Theodor Fontane
Fünf Schlösser
Theodor Fontane

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4. Kapitel

Wie Prinz Friedrich Karl in Dreilinden lebte

»Oculi, da kommen sie.«

In Kapitel 3 hab ich Jagdhaus Dreilinden in seinem Äußren und Innern zu schildern versucht; ich versuche, daran anschließend, eine Schilderung, wie der Prinz in Dreilinden lebte.

In erster Reihe: weniger andauernd und weniger ausschließlich, als er es wünschte und – als es schien. Es blieb nämlich sein wirklicher Aufenthalt daselbst hinter dem programmäßigen erheblich zurück. Inspektionen, Revuen, Festlichkeiten und nicht zum wenigsten entfernter liegende Jagdausflüge sorgten beständig für Abzüge; sehen wir aber von solchen in Wegfall kommenden Einzeltagen (die sich gelegentlich auch wohl zu halben Wochen ausdehnten) ab, so wird sich sagen lassen, daß etwa fünf Monate des Jahres dem Dreilindner Aufenthalte gehörten, und zwar die zwei Spätherbstmonate vom 15. Oktober bis zum 15. Dezember und die drei Frühjahrsmonate von Mitte März bis Mitte Juni.

Diese drei Frühjahrsmonate waren wohl, wenn ich recht berichtet bin, die besonders bevorzugten, weil sie dem jagdliebenden Prinzen Gelegenheit gaben, auch seiner zweiten, seine Jagdlust vielleicht noch überbietenden Passion zu leben: der Lust am Wald.

         O Frühlingsluft, o Frühlingsduft,
Im Schloß wird mir's zu enge,
Ich fühle, wie der Wald mich ruft
Fort aus dem Stadtgedränge.

Die Häusermassen groß und klein,
Sie wollen mich erdrücken,
Ich sehne mich, mit Lust im Frein
Das erste Grün zu pflücken.

Drum denn hinaus nach altem Brauch
Mit Jagdwehr, Hund und Rossen,
Auf daß ich seh, wie Baum und Strauch,
Die selbst ich pflanzte, sprossen.

So klang es in des Prinzen Herzen, sobald Oculi und Lätare gekommen waren:

Und sieh, am Tage Judica,
In seiner Waldesklause,
Da ruft er froh: »Bin wieder da
In meinem eignen Hause;

Und ob es klein, doch mein es ist,
Hier leb ich ohne Sorgen,
Das Flüstern dreier Linden grüßt
Mich glücklich jeden Morgen.«

Und wirklich glücklich vergingen ihm hier die Tage...

           Den Forst durchstreift der Feldmarschall
Im grauen Weidmannskleide,
Tautropfen funkeln überall,
Es duftet frisch die Heide...

So Balduin Möllhausen in einem reizenden kleinen Liede, das die Waldessehnsucht ausdrückt, die den Prinzen, bei Frühlingserwachen, zu befallen pflegte, gefällige Strophen, denen ich meinerseits nur das noch hinzuzufügen habe, was ich über Gang und Art eines solchen Dreilindner Frühlingstages in Dreilinden selbst erfahren konnte.

Der Prinz war ein Frühauf und gehörte zu den Glücklichen, die sich mit wenig Stunden Schlaf zu behelfen wissen. Allmorgendlich zwischen drei und vier bereits begann er seinen Tag und fuhr auf die Pürsch, nur von einem Diener oder Leibjäger begleitet. Oft dehnte er diese Fahrten über das ganze Revier hin aus, aber öfter noch begnügte er sich mit einzelnen Schlägen. Der Bestand an Wild war reich: Kaninchen, Füchse, Hirsche, Rehe, Fasane. Was an Wild erlegt ward, wurde verkauft. Nichts davon kam auf den prinzlichen Tisch.

War die Pürschfahrt beendet und das erste Frühstück genommen, so wandte sich der Prinz jenen Forst- und Waldkulturen zu, die von ihm ins Leben gerufen wurden. Er kannte jeden Baum in seinem Revier, hatte er doch jeden einzelnen entstehen sehn und ihm als Setzling und Steckling schon seine Sorgfalt und sein Interesse zugewandt. Ein echter und rechter Erzieher, der bei dem Kleinen beginnt! War aber das Gedeihen erst gesichert so hieß es, nun diesem Gedeihenden auch die Form, den Reiz der Erscheinung zu geben. Mit sicherm Blick erkannte der Prinz alles, was gefördert und ans Licht gezogen, aber auch ebenso, was beseitigt werden mußte, und mit einer Art Künstlerhand begann er nunmehr den Baum zu bilden und zu gestalten.

Seine höchsten forstmännischen Triumphe jedoch feierte er nicht als Überwacher und Leiter eines in der Gesichertheit glücklicher und gesunder Verhältnisse, dementsprechend auch glücklich und gesund aufstrebenden Baumgeschlechts, sondern umgekehrt als Arzt der Armen und Kranken, und eine nicht unbeträchtliche Zahl der jetzt inmitten einer neuen Anlage hoch aufstrebenden Eichen gehört in die Reihe solcher Geretteten. Es waren diese Geretteten vordem, als der Prinz im Jahre 1859 die Dreilindner Forst an sich brachte, halb verkommene, ja, zum Teil mißgestaltete Bäume, die, weil eingestreut in eine ziemlich dicht stehende Kiefernheide, jeder eigentlichen Entwicklungsmöglichkeit und damit auch aller Gelegenheit zu Wohlgestalt und Schönheit entbehrt hatten. Ihnen Hilfe zu bringen wurde nunmehr Aufgabe, deren erstes Ziel das war, an die Verwachsenen und Verkrüppelten heranzukommen, ihnen Freiheit, Luft und Licht zu verschaffen. Und so fiel denn zunächst die hemmend und hindernd um sie her stehende Kiefernheide. Jetzt erst konnte der Kliniker und Orthopäd an seine Kranken heran, die, kaum in liebevolle Behandlung genommen, auch schon nicht mehr sie selber waren und jetzt in voller Pracht und Stattlichkeit das um sie her neu beforstete Terrain überragen.

Der Vormittag des Prinzen gehörte den verschiedenen Forstbeständen, die wie Klassen, höhere und niedre, gemustert wurden. Um zwölf aber unterbrach er diese Mustrung auf eine Stunde, nahm ein zweites Frühstück, ein Lunch, und kehrte erst mit Beginn des Nachmittags in seinen geliebten Wald zurück. Um fünf war dann Diner, das entweder im engsten Kreise der Adjutanten oder aber im weitren einer bestimmten Anzahl von Gästen genommen wurde. Die darauf folgenden Stunden gehörten teils der Korrespondenz, teils der Lektüre. Der Prinz las viel, zog jede Wissenschaft heran und hatte selbst ein Herz für die belles lettres. Ein glückliches Gedächtnis, das, als ein Hohenzollernerbteil, auch ihm geworden, unterstützte ihn bei diesen Studien und erleichterte ihm nicht nur das Eindringen in immer neue Stoffe, sondern auch, im lebendigen Gegenwärtighaben des Gelesenen, einen Ideenaustausch, ein Gespräch darüber. Auf jedem Gebiete bewandert, über das Neueste stets orientiert, war es ihm ein leichtes und zugleich eine liebe Gewohnheit, im Verkehr mit seinen Gästen in der Sprache dieser zu sprechen. »Suum cuique.« Er hatte eben auch wissenschaftlich einen Blick für und über das Ganze, wenn aber ein einzelnes sich rühmen darf, mit besondrer Lust in den Kreis seiner Betrachtung gezogen worden zu sein, so wäre hier wohl in erster Reihe das Ethnographische zu nennen, das Länder- und Staatenkundliche, das Völkerpsychologische. Womit zwei seiner Passionen zusammenhingen: die für das Reisen und die für die Marine, Neigungen, in denen er lebhaft an den zu früh geschiedenen Admiral Prinz Adalbert erinnerte, mit dem er auch andre Züge gemein hatte: das Affable, das Einfache, das helfende Mitleid und den ruhigen Mut.

Ich komme darauf zurück, insonderheit auch auf die bevorzugten Gesprächsthemata des Prinzen, und begnüge mich damit, an dieser Stelle mit einer an die Dreilindner Forstkulturen anknüpfenden Anekdote zu schließen.

Es war im Frühjahr 1871, als, von Fontainebleau her, wo sich der Prinz nach Abschluß der Friedenspräliminarien aufhielt, Ordre nach Dreilinden kam, »einen bestimmten Schlag zu rajolen und demnächst mit jungen Eichen zu bepflanzen«. Der Befehl lautete strikt genug; aber ihm zu gehorchen war nicht leicht, denn alles junge Volk stand damals noch in Frankreich. An Arbeitskräften war also Mangel, und so kam es denn, daß, behufs dieser vorzunehmenden Rajol- und Pflanzarbeiten, von dem benachbarten Spandau her ein Trupp französischer Gefangener erbeten wurde, der wirklich am andren Tage schon in Dreilinden eintraf. Mit ihm zugleich die Benachrichtigung, »daß, nach drei Wochen, Ablösung dieses Trupps erfolgen werde«. Sonderbares Los für alle die, die sich zu diesem Dienste kommandiert sahen, und doch ward »Eichenpflanzen beim Prinzen« alsbald allgemeines und nur zu begreifliches Begehr, denn der Tagelohn war gut und die Tagesverpflegung noch besser, des sonntäglichen Huhns und der halben Flasche »Roten« ganz zu geschweigen, unter deren gedoppeltem Einfluß schließlich auch der chauvinistischste Chauvinismus erliegen mußte. Wenigstens sind Ausbrüche desselben nie zu verzeichnen gewesen. Im Gegenteil, das Benehmen der Abkommandierten war durch all diese Wochen hin ein gleichmäßig vorzügliches und stellte der Einsicht, dem Charakter und der guten Lebensart unsrer Feinde das beste Zeugnis aus. Sie waren fleißig, heiter, dankbar, und wenn doch vielleicht (was zu den Möglichkeiten zählt) ein paar halblaute Verwünschungen über die Dreilindner Stecklinge hin ausgesprochen sein sollten, so müssen sie, nach Art aller Flüche, die keinen Schuldacker vorfinden, bedeutungslos verklungen sein, denn überall auf dem Territorium des »Bezwingers von Metz« wachsen und gedeihen neben den von deutscher Hand eingesetzten Eichen auch die, die damals von französischen Händen gepflanzt wurden.


 << zurück weiter >>