John Galsworthy
Auf Englands Pharisäerinsel
John Galsworthy

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Vierzehntes Kapitel

Auf dem Fluge

Als er sich in jener Nacht nach seinem Zimmer zurückgezogen hatte, füllte Schelton eine Pfeife bis zum Rande, wie um sich Mut zu seiner unangenehmen Pflicht zuzurauchen. Er hatte den festen Entschluß gefaßt, Ferrand einen Wink zu geben, daß es das Beste wäre, wenn er das Weite suchte. Noch debattierte er mit sich, ob er dem jungen Ausländer schreiben oder zu ihm gehen sollte, als jemand an der Tür pochte und Ferrand selbst erschien.

»Es täte mir leid,« sagte er und unterbrach damit ein beklemmendes Stillschweigen, »wenn Sie mich für undankbar hielten, aber ich sehe hier keine Zukunft vor mir. Es ist für mich das Beste, weiter zu ziehen. Ich würde mich nie damit abfinden können, mein Leben mit dem Unterricht in Sprachen zu vertrödeln – ce n'est guère mon caractère.«Das liegt kaum in meinem Charakter

Sobald aber dasjenige somit ausgesprochen war, über dessen Äußerung er sich noch kurz vorher den Kopf zerbrochen hatte, empfand Schelton ein Gefühl der Mißbilligung in sich aufsteigen.

»Was hoffen Sie denn eigentlich zu finden, das für Sie besser wäre?« sprach er und wich Ferrands Blicken aus.

»Dank Ihrer Güte,« antwortete letzterer, »bin ich nun wieder so ziemlich hergestellt . . . Ich fühle jedoch, daß ich nunmehr einige kräftige Anstrengungen machen muß, um mich in meiner sozialen Position in die Höhe zu schwingen . . .«

»Ich würde es mir sehr genau überlegen, wenn ich Sie wäre,« sagte Schelton.

»Ich habe es getan, und mir kommt es vor, als ob ich hier meine Zeit vergeude . . . Für einen Mann mit ein wenig Mut im Leibe, ist das keine Karriere, Sprachen zu lehren. Und wenn ich auch viele Mängel habe, noch aber habe ich Mut.«

So unsäglich pathetisch erschien ihm dieses jungen Mannes Glaube an seine Karriere, daß Schelton seine Pfeife ausgehen ließ. Es war sicherlich keine bloß vorgetäuschte Zuversicht, dennoch, das empfand er deutlich, war es nicht das wahre Motiv seiner plötzlichen Abreise. »Er ist wohl des Unterrichtens schon müde,« dachte er, »darum handelt es sich. Müde ein und desselben Ortes . . .« Und da er instinktgemäß empfand, daß nichts Ferrand zurückhalten konnte, verdoppelte er aufs neue seine Ratschläge, er möchte doch da bleiben.

»Ich sollte meinen,« sagte er, »daß Sie besser daran täten, sich hier zu halten und vorerst etwas zu ersparen, bevor Sie Gott weiß welchem Schicksal entgegen laufen . . .«

»Etwas ersparen,« sagte Ferrand, »ist mir unmöglich; aber dank Ihnen und Ihren gütigen Freunden habe ich nun genug, um den ersten Lebensnotwendigkeiten genügen zu können. Ich stehe mit einem Freunde in Korrespondenz; für mich ist's von größter Wichtigkeit, in Paris einzutreffen, ehe alle Welt wieder dorthin zurückgekehrt ist. Ich habe dort die Aussicht auf einen Posten bei einer Kolonialhandels-Gesellschaft in Westafrika. Dort kann man noch sein Glück machen – wenn man am Leben bleibt, und ich lege wie Sie wissen, nicht all zu viel Gewicht auf mein Leben . . .«

»Wir Engländer haben ein weises Sprichwort,« sagte Schelton: ›Ein Sperling in der Hand ist wert zwei auf dem Dache!‹

»Wie alle sprichwörtlichen Redensarten,« erwiderte Ferrand, »enthält auch diese nur eine Halbwahrheit. Alles ist Sache des Temperaments . . . Meinem Charakter entspricht es nicht, mit einem Sperling zu tändeln, wenn ich zwei darauf warten sehe, erhascht zu werden. Voyager, apprendre, c'est plus fort que moi.«Reisen, Lernen, das lockt mich an Er hielt inne; mit einem nervösen Augenrollen und ironischem Lächeln fuhr er fort: »Abgesehen von allem anderen, ist es, mon cher monsieur, am besten, wenn ich endlich abziehe. Ich war nie ein Mensch, der sich Illusionen hingab, und ich sehe ziemlich deutlich, daß meine Gegenwart in diesem Hause auf die Dauer kaum erträglich ist . . .«

»Was veranlaßt Sie, dies zu behaupten?« fragte Schelton und fühlte, daß nun die Wahrheit heraus kam.

»Mein lieber Herr, leider besitzt nicht die ganze Welt Ihr feines Verständnis und Ihren Mangel an Vorurteilen . . . Und obwohl Ihre Freunde äußerst gütig zu mir waren, bin ich doch ihnen gegenüber in einer falschen Position. Ich verursache ihnen Verlegenheit, was gar nichts Außergewöhnliches ist, wenn Sie sich vergegenwärtigen, was ich gewesen bin, und daß sie meinen Lebenslauf heute doch schon kennen . . .«

»Nicht durch mich,« sagte Schelton rasch, »denn ich kenne ihn selbst nicht.«

»Es genügt vollkommen,« sprach der Landstreicher, »daß wir nicht auf Gleich zu Gleich zueinander stehen . . . Weder Sie noch ich kann mich ändern . . . Und mich hat es nie danach verlangt, dort zu weilen, wo ich nicht willkommen bin.«

Schelton wandte sich dem Fenster zu und starrte in die Finsternis. Niemals würde er diesen so zartfühlenden und zugleich so zynischen Vagabunden so recht ganz verstehen; und verwundert fragte er sich, ob Ferrand nicht etwa gar diese Worte verschluckt habe: »Wahrhaftig, selbst dir wird es nicht leid tun, mich nicht wieder zurückkehren zu sehen!«

»Well,« sagte er schließlich, »wenn Sie scheiden müssen, dann müssen Sie uns eben verlassen . . . Wann brechen Sie auf?«

»Ich habe schon mit einem Mann vereinbart, meine Gepäckstücke zum Bahnhof zu tragen, damit ich den Frühzug nehmen kann. Ich halte es für zweckmäßig, von niemandem außer Ihnen Abschied zu nehmen . . . Statt dessen lasse ich einen Brief zurück – hier ist er. Ich habe ihn offen gelassen, damit Sie, wenn Sie es wünschen, ihn lesen können.«

»Somit,« sprach, mit dem Gefühl einer sonderbaren Mischung von Erleichterung, Bedauern und Wohlwollen, Schelton, »werde ich Sie nicht wieder sehen?«

Ferrand gab seiner Hand einen verstohlenen Ruck und streckte sie ihm entgegen.

»Ich werde nie vergessen, was Sie für mich getan haben,« sagte er.

»Vergessen Sie nicht, mir zu schreiben,« sagte Schelton.

»Ja – ja« – das Antlitz des Landstreichers war merkwürdig verzerrt –, »Sie können sich kaum vorstellen, wie anders das Leben ist, wenn man mit jemandem in Korrespondenz steht . . . das verleiht Mut . . . Ich hoffe, recht lange Zeit mit Ihnen zu korrespondieren.«

»Das wollte ich meinen,« dachte Schelton grimmig, aber auch mit einer gewissen seltsamen Rührung.

»Sie werden mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, sich daran zu erinnern, daß ich Sie nie um irgend etwas angebettelt habe,« sagte Ferrand. »Tausend Dank für alles. Good-bye!«

Abermals schüttelte er in seiner feuchten Umklammerung heftig die Hand seines Gönners und ließ Schelton, während er das Zimmer verließ, mit einem eigenartigen Empfinden in der Kehle zurück. »Sie werden mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, sich daran zu erinnern, daß ich Sie nie um irgend etwas angebettelt habe . . .« Diese Redensart klang ihm recht sonderbar, und all die Einzelphasen dieser eigenartigen Bekanntschaft flogen in seinem Gedächtnis an ihm vorüber. Dennoch, es war Tatsache: von Anfang bis zu Ende hatte der Jüngling selbst ihn eigentlich nie um irgend etwas ersucht . . . Schelton setzte sich auf sein Bett und begann den Brief in seiner Hand zu lesen. Er war französisch geschrieben und besaß folgenden Wortlaut:

»Werte Madame!

Es würde mir, nach all Ihrer Güte, unerträglich sein, wenn Sie mich für undankbar ansehen sollten. Unglücklicherweise brach eine Krisis über mich herein, die mich in die Notwendigkeit stürzt, Ihrer Gastfreundschaft zu entsagen. Wie Sie wohl wissen, ergeben sich im Leben Aller so manche zufällige Anlässe, über die man nicht bestimmen kann; und ich weiß, Sie werden mir verzeihen, wenn ich mit keiner näheren Erklärung über einen Vorfall anhebe, der mir viel Verdruß bereitet und mich vor allem dem Vorwurfe der Undankbarkeit aussetzt, die, Sie mögen es mir glauben, sehr geehrte Madame, in keiner Weise in meinem Charakter liegt. Ich bin mir dessen wohl bewußt, daß es ein schwerer Verstoß gegen die Höflichkeit ist, Sie, ohne Ihnen persönlich den Ausdruck meiner tiefsten Erkenntlichkeit dargebracht zu haben, zu verlassen. Aber wenn Sie bedenken wollen, wie schwer es mir fällt, gezwungen zu sein, all dem den Rücken zu kehren, was das Leben Ihres Hauswesens so vorzüglich auszeichnet, dann werden Sie mir meine Schwäche vergeben. Leute meines Schlages, die mit offenen Augen durch ihr Dasein wandelten, haben genugsam wahrgenommen, daß diejenigen, die mit der Gunst des Reichtums ausgestattet sind, auch das Recht besitzen, auf solche herabzublicken, die weder durch Reichtum noch Erziehung dazu berufen sind, die gleiche Position wie sie einzunehmen. Ich werde ein solch natürliches und heilsames Recht nie bestreiten – sehe ich ja doch, daß ohne diese scharfe Unterscheidung, ohne das vornehme Übergewicht, die beide aus den Wohlgeborenen und Wohlerzogenen eine vollständig gesonderte Kaste machen, der übrige Rest der Menschheit keinen Standort besäße, von dem aus er sein Leben regeln, keinen Anker, den er in die Tiefen jenes unermeßlichen Meeres von Glück und Unglück versenken könnte, auf dem wir anderen von dem Winde einhergetrieben werden. Gerade deshalb, werte Madame, erachte ich mich für doppelt beglückt, in dieser bitteren – Leben genannten – Wallfahrt, imstande gewesen zu sein, wenigstens einige Minuten unter dem Baume der Wohlgeborgenheit sitzen zu dürfen . . . Daß ich, und sei es auch nur für eine Stunde, zu sitzen und zu beobachten imstande gewesen bin, wie die Pilger vorbeiziehen – jene Pilger mit wunden Füßen und zerlumpten Kleidern und die dennoch, werte Madame, sich im Innersten ihres Herzens eine gewisse Lebensfreude, eine ungesetzliche Freude bewahren, die wie die Luft der Wüste, von der die Wanderer uns berichten, daß sie die Menschen wie mit Wein erfüllt; – eine Stunde lang und mit einem Lächeln zu beobachten imstande gewesen bin, wie sie, lahm und blind, in all den Lumpen ihres verdienten Mißgeschickes vorüberziehen: können Sie sich, werte Madame, vorstellen, welches Wonnebehagen dieser Anblick bei einem Individuum gleich mir ausgelöst haben muß? Was immer man auch sagen mag, fürwahr, es ist herrlich, von der Position persönlicher Sicherheit aus, die Leiden anderer zu beobachten – es gewährt dies eine so behagliche Regung im Herzen und Gefühl . . .

»Während ich diese Zeilen schreibe, erinnere ich mich daran, daß auch ich selbst einst die Gelegenheit besaß, mein ganzes Leben in solch beneidenswerter Gesellschaft von Gentlemen und Ladies zu verbringen. Sie nehmen wohl, meine werte Madame, gewiß an, daß ich mich darob verfluche, je den Mut gehabt zu haben, mich jenseits der Grenzen dieses schönen geruhsamen Zustandes zu begeben . . . Und es gab wahrlich Zeiten, wo ich mich selbst fragte: ›Sind wir denn auch wirklich so ganz anders als die Reichen? – wir Anderen, die Vögel von Feld und Heide, die unsere eigene, den Schmerzen des Brothungers entwachsene Philosophie haben; – wir, die wir sehen, daß das Menschenherz nicht immer eine Sache von Ziffern und Zahlen oder jener guten Grundsätze ist, die man in ausgezeichneten Vorschriftenbüchern findet; – sind wir denn auch wirklich verschieden von jenen?‹ Nur mit Scham kann ich es gestehen, mir eine solche ketzerische Frage vorgelegt zu haben. Nun aber, da ich volle vier Wochen das Glück gehabt habe, unter Ihrem Dache weilen zu dürfen, erkenne ich, wie unrecht es von mir war, derartige Zweifel zu hegen. Es bereitet mir ein hohes Glücksgefühl, diesen Punkt ein für allemal entschieden zu haben; denn es widerstreitet meinem Charakter, das Leben – vielleicht irre ich, möglich – in Unklarheit betreffs seiner psychologischen Probleme dieser Art zu durchwandern. Nein, Madame! Sie mögen darüber beruhigt sein: es gibt einen gewaltigen Unterschied, der mir in Zukunft heilig sein soll . . . Denn glauben Sie mir, Madame, es wäre das höchste Unheil für die vornehme Welt, wenn durch irgend einen Zufall in ihrer Mitte das Verständnis aufginge für alle jene Phasen des Lebens, die – weit und breit, gleich unermeßlichen Ebenen, und salzig, wie das Meer, schwarz wie die Überreste eines Leides, und dennoch zugleich freier, als Flügel irgend welcher davonfliegender Vögel – so geziemend jenseits der Fassungskraft ihrer Weltanschauung gelegen sind . . . Jawohl, werte Madame, Sie mögen mir glauben, es gibt keine Gefahr auf Erden, die so sehr vermieden werden muß von allen Mitgliedern jenes erlauchten und erhaben respektablen Kreises, den man die vornehme Welt Englands nennt.

»Nach alledem, was ich sagte, können Sie sich wohl vorstellen, wie schwer es mir fällt, mich so aus dem Staube zu machen . . . Ich werde Ihnen immerdar die auserlesensten Empfindungen bewahren. Mit dem Ausdrucke der höchsten Wertschätzung für Sie und Ihre allzu gütige Familie, wie auch einer ebenso aufrichtigen, als schlecht stilisierten Dankbarkeit, verbleibe ich, werte Madame,

Ihr ergebener

Louis Ferrand.«

Scheltons erster Impuls war, den Brief zu zerreißen, aber dazu, so sagte er sich nach reiflicher Erwägung, hatte er kein Recht. Übrigens erinnerte er sich, daß Mrs. Dennants Kenntnis des Französischen sehr buchstabengläubig war. Er konnte dessen gewiß sein, daß sie die feinen zynischen Anspielungen des jungen Ausländers überhaupt nicht verstehen würde . . . So klebte er das Kuvert zu und legte sich, noch immer Ferrands Abschiedsblick vor sich sehend, zu Bett.

Nichtsdestoweniger war es mit keinem geringen Verlegenheitsgefühl, daß er, nachdem er den Brief durch einen früh vorsprechenden Lakaien seiner Bestimmung hatte zustellen lassen, am Frühstückstische erschien. Mrs. Dennant hinter dem mit französischem Kaffee gefüllten mächtigen Kaffeekrug österreichischer Machart, plazierte vier Eier in einen Eiersieder deutscher Fabrikation und sagte mit gütigem Lächeln zu ihm:

»Guten Morgen, Dick!« Ein fünftes in die Höhe hebend, fragte sie: »Ein Ei gefällig?«

»Nein, besten Dank,« antwortete Schelton, begrüßte die Tischgesellschaft und nahm Platz.

Er hatte sich ein wenig verspätet. Von allen Seiten vernahm er vergnügtes Plaudern und angeregte Gespräche.

»Meine Liebe,« setzte Mr. Dennant, der zu seiner jüngsten Tochter sprach, fort, »du wirst keine, wie immer geartete Chance haben – nicht einmal die allerkleinste Chance . . .«

»Aber, Vater, welcher Unsinn! Du wirst schon sehen, wir schlagen euch die Köpfe ab!«

»Bevor es also zu spät ist, werde ich noch eine geröstete Buttersemmel verzehren . . . Schelton, bitte, reichen Sie mir die Semmeln!« Aber während er dieses Ersuchen an ihn richtete, vermied er es, ihm ins Gesicht zu blicken.

Auch Antonie schien ihn absichtlich nicht ansehen zu wollen . . . Sie unterhielt sich mit einem Connaisseur der Kunst des Spiritismus und kam ihm vorzüglich gelaunt vor. Schelton erhob sich, ging zum Buffett und legte ein Stückchen Huhn auf seinen Teller.

»Wer war denn eigentlich jener junge Mann, den ich gestern auf dem Rosengrunde sah?« vernahm er den Connaisseur fragen und dann hinzusetzen: »Fiel mir wegen – ehm – seiner ganz intelligenten Physiognomie auf . . .«

Seine eigene intelligente Physiognomie, der er, wohl damit er durch seinen Zwicker besser sehen konnte, eine etwas schräge Richtung gab, bildete ein wahres Musterbild plattester Alltäglichkeit. Es war, als ob sie sagen wollte: »Wirklich merkwürdig, wie häufig unsereins noch auf Intelligenz stößt . . .«

Mrs. Dennant ließ eine Pause in dem Akte der Beigabe von Sahne eintreten, und Schelton betrachtete forschend ihr Gesicht. Wie immer sah es albern und würdevoll drein . . . Dem Himmel sei Dank, sie hatte gar nichts gemerkt! Er fühlte sich ganz seltsam enttäuscht.

»Sie meinen wohl den Monsieur Ferrand, der Toddles französischen Unterricht erteilt? Dobson, die Schale des Professors!«

»Hoffe, ihn bald wiederzusehen,« girrte zärtlich der Connaisseur, »er interessierte mich wegen meiner Studien über die jüngere Generation der deutschen Arbeiter . . . Wie es heißt, walzen diese Handwerksburschen von Ort zu Ort, um ihr Gewerbe zu erlernen. Darf ich fragen, welcher Nationalität er war?«

Mr. Dennant, dem er diese Frage gestellt hatte, zog seine Augenbrauen in die Höhe und sagte trocken:

»Fragen Sie Schelton.«

»Ein Flamländer.«

»Sehr interessante Menschenart . . . Hoffe, ihn wiederzusehen.«

»Well, das auf keinen Fall,« entfuhr es Thea unversehens, »er ist schon weg . . .«

Schelton bemerkte sehr gut, daß nur ihre Wohlerzogenheit allein sie alle davon abhielt, hinzuzufügen: »Und Gott sei Dank dafür!«

»Schon weg? Mein Gott – das ist sehr . . .«

»Ja,« sagte Mr. Dennant, »sehr plötzlich.«

»Nanu, Algie,« murmelte Mrs. Dennant, »es ist doch ein ganz netter Brief . . . Muß dem armen jungen Mann mindestens eine Stunde genommen haben, ihn zu schreiben.«

»Oh, Mutter!« rief Antonie entsetzt aus.

Und Schelton fühlte, wie sein Gesicht von Purpur bedeckt ward. Er hatte sich plötzlich daran erinnert, daß ihr Französisch besser, als das ihrer Mutter sei.

»Er scheint eine einzigartige Erfahrung mitgemacht zu haben,« sagte der Connaisseur.

»Ja,« echote Mr. Dennant, »er scheint eine einzigartige Erfahrung gemacht zu haben . . . Wenn Sie Einzelheiten kennen zu lernen wünschen, fragen Sie nur Freund Schelton . . . Sind ganz romantisch. Mittlerweile wünschen Sie wohl noch eine Schale, nicht wahr, mein Lieber?«

Einer, wenn auch zerstreuten Bosheit nie ermangelnd, spornte der Connaisseur seine Neugierde zu einer weiteren Anstrengung an; Schelton seine wohlverteidigten Augen zuwendend, murmelte er zu diesem:

»Well, Mr. Schelton, Sie aber sind der Historiker dieses jungen Mannes!«

Ohne aufzublicken, sagte Schelton: »Es gibt keine Historie . . .«

»Ah, das ist recht öde,« bemerkte der Connaisseur.

»Mein lieber Dick,« sprach nun Mrs. Dennant, »das mit seinem Herumgehen in Paris ohne Nahrung, das wäre doch wirklich eine höchst rührende Geschichte . . .«

Schelton warf Antonie einen Blick zu. Ihr Gesicht war eisig, wie erstarrt. »Wie hasse ich euer aller scheußliches Sichüberlegendünken!« dachte er nun und starrte dabei den Connaisseur an.

»Nichts Spannenderes kann es geben,« meinte dieser würdige Gentleman, »als Hungerleid . . . Erzählen Sie doch, Mr. Schelton.«

»Ich habe keinerlei Erzählertalent,« sagte Schelton, »besaß nie eines . . .«

Was war ihm an Ferrand, an dessen Kommen, Gehen oder dessen Lebensgeschichte gelegen! Denn, so oft er Antonie anblickte, befiel ihn tiefe Schwermut.



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