Theodor Fontane
Fünf Schlösser
Theodor Fontane

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Bald kamen andere Husaren. Es wurde ihnen Wein und Brot gereicht, und sie nahmen mir meinen ganzen Pferdebestand, den ich mit barem Gelde wieder auslösen mußte. So stahlen sie mir 1500 Taler und das zum täglichen Gebrauch im Buffet stehende Silberzeug. Als ich ihnen zum Schlusse sagte: ›Gebt mir wenigstens eine Bescheinigung, daß die Pferde wiedergekauft sind, sonst nehmen eure Nachfolger sie doch‹, lachten sie herzlich, und der eine, ein verschmitzter Elsässer, sagte mir: ›Ich will dir einen Sauve Garde schreiben; gib nur Papier.‹ Ich holte denn auch Papier, und er schrieb: Sauve Garde par le Général de la Selle. ›Da‹, sagte er, ›mache das an; das wird vielleicht helfen.‹ Kaum aber war er fort, so kam ein Schwarm Husaren, Dragoner und Knechte, die meinem Pferdestall zueilten und die darin befindlichen zwanzig Pferde mitnahmen.

Ich sah dem allem zu und wollte wenigstens um die Rückgabe eines Pferdes bitten, als ein Offizier den Hof heraufkam und mir sagte: ›Êtes-vous le propriataire d'ici?‹ Auf meine Bejahung antwortete er: ›Le Prince Murat vous fait dire, de me suivre incessamment; il veut vous parler.‹ Ich folgte bis zum Jägerhause und fand in dem Prinzen einen gut gebildeten, gewandten und verschmitzten Franzosen. Ich mußt ihm sagen, wie stark die gestern in Liebenberg gelegenen Preußen gewesen und wohin sie gegangen wären, immer unter der Mahnung: ›Dites la vérité!‹ Einer seiner Adjutanten sprach unterdessen mit Dorfleuten, verstand sie nicht und sie ihn nicht. Er meinte jedoch etwas von meinen Angaben Abweichendes verstanden zu haben und sagte zum Prinzen: ›Cet homme l'a dit autrement.‹ Ich wandte mich sofort zu meinem Gartenburschen, auf den er wies, und sagte: ›Was weißt du? weißt du mehr, so sag es.‹ Der wußt aber nicht mehr als ich, worauf der Adjutant in einem harten Tone mich anließ: ›Il ne faut pas nous mentir; sans cela, on vous arrêtera.‹ Dieses Kerls Rede brachte mich ganz außer mir, und die Tränen kamen mir ins Auge. Dann wandt ich mich an den Prinzen, riß meinen Hut ab, wies ihm meinen grauen Kopf und sagte: ›Sehen Sie meine mit Ehren grau gewordenen Haare, und urteilen Sie, wie hart mir solche Rede fallen muß; ich lüge nicht, ich sage, was ich weiß, und mehr kann ich nicht sagen.‹ Murat besänftigte mich und versprach mir eine Sauve Garde. Hernach sagte er mir, ›er wolle das Hauptquartier zu Liebenberg nehmen, das wäre meine beste Sauve Garde‹, auf welche Zusicherung hin ich, bei meiner Rückkehr ins Dorf, anschlagen ließ: Quartier général du Prince.

Der Vorteil, den ich von diesem Zwischenfall hatte, war aber gering, wenn es überhaupt ein Vorteil war. Erst kamen viele seiner Knechte mit Pferden in den Stall und danach Offiziere, Dragoner und Wachmannschaften. Alle wollten Hafer, Wein und Lebensmittel, zwölf Portionen Essen für den Colonel, siebzehn Portionen für den andern Colonel, hier acht Bouteillen Wein, dort zwölf, dort sechs, so ging das Gerufe durcheinander. Wenigstens 3000 Dragoner und Chasseurs waren im Dorf oder in unmittelbarer Nähe desselben. Und während die Offiziere sich bei mir beköstigen ließen, wirtschafteten die Gemeinen nach ihrer Art. Alle Zäunungen wurden verbrannt (obgleich Holz genug da war), auf die Schweine wurde Jagd gemacht, viele erstochen, andere zunichte gehauen, die Federviehställe erbrochen, und weder Huhn, Gans, Pute noch Ente blieb am Leben. Zehn Tonnen Bier wurden aus der erbrochenen Brauerei genommen und die Feuer in solcher Nähe der Häuser angezündet, daß nur Gottes Gnade das Abbrennen verhinderte. Mehr als neun Wispel Hafer waren schon vom Boden abgemessen worden. Als nichts mehr davon zu finden war, ging es über die Haferscheuer her, und Hafergarben und Heu wurden so verschwendet, daß die Pferde mehr zertraten als fraßen. Küchengeräte wurden überall genommen und nicht wiedergebracht.

Der Prinz Murat kam nicht; er war bereits bis Zehdenick vorgedrungen.

Der an seine Stelle gekommene Divisionsgeneral Beaumont mußte nach dem Abendessen noch nach Falkenthal vorrücken, und nur ein Brigadegeneral, ein Deutscher, der seinen Namen nicht nannte (es war der General Becker) blieb mit dem Generalstabe zurück. Um die Wirtschaft der Gemeinen kümmerte sich niemand.

Und so kam der 27. Als um vier Uhr morgens der General aufbrach, bat ich um eine Sauve Garde, weil die Dragoner mich auf die Gewalttätigkeit und Plünderung ihrer eigenen Infanterie aufmerksam gemacht hatten. Der General bewilligte mir denn auch einen Brigadier (Gendarmeriewachtmeister), der Befehl hatte, das Eintreffen des Infanteriegenerals abzuwarten und denselben um eine Sauve Garde für mich anzusprechen. Und dann erst solle er folgen.

Etwa gegen neun Uhr erschienen die Marodeurs der Infanterie, die wie Strauchräuber aussahen. Sie lachten die Sauve Garde aus, rissen den Branntwein, den man ihnen in Gläsern anbot, in ganzen Flaschen an sich und drangen ins Haus. Gleich darauf hörte man das Aufstoßen der Türen und Spinden, ohne Rücksicht darauf, ob diese verschlossen waren oder nicht. Alles wurde zerschlagen. Ebenso ging es im Wirtschaftshause; die Keller wurden erbrochen, die Wein- und Branntweinfässer angezapft, und da keiner der Plünderer ans Zumachen dachte, so lief der größeste Teil in den Keller. Die Tonnen mit Lebensmitteln, mit Öl und Gemüse wurden umgeworfen und ihr Inhalt in den Moder getreten. Ich blieb, aller Roheiten und Mißhandlungen unerachtet, unter den Plünderern, um durch Aufschließen der Spinden ihr Zerschlagen und Aufbrechen zu verhüten; allein vergebens. Es läßt sich die Raubbegierde dieser Menschen mit nichts andrem als mit der einer Tatarenhorde vergleichen. Einer der Dragoner, die die vergleichsweise guten und anständigen waren, ließ mir durch die Neumann sagen, ich solle doch nur so weit wie möglich fortlaufen, um mich den Mißhandlungen der Wütriche nicht auszusetzen, deren einige bereits anfingen, meinen Leuten ihr Zeug vom Leibe zu reißen. Und so schlich ich mich durch den Garten in den Busch, ohne etwas anderes mitzunehmen als den Morgenrock, den ich auf dem Leibe hatte. Selbst die Kirche war erbrochen worden, um das Silberzeug, und was sonst Wert haben mochte, zu stehlen.

Endlich neigte sich der Tag, und als alles still geworden war, ging ich ins Haus zurück, in dem ich eine vollständige Zerstörung fand. Matratzen und Bettdecken existierten aber noch, und ich nahm von diesen mit mir, was einige Mann tragen konnten. Ebenso konnte ich mein Portefeuille retten, das ich unter allerhand umhergeworfenen Papieren entdeckte. Wir hatten nur einen Augenblick Zeit und eilten, als neue Marodeurs in Sicht kamen, nach dem Busche zurück, in welchem wir nun drei Tage und zwei Nächte blieben.

Den 28. erschien wieder eine Infanteriedivision in und bei Liebenberg und beschränkte sich darauf, Mobiliar in Stücke zu schlagen.

Am 29. Marketender und Knechte. Sie machten sich über die Reste her, und kein Schlupfwinkel blieb ununtersucht.

Am 30. endlich zog ich zu einem meiner Tagelöhner und wieder ein paar Tage später in eine Stube des ›Roten Hauses‹. Es war aber noch zu früh, und ich geriet nicht bloß in Gefahren aller Art, ich wurd auch Zeuge der verdrießlichsten Szenen. Immer neue Durchmarschierende kamen, Schweine und Schafe wurden fleißig getötet, und ein Colonel, der in dem benachbarten Falkenthal die Nacht zubringen sollte, ließ mir achtunddreißig Schafe nehmen, um sein Kommando damit zu füttern. Einige Tage später erschienen zwei Offiziere und dreiunddreißig Gensdarmen und nahmen Quartier im Wirtschaftshause; Hafer und Heu mußten herbeigeschafft werden, und ihre Forderungen hatten kein Ende. Dabei ließ sich mein Wirtschafter, den man einzuschüchtern gewußt hatte, durch die Fragen eines gut Deutsch sprechenden Gensdarmerieoffiziers derart überholen, daß er ihm meinen Aufenthalt in Liebenberg eingestand, worauf ihm der Offizier erwiderte: ›Sie müssen das niemandem sagen; es wäre Ihres Herrn Unglück.‹

Nach den Gensdarmes kamen Dragoner und nach den Dragonern Chasseurs. An der Spitze dieser stand der Oberst Tessier, ein brutaler Mensch. Er wollte Wein, der nirgends mehr zu haben war, durchlief alle Wohnungen und Ställe und kam auch in meine Stube, wo ich auf einem alten Lehnstuhl saß. ›Hoho‹, rief er. ›Bon soir. Was ist das für ein Benehmen! Ein jeder läuft vor mir, und ich kann kein anständiges Quartier finden. Sacredieu, für einen Obersten muß doch etwas geschehen!‹ Ich antwortete ihm, daß die Plünderung uns alles genommen hätte, was einem Offizier das Leben angenehm machen könne. Man hätte zur Stadt nach Wein geschickt, aber es werde nichts helfen, da schon vorher keiner zu haben gewesen sei. Der Schloßherr sei nach Berlin gereist; ich persönlich sei früher der erste Aufseher in seinem Dienste gewesen. Er besänftigte sich um etwas und stieß nur einige ruhmredige Redensarten gegen unsern König aus. Am folgenden Tage erfuhr ich, daß er beständig nach dem ›Schloßherrn‹ gefragt und geforscht habe, woraufhin beschlossen wurde, daß ich Liebenberg ganz aufgeben und nach dem Vorwerk ›Hertefeld‹ ziehen solle.

Das war am 20. November.

Endlich, im Januar, ging ich nach Berlin, um mich wieder mit Kleidungsstücken und dem nötigen Hausgerät zu versehen.«

So Friedrich Leopold von Hertefelds Bericht.

 

Als Friedrich Leopold von H. im Mai nach Liebenberg zurückkehrte, war er beflissen, über die Verluste jener mehrtägigen Plünderung einen Überblick zu gewinnen. Er stellte jegliches zusammen, und dem betreffenden Aktenstück entnehme ich folgende Daten und Zahlen:

Wein, Branntwein, Bier, Schlachtvieh, Fourage, Holz, Brot, Butter, Schmalz, Speck, Kartoffeln, Eier, Käse, Materialwaren, Backobst 3 485 Tlr.
Pferde, Wagengeräte, Kutschen, Kaleschwagen 2 601 "
Bares Geld und Gold, Silber und Scheine 3 836 "
Gold und Silbersachen, Pretiosen 4 734 "
Tischzeug (darunter 96 Tafelgedecke mit über 2000 Servietten), Bettzeug, Gardinen, Leinen etc. 6 250 "
Hausgerät (Kessel, Porzellan, Fayencegeschirre etc.) 549 "
Physikalische Instrumente 605 "
Bücher 700 "
Gemälde, Stiche etc. 800 "
Waffen aller Art 90 "
Forsthaus mit Stall niedergebrannt 600 "
Sämtliche Zäunungen und Hecken niedergebrannt 100 "
Summa 24 350 Tlr.

In vorstehendem hab ich ausschließlich die großen Gruppen gegeben, ohne mich auf Einzelnheiten einzulassen. Es fehlt aber in dem Aktenstücke keineswegs an solchen, und werden unter anderm, um nur eines herauszugreifen, fünfundneunzig Bilder aufgezählt, die seitens der Plündernden aus dem Rahmen herausgenommen und »aufgerollt« wurden. Unter ihnen waren folgende Blätter in Stich, Aquatinta und Buntdruckmanier: General Wolfes Tod, Tod des Capitain Cook, der Tod der Jane Gray, Cromwell löst das lange Parlament auf, Karl II. landet bei Dover – alle nach Benjamin West. Ferner: die Wahrsagerin, die Herzogin von Devonshire etc. von J. Reynolds. Die Kaskaden von Tivoli, die Ruinen von Palmyra, das Bad des Caesar, die Grotte des Neptun etc., alle in Buntdruck.

Auch aus der Reihe der Bücher sei hier einiges aufgezählt: Les Œuvres complètes de Corneille, Montesquieu, Voltaire, Rousseau, Frederic II., Prachtausgaben von Voltaires »Henriade« und »Pucelle d'Orléans«. Dazu große naturhistorische Kupferwerke, Atlanten etc.

Es genügt dies, um zu zeigen, wie gut damals, nach der wissenschaftlichen Seite hin, unsere Herrenhäuser ausgerüstet waren. Es waren Überbleibsel aus der durchaus auf Literatur gestellten Friderizianischen Zeit.

 

Am 6. Juli 1807 sehen wir den Briefwechsel mit der Tochter, Alexandrine Gräfin Danckelmann, wieder aufgenommen und gewinnen anfänglich den Eindruck, als solle das patriarchalische Leben, das dem Ausbruch des Krieges vorausging, nach nunmehriger Beilegung der Feindseligkeiten (der Tilsiter Friede war geschlossen) wieder aufgenommen werden. Aber dieser Eindruck ist nicht von Dauer. In kürzester Frist sah man in Liebenberg, an Stelle der bis dahin feindlichen Bataillone, die sogenannten »friedlich-durchziehenden Bataillone« treten, und mußte sich überzeugen, durch diesen Namenswechsel wenig gewonnen zu haben. Ja, es kamen Tage vor, die den Plünderungstagen sehr ähnlich sahen. Auch hierüber hat Friedrich Leopold von H. in gewissenhafter Weise Buch geführt, und wir erfahren sogar die Namen der Regimenter, die sich's in kleineren und größeren Trupps auf längere oder kürzere Zeit im Liebenberger Schlosse wohl sein ließen. Alles in allem mag die Zahl der Einquartierten über tausend betragen haben. Unterm 26. August 1808 finden wir beispielsweise folgendes: »Es kamen heut in Quartier: ein General, ein Adjutant, ein Capitain, zwei Lieutenants und sechsundsiebzig Mann vom 10. leichten Infanterieregiment. Dem General (oder vielleicht dem Capitain) war attachiert: eine Frau mit zwei Kindern und eine Magd. Ferner acht Bediente, elf Pferde des Generals und drei des Capitains.« Ein andermal heißt es: »Ein Kürassier-General, ein Adjutant, zwei Unteroffiziere, neun Bediente, dreiundzwanzig Pferde.« Man erkennt aus allem den außerordentlichen Luxus, in dem sich die damaligen Machthaber Frankreichs gefallen durften.


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