Theophile Gautier
Der Roman der Mumie
Theophile Gautier

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IV.

Das Haus Tahosers war nur durch die daranschließenden Gärten vom Nil getrennt. Die Tochter Petamounophs schritt nun, sich auf Nofres Arm stützend und von ihrer Dienerschaft begleitet, durch den Laubengang und gelangte schließlich zu dem hohen Damm, auf dem bereits eine große Menschenmenge Schiffe zur Überfahrt erwartete.

Alles, was rüstig war, hatte sich aufgemacht, um den Pharao zu empfangen, und nur mehr Greise, Kinder und Kranke sowie Sklaven waren zwischen den Mauern der Stadt zurückgeblieben. Durch die Gassen, über die Plätze, an den Türmen und Sphynxen vorbei, flutete der breite Menschenstrom dem Flusse zu. Die verschiedensten Rassen waren in dieser Menge vertreten. In der Mehrzahl waren die Ägypter, leicht erkenntlich an ihrem scharf geschnittenen Profil, den schlanken, biegsamen Gestalten und der Art ihrer feinen Leinenkleidung. Manche von ihnen trugen um den Kopf geschlungen ein buntgestreiftes Tuch und um die Hüften ein kurzes, enges Beinkleid, während der übrige sonnengebräunte Körper unbedeckt blieb. Daneben sah man Neger vom Oberlauf des Nil, schwarz wie Statuen aus Basalt, die an den Gelenken breite Armbänder aus Elfenbein und in den Ohren schwere Schmuckstücke trugen; Äthiopier mit wilden Gesichtszügen und Gebärden, die einen seltsamen Anblick inmitten dieser zivilisierten Menge boten, glichen sie doch, dem hellen Tageslicht ausgesetzten wilden Tieren; Asiaten mit lichtgelber Hautfarbe, wasserblauen Augen und spiralförmig auslaufenden Barten, auf dem Kopf eine Tiara mit zwei langen Bändern und eingehüllt in weite Gewänder mit gestickter Einfassung und Fransen daran; Pelasger mit tätowierten Armen und Beinen, gekleidet in Tierfelle, die über den Schultern zusammengehalten waren, das Haupt mit Federn geschmückt und das lange Haar in zwei Zöpfe geflochten.

Durch diese Menge schritten ernst und gravitätisch Priester. Ihr Haupt war geschoren, sie trugen ein Pantherfell als Kleid, Ledersandalen an den Füßen und in der Hand einen langen Stab aus fremdländischem Holz, in den Hieroglyphen eingeschnitten waren. Soldaten kamen daher, an der Seite den Dolch mit dem versilberten Griff, über dem Rücken den Schild und das Bronzebeil in der Faust; Männer die durch das kostbare und seltsame Brustschild als hohe Persönlichkeit erkennbar waren und von den Sklaven durch Verneigen bis zur Erde begrüßt wurden. Die Mauern entlang schlichen arme, halbentblößte Frauen, in Lumpen gehüllt, ihre Kinder gleich Bündeln auf dem Rücken mit sich tragend. Hier wieder schritten junge Mädchen in Begleitung ihrer Dienerinnen stolz dahin, gekleidet in durchsichtige Gewänder, die über der Brust von langen Bändern zusammengehalten wurden, geschmückt mit glänzendem Geschmeide und von einem Hauch von Blumen und Wohlgerüchen umgeben.

Durch diese Schar von Fußgängern bahnten sich Sänften den Weg, in raschem und rhythmischem Schritt von den äthiopischen Dienern getragen. Wagen mit feurig stampfenden Pferden, deren Köpfe mit Federbüscheln geschmückt waren; schwerfällige Karren mit ganzen Familien beladen und von kräftigen Ochsen gezogen. Die träge Menge machte den Fuhrwerken kaum soviel Platz, daß sie von ihnen nicht zertreten wurde.

Ein lebhaftes Treiben herrschte am Ufer des Flusses. Trotz seiner Breite war er in der ganzen Ausdehnung derart mit Fahrzeugen übersät, daß stellenweise vom Wasser überhaupt nichts zu sehen war. Von der hochplankigen Barke bis zum buntbemalten, goldverzierten Großschiff hinauf und abwärts bis zu den kleinsten Papyrus-Kanoen war alles in Bewegung. Selbst die Holzflöße waren zur Personenüberfuhr verwendet worden, obwohl sie sonst nur zum Transport von Gemüse oder von Viehherden dienten.

Es war wahrlich keine geringe Arbeit, diese Menge von mehr als einer Million Menschen über den Fluß zu setzen und erforderte die ganze Gewandtheit der thebanischen Matrosen.

Das tausendfach gepeitschte und zerschlagene Wasser des Nils, durchfurcht von Rudern, Steuern und langen Stangen, schäumte wie die wilde Flut des Meeres und bildete tausend kleine Wirbel, welche die Schnelligkeit der Strömung verminderten.

Ebenso mannigfaltig wie malerisch war der Anblick dieser Flußfahrzeuge. Manche liefen in Schnäbel aus, die als große Lotosblumen geschnitzt waren, und ihr Rand war ringsumher mit Fähnchen geschmückt. Einige waren seitwärts besonders niedrig, endeten jedoch in sehr hohen Spitzen, andere wieder mit gleichmäßig flachem Rande hatten in ihrer Mitte einen Aufbau, eine Art Brücke, auf welcher der Steuermann stand. Manche Schiffe bestanden nur aus drei mit Stricken verbundenen Schichten von Baumrinde. An einzelnen Stellen waren die Flöße, die sonst zur Überfuhr der Herden verwendet wurden, über die ganze Länge des Flusses aneinander geschoben, Bretter waren darüber gelegt und auf diese Weise fliegende Brücken hergestellt worden, um die Menschenmenge möglichst rasch befördern zu können. Die Zugtiere, die sich inmitten des Flusses befanden, gebärdeten sich unruhig, die Pferde schlugen mit ihren Hufen die dünnen Bretter, die Ochsen wollten immer wieder über den engen Rand hinaus dem Ufer zueilen, so daß sie von ihren Lenkern durch Zuruf und Streicheln besänftigt werden mußten.

In den größeren Ruderbooten gaben Anführer den Knechten durch Händeklatschen den Takt an. Am Ende des Schiffes oder auf den Brücken standen die Steuermänner und brüllten den Knechten ihre Befehle zu, um durch dieses Labyrinth hindurchzukommen. Trotzdem die möglichste Vorsicht angewendet wurde, kam es oftmals zu Zusammenstößen, worauf sich die Matrosen auf das heftigste beschimpften oder mit den Rudern aufeinander losschlugen.

Tausende von Barken, die meistens weiß gestrichen und mit blauen, grünen oder roten Ornamenten versehen und vollgefüllt mit Menschen in bunter Kleidung waren, boten in ihrer ständigen Bewegung, bestrahlt von dem Glanz der ägyptischen Sonne, einen äußerst prächtigen Anblick. Dazwischen spritzte das Wasser in unzähligen glitzernden Tropfen empor, gleißend und glänzend wie Quecksilber, gleich einer in ebenso viele Teilchen auseinander gerissenen Sonne.

Tahoser bestieg ihr reichverziertes Schiff. In der Mitte desselben erhob sich eine Kabine, deren Dach von einem kleinen geschnitzten Aufsatz überragt und von schmalen Säulen umgeben war. Zwei große Ruder zeigten in schöner Schnitzarbeit das Bildnis Hathors und waren mit langen kostbaren Bändern geschmückt. Am hohen Mast an zwei Querstreifen befestigt, flatterte ein Segel, dessen reicher Stoff mit phantastischen Abbildungen bemalt und bestickt war. Das Schiffstau wurde gelöst, die Segel gestellt und das Fahrzeug, das mit seinem Vorderteil scharf die Wellen teilte, bewegte sich dem anderen Ufer zu. Aus den kleinen Barken ringsumher, die mit ihren beweglichen Rudern einem Schwarm von, am Rücken liegenden, mit ihren Beinen zappelnden Skarabäen glichen, erschollen Schreie der Entrüstung, Verwünschungen wurden laut, die aber nicht imstande waren, die Fahrt des Schiffes aufzuhalten. Sein starker Bau ließ es die Stöße ertragen, durch die kleinere Fahrzeuge zum Kentern gebracht worden wären. Die Ruderknechte Tahosers lenkten das Fahrzeug so geschickt, daß es beinahe einem denkenden Wesen glich, so rasch und sicher wich es jedem größeren Hindernis aus.

Im Vorbeifahren konnte man auf den Gesichtern aller Menschen ringsumher den Ausdruck der Freude erblicken, der Freude darüber, daß der Pharao heimkam, als Sieger, reiche Beute mit sich bringend. Ganz Theben jubelte und alle seine Bewohner eilten dem Liebling Ammon Ra's entgegen, dem Sonnenkönig, dem Beglücker seiner Völker.

Tahosers Schiff erreichte das andere Ufer und bald traf auch das Floß ein, das ihren Wagen hinüberbrachte. Rasch wurden die weiß- und schwarzgefleckten Ochsen ins Joch gespannt. Sie trugen eine tiaraähnliche Kopfbedeckung, die zur Hälfte das Joch bedeckte und mit drei breiten Lederriemen an der Deichsel befestigt waren. Ein Riemen lag um den Nacken der Tiere, die anderen umschlossen den Leib. Der schlanke Bau und die nervigen, kleinen Füße bezeugten die Reinrassigkeit dieser Tiere. Sie trugen die Ruhe und Gelassenheit Apis', des göttlichen Stieres zur Schau. Der leichtgebaute Wagen faßte drei stehende Personen. Er war von runder Form und trug eine einfache Galerie, an der sich die Fahrenden halten konnten, wenn die Wege uneben wurden oder das Tempo der Fahrt beschleunigt wurde. An einer rückwärts angebrachten Achse drehten sich zwei sechsspeichige Räder, eine lange Stange erhob sich aus dem Wagen empor und darüber entspannte sich ein großer Sonnenschirm aus Palmenblättern.

Nofre, an der Galerie des Wagens lehnend, lenkte die Ochsen, während Tahoser unbeweglich neben ihr stand. Die beiden schönen Mädchen, die eine reich beladen mit Gold und Juwelen, die andere nur mit einem Schleiergewand bekleidet, boten auf dem bunten reichverzierten Wagen ein reizendes Bild. Zehn Diener begleiteten sie, alle in die gleichen gestreiften Überwürfe gehüllt.

Auch auf diesem anderen Ufer war die Menge des Volkes nicht kleiner; hier vermischten sich mit den Massen der fortwährend landenden Schiffe die Bewohner Memnonias und der umliegenden Ortschaften. Unzählige kleine Wagen, deren reichvergoldete Räder wie kleine Sonnen glänzten, strebten dem Manöverfeld zu.

Die Straße, die dieser Zug nahm, ging mitten durch grünende Kulturen, aus denen sich zahlreiche Palmen hoch emporhoben. Buntfarbige Landhäuser waren ringsumher verstreut, kleine Paläste und Villen, umrahmt von Sykomoren und Mimosen; Teiche glitzerten in den Strahlen der Mittagssonne und Weinreben rankten sich zu dichten Lauben aneinander empor. Im Hintergrund erhob sich der Palast Rhamses-Meiamouns, mit seinen monumentalen Türmen, seinen bunten Mauern und langen Fahnenstangen, an denen Wimpel flatterten. Weiter gegen Norden zu zeichneten sich in ihrer ewigen Unbeweglichkeit die blauen Spitzen der riesigen Granitfelsen ab.

Noch näher gegen das libysche Gebirge befand sich das Gebiet von Memnonia, das von Kolchyten, Paraschiten und Tarascheuten bewohnt war. Der Rauch der dort befindlichen Natron-Siedereien stieg aufrecht gegen den Himmel und war weithin sichtbar. Dort war die Arbeit des Todes auch jetzt nicht unterbrochen worden, während sich hier so lärmendes Leben dahinrollte. Bandagen wurden dort zur Mumienumhüllung zurechtgerichtet, Särge mit Hieroglyphen geschmückt und manch kalter Leichnam lag auf dem von Löwen- oder Schakal-Statuen getragenen Totenbetten, um für die Ewigkeit vorbereitet zu werden. Ganz am Rande des Horizontes, durch die eigentümliche Durchsichtigkeit der Luft in nächste Nähe gerückt, dehnten sich die zackigen Kalkfelsen der libyschen Gebirge hin, in deren Innerem die Toten zur Ruhe gelegt wurden.

Blickte man auf das andere Ufer hinüber, so sah man vor allem, sich scharf vom Hintergrund der arabischen Bergkette abhebend und rosig von der Sonne beleuchtet, den Nordpalast in seiner massigen Größe, selbst einem Granitfelsen gleichend, inmitten eines Waldes von Säulen, welche die flachen Dächer ringsumher weit überragten. Vor dem Palast befand sich eine große Terrasse, längs deren Seiten Stiegen zum Fluß hinabführten. Durch die Mitte dieser Terrasse führte eine kurze gerade Allee von Sphinx-Statuen bis zum Fluß. Am Ende derselben erhob sich ein riesiger Turm, flankiert von hohen Obelisken, die ihre fleischfarbigen Spitzen in den blauen Äther zu bohren schienen.

Hinter der Umfassungsmauer des Palastes wurde die Hauptfassade von Ammons Tempel sichtbar, weiter rechts der Tempel Chou's und derjenige Ophts. Dann erhoben sich zwei Obelisken von etwa sechzig Fuß Höhe und eröffneten die gigantische Sphinxenallee, die aus mehr als zweitausend Figuren mit Löwenköpfen gebildet war und vom Nordpalast zum Südpalast führte. Man konnte weithin die Riesenrücken dieser Monstren erblicken.

Dann kam das Häusermeer Thebens, aus dem hier und dort die Abbildung der symbolischen Flügelkugel erglänzte, steinerne Riesenköpfe mit gutmütigem Ausdruck, Teile großer Gebäude, spitzige Türme, Terrassen, Palmen, die wie große Büschel inmitten dieses Häusermeeres aussahen, emporragten, bis schließlich der Süd-Palast den Abschluß bildete. Imposant und mächtig erhob er sich in der Ferne, mit seinen buntbemalten Wänden, seinen hohen Fahnenstangen, den Obelisken und dem Schwarm von steinernen Sphinxen.

Tahoser sah zerstreut auf das bekannte Bild. Als sie jedoch an einer kleinen Villa vorbeikamen, die fast ganz im Grünen verborgen lag, schüttelte sie ihre Starrheit von sich ab und spähte auf die Terrasse des Hauses.

Ein schöner Jüngling lehnte dort an einer Säule und beobachtete die Volksmenge. Seine dunklen Augen gingen gleichgültig über Tahoser und Nofre hinweg.

Die Hand, mit der sich Petamounophs Tochter am Wagenrand festhielt, erbebte, die Wangen erblaßten unter der Schminke und sie atmete tief den Geruch der Lotosblumen ein, die sie neben sich liegen hatte.

Trotz ihres Scharfblickes bemerkte Nofre nicht, welchen Eindruck der Fremdling auf ihre Gebieterin gemacht hatte. Sie sah weder deren Erblassen, noch das Erglänzen ihres Blickes, sie achtete nicht auf das leise Klirren der Schmuckstücke, die unter dem Aufatmen Tahosers erzitterten. Allerdings mußte sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf das schwierige Lenken des Wagens konzentrieren, eine Arbeit, die zurzeit gewiß nicht leicht war.



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