Theophile Gautier
Der Roman der Mumie
Theophile Gautier

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

X.

Indessen dachte Tahoser nicht im mindesten an Nofre und an die Sorgen, die sie ihr bereitete. Sie hatte alles vergessen, Haus, Diener, Schmuck und Bequemlichkeit.

Petamounophs Tochter hatte keine Ahnung, daß der Pharao sie liebte. Ihr war der funkelnde Blick entgangen, den der Unnahbare ihr zugeworfen hatte. Aber selbst wenn sie um seine Liebe gewußt hätte, hätte sie auch diese, wie alles andere, zu Poeris Füßen niedergelegt.

Tahoser saß beim Spinnen – diese Arbeit war ihr zugewiesen worden – und ihr Blick wich nicht von dem jungen Hebräer. Sie genoß das Glück, in seiner Nähe zu weilen und als Gast in seiner Villa Aufnahme gefunden zu haben.

Hätte Poeri sich umgewandt, so wäre ihm sicher der feucht schimmernde Blick, die Röte ihres Antlitzes aufgefallen und hätte ihm den Aufruhr ihres Herzens verraten. Er saß jedoch ruhig vor einem Tisch, über ein Papyrusblatt gebeugt und schrieb mit einem Schilfrohr Rechnungen aus.

Hatte Poeri noch nichts von Tahosers Gefühl bemerkt? Verstand er sie nicht oder wollte er sie nicht verstehen? Sein Benehmen ihr gegenüber war sanft und wohlwollend, jedoch zurückhaltend, als ob er die Möglichkeit einer Vertraulichkeit im Keime hätte ersticken wollen.

Es war die Zeit der Ernte und Poeri ging, um die Arbeiten zu beaufsichtigen. Tahoser folgte ihm, mit der steten Angst im Herzen, von ihm zurückgesandt zu werden. Doch er wandte sich freundlich zu ihr und sprach: »Dem Kummervollen kann es Trost bereiten, wenn er dem Frieden der Feldarbeit zusieht. Und hier wirst Du Ablenkung finden, wenn Erinnerung an eine bessere Vergangenheit Dein Herz betrübt. Auch wird der Anblick Dir ungewohnt sein und Dich fesseln. Denn Deine Haut ist nicht von der Sonne gebräunt, Deine Füße und Hände sind zart und die Art, mit der Du Dein grobes Kleid trägst, zeigt mir mit Bestimmtheit, daß Du in der Stadt, umgeben von Luxus und Reichtum, aufgewachsen bist. Komm, setz' Dich mit Deiner Spindel unter diesen Baum und sieh den Arbeiten rings um Dich her zu.«

Tahoser folgte der Aufforderung und ließ sich unter dem Baum nieder.

Sie erblickte die Kornfelder, die sich bis zur libyschen Gebirgskette ausdehnten, gleich einem gelben Meer mit goldig schimmernden Wellen. Die Sonne schien so stark, daß sie stellenweise das Korn bleichte und die Garben silbern wie Wasserschaum glänzten. Gedüngt durch den fruchtbaren Nilschlamm, hatten sich die Ähren hoch emporgehoben, stark wie leichte Wurfspieße.

Man sah ab und zu die weiß umwundenen Köpfe und sonnengebrannten Leiber der arbeitenden Männer aus der Flut auftauchen. Die Schnitter waren fleißig bei der Arbeit, sie beugten sich im Takte hin und her, das Korn mit einer Sichel mähend. Hinter ihnen schritten die Ährenleser mit großen Körben, in denen sie die Garben sammelten, um sie dann in eine nahe Scheuer zu tragen.

Dann wurde der Inhalt der Körbe auf eine Tenne geschüttet und mit großen Gabeln gleichmäßig verteilt.

Poeri, der sich eben hier aufhielt, gab dem Aufseher der Ochsen ein Zeichen und dieser ließ seine Tiere herbeiführen. Es waren Prachtexemplare mit langen, gebogenen Hörnern, nervigen Fesseln, muskulösen Beinen und mächtigen Flanken. Sie alle trugen das Brandmal, das sie als Eigentum des Königs bezeichnete. Langsam und bedächtig, zu viert in ein Joch gespannt, schritten sie daher. Sie wurden zur Tenne geführt und begannen unter dem Ansporn der Peitsche im Kreis umherzugehen, so daß die Körner unter ihren Hufen aus den vollen Ähren spritzten. Die Sonne brannte heiß auf ihre Flanken, und der Staub, den sie aufwirbelten, fing an, sie in den Nüstern zu kitzeln, so daß sie schließlich trotz Peitschenhieb und Zuruf der Treiber nach einer Anzahl von Runden langsamer wurden und ihre Köpfe aneinander rieben.

Nun stimmten die Knechte das Lied an, mit dem sie die Tiere in ihrer Arbeit anzueifern pflegten.

»Dreht euch, ihr Ochsen, dreht euch und stampft ein Maß für euch, ihr Ochsen, und eins für euern Herrn.« Und die also angefeuerten Tiere verschwanden aufs neue in einer Staubwolke, aus der die Körner gleich Funken aufspritzten.

Schließlich wurden die Ochsen weggeführt und Knechte lockerten mit ihren Gabeln das Getreide, um das Stroh und die leeren Ähren von dem Korn zu sondern. Letzteres wurde in Säcke gefüllt, abgewogen und in den Speichern verstaut.

Tahoser, unter ihrem Baum, sah mit Vergnügen auf diese emsige Tätigkeit.

Der Tag schritt seinem Ende zu. Schon ruhte die Sonne knapp über den Dächern der Stadt und schickte sich an, hinter dem Kamm des libyschen Gebirges zu verschwinden. Dies war die Zeit, da die Viehherden heimgetrieben wurden. In Poeris Nähe ruhend, genoß Tahoser auch dieses ländliche Schauspiel.

Erst kamen die Rinder, weiße und braune, weißschwarzgefleckte, oder zebraartig gestreifte. Im Vorübergehen streckten sie ihre Nasen mit gutmütigem Blick in die Luft empor. Die Ungeduldigsten, die schon die Nähe des Stalles witterten, stiegen manchmal auf den Rücken der Gefährten, um gleich darauf wieder in der Herde unterzutauchen. Daneben schritten die Treiber mit großen Peitschen und Stricken. Wenn sie an Poeri vorüberkamen, knieten sie nieder und berührten mit ihrer Stirn den Erdboden, um dadurch ihre Unterwürfigkeit zu zeigen.

Einige Männer schrieben auf kleinen Täfelchen die Anzahl der vorüberschreitenden Tiere auf. Nach den Rindern kamen, in kurzem Trab daherzottelnd und den Boden mit ihren kleinen Hufen stampfend, die Esel; dann die Böcke und Ziegen, die mit Mühe von den Hirten in den Reihen gehalten wurden.

Zum Schluß kam mit erbärmlichem Gekreisch, müde von dem weiten Weg, dahinwatschelnd die große Herde der Gänse.

Die Tore hatten sich längst hinter diesen Reihen geschlossen, als noch immer eine große Staubwolke über dem Weg schwebte, den sie gekommen waren.

Poeri wandte sich Tahoser zu: »Hora ich hoffe, daß Dich der Anblick der Schnitter und der Herden fröhlicher gestimmt hat! Nun gehe und nimm Deine Mahlzeit mit den anderen ein; ich muß noch den Ertrag des heutigen Tages vermerken!«

Tahoser neigte eine Hand zur Erde, die andere gegen die Stirn und entfernte sich dann. Im Speisesaal lachten und scherzten die jungen Mädchen durcheinander. Dochte brannten in ölgefüllten Vasen und gaben dem Raum Licht, denn die Nacht war hereingebrochen.

»Ich möchte wissen, wohin der Herr jeden Abend gehen mag?« fragte ein naseweises kleines Mädchen, während sie sich mit affenartiger Behendigkeit einen Granatapfel schälte.

»Er wird dorthin gehen, wohin es ihm beliebt,« erwiderte ihr eine ältere Sklavin, »er ist niemandem Rechenschaft schuldig und du wärst sicherlich nicht dazu geschaffen, ihn heute Abend hier zurückzuhalten.«

»Warum nicht?« fragte die Kleine, »warum ich nicht ebenso wie eine andere?«

Die ältere zuckte mit den Achseln. »Hora, die doch viel klüger und schöner ist, wie wir alle, auch sie kann ihn nicht mehr fesseln, als wir anderen. Er trägt nur einen ägyptischen Namen und steht in Diensten des Pharao, aber dabei gehört er doch der Rasse der israelitischen Barbaren an. Wenn er des Nachts ausgeht, wohnt er sicherlich einem Kindesopfer bei, das seine Glaubensgenossen irgendwo an einem entlegenen Ort darbringen, an einem Ort, den die Menschen scheuen und an dem nur der Ruf des Käuzchens, das Lachen der Hyänen und das Pfeifen der Vipern zu hören ist.«

Schweigend verließ Tahoser den Raum und verbarg sich hinter einem Mimosenstrauch im Garten. Zwei Stunden blieb sie hier verborgen, bis sie endlich Poeri bemerkte, wie er sich über die Felder hin entfernte.

Leichtfüßig und unhörbar folgte sie ihm.



 << zurück weiter >>