Theodor Fontane
Fünf Schlösser
Theodor Fontane

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11. Kapitel

Das Lied von der »Eroberung von Ketzer-Angermünde«. Einiges über die Balladendichtung jener Zeit

Wie die erste »Schlacht am Kremmer Damm« und genau achtzig Jahre später die Niederwerfung der Quitzows durch Eroberung ihrer Burgen ihre dichterische Behandlung fanden, so auch der Kampf um Ketzer-AngermündeWoher die Bezeichnung Ketzer- oder plattdeutsch Kettr-Angermünde kommt, diese Frage hat seit mehr als einem Jahrhundert die märkische Geschichtschreibung beschäftigt. Einige meinen, im 13. und 14. Jahrhundert hätten sich unter den Einwohnern von Angermünde viele Ketzer befunden, andere meinen, Ketzer bedeute Kietzer, noch andere heben hervor, daß Ketzer ein Handwerksausdruck sei und bei den Wollarbeitern eine Spindel voll Garn bedeute. Ketzer-Angermünde kann also bedeuten: eine Ketzer-Stadt oder eine Kietzer-Stadt oder eine Tuchmacher-Stadt. Alle drei Annahmen haben etwas für sich, und ich habe, der Reihe nach, jede einzelne für richtig gehalten, bin aber schließlich doch wieder zu 1 zurückgekehrt und glaube jetzt: Ketzer bedeutet Ketzer in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes. Nach Gereken starben in Angermünde um 1336 vierzehn der Ketzerei angeklagte Bewohner den Feuertod. Es sollen Luciferaner, Anhänger des Bischofs Lucifer von Cagliari, gewesen sein. Mir scheint es jetzt das wahrscheinlichste, daß der Beiname der Stadt von diesem Vorgang her datiert., der als der Rehabilitierungs- und erste Loyalitätsakt des bis dahin frondierenden märkischen Adels betrachtet werden kann. Auch die diesen Vorgang behandelnde Volksballade – deren eigentlicher Held Kaspar Gans ist – ist wie die vom »Kremmer Damm« nicht märkischen, sondern pommerschen Ursprungs und zeichnet sich wie diese durch ein Treffen des Balladentons aus. Einige Stellen sind inhaltlich nicht ganz leicht verständlich, werden es aber, wenn man die Wusterwitzsche Beschreibung, die wir in unserem vorigen Kapitel gaben, zur Erklärung mit heranzieht. Die Ballade selbst aber lautet:

Ein neues Lied euch gesungen sei:
Nach dem Winter kommt der Mai,
Das haben wir wohl vernommen;
Und daß Kettr-Angermünde märkisch ward,
Das soll dem Markgrafen frommen.

Johann von Briesen ließ sich jagen
Von Kettr-Angermünde bis Greifenhagen,
All' Mut war ihm gebrochen;
Da ging er zu Hofe nach Alten-Stettin
Und hat zu dem Herzog gesprochen:

»Gnäd'ger Herre, was zu halten stand:
Kettr-Angermünd und das Stolper Land
Ist verloren und verdorben;
Der Markgraf hält es jetzt in Hand,
Und doch hieß es: er sei gestorben.«

Da ließ der Herzog entbieten und holen
All seine Mannschaft, Pommern und Polen,
Nach Vierraden ritt man zu Tische;
Da setzten sie sich und hielten Rat
Und aßen süße Fische.

Der nun folgenden Strophe fehlen zwei Mittelzeilen, aber den drei verbleibenden entnehmen wir unschwer, daß man von Vierraden aufbrach und über den Vierradener Damm hin auf Angermünde zuritt.

     Da ritten sie weiter, und, kaum heran,
Angermünde ward ihnen aufgetan,
Alle haben dem Herzog geschworen,
Und alle riefen: »Stettin, Stettin«,
Und Brandenburg war verloren.

Aber draußen, hinter Wall und Graben,
Die Märkischen schon sich gesammelt haben,
Vierhundert Reiter und Knechte;
Die Gans von Putlitz führet sie,
Zischend, auf daß sie fechte.

Die Gans, der wollt es nicht behagen,
Sie streckte zornig ihren Kragen
Über die Pommern alle;
Da schwebte der märkische Adler hoch,
Und die Greifen kamen zu Falle.

Die Gans aber wuchs in Grimme noch,
Sie schlug mit den Flügeln ein Brescheloch,
Und da stand sie nun zwischen den Steinen,
Und als sie bis zum Markte kam,
Waren sie zehn gegen einen.

Da gingen die Schwerter die klinker die klang,
Herr Detleff Schwerin mit dem Putlitz rang
Und wollte den Preis erwerben;
Da mußte Herr Detleff von Schwerin
Für seinen Erbherrn sterben.

Das war des Herzogs schwerster Tag,
Als da Herr Detleff vor ihm lag,
Zerhackt, in Blut und Wunden,
Und er rief: »O hätt ich über den Damm
Erst wieder zurückgefunden!«

Er sprach es und ritt im Zuge vorn,
Er gab seinem Rosse Schlag und Sporn
Und suchte die Zügel zu fassen;
So kam er bis an das »Hohe Haus«,
Da ward er eingelassen.

Das war zu Vierraden. Auf Schlosses Brück
Noch einmal sah er zurück, zurück,
Im Herzen voll Weh und Leide:
»Kettr-Angermünde, du vielgute Stadt,
Daß so ich von dir scheide!«

Der aber, der dies Lied euch sang,
Ein Schmiedeknecht ist er schon lang,
Und sie nennen ihn Köne Fincken;
Und er führt ein Hämmerchen auf der Hand
Und Gut-Bierchen mag er trinken.

So das Lied von der Eroberung von Ketzer-Angermünde, an das ich, eh ich zu einer Schlußbetrachtung über die Quitzows und ihr Recht oder Unrecht übergehe, noch einige literarische Bemerkungen knüpfen möchte.

Das deutsche Volkslied beziehungsweise die deutsche Volksballade gefeiert zu sehen ist seit den Tagen Herders und der Romantiker etwas Herkömmliches geworden, darüber aber, daß neben diesem allgemein Volksliedmäßigen auch noch eine historische, nach der dichterischen wie landesgeschichtlichen Seite hin gleich ausgezeichnete Volksballade geblüht hat, ist man hinweggegangen, entweder weil man die Tatsache nicht genügend gekannt oder sie sich nicht recht zum Bewußtsein gebracht hat. Und doch ist in niederdeutschen Landen (auf welche sich meine Bemerkungen ausschließlich beziehen) ein, um es zu wiederholen, speziell historischer Balladenschatz gezeitigt worden, der an Schönheit und Bedeutung hinter dem englisch-schottischen nicht zurückbleibt, ja ihn vielleicht in diesem und jenem übertrifft. Jede der von mir mitgeteilten Balladen kann als ein Beweis dafür gelten, und Dichtungen wie die vom »Kremmer Damm« und von »Ketzer-Angermünde« reichen an die Chevy-Jagd, die Schlacht bei Otterburn, den Aufstand in Northumberland und viele andere Percy- und Douglas-Balladen heran.Zwischen der den Douglas- und Percy-Kampf behandelnden Chevy-Jagd und der den Kampf zwischen Markgraf Ludwig und Herzog Barnim behandelnden Kremmer-Damm-Ballade tritt eine große Verwandtschaft zutage, wie folgende Gegenüberstellung zeigen mag:

Chevy-Jagd

».... Nun denn, wohlan!« rief Percy da,
»Dies Feld sei unsere Schranke,
Noch schlüpfte keiner mir hindurch,
Sei's Schotte oder Franke.

Das ist der Hirsch, den ich gesucht,
Nun lohnt es sich zu jagen,
Es brennt mein Herz, Mann gegen Mann,
Die Schlacht mit ihm zu schlagen.«

Lord Douglas hört's. Er ruft ihm zu:
»Da soll mich Gott verderben,
So wahr ein Lord ich bin wie du,
Du oder ich muß sterben.

Doch hör mich, Percy, Schande wär's
Und Schimpf an unsrem Leben,
So vieler Mannen schuldlos Blut
Mit in den Kauf zu geben.

Es sei all unser Streit gelegt
In unsre beiden Speere...«
»Verdammt sei der«, rief Percy da,
»Der andren Sinnes wäre...«

Das gab ein Stechen und ein Haun,
Manch breite Wunde klaffte,
Längst unser englisch Bogenvolk
Nicht mehr den Bogen straffte.

O Christ es war für Herz und Sinn
Ein Leid, nicht auszusagen,
Wie stöhnend da in Sand und Blut
Die Menschenknäule lagen.

Und immer schwankte noch die Schlacht
Da endlich...

Kremmer Damm

      Markgraf Ludwig, der tapfere Held,
Zum Damme sah man ihn reiten,
Er dachte: »Die Pommern stehen im Feld
Und wollen den Damm überschreiten.

Trompeter, sage dem Herzog an,
Ich hätte groß Verlangen,
Ihn und seine Ritter, Mann für Mann,
Hier drüben zu empfangen.

Und wenn es hier drüben ihm nicht behagt
So wollt ich ihm versprechen,
Auch auf dem Luch-Damm, unverzagt,
Eine Lanze mit ihm zu brechen.«

Drauf der Herzog: »Er woll ihm Rede stehn,
Nichtkommen, das dünk ihm Sünde,
Und sie wollten sich treffen und wollten sehn,
Wer das Spiel am besten verstünde.«

Drauf ging es auf den Damm hinauf,
Dicht standen da die Märker,
Die wehrten sich einzeln und zu Hauf,
Doch die Pommern waren stärker.

Die Märkischen konnten nicht bestahn,
Das Loch war ihr Verderben,
Viele mußten da liegen gahn
Und ohne Wunde sterben.

Und mählich wichen sie Schritt um Schritt
Vor Kremmen weiter zu fechten –
Die Pommern folgten in festem Tritt,
Die Ritter mitsamt den Knechten.

Aber vor Kremmen hielten sie an...
Die Märkischen standen da Mann an Mann
Und waren nicht zu vertreiben.

Es ist nicht möglich, sich gegen die Wahrnehmung einer geradezu frappierenden Ähnlichkeit zu verschließen, die vor allem inhaltlich, desgleichen in Ton und Bau, zutage tritt und nur zu kleinem Teil aus der von derselben Hand herrührenden Übersetzung beider Balladen erklärt werden kann. Es ist mir ganz unzweifelhaft daß man in Schottland entweder die pommersche oder in Pommern die schottische Ballade gekannt haben muß. Ist die pommersche Ballade echt, so muß sie die ältere sein, denn das Ereignis, das ihr zugrunde liegt: die Schlacht am Kremmer Damm, fällt in das Jahr 1334, während das der englisch-schottischen Ballade zugrunde liegende Ereignis, die Schlacht bei Otterburn, erst in das Jahr 1388 fällt. Bischof Thomas Percy, der Herausgeber der berühmten altenglischen Balladensammlung, die seinen Namen trägt (Percy's Reliques of Ancient English Poetry), setzt sogar die Chevy-Jagd noch um ein Jahrhundert später, in die Zeit Heinrichs VI. Und so hätten wir denn eventuell einen neuen Triumph altdeutscher Lied- und Balladendichtung zu verzeichnen. Aber freilich, ist die Kremmer-Damm-Ballade, die zuerst im Jahre 1756 auftaucht, echt? Sosehr ich es wünsche, so kann ich doch Zweifel nicht ganz unterdrücken. Ihnen Ausdruck zu geben ist hier nicht der Platz, ich würde mich aber freuen, mit einem Balladensachkundigen, der außerdem des Plattdeutschen mächtig ist, also mit Männern wie Klaus Groth, Adolf Wilbrandt, Karl Eggers, Heinrich Seidel, in einen Meinungsaustausch über diesen Punkt eintreten zu können. Das plattdeutsche Original findet sich im 21. Stück der »Greifwaldschen Nachrichten« und daraus abgedruckt in Buchholtz' »Geschichte der Churmark Brandenburg«, Teil II, S. 383.

Wer sich der Aufgabe unterzöge, das zu suchen und zu bearbeiten, was von etwa 1330 bis 1530 an derartigen historischen Volksepen und Volksballaden in Norddeutschland, ganz besonders aber in Westfalen, Friesland und Schleswig-Holstein gedichtet worden ist, würde der Literatur und landesgeschichtlichen Forschung einen gleich großen Dienst leisten und vielleicht imstande sein, manches davon (ähnlich wie sich das Nibelungenlied einzubürgern wußte) den Schmuck- und Lieblingsstücken unserer insonderheit der Schule dienenden Anthologien einzureihen.


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