Friedrich der Große
Gedichte
Friedrich der Große

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An Feldmarschall Keith

Über die leeren Schrecken des Todes und das Bangen vor einem Jenseits

So ging auch er von hinnen, der hohe Sachsenheld,
Der Frankreichs Schwert gewesen, vor dem die Britenwelt
In ihrem Grunde wankte, ja der mit seinen Siegen
Die Adler der Cäsaren verstand zu überfliegen.
Nicht aus dem Feld des Sieges ereilte ihn der Tod,
Nicht war's der Gott des Krieges, der ihm sein Halt gebot:
Im Frieden mußt' er sterben auf weicher Ruhestatt,
Im Frieden, den er selber der Welt erstritten hat!
So ward der Lorbeerstolze auch der Vernichtung Raub,
Bis auf den hohen Namen ein armes Häuflein Staub!

Was lehrt uns Moritz' Scheiden? Furcht, Todesangst und Zagen?
Uns, die wir ihn verloren, uns dürfen wir beklagen;
Doch er, der unserm Auge für immer nun entschwand,
Er dünkt mich nur ein Schiffer, der seinen Hafen fand.
Geruhig soll der Weise dem Tod entgegenschaun.
Dem Helfer, dem Erlöser aus Erdennot und Graun:
Mit unserm letzten Hauche hat alle Pein ein End,
Wie sollte vor dem Tode der bangen, der ihn kennt?
Glaubt mir, er ist mit nichten des Malers Schreckgebild,
Der knochendürre Würger, der Schwelger, nie gestillt,
Der unermeßne Ernten in allen Welten rafft
Und nur dem ew'gen Abgrund ewige Nahrung schafft.
Traumbilder sind die Schatten, die ohne Wiederkehr
Dem dunklen Reich verfallen, ein klagend Geisterheer;
Ein Traum der Ort der Schmerzen, wo, jeder Hoffnung bar,
Endlose Strafen abbüßt die bleiche Sünderschar.

Mein lieber Keith, so laß uns mit dem unwürdigen Spuk
Einmal zu Ende kommen – der Wahrheit Stunde schlug.
Fort mit dem Wust von Grauen, dem, was die Grabesnacht
Geheimnisvoll umwittert, das Herz uns schauern macht!
Verfällt der Leib den Würmern, das macht uns wenig Kummer:
Wir denken uns das Totsein als einen tiefen Schlummer,
Traumlos und ohn' Erwachen, in Leidgeborgenheit;
Und sollt' ein glimmend Fünklein später, nach unsrer Zeit,
Ein Etwas – nennt's die Seele, unsterblich nennt's dazu –
Wirklich noch einmal aufglühn aus kalter Schlackenruh,
Dem Weltgesetze trotzend, das die Vernichtung will –
Sei's drum, was mag's uns kümmern? Wir ruhen stumm und still,
Ein Häuflein kühler Asche, dem alles einerlei,
Bei dem's mit Furcht und Hoffen für immerdar vorbei.

Was hätt' ich zu befahren in jener Welt, sag' an?
Ist Gott, den ich verehre, ein Wütrich, ein Tyrann?
Sollt' ich nach meinem Tode ein schuldlos Opfer sein
Des, der den Lebensodem uns gab und obendrein
All jene süßen Triebe, der Sinne Lustverlangen?
Ist einst aus Götterhänden der Mensch hervorgegangen
Mit seinem Geist und Wesen, wie sollten Götter dann
Ihr Werk drum strafen wollen, weil noch gar viel daran
Des Unvollkommenen bliebe? Dergleichen anzunehmen,
Kann mein vernünftig Denken sich nimmermehr bequemen.
Wär' wohl ein Vater denkbar von väterlicher Art,
Dabei so widersinnig, so seelenroh und hart,
Daß grausam er bestrafte der eigenen Lenden Sproß,
Weil seines Neugebornen Mißbildung ihn verdroß?

Allein was tut den Göttern all unser Aufbegehren?
Was könnte je der Sel'gen ewig Behagen stören?

Vermeßne Menschenhoffart, die alle Schranken bricht –
Bis an die Thronesstufen der Allmacht reicht sie nicht!
Ihr trutzigen Giganten, ei stürmt nur dreist zuhauf,
Packt auf den Ossagipfel den hohen Pelion drauf,
Kommt an in Wehr und Waffen! Was gilt's? Den ihr berennt,
Der Thron des Weltgebieters kein leises Wanken kennt.
Und er, an dessen Größe kein Hauch der Kränkung reicht,
Er sollt' auf Strafe sinnen? Wie sollt' ein Gott so leicht,
Der ohne Leidenschaften, in Zorn und Grimm geraten?
Ich kenn' nur seine Güte, nur seine Segenstaten.

Nein, einer nur beleidigt die Hoheit des Allmächt'gen:
Wer ihn als zornesmütig der Menschheit will verdächt'gen.
Nein, lieber Keith, dies Wesen, das keiner deuten kann,
Genannt die Menschenseele, das dann ein Welttyrann
Nach dieses Leibes Tode noch züchtigt, dieses Ich,
Das gar keins ist, dies Etwas, höchst abenteuerlich –
Vor der Naturerkenntnis schwindet's in Nichts dahin.
Mag all die Ammenmärchen des Volkes stumpfer Sinn
Noch treu in Ehren halten, laß uns auf ja und nein
Das Wunderding betrachten, wieviel daran mag sein.

In der Erkenntnis Schranken schlug Bresche die Erfahrung:
Lukrez und Locke brachten uns tiefe Offenbarung:
Ihnen gelang's, die Straße zum Ziel zurückzulegen.
Kommt, ihnen laßt uns nachgehn, auf den gebahnten Wegen
Den Menschen aufzuzeigen des eignen Wesens Art
Und endliche Bestimmung: Laßt sehen, wie er ward
Und in uns wuchs und reifte, der Geist, wo sein Verbleib,
Wenn einst in Staub zerfallen ist dieser Erdenleib.
Mit uns wird er geboren, erstarkt, entfaltet sich
Mit unserm Sinnenleben und umgestaltet sich,
So wie sich jenes wandelt: Im Kindheitalter zart,
Genau wie unser Körper, bald feurig, kecker Art,
Draufgängerisch, solange der Jünglingsmut uns hebt;
Zag, flügellahm im Leiden, und wieder stark belebt,
Sobald's dem Leibe wohlgeht: plagt ihn Gebrechlichkeit,
Wird er herabgemindert, verfällt in Schwächlichkeit,
Und so mit uns vergeht er. So bleibt denn allezeit
Sein Schicksal unzertrennlich von unsrer Leiblichkeit.

Doch sagt mir: Dieses Wesen von höherer Natur,
Unsterblich, schier gottähnlich – wie mag die Seele nur
Dem Himmel, uns zuliebe, und seinem Glück entsagen,
Mit dem kurzlebigen Leibe den üblen Bund zu wagen?

Ach, das sind leere Träume der lieben Eitelkeit!
Doch holt euch bei den Jüngern des Hippokrat Bescheid:
Laßt euch das Uhrwerk weisen, das Leib und Leben heißt,
Trennt bei dem Ineinander den Körper und den Geist!
Schließt dir bei Tagesscheiden der Schlaf die Wimpern zu,
Was tut dann deine Seele? Auch sie versinkt in Ruh.
Und fliegen dir die Pulse und tobt erhitzt das Blut,
Als wollte dich verzehren die schlimme Fieberglut,
Dann taumelt auch der Geist dir und kennt sich selber nicht.
Wenn aus geschlagner Vene hochauf der Blutquell bricht,
Ist alles überwunden, aufatmen deine Lungen,
Dann kehrt dein Geist auch heimwärts von seinen Wanderungen.
Ein Ohnmachtanfall löst nicht die Spannkraft nur der Glieder:
Das Denken stockt, die Seele, sie liegt wie tot danieder,
Bis daß die Lähmung schwindet; da öffnet sich der Blick,
Nach kurzem Tode kehrt auch die Seele neu zurück.
Vernunft, armselig Flämmchen! Ein Nichts sie löschen kann:
Im Hirn ein Blutgerinnsel, so ist's um sie getan.
Der Geist, sich zu betätigen, braucht die Organe all
Des Erdenleibs; was wär' ihm Gefühl, Erscheinung, Schall,
Wär' er des feinen Werkzeugs der Leibessinne bar?
Kein Denken, Furcht und Freude, nähm' er die Welt, nicht wahr!
Löst dies Atom, unsterblich, die stofflose Substanz,
Einmal von seinem Körper und seinen Sinnen ganz,
Was bleibt dann noch? Ein Wortklang, ein Name, anspruchsvoll,
Ein Wahngebild, ein Wesen, sinnlos und hohl und toll.
Was weiß sie denn vom Tage, der uns gebar zur Welt?
Wie war's, da sie der Himmel dem Erdenstoff vermählt?
Wie kommt's, daß kein Erinnern die Seele sich gewahrt
Des, was sie einst gewesen, der eignen Ursprungsart?

Ach nein, es gab die Seele, die ich empfangen hab',
Von ihrem Schaun und Wissen mir herzlich wenig ab
Beim Eintritt in das Leben; nicht die geringste Spur
Von allem, was vordem sie in dieser Welt erfuhr,
Hat sie mir überliefert als alter Zeit Vermächtnis,
Sonst trüg' ich's im Bewußtsein, besäß' es im Gedächtnis.
Nie hat mein Herz geblutet in jenen Jammertagen,
Als die Germanengeißel der Väter Land geschlagen,
Als fremde Fäuste rafften der deutschen Fluren Segen,
Die Arbeit deutscher Hände, als Feinde allerwegen,
Im Osten und im Westen, im Süden wie im Norden
Das Vaterland verheerten mit Rauben und mit Morden;
Und als der Zorn des Himmels, der über uns entbrannte,
Den Jammer zu vollenden, noch Pest und Seuche sandte,
Daß ausgerottet werde, was noch dem Schwert entging,
Als Dunst von Gift und Sterben ob allem Lande hing
Und unsre Staaten wurden gewalt'ge Wüstenein.
Dies alles steht lebendig vor meinem Geist – allein
Ihn lehrt' es die Geschichte! Müht' er's von damals her
Und nur von sich aus wissen, er wär' erinnerungsleer.

Nun, was vom Einst gilt, gilt auch genau so, lieber Keith,
Von dem, was nach uns sein wird: so wie's vor unsrer Zeit
Kein Denken gab, so wird wohl, wenn erst dies Ich zerfiel,
Auch nichts mehr weiterdenken; ein Anfang und ein Ziel.
Mit unserm Leibessterben – nichts ist mir so gewiß –
Erlischt auch unsre Seele in tiefster Finsternis.
So züngelt um ein Holzscheit die lichte Flamme her,
Doch ist's verzehrt zu Asche, sinkt sie und ist nicht mehr.
Ja, so ist's uns beschieden. Ich warte unentwegt,
Wie mich die flücht'ge Stunde dem Ziele näherträgt.
Was soll mir auch geschehen, wovor ich müßte bangen?
Ich werde dort, woraus ich dereinst hervorgegangen,
Aufs neue untertauchen, allwo ich ewiglang
Mich schon einmal befunden, eh' ich ins Dasein sprang.
Sag' an, eh' ich geboren, was litt ich da für Leid?
Gern beug' ich den Gesetzen mich der Notwendigkeit;
Zu Gast bin ich im Leben, gezählt sind meine Tage,
In Sicht die letzte Stunde – ziemt's, daß ich darum klage?

Hör', Sterblicher, du Stolzer, was die Natur dich lehrt!
Genug nicht all des Segens, den sie dir reich beschert,
Von allem Irrwahn will sie, von allen Vorurteilen,
Von allen Hirngespinsten erlösen dich und heilen,
Zum Wissenden, Geweihten dich endlich zu erheben:
»Ich war es«, also spricht sie, »die dir geschenkt das Leben;
Ich war's, die deines Daseins und Werdens treu gewaltet,
Daß Tag an Tag sich gliedert, dein Leib sich ausgestaltet.
Du lebst auf Augenblicke, lebst auf Bedingnis bloß!
Als ich der Stoffe Vielheit zu deiner Einheit goß,
Geschah's mit der Bedingung, daß einst der allgerechte
Quittmacher Tod dies Darlehn der Huld begleichen möchte.
Freu' dich nun meiner Gnaden, doch acht' auf mein Gebot:
Ich gab dir einst dein Leben, du schuldest mir den Tod!
Zu deinen Jahren soll ich noch weitere dir schenken?
Unsel'ger, wenn du wüßtest! Du würdest dich bedenken!
Ein Mehr an Weh erflehst du, das über dich hereinbricht,
An Herzeleid, an Kummer, der dich zernagt, zerpeinigt!
Du sehnst dich selbst noch einmal nach deiner letzten Ruh':
Drück' du nur erst die Augen den Eltern beiden zu!
Schließ sie den liebsten Freunden, schließ sie den Kindern dein,
Und steh du dann hinfällig in dieser Welt allein,
Indes dir Kopf und Sinne tagtäglich mehr versagen!«

Wie, eitler Sohn des Staubes, das will dir nicht behagen?
Zu lieb ist dir die Erde! Ach ja, sie gleißt und blendet;
Doch ach, ihr Antlitz wechselt, alles vergeht und endet.
Trotz Unheil und Gefahren hält dich das liebe Leben.
Du bist das Glück der Eltern, und dich dahinzugeben,
Es machte sie untröstlich! Und dann – was gibt es doch
Zu schaffen und zu richten, wozu du nötig noch!
Durch wieviel große Pläne macht dir der Tod den Strich,
Wieviel bleibt unvollendet, wie überrascht er dich!
Ja, warum, Unglücksel'ger, läßt man sich so viel Zeit?
Hast du dich eingerichtet auf die Unsterblichkeit?
O wisse, unsre Wünsche, sie welken nicht so bald;
Wenn wir auch selber altern, das Streben wird nicht alt!
Wer hat sein Werk vollendet, eh Schicksal ihm und Tod
Die Arbeitsstunden endet' und Feierabend bot?
Ob früher oder später – ein Totsein gibt es nur!
Äonen, die verflossen, sind bis zur letzten Spur
Vor unserm Sein verloschen, und dieser Augenblick
Ist mehr wert denn sie alle. So ist das Weltgeschick
Ein ewig Fließen, Wechseln; der stolzen Ströme Los
Ist, ständig zu erneuen des reichen Meeres Schoß.

Wohlan, ich hab' dem Schauspiel der Welt, dem wunderbaren,
Ein Weilchen zugesehen, ich durfte tief erfahren,
Was Leben heißt, und weiß auch von Lebens Lust und Glück;
Gern geb' den Elementen ich diesen Leib zurück.
Der Welterobrer Cäsar, der Sängerfürst Virgil,
Newton, vor dessen Blicken so mancher Schleier fiel,
Ja, Mark Aurel, an Tugend mein Vorbild und mein Gott,
Die Hohen all erlagen dem großen Weltgebot –
Wie sollte ich da murren, wenn mit verdroßner Hand
Die Parze, die an jenen nichts zu verschonen fand,
Endlich auch meines Daseins, das ihr schon lang verleidet,
Längst abgegriffnen Faden erbarmungslos durchschneidet!

Was ist an diesem Leben zuletzt denn auch verloren?
Was ist des Menschen Dasein? Zum Leid sind wir geboren.
Wir bauen und zerstören, wir lieben und wir sehen
Hinsterben, was wir lieben, möchten vor Schmerz vergehen,
Trösten uns neu und fahren zum Schlusse selbst dahin –
Und dies, ihr Ärmsten, ist noch der lohnendste Gewinn!
Die Welt, die wir verlassen, war nur ein Unterstand,
Ein Zwischenort; wir leben wie fremd in fremdem Land,
Als Wandersmann, der gern wohl sein Aug' an Feld und Wald
Erlabt im Weiterziehen, doch ohne Aufenthalt.

So wolln wir, Keith, im Kommen und Gehen dieser Welt
Mittraben unsre Strecke, solang es Gott gefällt.
Doch nichts soll uns gemein sein mit jener Gläubigkeit,
Der feigen, die vor Sünde die Höllenangst nur feit,
Die gern die Schranken bräche verderblichster Gelüste,
Wenn sie in ihrem Jenseits die ew'ge Glut nicht wüßte.
All ihre Tugendstrenge ist ja nur Schein und Hohn!
Wir, ohne Furcht und Hoffen, erwarten keinen Lohn;
Wir wissen nichts von Strafen der ew'gen Höllenpein,
Vom niedren Eigennutze blieb unser Denken rein.
Der Menschheit Wohl, die Tugend ist unsrer Tage Licht;
Was von der Schuld uns fernhält, die Liebe ist's zur Pflicht.
Wir wollen ohne Reue ruhvoll von hinnen fahren,
Gewiß, daß unsre Taten der Welt ein Segen waren.

So flammt der Stern des Tages, eh' er hinabsinkt ganz,
Am Horizont noch einmal in heitrem Feierglanz;
Und seiner Strahlen letzte, sie sind sein Abschiedsgruß,
Ein Seufzer an die Erde, die er nun lassen muß.


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