John Galsworthy
Auf Englands Pharisäerinsel
John Galsworthy

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Achtes Kapitel

Die Hochzeit

Pünktlich auf die Minute trat Bill Dennant um ein Uhr bei Schelton ein.

»Ich wette d'rauf, mein alter Benjy fühlt sich heut' ein bißchen armselig,« sagte er, während sie ihrem Fiaker vor dem Tor der Kirche entstiegen und zwischen den dicht gedrängten Reihen der Unerwählten dahinschritten, deren Augen, so begierig und kläglich, sie vom Trottoir aus verschlangen.

Das aschgraue Antlitz eines Weibes mit einem Säugling auf ihren Armen und zwei Kleinen an ihrer Seite, sah so neugierig darein, als ob sie nie die Qual und Pein eines zerlumpten Ehestandes ausgestanden hätte. Schelton ging in unerklärlichem Unbehagen an ihnen vorbei; der Preis seiner Krawatte betrug ungefähr so viel, wie sie auf Kost und Quartier für eine Woche brauchten. Er folgte seinem zukünftigen Schwager zu einem Kirchenstuhl auf des Bräutigams Seite, denn mit einer wahrhaft intuitiven Auffassung des endlosen Kampfes der Geschlechter hatte jede der einander opponierenden Parteien dieses Verhältnisses ihr eigenes zusammengepreßtes Bataillon, dessen Verdachtspfeile sich über das Mittelschiff der Kirche hinweg kreuzten und einander unaufhörlich kreuzten.

Bill Dennant begann mit den Augen zu blinzeln.

»Dort ist Benjy, der alte Junge!« flüsterte er; und Schelton blickte auf den Helden des Tages. Unter der verwitterten Gleichförmigkeit seines rasierten Gesichtes war eine niedergehaltene Blässe wahrnehmbar; aber das wohlerzogene, gekünstelte Lächeln, mit dem er sich über die Gäste beugte, hatte seine gewohnte stählerne Glätte. In seiner Kleidung und netten Figur lag jene eingelernte Ungezwungenheit, die Männer über den RuckEnglischer Sportausdruck zur Bezeichnung eines Haufens von Rennpferden, die beim Rennen keinen Preis gewinnen gewöhnlicher Bräutigame hinaushebt. In seiner Rüstung gab es keine Löcher, durch die ein Impertinenter hätte spähen können . . .

»Der arme Kerl Benjy!« flüsterte Jung-Dennant. »Mir kommt vor, sie sind ihm nicht ganz ebenbürtig, jene Casserols.«

Schelton, der diese Familie kannte, lächelte. Die sinnliche Heiligkeit, die ihn umgab, begann Eindruck auf ihn zu machen. Ein Parfüm von Blumen und Kleidern rang mit dem natürlichen Kirchenduft; das Rascheln des Geflüsters und der Frauenröcke durchbrach die heimische Stille der Chorgänge. Müßig ließ Schelton seine Augen auf einer Dame im Kirchenstuhl vor ihm weilen. Ohne im Geringsten zu wünschen, sich einem Nachsinnen dieser Art hinzugeben, fragte er sich dennoch, ob ihr Gesicht ebenso entzückend sei, wie die Umrisse ihres Rückens, in ihrer zarten, gleich einer Haut dicht anliegenden Einfassung in Perlmuttergrau. Sein Blick wanderte zur Kanzel mit ihren Blumenstößen, zu den ernsten, geschäftsmäßigen Gesichtern der Priester; bis von der Orgel sich der Hochzeitsmarsch zu entrollen begann.

»Sie gehen schon!« flüsterte Jung-Dennant.

Schelton ward sich eines Bebens bewußt, das durch das Auditorium lief und ihn an einen Stierkampf erinnerte, den er in Spanien angesehen hatte. Die Braut kam langsam durch das Mittelschiff heran. ›So wie sie, wird auch Antonie aussehen,‹ dachte er, ›und die Kirche wird mit ebensolchen Leuten gefüllt sein . . . Und Antonie wird für sie ein Schaustück sein.‹ Die Braut war nun ihm gegenüber, und in einer Anwandlung der einfachsten Galanterie wandte er seine Augen von ihr ab. Es schien ihm wie eine Schmach, auf jenes gebeugte Haupt oberhalb des Silbermysteriums ihres vollendeten Brautkleides zu blicken; auf das bescheidene Haupt, ohne Zweifel voller Hingabe und reiner Sehnsucht; auf das prächtige Haupt, in dem doch wohl kein Gedanke gleich diesem: ›Wie sehe ich an diesem für mich höchsten aller Tage vor ganz London aus?‹ je geweilt hatte; auf das stolze Haupt, das wohl kein Angstgefühl wie dieses: ›Benehme ich mich auch richtig?‹ beschmutzen konnte.

Allein er sah, was unterhalb der Oberfläche dieses vor ihm aufgeführten Dramas sich abspielte; und machte ein Gesicht, wie ein Mensch es macht, der einer Opferweihe beiwohnt. Unerbittlich tönten ihm die Worte in die Ohren: ›. . . Im Glück wie im Unglück, im Reichtum wie in Armut, in Krankheit und Gesundheit . . .‹ Und als er das Gebetbuch öffnete, fand er die Trauungszeremonien, die er, seitdem er ein Knabe gewesen, nicht mehr angesehen hatte; und während er sie las, bewegten ihn merkwürdige, sinnliche Empfindungen . . .

Alles das würde sich sehr bald auch mit ihm ereignen! In einer Art von Betäubung las er weiter, bis er durch das Flüstern seines Gefährten aufgerüttelt wurde. »Kein Glück!« Rings umher erhob sich das Rascheln von Kleidern. Er sah eine hochgebaute Gestalt die Kanzel besteigen und dort in Unbeweglichkeit verharren. Von massiver und hoher Erscheinung, mit tiefliegenden Augen, ragte sie, in schneeigem Batist und purpurner Stola, über die Schwärze des Lesepultes empor. Die Gestalt schien wegen ihrer Schönheit dazu auserlesen zu sein. Scheltons Blick haftete noch auf der Steppung seiner Handschuhe, als aufs neue von der Orgel der Hochzeitsmarsch erbrauste. Alle lächelten, einige weinten, vorsichtig nach der Braut ausschauend. ›Ein Karneval heuchlerischer Empfindelei!‹ dachte Schelton; und auch er reckte seinen Hals und wischte seinen Hut ab. Und dann wandte er sich, seinen Freunden zuschmunzelnd, der Tür zu.

Schließlich fand er sich auch im Hause der Casserols ein; er besichtigte alle die Hochzeitsgeschenke rings herum mit der ältesten überlebenden Casserol, einem hochgewachsenen Mädchen in blassem Violett, die die erste Brautführerin gewesen war.

»Nicht wahr, Mr. Schelton, es ist ganz gut abgelaufen,« meinte sie.

»Ah, über alle Maßen nett!«

»Ich glaube immer, es ist so linkisch für den Mann, dort oben auf die Braut warten zu müssen.«

»Ja,« murmelte Schelton.

»Halten Sie es nicht für schneidig, daß die Brautführerinnen keine Hüte tragen?«

Schelton hatte diesen Fortschritt gar nicht bemerkt, aber er pflichtete ihr eifrig bei.

»Das war meine Idee; ich halte sie für sehr schick. Sie hatten fünfzehn Teeservice – recht dumm, nicht wahr?«

»Wahrhaftig!« beeilte sich Schelton zu bemerken.

»Oh, es ist furchtbar nützlich, eine Menge Sachen zu haben, die man nicht braucht; selbstredend tauscht man sie dann für solche ein, die man benötigt.«

Ganz London schien seine Warenladen in dieses Zimmer ergossen zu haben. Er schaute Fräulein Casserol' ins Gesicht und war ungemein erstaunt über die listige Aneigungssucht ihrer kleinen Augen.

»Ist das Ihr zukünftiger Schwager?« fragte sie, und deutete auf Bill Dennant; »ich halte ihn für solch einen klugen Jungen! Ich bitte Sie beide, zum Diner zu kommen und mitzuwirken, daß es lustig zugeht. Nach einer Hochzeit sieht's sonst so gewöhnlich totlangweilig aus.

Und Schelton sagte zu.

Man verfügte sich nun nach dem Vorsaale, um die Abreise der Braut zu erwarten. Ihr Gesicht war, wie sie an die Stiegen herabstieg, unempfindlich, heiter, mit verstohlener Unruhe in den Augen. Und abermals hatte Schelton das unheimliche Gefühl, sich gegen seine Menschlichkeit versündigt zu haben. Eng an sie gequetscht war ihre alte Amme, in deren aufgeblasenem, gelbem Gesicht die Lippen vor Rührung aufgeworfen waren, während Tränen ihren Augen entströmten. Sie versuchte, etwas zu sagen, aber in dem Tumulte verlor sich ihr Lebewohl. Es entstand ein allgemeines Davonlaufen zum Wagen, ein Windstoß von Reis und Blumen erhob sich; und hinter dichtverhüllten Fensterscheiben verschwand ein Schuh. Dann ward Benjys rasiertes Gesicht, wie immer milde und stählern, einen Augenblick sichtbar. Der Lakei verschränkte seine Arme, und mit einem feierlichen Knirschen rollte das BroughamEnglische Bezeichnung für eine zweisitzige Kutsche davon. »Wie prächtig das Ganze ablief!« sprach eine Stimme rechts von Schelton. »Sie hat ein wenig blaß ausgesehen,« sagte eine Stimme links von Schelton. Er legte seine Hand an seine Stirn; hinter ihm greinte die alte Wärterin.

»Dick,« flüsterte Jung-Dennant in sein Ohr, »das ist nichts mehr für uns; ich stimme dafür, das wir Reißaus nehmen!«

Schelton pflichtete ihm bei, und sie spazierten dem Park entgegen. Es war ihm nicht möglich zu sagen, ob die leichte Neigung zum Erbrechen, die ihn befiel, eine Folge des Nachmittag-Champagners oder der Trauungszeremonie sei, die so vortrefflich abgelaufen war.

»Was fehlt dir eigentlich?« fragte ihn Dennant; »du siehst so mürrisch drein, wie irgend ein Ä — Äffchen.«

»Nichts,« sagte Schelton; »ich dachte bloß darüber nach, was für Humbug wir alle treiben!«

Bill Dennant blieb in der Mitte der Straßenkreuzung stehen und versetzte seinem zukünftigen Schwager einen Klapps auf die Schulter.

»Oh du,« sagte er, »wenn du nun über Hauskram plaudern willst, laufe ich davon!«



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