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Fünfzehntes Kapitel

Dinny und ihr Onkel blieben auf der Schwelle stehn, als sie Jeanne am Fenster erblickten.

«Ich bin im Empfangszimmer eingesperrt», klärte Jeanne ruhig auf; «laßt mich bitte hinaus.»

Adrian führte seine Nichte zum Auto zurück.

«Bleib hier im Wagen, Dinny. Ich schicke dir Jeanne heraus. Wir müssen alles Aufsehn vermeiden.»

«Gib acht, Onkel! Du kommst mir vor – wie Daniel auf dem Weg zur Löwen …»

Mit mattem Lächeln klingelte Adrian. Forest öffnete selbst die Tür.

«Ah, Cherrell! Komm herein.»

Adrian streckte ihm die Hand entgegen, der Hauptmann nahm sie nicht.

«Einen begeisterten Empfang darf ich wohl kaum erwarten», bemerkte Forest.

«Lieber Freund!»

«Nein, einen begeisterten Empfang erwart ich nicht. Aber ich will Angela sehn, Cherrell. Versuch nicht, mich dran zu hindern – und ich möcht es auch keinem andern raten.»

«Recht hast du. Erlaubst du, daß ich Jeanne Tasburgh hole? Dinny erwartet sie im Auto.»

«Ich hab sie eingesperrt», erwiderte Forest düster, «da ist der Schlüssel. Schaff sie fort!»

Er trat ins Speisezimmer. Jeanne stand an der Tür.

«Gehn Sie hinaus zu Dinny», sagte Adrian, «und fahren Sie mit ihr fort. Ich werd schon fertig werden. Sie hatten doch hoffentlich keine Unannehmlichkeiten?»

«Eingesperrt bin ich worden, weiter nichts.»

«Sagen Sie Dinny», bat Adrian, «Hilary ist fast überzeugt, er kann euch beide unterbringen. Wenn ihr jetzt zu ihm fahrt, weiß ich wenigstens, wo ihr im Notfall zu erreichen seid. Sie haben Mut, mein Fräulein.»

«Nicht der Rede wert», gab Jeanne zurück, rief «Auf Wiedersehn!» und eilte die Treppe hinunter. Adrian hörte die Haustür ins Schloß fallen und ging langsam ins Speisezimmer hinab. Forest stand am Fenster; er sah zu, wie die Mädchen davonfuhren. Rasch wandte er sich um wie ein Mensch, der gewohnt ist, stets belauert zu werden. Er hatte sich wenig verändert, nur war er jetzt nicht mehr ganz so schlank wie früher, sein Haar schien stärker ergraut. Seine Kleidung war so sorgfältig wie je, sein Wesen beherrscht. Nur die Augen – ach ja – die Augen!

«Leid tu ich dir gewiß», begann Forest unheimlich, «aber lieber sähst du mich tot. Wer täte das nicht? Man hat eben nicht den Verstand zu verlieren. Aber jetzt, Cherrell, gib dich nur ja keiner Täuschung hin, jetzt bin ich wieder ganz gesund.»

Gesund? Er schien es allerdings. Ob er es aber auch bleiben würde?

«Ihr habt euch alle eingebildet», hob Forest neuerdings an, «ich käme nimmer wieder. Doch vor drei Monaten begann sich mein Zustand zu bessern. Als ich das merkte, hielt ich die Besserung zunächst geheim. Unsere Ärzte und Pfleger» – er stieß diese Worte mit großer Bitterkeit hervor – «müssen von unsrer Gesundung so unumstößliche Beweise erhalten, daß wir, käme es auf sie an, überhaupt nie gesund würden. Na, unser Gesundwerden liegt ja nicht in ihrem Interesse.» Brennend bohrte sich sein Blick in Adrians Augen: ‹Und auch in deinem nicht, und nicht in Angelas, he?› schien er zu sagen. «Ich hielt es also geheim. Ich brachte die Willensstärke auf, im Vollbesitz meiner Geisteskraft mich noch drei Monate als Irren behandeln zu lassen. Erst seit ungefähr einer Woche machte ich kein Hehl daraus, daß ich wieder ganz bei Vernunft bin. Die Leute aber verlangen eine viel längere Probezeit, ehe sie den Angehörigen Bericht erstatten. Ich wollte übrigens gar nicht, daß sie Angela schreiben. Gradewegs wollte ich heimfahren und mich zeigen, wie ich bin. Ich wollte nicht, daß Angela oder sonst wer vor mir gewarnt wird. Ich suchte nur Klarheit über meinen Zustand zu gewinnen, und die hab ich jetzt.»

«Grauenhaft!» hauchte Adrian fast unhörbar.

Wieder bohrte sich Forests Blick brennend in den seinen.

«Du hast meine Frau geliebt, Cherrell, liebst sie noch. Nun?»

«An unsrer Freundschaft hat sich nichts geändert», gab Adrian zurück.

«Das würdest du so oder so behaupten.»

«Vielleicht. Doch nach wie vor fühle ich mich verpflichtet, in erster Linie an sie zu denken – weiter hab ich nichts zu sagen.»

«Aha! Deshalb bist du auch jetzt hergekommen, he?»

«Mensch, um Himmels willen, kannst du dir denn nicht vorstellen, wie sie erschrecken wird? Erinnerst du dich nicht mehr an das Leben, das sie vor deiner Übersiedlung in jenes Haus mit dir führen mußte? Bildest du dir ein, sie hätte das vergessen? Meinst du nicht auch, es wäre besser für dich und besser für sie, wenn ihr euch zum erstenmal bei mir träft – auf meinem Zimmer im Museum?»

«Nein, ich will sie hier in meinem eignen Haus wiedersehn.»

«Hier, wo ihr das Leben zur Hölle gemacht wurde, Forest? Vielleicht hast du recht daran getan, den Ärzten deine Genesung zu verheimlichen, aber du tust gewiß unrecht, deine Frau so zu überrumpeln.»

Forest wehrte heftig ab. «Du willst sie nur von mir fernhalten.»

Adrian senkte den Kopf. «Mag sein, Forest», erklärte er sanft. «Doch du kannst wohl die Situation ebenso klar erfassen wie ich. Versetze dich nur in ihre Lage. Stell dir vor, sie tritt ein, vielleicht in der nächsten Minute schon, und erblickt dich, ganz unvorbereitet, ohne etwas von deiner Genesung zu ahnen, ohne daß du ihr Zeit gelassen hast, dran glauben zu können – und alle Erinnerungen an deinen frühern Zustand dringen auf sie ein – was hast du da zu hoffen?»

Forest stöhnte. «Und was hab ich zu hoffen, wenn ich mir diese einzige Gelegenheit entgehen lasse? Glaubst du, ich kann jetzt noch irgendeinem Menschen trauen? Leb du einmal das Leben, das ich führen mußte, vier Jahre lang, dann rede!» Seine Blicke irrten unstet umher: «Laß du dich belauern, laß du dich behandeln wie ein gefährliches Kind. Während der letzten drei Monate hab ich als völlig normaler Mensch diese Behandlungsweise verfolgt. Wenn meine eigne Frau mir meine Genesung nicht glaubt, jetzt, da ich ihr ordentlich gekleidet und vernünftig gegenübertrete, wer soll, wer kann mir's dann glauben?»

Adrian trat auf ihn zu. «Bedenk doch», mahnte er, «gerade sie hat dich in deinen schlimmsten Momenten gesehn. Und schwerer als für jeden andern ist es für sie, an deine Genesung zu glauben.»

Forest schlug die Hände vors Gesicht.

Adrian wartete, aschfahl vor Erregung. Doch als jener wieder die Hände vom Gesicht nahm, wandte er die Augen ab, er konnte den Anblick nicht ertragen.

«Cherrell, was ahnst du von meiner Einsamkeit!» rief Forest. «Laß du dich als Verrückter einsperren, dann wirst du wissen, was es heißt, den Rest des Lebens einsam sein.»

Adrian legte ihm die Hand auf die Schulter. «Sieh doch, lieber Freund, ich hab in meiner Wohnung ein leerstehendes Zimmer. Bleib doch bei mir, bis hier alles in Ordnung gebracht ist.» Aus Forests Zügen grinste plötzlich wilder Verdacht, ein durchdringend forschender Blick trat in seine Augen. Dann sah er sanft, fast dankbar drein, dann wieder bitter – wieder sanft.

«Du warst immer ein weißer Rabe, Cherrell. Doch nein, danke – ich bring es nicht über mich. Ich muß hierbleiben. Die Füchse haben ihre Höhlen, und ich hab noch diese da.»

Adrian seufzte. «Also gut, dann müssen wir auf Angela warten. Hast du die Kinder schon gesehn?»

«Nein. Denken sie noch an mich?»

«Ich glaube kaum.»

«Wissen sie überhaupt, daß ich noch am Leben bin?»

«Ja, sie wissen, daß du irgendwo fort bist, krank.»

«Daß ich –?» Forest tippte sich an die Stirn.

«Nein. Sollen wir zu ihnen hinaufgehn?»

Forest schüttelte den Kopf. In diesem Augenblick sah Adrian durchs Fenster Angela kommen. Ruhig schritt er zur Tür. Was sollte er sagen, was tun? Schon lag seine Hand am Türknauf, da schoß Forest an ihm vorüber in die Halle hinaus. Angela hatte die Haustür mit ihrem Schlüssel geöffnet. Adrian sah, wie ihr Gesicht unter dem enganliegenden Hut aschfahl wurde. Sie wich gegen die Wand zurück.

«Hab keine Sorge, Angela», rief er rasch und hielt die Tür des Speisezimmers offen. Sie eilte an beiden vorüber ins Zimmer. Forest folgte ihr.

«Ich wart hier – falls ihr mich etwas fragen wollt», erklärte Adrian und schloß die Tür …

Die beiden Gatten standen einander gegenüber, schwer atmend, als wären sie weit gelaufen.

«Angela!» rief Forest, «Angela!»

Sie schien unfähig, ein Wort zu erwidern. Da sagte er mit erhobener Stimme: «Ich bin ganz gesund. Glaubst du mir nicht?»

Sie senkte den Kopf und schwieg noch immer.

«Kein Wort hast du für mich armen Hund?»

«Es ist – es ist nur der erste Schreck.»

«Ich bin jetzt geheilt, bin es schon seit drei Monaten.»

«Ich bin so froh, so froh!»

«Herrgott, bist du schön! Schöner als je.»

Plötzlich umschlang er sie, drückte sie heftig an sich und begann sie gierig zu küssen. Als er sie freigab, sank sie atemlos in einen Stuhl und sah ihn so entsetzt an, daß er die Hände vors Gesicht schlug.

«Ronald – ich kann nicht mehr – ich kann nicht mehr so wie früher mit dir leben. Ich kann nicht – kann nicht!»

Er sank vor ihr in die Knie. «Ich wollte nicht so heftig sein. Verzeih mir!»

Dann erhoben sich beide, vor Aufregung ganz erschöpft, und entfernten sich voneinander.

«Wir sollten es lieber in aller Ruhe besprechen», erklärte Forest.

«Ja.»

«Soll ich nicht hier wohnen?»

«Es ist dein Haus. Tu, was für dich am besten ist.»

Wieder stieß er jenes unheimliche Lachen aus. «Am besten wär's für mich, wenn du und alle andern mich ganz so behandeln wollten, als wäre nichts geschehn.»

Angela schwieg. Sie schwieg so lange, bis er wieder in jenes Lachen ausbrach. «Hör auf!» rief sie. «Ich will es versuchen. Aber ich muß – ich muß mein eigenes Zimmer haben.»

Forest ließ den Kopf hängen. Plötzlich bohrte sich sein Blick in sie. «Du liebst Cherrell?»

«Nein.»

«Jemand andern?»

«Nein.»

«Aber du hast Angst?»

«Ja.»

«Ich verstehe. Begreiflich. Ein Verrückter, ein Spielzeug in Gottes Hand, darf keine Bedingungen stellen. Er muß nehmen, was man ihm bietet. Möchtest du nicht telegraphieren, man soll mir meine Sachen schicken? Ich käme ihnen damit zuvor, falls sie Lärm schlagen wollen. Ich bin davon, ohne mich zu empfehlen. Wahrscheinlich bin ich auch noch etwas schuldig.»

«Natürlich. Ich werde alles erledigen.»

«Können wir Cherrell jetzt fortschicken?»

«Ich will es ihm selbst sagen.»

«Nein, ich!»

«Nein, Ronald, ich.» Und entschlossen ging sie an ihm vorbei.

Adrian lehnte der Tür gegenüber an der Wand. Er blickte zu ihr auf und versuchte zu lächeln; er hatte die Entscheidung erraten.

«Ronald wird hierbleiben, aber wir werden getrennte Zimmer bewohnen. Lieber Adrian, ich danke dir für alles von Herzen. Könntest du nicht für mich ins Sanatorium fahren? Ich werde dich über alles auf dem laufenden halten. Jetzt werd ich ihn zu den Kindern hinaufnehmen. Leb wohl!» Er küßte ihr die Hand und ging.


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