten können. Hier hat sie sicherlich durch eine Öffnung in der Wand unser Glück gesehen und ist zusammengebrochen, da sie den Anblick nicht ertragen konnte. Sie liebt dich, weil du gut, schön und stark bist. Doch da du sie nicht wiederliebst, kann mir ihre Liebe keine Sorge machen. Nun bist du wohl aufgeklärt!«

Poeri errötete leicht, da er fürchtete, Rachel würde gekränkt sein. Aber ihr milder Blick, der voll Liebe dem seinen begegnete, beruhigte ihn wieder.

Durch die fiebernde Verwirrung ihrer Gedanken hindurch mußte Tahoser die Nähe Poeris empfunden haben. Der Ausdruck des Glückes spiegelte sich auf ihrem Antlitz, sie faßte nach der herabhängenden Hand des Jünglings und preßte ihre Lippen darauf.

»Ihre Lippen glühen«, sprach Poeri und zog seine Hand zurück.

»Sie ist tatsächlich sehr krank«, sprach Rachel mit besorgter Miene, »wir wollen Thamar zu Moses schicken. Seine Gelehrsamkeit und Weisheit ist viel bedeutender als die der Magier des Pharao. Er kennt die heilsame Wirkung vieler Kräuter und wird Tahoser retten, denn ich bin nicht grausam genug, um ihren Tod herbeizuwünschen.«

Thamar entfernte sich brummend. Nach einiger Zeit kehrte sie zurück und ihr folgte ein ehrwürdig aussehender Greis. Sein langer, silberner Bart reichte ihm bis über die Brust hinab und seine Augen sandten unter den buschigen Brauen Blicke gleich feurigen Blitzen hervor. Trotz seiner armseligen Kleidung sah er achtunggebietend und majestätisch aus.

Er hörte die Erklärungen Poeris an, dann ließ er sich vor Tahosers Lager nieder und streckte die Arme über sie aus. »Wenn du auch nicht dem auserwählten Stamm angehörst, oh Mädchen, im Namen desjenigen, der allmächtig ist und neben dem alle übrigen Götter zu Götzen werden – gesunde!«



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