Theophile Gautier
Der Roman der Mumie
Theophile Gautier

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XI.

Poeri schritt auf einem schmalen Pfade zwischen sumpfigen Schilfpflanzen hindurch, dem Flusse zu. Den Atem anhaltend und den Boden kaum berührend, hielt sich Tahoser dicht hinter ihm. Es war Neumond, die Nacht daher dunkler als sonst und das Schilf stand dicht. Wenn Lichtungen kamen, ließ das Mädchen Poeri weiter vorgehen und eilte dann, in gebückter Stellung, rasch hinter ihm her. Ein Mimosenhain folgte und hier konnte Tahoser geringere Vorsicht walten lassen. In ihrer Angst, den Jüngling zu verlieren, war sie oft so dicht hinter ihm, daß die von ihm gestreiften Zweige ihr Gesicht peitschten; doch sie achtete dessen nicht.

Ein Gefühl der brennendsten Eifersucht trieb sie vorwärts, das Geheimnis zu ergründen, das sie sich ganz anders erklärte, als die Dienerin des Hauses. Sie hatte keinen Augenblick daran gedacht, daß der junge Hebräer tatsächlich der Ausübung eines barbarischen Ritus zueilen könnte. Durch die Liebe hellsehend gemacht, dachte sie nur an eines: daß hier eine andere Frau im Spiele sein müßte. Und diese Frau wollte sie sehen. Die wohlwollende Kälte, die Poeri ihr entgegenbrachte, ließ sie ahnen, daß sein Herz bereits vergeben wäre. Hätte er sonst so spröde sein können einer Frau gegenüber, deren Schönheit in ganz Theben, ja in ganz Ägypten gepriesen wurde? Hätte er sonst eine Liebe verschmäht, die Offiziere und Priester von hohem Rang, ja selbst Prinzen von königlichem Geblüt zu erringen gesucht hatten?

Am Flußufer angelangt, schritt Poeri einige Stufen hinab und bückte sich nieder, als wollte er irgend etwas suchen. Tahoser sah, am Boden liegend, voll Verzweiflung, daß er ein kleines Papyrusboot losband und Anstalten machte, über den Fluß zu setzen.

Tatsächlich bestieg Poeri das Fahrzeug, stieß vom Ufer ab und ruderte aufrechtstehend dahin.

Völlig außer sich rang das Mädchen die Hände, denn nun würde sie das Geheimnis nicht enträtseln können. Was sollte sie tun? Umkehren, mit dieser schrecklichen Qual, dieser brennenden Marter im Herzen? Sie nahm all ihren Mut zusammen und faßte einen raschen Entschluß. Ein anderes Fahrzeug war nirgends zu sehen und eines zu suchen, hätte zu viel Zeit in Anspruch genommen. So ließ sie sich die Böschung hinabgleiten, entledigte sich ihres Kleides und rollte es über dem Kopf zusammen. Dann trat sie langsam und vorsichtig in das Wasser und teilte mit ihren schönen Armen die Fluten, in denen sich die Sterne widerspiegelten. Da sie ausgezeichnet schwamm, war es ihr ein leichtes, dem Nachen zu folgen.

In der Mitte des Flusses angelangt, mußte sie jedoch ihre Kräfte zusammennehmen, um nicht von der starken Strömung mitgerissen zu werden. Ihr Atem wurde kurz und laut und sie fürchtete, der Jüngling würde sie hören. Zum Glück gelangte sie endlich wieder in ruhiges Wasser. Ein dunkles Schilfbündel, das schiffabwärts schwamm, versetzte sie einmal in größten Schrecken, da es in der Dämmerung dem Rücken eines der hier so zahlreich vorkommenden Krokodile glich. Sie glaubte schon die Schuppen des Ungeheuers zu streifen, als sie ihren Irrtum erkannte. Schließlich sagte sie sich: wozu soll ich mich vor irgend etwas fürchten, wenn Poeri mich nicht liebt.

Jedenfalls war hier Gefahr vorhanden. Bei Tag, wenn viele Schiffe lärmend über den Fluß kreuzen, ziehen sich die Krokodile an einsame Stellen zurück und vergraben sich in den Schlamm oder lassen sich von der Sonne bescheinen. Aber die Dämmerung macht sie wieder lebendig.

Tahoser hatte dies ganz vergessen, von nichts erfüllt als von ihrer Leidenschaft. Aber selbst, wenn sie an die Gefahr gedacht hätte, wäre dieser Gedanke nicht imstande gewesen, sie zurückzuhalten. Sie, die sonst so scheu und furchtsam war und vor jedem kleinen Tier zurückwich.

Plötzlich hielt der Nachen an, obwohl das Ufer noch nicht erreicht war. Poeri hatte Tahosers weißes Kleid, das um ihren Kopf gewunden war, aus dem Wasser auftauchen gesehen.

In ihrer Angst vor einer möglichen Entdeckung tauchte die Schwimmerin unter, fest entschlossen, nicht eher wieder emporzukommen, bis Poeris Argwohn entschwunden sein konnte.

»Ich hätte geschworen, dort jemanden schwimmen zu sehen«, murmelte der Jüngling vor sich hin und begann von neuem zu rudern. »Doch wer könnte sich um diese Zeit in die Fluten des Nils wagen. Ich muß mich wohl geirrt haben. Das, was ich für eine weiße Kopfbedeckung hielt, wird nichts gewesen sein, als ein Büschel weißer Lotosblumen oder aufgewirbelter Schaum des Wassers. Sonst müßte es ja noch zu sehen sein.«

Endlich tauchte Tahoser wieder auf; ihre Adern waren angeschwollen, ihre Schläfen hämmerten und rote Flammen zuckten vor ihren Augen. Sie holte tief Atem und als sie sich nach dem Nachen umsah, konnte sie Poeri erblicken, wie er gelassen durch die Wellen dahinfuhr.

Schon war das Ufer ganz nahe, die violetten Schatten des großen Nordpalastes schwebten gigantisch über den Fluten und Tahoser konnte sich nun unbekümmert nähern.

Poeri landete und befestigte sein Schiff an einem Pflock. Dann eilte er hastig das Ufer hinan.

Tahoser war beinahe am Ende ihrer Kräfte. Sie war kaum noch imstande, sich an der kleinen Landungstreppe emporzuziehen. Als sie das Wasser verlassen hatte, kam ihr erst die bleierne Schwere ihrer Glieder und der brennende Schmerz ihres Kopfes zum Bewußtsein. Aber der schwerste Teil ihres Wagnisses lag nun hinter ihr.

Sie raffte sich auf und folgte der Spur Poeris, die eine Hand auf ihr pochendes Herz gepreßt, mit der anderen das völlig durchnäßte Kleid festhaltend. Schließlich machte sie einen Augenblick Halt, um ihr Gewand anzuziehen und dachte dabei darüber nach, welchem Ziel Poeri wohl zustreben konnte. Die Kälte des nassen Gewebes jagte einen Schauer durch den schönen Körper. Die Nacht war lind und eine laue Brise wehte über das Land und trotzdem schlugen die Zähnchen Tahosers wie im Fieber aufeinander. Sie nahm den letzten Rest von Willenskraft zusammen und erreichte endlich den jungen Hebräer, sich immer fest an die Mauern anpressend.

Poeri umschritt den großen Palast und verlor sich im Häusermeer Thebens. Die reichen Villen und Tempel und vornehmen Behausungen verschwanden nach und nach und machten kleinen, armseligen Besitzungen Platz. Dem Granit- und Sandstein folgten nun einfache Ziegelbauten oder durch getrockneten Schlamm zusammengehaltene Schilfhütten. Hier waren keine Häuser mit architektonischen Verzierungen zu sehen, nur Hütten standen hier; sämtlich von der gleichen, einfachen, runden Form. Des öfteren versperrten die Stämme gefällter Bäume oder Ziegelanhäufungen den Weg. Die Einsamkeit ringsum wurde beängstigend. Unheimliche Geräusche erschollen durch die Nacht. Eulen flatterten schwer daher, magere, spitzschnauzige Hunde verfolgten schnappend die flatternden Fledermäuse und stießen von Zeit zu Zeit ein heiseres Bellen aus. Käfer und Reptilien krochen über das laut raschelnde Gras dahin.

»Sollte Harphra doch recht gehabt haben?« sprach Tahoser zu sich, von dem unfreundlichen Bilde erschreckt. »Wird Poeri wirklich einem Kindsmord beiwohnen? Wird er wirklich den barbarischen Göttern opfern, die Blut und Qualen lieben? Aber selbst wenn ich die größten Greueltaten zu sehen bekommen würde, wenn ich das Schreien und Jammern der Opfer hören sollte und ansehen müßte, wie der Priester mit seinen blutigen Händen dem Opfer das zuckende Herz aus dem Leibe reißt, so würde ich doch alles aushalten bis zu Ende.«

Während Tahoser noch mit diesen Betrachtungen beschäftigt war, verschwand der Jüngling in einer Hütte, aus deren Fenstern gelber Lichtschimmer drang.

Petamounophs Tochter schlich mit unhörbaren Schritten hinter ihm her. Sie umkreiste die Hütte und entdeckte schließlich eine Öffnung, die weit genug war, um einen Blick ins Innere zu gestatten.

Eine kleine Lampe beleuchtete einen Raum, der viel wohnlicher und wohlhabender aussah, als man dies nach dem Äußeren der Hütte hätte vermuten können.

Aber Tahoser beachtete nichts von den Gegenständen der Einrichtung, obwohl der Abstand zwischen äußerer Armut und innerem Wohlstand sie seltsam berührte. Ihre ganze Aufmerksamkeit wurde sofort von einem einzigen Wesen gefangengenommen.

Auf einem mit Matten bedeckten Lager saß ein Weib von wunderbarer, exotischer Schönheit. Von so lichter Hautfarbe war keine der Töchter Ägyptens. Sie war zart und weiß wie Lilien, ihre Augenbrauen zogen sich dahin, gleich zwei Bogen von Ebenholz, trafen sich unterhalb der Stirn und überragten eine feine, edle Adlernase von vollendeter Form, deren zarte hellrote Flügeln dem Innern einer Muschel glichen. Die Lippen, zwei schmale purpurne Streifen, ließen, sich öffnend, eine Reihe kleiner, weißer Zähne sehen. Die Haare, nachtschwarz und glänzend, umrahmten Wangen von der Farbe der Granatblüten. Lange Ohrringe schmückten das junge Weib und ein Gehänge aus Gold umspannte den Hals, der, rund und voll, einer Säule von Alabaster glich.

Sie war mit einem weiten tunikaartigen Gewand bekleidet, das mit symmetrischen Arabesken in verschiedenen Farben bestickt war, kaum über die Knie reichte und die Arme völlig frei ließ.

Der junge Hebräer saß an ihrer Seite und unterhielt sich mit ihr in einer Sprache, die Tahoser nicht verstand. Trotzdem hätte die Lauschende nicht lange im Zweifel über den Sinn dieser Unterhaltung sein können. Aber die Hoffnung stirbt schwer, wo die Liebe wohnt.

»Vielleicht ist sie seine Schwester,« dachte Tahoser »und er kommt nur deshalb so heimlich zu ihr, um nicht öffentlich zu zeigen, daß er der geknechteten Rasse angehört.«

Sie preßte ihr Ohr an die Öffnung und hörte mit brennender Begierde auf die unbekannten, melodischen Worte. Sie hätte ihr Leben dafür gegeben, wenn sie hätte wissen können, was die beiden sprachen, was der Sinn und Inhalt der Worte war, die an ihrem Ohr vorbeiklangen, wie das Säuseln der Blätter oder wie das Rauschen des Wassers.

»Sie ist zu schön, um bloß seine Schwester zu sein«, dachte sie und maß mit eifersüchtigen Blicken die Fremde, deren Wesen ihr drohend und unheilverkündend erschien.

»O Rachel, meine geliebte Rachel«, wiederholte Poeri immer wieder. Tahoser erinnerte sich: Das waren dieselben Worte, die er im Schlafe gemurmelt hatte. Er dachte also auch in seinen Träumen an sie, Rachel, das mußte sicherlich ihr Name sein.

Und das arme Kind empfand Qualen, als ob ihr Herz von allen Schlangen Ägyptens zerfleischt worden wäre.

Rachel beugte ihr Haupt auf die Schulter Poeris, die Lippen des Jünglings streiften die Haare der schönen Jüdin, die sich nun leicht nach rückwärts beugte und ihren Mund seiner Liebkosung darbot. Die Hände der beiden waren fest umschlungen.

»Lieber hätte ich ihn bei einem barbarischen Kult belauscht, lieber gesehen, wie er Opfer tötete und deren Herzblut trank! Eher hätte ich dies ertragen, als den Anblick der Liebkosungen, die er diesem schönen Weibe darbringt.« Und Tahoser stürzte im Schatten der Hütte zusammen. Zweimal versuchte sie sich zu erheben, doch immer wieder fiel sie zurück, Nebel stiegen vor ihren Augen auf und eine Ohnmacht umfing ihre Sinne. – –

Poeri verabschiedete sich mit einem langen Kuß und verließ die Hütte.



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