Theophile Gautier
Der Roman der Mumie
Theophile Gautier

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XII.

Der Pharao war außer sich über das Verschwinden Tahosers. Er hatte seinen Aufenthaltsort geändert und war in seinen Nordpalast übersiedelt, zur größten Verzweiflung seiner Frauen, die alles versuchten, ihn zurückzuhalten. Aber sie langweilten und ärgerten ihn. Alles, was nicht mit Tahoser zusammenhing, war ihm widerwärtig. Die Reize der Frauen, die ihn früher erfreut hatten, erschienen ihm nun schal und öde und ihre schlanken jungen Körper, ihre wollüstigen Bewegungen, ihre antimongeschminkten Augen, aus denen ihr Verlangen erglänzte, alles an ihnen war ihm nun ein Greuel. Selbst die Tatsache, daß sie ihm früher begehrenswert erschienen waren, erregte nun seinen Zorn. Und die Frauen, die ihn demütig an die Vertraulichkeit der früheren Tage zu erinnern suchten, erblaßten unter dem verachtungsvollen Blick seiner funkelnden Augen.

Um ihnen zu entgehen, hatte er die Übersiedlung in den Nordpalast anbefohlen und hauste dort einsam, schweigend und voll Unrast.

Es war ein ungewohnter Anblick, den großen Pharao ruhelos und fiebernd durch die weiten Gemächer schreiten zu sehen, ihn, vor dem die Welt erzitterte und der nun selbst vor Ungeduld und Verzweiflung erbebte.

Wenn er sich im Vorbeischreiten den Wachen und Dienern näherte, hielten diese den Atem an und wagten nicht, sich zu bewegen, so sehr lähmte der Anblick seines Zornes seine Umgebung.

Er hätte sich nicht anders gebärden können, wenn er von seinem Feldzug besiegt heimgekehrt wäre, anstatt, wie es der Fall war, zehn Schlachten geschlagen und gewonnen zu haben, zwanzigtausend Feinde getötet, ungezählte Kostbarkeiten und exotische Tiere erbeutet zu haben.

Ägyptens Erde mit all ihrem Reichtum, eine ungeheure Schar von Kriegern und von Sklaven, prachtvolle Stallungen und Werkstätten hatten bisher dem Herrscher für die Ausführung jedes Wunsches zur Verfügung gestanden. Er hatte kein Hindernis für seinen Willen gekannt – und nun mußte er erleben, daß er etwas begehrte und daß sein Wunsch, gleich einem schlecht geschleuderten Geschoß, das gewünschte Ziel nicht erreichte.

Er schritt durch die Säulenhallen, an den Türmen, an den Monolith-Obelisken und Kolossen vorbei und verlor sich in dem Urwald der hundertfachen Säulen, die turmhoch emporragten. Und alle die Bildnisse der Götter und Könige um ihn her schienen erstaunt auf ihn zu blicken, auf ihn, der immer so kalt und unerschütterlich gewesen war, wie sie selbst und nun auf einmal sich so durchaus menschlich gebärdete.

Endlich bestieg der Pharao, müde von seiner Wanderung, die Terrasse des Palastes, streckte sich auf einem niedrigen Ruhelager aus und ließ Tymopht rufen.

Dieser kam, sich bei jedem Schritt tief vor dem Herrscher verneigend. Er fürchtete dessen Zorn und sah seinen Sturz voraus, nachdem er sich eben erst so rasch zum Günstling des Pharao erhoben hatte.

Er ließ sich auf ein Knie nieder und streckte bittend die Hände nach dem Gebieter aus.

»O König, laß mich noch leben, strafe mich nicht zu hart. Die schöne Tahoser, auf die dein Wunsch gefallen, wie der Falke auf die Taube, wird und muß sich wiederfinden und wenn sie zurückkehrt und deine herrlichen Gaben vorfindet, dann wird ihr Herz sich dir zuneigen und sie wird zu dir kommen und im Kreise deiner Frauen erglänzen.«

Der Pharao sprach: »Hast du ihre Sklaven und Diener entsprechend befragt? Die Bastonade ist ein wundertätiges Mittel und kann die schweigsamsten Zungen lösen.«

»Nofre, ihre treue Dienerin und Souhem, ihr ältester Sklave, haben sie überall gesucht! Sie haben festgestellt, daß das Wassertor nicht verschlossen war. Ihre Gebieterin muß also diesen Weg gewählt haben – aber die Fluten bewahren keine Spuren!«

»Hast du die Schiffer befragt?«

»Die behaupten, sie hätten nichts gesehen. Ein einziger von ihnen hat in der Morgendämmerung jemanden über den Fluß gebracht, ein ärmlich gekleidetes Weib. Und das kann Tahoser nicht gewesen sein, sie, die gewohnt ist, königlich in ihren Prunkgewändern einherzuschreiten.

Der Pharao stützte das Kinn in die Hand und dachte nach. Mit Schrecken erwartete Tymopht den Ausbruch seines Zornes.

Doch der König murmelte vor sich hin: »Dieses ärmliche Aussehen kann nur eine Verkleidung gewesen sein – ganz sicher – so gelangte sie über den Fluß. Tymopht ist einfältig, ich würde ihn am liebsten den Krokodilen vorwerfen. – Zu welchem Zwecke kann eine junge Frau aus solch vornehmen Haus, die Tochter eines hohen Priesters, ihren Palast allein und ohne Erklärung verlassen? Sie liebt – sie liebt einen Anderen!«

Bei diesem Gedanken stieg eine dunkle Röte in des Pharaos Antlitz und wich rasch einer fahlen Blässe, seine Augen zuckten, sein Mund öffnete sich und schloß sich dann, so daß die Zähne hörbar aufeinander knirschten und sein Anblick war so furchtbar, daß Tymopht sich zur Erde warf und wie ein Toter liegen blieb.

Doch der Pharao fand seine Selbstbeherrschung und seine königliche Würde wieder, sein Antlitz nahm die gewöhnliche Ruhe an. Da Tymopht unbeweglich liegen blieb, stieß er verächtlich mit dem Fuß nach ihm. Der Diener, der sich bereits unter den Händen der Einbalsamierer von Memnonia ohne Eingeweide im Pechbade liegen sah, kauerte sich zu den Füßen seines Herrn zusammen.

»Vorwärts, Tymopht,« rief der Pharao, »alarmiere alle Diener, lasse Tempel, Paläste, Häuser, Villen und Gärten und selbst die ärmlichsten Hütten durchforschen. Tahoser muß gefunden werden. Sende Wagen nach allen Richtungen und Schiffe den Fluß hinauf und hinunter, du selbst suche und frage überall nach ihr. Durchforsche selbst die Grabmäler. Suche sie, wie einst Isis nach Osiris suchte, als Typhon ihn zerstückelt hatte. Du mußt sie mir bringen, lebendig oder tot! Sonst, bei meinem Zepter, nimmst du ein Ende mit Schrecken.«

Tymopht erhob sich und verschwand mit Blitzesschnelle, um dem Befehl nachzukommen.

Vor den Blicken des Pharao, der auf seiner Terrasse saß, stoben Wagen nach allen Richtungen auseinander, bald verließen zahlreiche Schiffe das Ufer und kreuzten den Nil.

Die Stunden verrannen, schon war die Sonne untergegangen, aber noch war keiner der Boten zurückgekehrt. Die Nacht legte sich über die Stadt und brachte Kühle und Stille. Die Sterne erglänzten in ihrer Pracht auf dem tiefblauen Himmelsgrunde. Hoch oben auf der Terrasse saß der König. Nachtvögel, die sich seiner Gestalt näherten, flogen rasch davon, von seinen tiefen, schweren Atemzügen verscheucht.

Er ließ seine Blicke über die Umrisse der schlafenden Stadt gleiten, über die Umrisse dieses riesigen Theben, dessen Herr er war. Und doch, wie klein und machtlos war er schließlich. Der unerfüllte Wunsch nagte, gleich einem Geier, in seinem Innern.

»Alle diese Häuser ringsumher sind von Menschen bewohnt, die sich vor mir beugen, wie vor einem Gott! Wenn ich auf goldenem Wagen oder in meiner Sänfte von Offizieren getragen an ihnen vorbeiziehe, folgen mir die Blicke und Wünsche der zitternden Mädchen, das Volk streut Palmen und Blumen auf meinen Weg und jubelt mir zu. Wenn ich zu den Waffen greife, zittern die Völker und die Steine der größten Bauwerke reichen nicht aus, um all meine Siege darauf zu verzeichnen. Ein einzigesmal inmitten meiner Herrlichkeit hege ich wirklich einen Wunsch und dieser wird mir versagt! Tymopht kehrt nicht heim, also wird er sicherlich nichts gefunden haben. O Tahoser, wieviel Glück wirst du mir schenken müssen, um die Qualen dieser Stunden wettzumachen!«

Tymopht und seine Leute durchsuchten jede Straße, jedes Haus, überall fragten sie nach des Hohenpriesters Tochter, doch niemand hatte sie gesehen.

Ein Bote wurde in den Palast abgesandt, um von dem erfolglosen Suchen zu berichten.

Der Pharao hörte ihn an, dann erhob er blitzschnell die Hand mit dem Zepter und der Unglückliche fiel mit zerschmettertem Haupt zu Boden.

Bald kam ein zweiter Diener und während er sich dem Pharao näherte, stolperte er über die Leiche des Ersten. Er erbebte, da er sein Schicksal erkannte.

»Wo ist Tahoser?« fragte der König, ohne sich zu bewegen.

»Majestät, trotz unseres eifrigsten Suchens, können wir sie nicht finden«, erwiderte der Zitternde und warf sich vor seinem Herrn auf die Knie. Das Zepter sauste herab und der Bote sank tot neben der Leiche seines Vorgängers nieder.

Dasselbe Schicksal ereilte den Dritten. –

Inzwischen eilte Tymopht von Haus zu Haus und gelangte schließlich auch zu der Villa Poeris, der schon am Morgen das Fehlen Horas bemerkt hatte. Niemand wußte, wohin sie verschwunden war. Ihr Zimmer war leer und auch im Garten und in den Speichern war sie nicht zu finden.

Auf Tymophts Fragen erzählte der junge Hebräer, daß ein junges Mädchen bei ihm um Aufnahme gebeten hätte, sie sei von ihm bewirtet worden, doch an diesem Morgen auf geheimnisvolle Art verschwunden. Vielleicht war sie nun ausgeruht und wollte ihre Wanderung fortsetzen. Sie war schön gewesen, doch voll Trauer, einfach gekleidet und hatte sich Hora genannt. Sollte dies Tahoser gewesen sein?

Mit dieser Neuigkeit kehrte Tymopht in den Palast zurück. Er hielt sich in entsprechender Entfernung von dem Zepter des Pharao und berichtete von seiner Erkundung.

»Was kann sie in das Haus dieses Poeri geführt haben?« sprach der König zu sich selbst. »Wenn Hora tatsächlich Tahoser ist, so gibt es nur eine Erklärung für ihr Verhalten, sie liebt ihn! Doch dann wäre sie ja wieder niemals aus seinem Haus geflohen! Nun – ich werde sie finden und wenn ich selbst mein ganzes Königreich durchsuchen müßte!«



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