Theodor Fontane
Fünf Schlösser
Theodor Fontane

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L., den 22. Juni 13

Die momentane Gefahr, in der wir schwebten, wurde durch den über das Oudinotsche Corps vom General von Bülow erfochtenen Sieg bei Luckau beseitigt, und ich kann ruhig hierbleiben. An unsern Zustand mag ich nicht denken, und ich schwanke beständig hin und her, ob ich Mut fassen oder ihn verlieren soll. Wenn die, welche auf dem Papiere beständig stärker sind als im Felde, es ernstlich meinen und es auch zeigen wollten, so müßte die wieder mal in einer langen Spitze vorgeschobene Stellung des Feindes einen verderblichen Rückzug Napoleons zur Folge haben. Die traurigen Ölgötzen in D. und K. sind der menschlichen Existenz eigentlich unwürdig. Auf ihre Dummheit gründen sich die Vorteile des Feindes, und wenn ein Dritter (Österreich) sich zu ihnen gesellt, so ist alles verloren. Gesellt er sich aber zu uns, so werden sich die stolzen Wellen von selbst legen. Was Kotzebue und andere über den hohen Kranken in Dresden erzählen, wird auch Euch wohl bekannt geworden sein. Alles, was wir teils mündlich, teils schriftlich erfahren, läuft darauf hinaus, daß der Kranke der sei, für den man ihn hält. Über die Veranlassung und Umstände der Krankheit wird gewiß viel gelogen. So heißt es unter anderm, daß General Maison, den er nach der verlorenen Affaire bei Hainau tätlich beschimpft, ihn in der Wut gefährlich verwundet habe. – Vermutlich werden die Regimenter aus der Landwehr rekrutiert werden, welche nun schon eingeübt ist und wenigstens, was die unseres Kreises betrifft, dem Feinde unter die Augen treten kann. Auch der Landsturm exerziert zweimal in der Woche, doch erwart ich nach wie vor nicht viel von ihm. Von der Landwehr aber das Beste.

 
L., den 3. Juli 13

Die Not und das Elend in Sachsen ist uns bekannt, und wenn man bedenkt, daß all dies anders sein könnte, was soll man da von dem Ölgötzen sagen, der sich und sein Land so unglücklich gemacht hat. – Lützow, der der treulosen Gefangenschaft entronnen ist, war in Berlin beschäftigt, sein Corps zu retablieren. Ebenso Colomb, der mit dreizehn Mann seinen glücklichen Feldzug vollendet hat. Letzterer hat in Berlin schon achtunddreißig völlig ausgerüstete Freiwillige gefunden, die, bei Erneuerung des Krieges, wieder mit seinem kleinen Corps ausziehen wollen. Ich hoffte, man werde die an Lützow begangene Verräterei ahnden, denn was hilft Waffenstillstand, wenn solche Hinterlist erlaubt wäre. – Österreich unterhandelt noch. Wenn es, anstatt zu unterhandeln, mit 100 000 Mann nach Erfurt ginge, so wäre die Sache zu Ende. Aber Erfahrung macht ja die Kabinette nicht klüger.

 
L., den 26. Juli 13

Den 24. d. reiste der Kronprinz von Schweden hier durch nach Berlin, mit einem ziemlichen Gefolge, denn er brauchte 118 Pferde. Wie es heißt, wird er die Truppen, die seinem Befehl unterstellt werden sollen, in Augenschein nehmen, danach aber die Defensionsanstalten bereisen und alle Positionen längst der Elbe besichtigen. Das alles deutet mehr auf Krieg als Frieden, obgleich die Negoziationen in Prag ihren Fortgang haben. Die Ausrüstung der Landwehr kostet ein rasendes Geld. Unser kleiner Kreis, der 330 Mann zu stellen hatte, hat außer dem, was den Wehrmännern von ihren Eltern oder Grundherrschaften gegeben ist, schon 7000 Taler zur Feldausrüstung aufgebracht, und der Magazinlieferungen ist kein Ende. Jetzt zieht sich die ganze pommersche und kurmärkische Landwehr längst der sächsischen Grenze hin. Sie beträgt über 20 000 Mann, die nun insgesamt mit Feuergewehr versehen sind. Alle Piken sind gottlob beiseite gelegt. Englische Sendungen von Militäreffekten sind angekommen, und andere stehen noch in Sicht. Gewiß sind schon über 12 000 neue englische Gewehre an die Landwehr verteilt, und was uns am meisten not tat, Schießpulver, ist jetzt in Menge da. – Mit unserem hier befehlenden Generallieutenant von B. sind die Truppen nicht recht zufrieden; sie beschuldigen ihn, daß er in dem gewonnenen Gefecht bei Luckau das Oudinotsche Corps gänzlich hätte aufreiben können, wenn er den General Borstell mit der Reiterei zeitig genug an sich gezogen hätte. Die österreichische Armee steht schlagfertig da und schimpft auf das Zögern ihres Ölgötzen, der dadurch aber nicht besser und klüger werden wird.

 
L., den 6. August 1813

Heute rücken die ersten Schweden in Gransee, Zehdenick, Bergsdorf, Falkenthal etc. ein. Ein vorausgegangener Oberster hat bei der Durchreise den Amtmann Haupt ersucht, den Landrat von Schlechtendahl wissen zu lassen, daß er in seinem Kreise die Dörfer von dem Anmarsche der Schweden benachrichtigen möchte, damit diese freundlich aufgenommen würden. Er hat dabei mitgeteilt, daß das ankommende Corps 22 000 Mann betrage und vors erste zwischen Oranienburg, Gransee und Zehdenick sich einzuquartieren gedenke. Des Kronprinzen Pferde sind gestern durch Löwenberg nach Oranienburg gezogen, wohin der Kronprinz auch sein Hauptquartier legen wird.

 
L., den 20. August 13

Am 8. traf hier bei mir in Liebenberg das Hauptquartier der ersten schwedischen Division ein. Ich logierte bis zum 14. abends den Generallieutenant von Skjoldebrand, zwei Majors (Oberadjutanten), zwei Capitains von der Generaladjutantur, drei Ingenieuroffiziers, zwei Oberauditeurs, einen Oberchirurgus, zwei Lieutenants, 124 Unteroffiziere und Gemeine, dreizehn Knechte und vierundzwanzig Pferde. Ich hatte außerdem noch manche andere Offiziers, die zum General kamen, zu Mittag. Wir waren immer zwischen achtzehn bis zwanzig Personen zu Tisch, und des Tafelns war kein Ende. Indessen es ging alles gut. Die Schweden waren mit uns und ich mit ihnen zufrieden. Die Offiziers alle ausgesucht gebildete Menschen, und die Gemeinen das schönste Volk und das gesittetste, welches man sehen mag. – Die Not der armen Sachsen wächst. Dies haben sie ihrem Ölgötzen zu verdanken, der, wenn er auf dem Königstein blieb, seine Truppen in Torgau und Wittenberg beließ und sich zu uns gesellte, keinen Feind im Lande gesehen hätte. Die Franzosen wären nicht weiter als bis an die Saale gekommen. Es wird eine Zeit anbrechen, und sie ist nicht entfernt wo die Völker den Druck ahnden werden, der aus schlechten Regierungen entsteht. Was mich über den Zustand Europas in etwas beruhigt, ist die allgemeine Bedrückung und Anstrengung. Diese letztere ist so groß, daß sie nicht lange bestehen kann, und eine allgemeine Ohnmacht wird den Frieden herbeiführen. Schon leidet die französische Armee durch Desertion, was früher unerhört war, und Moreaus Ankunft weckt manchen seiner alten Freunde.

 
L., den 22. August 1813

Landrat von Schlechtendahl hatte Befehl, mich für die gezwungene Anleihe zu veranschlagen, und auf seine Hervorhebung alles dessen, was ich schon geliefert und gezahlt hätte, schreibt ihm der Präsident von Bassewitz: »Hart wär es, aber Geld müsse geschafft werden.« Alles bare Geld aus den Kassen hat Hardenberg nach Schlesien kommen lassen, und nun liegt es uns ob, diese leeren Kassen wieder zu füllen. Wann wird man doch die Finanzdurchbringer wegjagen und ehrliche Leute einsetzen.

 
L., 11. September 13

Außer dem, was den Franzosen die Retraite aus Schlesien und die Niederlage des Vandammeschen Corps in Böhmen kostet, haben sie auch bei ihrem dritten gescheiterten Vorgehen gegen Berlin, und zwar bei Jüterbog (Dennewitz), arge Verluste gehabt. Der Heerführer Ney, der gegen Blücher unglücklich war (Irrtum, es war Macdonald), und sein Konfrater Oudinot waren es auch hier bei Dennewitz; sie unterlagen. Vermutlich sollte die Niederlage an der Katzbach durch irgendeinen desperaten Coup ausgelöscht werden; das schlug aber so fehl, so daß sie mit einer Einbuße von fast 15 000 Mann eiligst nach Torgau liefen. Der Kronprinz von Schweden, der wohl weiß, mit wem er zu tun hat, ist sehr vorsichtig in seinen Bewegungen; er äußert bei jeder Gelegenheit seine Zufriedenheit über unsere Truppen, die denn auch wirklich Wunder tun. Noch ist kein Treffen gewesen, in dem sie nicht wie Rasende den Feind gepackt und ihn in aller Strenge des Ausdrucks totgeschlagen hätten. Aus dieser Ursache und weil unsere und die russische Kavallerie die feindliche niederreitet, kommt es auch, daß die Franzosen soviel Artillerie verlieren. Es kostet uns aber viele brave Menschen. Hätte der Ölgötze dem Feinde nicht seine Festungen eingeräumt, so magst Du versichert sein, daß der ganze feindliche Schwarm längst schon über die Saale getrieben wäre. Gott wird uns ja wohl von dem Gesindel befreien, das nun, seit Aufhebung des Waffenstillstandes, schon an 70 000 Mann verloren hat. Dazu mehr denn 200 Kanonen.

 
L., den 27. Sept. 13

Die französischen Verluste bei Dennewitz sind sehr groß gewesen, zum Teil dadurch, daß die zu rechter Zeit eintreffende russische und schwedische Artillerie die französischen Massen in die Flanke nahm und dadurch der Reiterei Gelegenheit zum Einhauen gab.

Wenn die Dänen nicht zu Napoleon hielten, so glaub ich, daß auch Davoust nicht mehr existierte. Die Gefangennehmung seines Waffen- und Gemütsbruders Vandamme bei Kulm und Nollendorf hat auch hier große Freude gemacht. Ich denke, er wird vom General Kleist (dem späteren Kleist von Nollendorf) nicht sagen »cette canaille«, wie er es vom Grafen Goltz gesagt haben soll. Allgemein wird behauptet, daß, wenn unser König nicht standhaft auf die Behauptung der Gegend bei Töplitz gedrungen hätte, der Fürst Schwarzenberg über die Eger zurückgegangen sein würde, wodurch Vandamme Herr des Gebirges bis Glatz geworden wäre. Der König hat sich dadurch die Liebe und das Vertrauen der Armee und der Böhmen erworben. Unsre Landwehrbataillons haben viel verloren, aber auch wie die alten Truppen gefochten. Viele von den beiseite gelegten Offiziers der alten Armee benehmen sich jetzt als Landwehroffiziers wie die Helden, woraus man abnehmen kann. daß manchem Unrecht geschehn ist. Freund Unruhs Fata sind wirklich sonderbar; er könnte seinen Lebenslauf schreiben, der vielleicht interessanter wäre als der von Wilhelm Meister.

 
L., den 5. Oktober 13

Du kennst meinen alten Tagelöhner Claer, dessen Sohn ich für die Landwehrkavallerie eingekleidet habe. Dieser war immer mit dabei. Rittmeister von Redern hat seinem Bruder geschrieben, daß Claer ein ganz vorzüglicher Soldat und vom Brigadegeneral zum Eisernen Kreuz vorgeschlagen sei. Bei dem Hagelsberger Gefecht ist er mit seinem Schimmel und seiner Pike der erste gewesen, der in das feindliche Quarré kam; vier Kugeln und fünf Bajonettstiche haben den Schimmel getötet, ohne den Claer zu beschädigen. Dieser kommt zu Redern und sagt: »Was ist nun zu tun, Herr Rittmeister, der Schimmel ist tot?« – »Geh zurück«, sagt Redern. Ein paar Minuten darauf sieht er ihn aber wieder auf einem aufgegriffenen Pferde im Galopp ankommen, und beim Verfolgen der Franzosen ist er, hauend und stechend, immer im dichtesten Getümmel. gewesen. An seine Eltern schrieb er, »sie sollten ihm nicht antworten, denn an der Elbe, wo sie jetzt stünden, blieben sie nicht«. Und nun erseh ich aus den Zeitungen, daß Marwitz Braunschweig überrumpelt hat. Unsre Landwehr ist also dort. Die gefangenen Franzosen, die hier durchtransportiert werden, nennen die Landwehr »Kreuzbauern« und setzen hinzu: »Viel schlimm; immer ›Bruder, schla drup‹, nicks Pardon, viel miserable.« Ein Glück, daß sie sich so in Respekt gesetzt haben.

 
L., 23. Oktober 1813

Danken wir Gott für seine Gnade. Das Maß der Untat war voll, und bei Leipzig, am 18. und 19., sind die Würfel gegen den großen Würger gefallen. Es war mutmaßlich sein Plan, den Kronprinzen von Schweden, der ihm durch seine Stellung an der Saale Unglück drohte, durch Absendung eines Corps fortzumanövrieren. Er hatte jedoch nicht gebührend in Anschlag gebracht, daß die um ihn herum stehende alliierte Armee durch eine konzentrische Bewegung ihn in einen Kreis zusammendrängen und ihn entweder angreifen oder aber ihn zwingen würde, sie anzugreifen. Überhaupt scheint der große Held einige Überreste des vorjährigen Frostes in seinem Hirn zu haben, denn in seinem hartnäckigen Bestehen auf sein ruinöses Projekt hat er Fehler begangen, die keinem Anfänger zu verzeihen sind. Es ist uns durch diese Fehler ein weiterer Beweis dafür erspart worden, daß er, ohne eine numerisch überlegene Macht, nicht der von aller Welt bewunderte Heros geworden sein würde. Nochmals Preis und Dank, daß der 18. Oktober ein Tag des Verderbens für ihn wurde. Wenn Du unsere Zeitungen mit den Extrablättern erhältst, so wirst Du die Umstände der großen Begebenheit schon wissen. So viel kann ich Dir versichern, daß unsere Truppen ihrer großen Erinnerungen würdig gefochten haben. Unsere Landwehren, die großenteils von früher als »untauglich« pensionierten Stabsoffizieren geführt wurden, haben sich mit einem Mute benommen, den selbst die Linientruppen bewundern.

Welch ein Kontrast zwischen den sächsischen Truppen und ihrem König! Erstere sind alle zu uns getreten, und letzterer ist nach Prag hin abgeführt worden. Wenn der Ölgötze einige Empfindung von Scham hätte, so müßt er sterben, allein er wird all seine Dummheiten dem Willen der Vorsehung zuschreiben und sich selbstverständlich diesem Willen unterwerfen. Der Rheinbund ist aufgelöst, und will's Gott, so bringt Napoleon nicht viel von seinem Heere nach Hause. Denn um ihn herum sind wenigstens 12 000 Kosaken und fast ebensoviel reguläre Kavallerie. Er kann keinen Schritt tun, ohne zu schlagen, und wird er nur so lange aufgehalten, daß Infanterie herankommen kann, so muß er en détail aufgerieben werden. Vielleicht daß er dabei, zur Ruhe des Menschengeschlechts, die eigene »Ruhe« findet. Ich wünsch es ihm und uns. Hoffentlich werden nun alle Festungen fallen, und die französischen Corps unter Gouvion St. Cyr können der Gefangenschaft nicht entgehen. Es bleibt ihnen nichts übrig, als sich nach Dresden hineinzuwerfen, wo nichts zu leben ist. Hoffentlich werden wir den Sieg zu benutzen und einen raschen Frieden herbeizuführen wissen. Ich atme wieder auf, und seh ich auf das, was, wetteifernd mit den eigentlichen Soldaten, unsere Landwehren getan haben, so erquickt es mein altes Herz, daß es, neben Gottes Gnade, des Volkes Kraft war, was diesen Wechsel der Dinge schuf.


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