John Galsworthy
Auf Englands Pharisäerinsel
John Galsworthy

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Neuntes Kapitel

Im Paradies

In einem sonnigen Winkel der alten Ziegelmauer, inmitten von Nelken, Mohn- und Kornblumen, summte Antonie ein Liedchen vor sich hin . . . Schelton wartete, bis der Mann aus farbigem Glase außerhalb Sehweite war, und dann beobachtete er, von ihr ungesehen, wie sie den Duft der Blumen einsog, mit einer nach der anderen ihr Antlitz liebkoste, verwelkte Blüten beseitigte und während der ganzen Zeit jene süße Melodie summte.

Nur noch zwei oder drei Monate und alle Schranken zwischen ihm und dieser unergründlichen jungen Eva würden gefallen sein . . . Sie würde dann ein Teil von ihm und er ein Teil von ihr sein; alle ihre Gedanken würde er kennen und sie all die seinen; zusammen würden sie eine Einheit bilden; und jedermann würde ihrer gedenken, von ihnen sprechen als von Einem . . . Und all dies würde sich ereignen, nachdem sie rund eine halbe Stunde in einer Kirche zusammengestanden, Ringe gewechselt und ihre Namen unterschrieben hatten . . .

Auf ihr Haar – sie trug keinen Hut – brannte die Sonne nieder, übergoß ihre Wangen glutrot, machte ihre Glieder hold und sinnlich erregend . . . Sie waren durch und durch erwärmt, so daß, wie die Blumen und Bienen, das Sonnenlicht und die Luft, ihr ganzer Körper aus lauter Bewegung, Licht und Farbe bestand.

Sie wandte sich und sah Schelton drüben stehen.

»Oh, Dick!« rief sie aus, »leih mir doch dein Taschentuch, damit ich diese Blumen einhülle – sei mir ein guter Junge!«

Ihre treuherzigen Augen, blau gleich den Blumen in ihren Händen, waren so klar und kühl wie Eis. Aber in ihrem Lächeln lag all die Überfülle ihrer Aug- und Mundwinkel. Lieblichkeit und Anmut umflossen ihr ganzes Ich, von dem sie wie Luftschwingen ausgingen. Der Anblick dieser sonndurchwärmten Wangen und der rund um die Blumenstengel geschmiegten Finger, ihre perlenfarbigen Zähne und das wohlriechend duftende Haar beraubten Schelton fast seiner Vernunft . . . Er stand, mit wankenden Knien vor ihr.

»Fand ich dich endlich!« brachte er hervor.

Ihren Hals zurückbiegend, rief sie: »Fang' auf!« und schleuderte mit einem Wurfe ihrer beiden Hände die Blumen in Scheltons Arme.

Unter dem Ergüsse all der warmen und süßriechenden Blumen fiel er auf seine Knie nieder und legte sie einzelweise zusammen, den Duft der Nelken einsaugend, um die Sturmesgewalt seiner Gefühle zu verdecken. Antonie fuhr fort, Blumen zu pflücken und jedesmal, wenn ihre Hand voll war, warf sie dieselben auf seinen Hut, seine Schultern oder seine Arme und setzte ihr Pflücken fort. Sie lächelte, und auf ihren Lippen tänzelte ein Teufelchen, das zu wissen schien, was er litt . . . Und Schelton empfand es deutlich, daß sie es sehr wohl wußte . . .

»Bist du müde?« fragte sie, »Wir brauchen noch eine große Menge davon. Diese da sind Blumen fürs Schlafzimmer – vierzehn Partien. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Menschen ohne Blumen leben können, kannst du's?« und sie vergrub ganz nahe oberhalb seines Kopfes ihr Gesicht in Nelken.

Er ließ seine Augen auf den gepflückten Blumen ruhen, die vor ihm auf dem Grase lagen und zwang sich zu der Antwort:

»Ich glaube, ich kann's noch ertragen.«

»Armer, lieber Dick!« Sie war zurück getreten. Die Sonne beleuchtete das scharfgeschnittene Wangenprofil und ergoß ihr Gold über den Busen ihrer Bluse. »Du armer, lieber Dick! Was für ein Pechvogel, nicht wahr?« Von Reseda beladen, kam sie wieder so nahe heran, daß sie nun seine Schulter berührte, aber Schelton blickte nicht auf . . . Atemlos, mit wild pochendem Herzen, fuhr er fort, die Blumen zu sortieren . . . Auf seinen Hals regnete Resedasamen und als sie die Blüten auf ihn fallen ließ, fächelte ihr Wohlgeruch sein Gesicht . . .,Du brauchst sie nicht zu sortieren,« sagte sie.

Wollte sie ihn vielleicht verführen? Verstohlen warf er ihr einen Blick zu . . . Aber schon war sie, Blumen schwingend und riechend, wieder fort . . .

»Ich nehme an, daß ich dir nur im Wege bin,«,brummte er, »vielleicht wär's besser, wenn ich wegginge . . .«

Sie lachte.

»So auf den Knien gefällst du mir gut, du siehst da so spaßig aus!« Und während sie sprach, warf sie ihm eine Anzahl Gartennelken zu. »Riechen sie etwa nicht gut?«

»Allzu gut! Oh, Antonie! warum tust du das?«

»Warum tue ich, was?«

»Weißt du nicht, was du tust?«

»Nun, Blumen pflücken!« und wieder einmal kam sie zurück, beugte sich fast über ihn und sog den Blumenduft ein.

»Nun ist's genug.«

»Oh nein,« rief sie, »noch nicht – bei weitem nicht . . . Fahre fort, sie zusammen zu legen, wenn du – mich liebst . . .«

»Du weißt, daß ich dich liebe,« antwortete mit erstickter Stimme Schelton.

Antonie sah ihn über ihre Schulter an; ihr Angesicht war verwirrt und fragend.

»Ich bin in keiner Weise so wie du,« sagte sie. »Was willst du für dein Schlafgemach haben?«

»Wähle!«

»Kornblumen und Gartennelken. Mohnblumen sind allzu frivol und Nelken allzu . . .«

»Weiß,« ergänzte Schelton.

»Und Reseda zu stark und . . .«

»Süß. Warum Kornblumen?«

Antonie stand, die Hände in die Hüften gestemmt, vor ihm. Ihre Gestalt war so schlank und jugendlich frisch, ihr Antlitz unentschlossen und so ernst.

»Weil sie dunkel und tief sind.«

»Und warum Gartennelken?«

Antonie schwieg.

»Und warum Gartennelken?«

»Weil,« sagte sie und berührte errötend eine Biene, die sich am unteren Teil ihrer Kleider niedergelassen hatte, »weil ein Etwas in dir ist, das ich nicht verstehe . . .«

»Ah! Und was für Blumen soll ich dir geben?«

Sie legte ihre Hände auf den Rücken.

»Alle die übrigen Blumen sind für mich.«

Schelton haschte aus der Masse vor ihm eine isländische Mohnblume mit geradem Stiel und gebogenem Halse, weiße Nelken und einige harte, süßduftende Resedaschößlinge heraus und hielt sie ihr hin.

»Da,« sagte er, »das bist du.«

Aber Antonie regte sich nicht.

»Oh nein, ich bin es nicht!« Und hinter ihrem Rücken zermalmten ihre Finger langsam die Blumenkrone eines blutroten Mohns. Sie schüttelte ihr Haupt und lächelte strahlend. Die Blütenblätter fielen, er warf seine Arme um sie und küßte sie auf die Lippen.

Allein seine Hände sanken herab. Nicht etwa Furcht, noch auch Scham hatte sich seiner bemächtigt. Sie hatte sich seiner Umarmung nicht entzogen, aber er hatte ihr Lächeln hinweggeküßt – hatte einen seltsam kalten, ängstlichen Blick in ihre Augen hineingeküßt . . .

»So wollte sie mich also doch nicht in Versuchung führen,« dachte er mit Überraschung und Ärger. »Was meinte sie aber sonst?« Und wie ein gescholtener Hund beobachtete er heimlich ihr Gesicht . . .



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