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22. Kapitel

Worin Professor Kittguß die Frau Müller ängstet. Der Horizont wird rot

 

Ganz unwirklich schien es dem Professor Kittguß, in seinem stillen Arbeitszimmer, Akazienstraße 19, zu stehen, als sei er zurückgekehrt in urferne, längst versunkene Zeiten. Und unwirklich klang ihm auch die Begrüßung der Müllern in den Ohren: »Gottlob, daß Sie wieder da sind, Herr Professor. Ich dachte schon, Sie kämen überhaupt nicht mehr wieder. Aber wie Ihr Kragen aussieht! Und die Halsbinde! Und der Anzug ganz fleckig! Und magerer sind Sie auch geworden. Wo ist denn eigentlich Ihre Tasche? Es ist ja auch gestern früh einer von der Polizei dagewesen und hat sich nach Ihnen erkundigt. Ich bekam solchen Schreck! Soll ich nun Essen machen oder erst das Bad einlassen? Jetzt geht es doch mit der Arbeit wieder schön weiter!?«

Ungewohnter Wortstrom im gewohnten Zimmer. Ach, war das Zimmer wirklich so gewohnt? Der Professor sah die Bücher, die Papiere auf Schreibtisch und Regalen, er roch die vertraute Luft, tat einen tiefen Atemzug –: »Könnten wir vielleicht das Fenster ein wenig öffnen, Frau Müller?«

»Das Fenster?« fragte sie und sah ihn an, als sei er gar nicht der richtige Professor Kittguß. »Aber, Herr Professor, wir haben doch immer nur drüben im Schlafzimmer gelüftet. Es stürmt draußen, die Papiere könnten durcheinander wehen.«

»Wir wollen doch ein Fenster öffnen«, sagte der Professor milde, aber fest. »Die Papiere werden sowieso zusammengepackt werden müssen.«

»Zusammengepackt ...« Böser Ahnungen voll öffnete die Müllern das Fenster. Ein Windstoß fuhr hinein, bauschte die Gardinen, die Papiere bewegten sich raschelnd, als bekämen sie Leben. »Sehen Sie«, sagte sie klagend.

»Wir werden vermutlich ausziehen«, sagte der Professor. »Es wäre zweckmäßig, Frau Müller, wenn Sie während meiner Abwesenheit alles dafür vorbereiten würden. Ich reise erst einmal morgen früh wieder ab.«

»Sie fahren?« fragte die Müllern und starrte. »Sie ziehen?« flüsterte sie. »Herr Professor«, sagte sie und versuchte sich zu fassen, »ist es wegen des schrecklichen Jungen?!«

»Ja«, sagte der Professor und nickte, »auch der Junge wird dort sein. Aber er ist ein sehr guter Junge, Frau Müller.«

»Wo Ihre Sachen so schmutzig werden, Herr Professor«, klagte sie. »Und Ihre Arbeit –?«

»Nun«, sagte der Professor freundlich, »vielleicht werde ich dort auch meine Arbeit wieder aufnehmen. Aber – ich weiß noch nicht, ich denke jetzt anders darüber. – Wir werden dort auf einem kleinen hübschen Hof wohnen, Frau Müller«, suchte er die Trostlose zu trösten. »Mit Pferdchen und Kühen und Schweinen ...«

»Schweine!« sagte sie. »Dieser ekelhafte Bengel, ich habe es gleich gewußt, wie er in der Tür stand! Und die Polizei hat auch nach Ihnen gefragt ...«

»Liebe Frau Müller«, sagte der Professor, »Sie sind jetzt aufgeregt. Ich verstehe es ja, die Veränderung aller Lebensumstände ... Auch mir kam es erst ungewohnt. Aber als ich dann über den Zaun im Walde kletterte ...«

Sie sah ihn mit immer größeren Augen an, sie ging langsam zur Tür zurück, immer den Blick auf ihm. »Über den Zaun kletterte«, wiederholte sie tonlos.

»Nun, ich sehe«, sagte der Professor freundlich, »wir müssen über all dies noch ausführlich sprechen. Ich fahre ja auch erst morgen früh. Jetzt hätte ich gern erst etwas gegessen, und dann vor allem eins, Frau Müller, ich habe mir schon den ganzen Weg überlegt, wo habe ich eigentlich meine Schlüssel –?«

»Ihre Schlüssel –?«

»Ja, ich sehe, die Lade zum Sparbuch ist abgeschlossen, meine Schlüssel müßten also irgendwo sein.«

»Ja«, sagte sie gedehnt und sah ihn an.

»Sie wissen es also auch nicht? Wir müssen es erfahren. Ich muß nämlich etwas Geld abheben, ich habe es mir aufgeschrieben ... Hier ist es, richtig, zweitausend Mark. Die muß ich morgen früh holen.«

»Für den Jungen –?«

»Aber, Frau Müller, es ist doch nicht nur der Junge da! Der natürlich auch. Aber auch mein Patchen, Rosemarie Thürke, und dann müssen die Schliekers abgefunden werden. Und dem Amtsgerichtsrat muß ich auch das Reisegeld zurückgeben, das habe ich mir nämlich geliehen ...«

»Ich weiß nichts von Ihren Schlüsseln«, sagte die Müllern plötzlich scharf. »Und jetzt mache ich Ihr Abendbrot, Herr Professor. Und dann baden Sie erst einmal und schlafen gründlich ...«

Sie sah ihn zweifelnd an und war aus dem Zimmer. Der Professor sah ihr nach, zog am Griff der Lade, sie war noch immer zu, sah sich unschlüssig im Zimmer um. Sein Blick fiel auf das, was er zuletzt geschrieben. Er las den Satz: »Anno 110, im dreizehnten Jahre Trajans, stieg der Nil nur auf sieben Schuh, wie Harduinus aus einer alten Münze beweist ...«

Es war vier Tage her, daß er dies geschrieben hatte, ihm war, als lägen mindestens ebenso viele Jahre dazwischen. Er schüttelte den Kopf, sah sich wieder um. Was in aller Welt sollte er bis morgen früh in diesem toten, leblosen Zimmer anfangen? Er zog noch einmal an der Lade. Zu. Immer noch zu.

Sie schliefen beide nicht gut in dieser Nacht, weder der Professor noch seine Wirtschafterin. Draußen, auf dem Lande, in Unsadel, im alten Kuhstall, auf dem Wildgatter oben, da war dem Professor sein Entschluß ganz selbstverständlich vorgekommen. Aber auf dem Gesicht der Witwe Müller war zu lesen gewesen, daß er dies nicht war. Wieder einmal konnte es neue Kämpfe, neue Schwierigkeiten geben.

Aber vor allem die Schlüssel – das nächste und wichtigste blieben die Schlüssel –, wo waren sie? Der Professor mußte zeitig um neun auf der Kasse sein, um den Zug zu erreichen – und wo waren die Schlüssel?! Wußte die Müller wirklich nichts von ihnen? Ihr Benehmen war seltsam gewesen, jawohl, seltsam bei einer so vertrauten Person.

Es gab da seines Wissens Schlosser, Männer, die Schlösser berufsmäßig öffneten, aber wo war solch Schlosser zu finden ohne die Beihilfe der Müllern? Der Professor nahm sich vor, am Morgen sehr ernst mit Frau Müller zu reden, die Schlüssel mußten dasein!

Vorne quälte sich der Professor, am Hinterflur in ihrem Stübchen die Müllern. Freilich, da hatte der Professor zu viel von ihr verlangt, wo die Schlüssel waren, das wußte sie wirklich nicht. Aber sie brauchte das auch gar nicht zu wissen, denn das, was die Schlüssel Herrn Professor Kittguß verschaffen sollten, das Sparbuch, das hatte sie! Sie hatte es noch nicht lange, drei Stunden erst, erst seit sie die Kleider des Professors aus dem Badezimmer genommen hatte. Denn da hatte sie das Sparbuch in der linken, inneren Brusttasche seines Jacketts gefunden!

Der Professor hatte Herrn Amtsgerichtsrat Schulz in arge Erregung gebracht, weil er sein Sparbuch so unbeaufsichtigt in der Berliner Wohnung liegengelassen hatte, aber während alldem hatte es stumm und bescheiden in seiner Brusttasche gesessen, und nicht einmal bei der erregten Nachsuche auf der Lüttenhäger Dorfstraße hatte es sich gemeldet –!

Es konnte ja auch gar nicht anders sein, vor vier Tagen hatte der Professor das Buch am Morgen aus dem Schreibtisch genommen, das Sparbuch in der einen, die schwarze Reisetasche in der andern Hand, war er zur Kasse gewandert. Da hatte er zweihundertfünfzig Mark erhoben, das Geld wanderte in die Brieftasche, die Brieftasche in die rechte Brusttasche, das Sparbuch in die linke. Nun ging der Professor zur Bahn und all jenen Abenteuern entgegen, die wir geschildert haben.

Das Sparbuch wurde vergessen, und mit dem Sparbuch saß nun die Müllern im Bett, sie brannte noch Licht, sie las immer wieder die Zahl der Endsumme – es war wirklich eine recht unvernünftige Zahl für ein so behandeltes Sparbuch. Und das alles sollte diesen Räubern, diesem verkommenen Burschen in die Hände fallen?! Nie und nimmer, der Professor war zu gut. Die Witwe Müller löschte das Licht, sie schlief ein, das Buch mit beiden Händen umklammernd und mit dem festen Entschluß: nie und nimmer! Der Professor wachte recht früh auf, schon kurz nach sieben, aber die Müllern mußte noch früher wach gewesen sein, denn der Frühstückstisch war schon gedeckt. Der Kaffee stand unter der Mütze, zwei Eier lagen unter einer wärmenden Wattedecke im Körbchen, echt Berliner Knüppel, frische Butter, Marmelade – alles, wie es der Professor liebte.

Trotz Sturm und Regen draußen frühstückte Professor Kittguß mit viel Behagen und Appetit. Dann stand er auf und rief nach Frau Müller, sie kam nicht. Vielleicht war sie einen Augenblick für Besorgungen weggegangen, der Professor entschloß sich zu warten, trotzdem es schon halb neun war.

Er ging ungeduldig auf und ab, es wurde langsam Zeit, sein Zug wartete nicht, und seinen Zug mußte er erreichen – aber sie kam nicht. Es war erstaunlich, wie schnell die Zeit verging, und es war eigentlich noch erstaunlicher, wie zornig der Professor auf seine alte, treue Wirtschafterin werden konnte. Mußte er doch beinahe annehmen, daß dies Frauenzimmer einer Auseinandersetzung wegen der Schlüssel absichtlich aus dem Wege gegangen war.

Um neun Uhr zwanzig brach der Professor dies unnütze Warten ab. Sie würde nicht kommen, und für ihn eilte es. Vielleicht war der Zug doch noch zu erreichen.

Der Professor zog die Wohnungstür hinter sich zu. Der einfachste Weg ist immer der beste. Er würde zur Sparkasse gehen, der Beamte würde ihn kennen, am Ende war es doch sein Geld, er würde sein Geld schon bekommen. Schicksal von Büchern war es, häufig abhanden zu kommen. Sein Fall würde dort nichts Neues sein.

Eine gewisse zornige Entschlossenheit beseelte ihn, die widerspenstige Müllern hatte sein Blut angefacht, am Schalter sagte er entschieden: »Ich bin der Professor Gotthold Kittguß aus der Akazienstraße 19. Ich habe mein Sparbuch verlegt. Würden Sie mir bitte zweitausend Mark geben? Ich bin bereit, darüber zu quittieren.«

Der Beamte hinter dem Schalter sah ihn von unten her durch seine spiegelnde Brille an, mit gespitzten Lippen, als wolle er pfeifen.

»Bitte, rasch«, sagte der Professor ernst. »Ich habe nur noch eine halbe Stunde bis zu meinem Zug.«

»Gewiß! Gewiß!« sagte der Beamte eilig und lächelte mit so viel falscher Freundlichkeit, daß es sogar dem Professor auffiel. »Verlegte Sparbücher erledigt dieser Herr – wenn Sie ihm bitte folgen wollen?«

Er sah den Professor lächelnd und dabei doch ängstlich an, als fürchte er sich vor ihm.

»Bitte schön, Herr Professor«, sagte ein älterer würdiger Herr im Cutaway, der plötzlich auftauchte. »Wenn ich Ihnen den Weg zeigen darf ...«

»Aber es muß schnell gehen«, sagte der Professor ärgerlich.

»Sofort. Zwei Minuten, Herr Professor«, sagte der ältere Herr beschwörend und ging ihm voran aus der Schalterhalle durch eine Tür auf einen Gang. Zwei andere Herren folgten dem Professor. Der Führer klopfte gegen eine Tür. »Herr Direktor Kunze«, flüsterte er im Eintreten, »hier ist der fragliche Herr.«

Der Professor trat über die Schwelle. Hinter einem Schreibtisch saß ein dicker, rotgesichtiger Mann mit einer Glatze, der ihm erwartungsvoll entgegenstarrte. Und neben diesem völlig fremden Herrn in einem Sessel saß – der Professor traute seinen Augen nicht – die Witwe Müller! Die ewig erwartete Müllern, mit tränennassem Gesicht!

»Herr Professor«, rief sie schluchzend und schnellte empor. »Vergeben Sie mir, ich konnte nicht anders. Über zwanzig Jahre bin ich schon bei Ihnen, und wir haben so schön gespart, nun wollen Sie es den Räubern geben! Herr Professor, Sie müssen mir verzeihen, ich habe den Herren alles gesagt, und die Herren sagen auch ...«

»Halt!« rief der Sparkassendirektor und hob die Hand. »Wir haben natürlich überhaupt noch keine Stellung genommen. Was diese Frau, Ihre Wirtschafterin, uns erzählt hat, ist etwas verworren. Immerhin ... Bitte, Herr Professor, nehmen Sie Platz und berichten Sie uns zuerst einmal, wie ihr Sparbuch in die Hände Ihrer Wirtschafterin gekommen ist.«

»Müllern«, sagte der Professor vorwurfsvoll, »Ihretwegen versäume ich nun den Zug. Und Herr Amtsgerichtsrat Schulz erwartet mich doch mit dem Geld!«

»Amtsgerichtsrat«, flüsterten die Herren, als habe er ein Zauberwort gesprochen, und die Tränen der Müllern versiegten.

Es gab noch ein langes Hin- und Herreden, auch ein Telephongespräch nach Kriwitz, das dann nach Krüselin umgelegt wurde, die Müllern weinte öfters ...

Aber der Professor bekam sein Geld und Entschuldigungen dazu – nur seinen Zug bekam er nicht mehr. Es mochte sein, wie es wollte, er konnte erst mit dem Abendzug eintreffen.

Auf dem Bahnhof, unter der einzigen Gaslaterne, erwarteten ihn zwei Herren, Amtsgerichtsrat Schulz und Doktor Kimmknirsch: »Also wirklich noch der Herr Professor! Wo blieben Sie denn so lange?«

Die drei Herren gingen zusammen die nächtliche Kriwitzer Hauptstraße zum »Erbherzog« hinunter. Es war zwanzig Minuten nach sieben, gerade die rechte Zeit für ein Abendessen. Der Professor erzählte. Er hatte keinen Blick für so was, der Amtsgerichtsrat kannte ihn nicht, aber Doktor Georg Kimmknirsch hätte den Jungen mit dem zerwehten Strohdach an der Ecke des Bahnhofsgebäudes erkennen müssen. Es war genau der Junge, mit dem er heute früh, ganz gegen seinen Willen, Haschen gespielt hatte.

Hütefritz folgte den Herren unwillig. Er wollte den Amtsgerichtsrat für sich allein haben, ihm allein galt Rosemaries Botschaft. Der Anblick des jungen Arztes, mit dem Rosemarie so vertraut im Automobil gesessen hatte, war ihm völlig verhaßt – und nun war auch der alte Knacker wieder da, der immer auftauchte, wenn man ihn nicht brauchte. Würden die drei sich nie trennen?

Er folgte ihnen bis zum »Erbherzog«, in dem sie verschwanden. Unschlüssig blieb er vor der Türe. Nun vielleicht gar noch in die Gaststube gehen müssen, die voller Menschen saß, und dort seine Botschaft ausrichten, nein, lieber warten. –

Es ist nicht zu leugnen, daß die beiden jüngeren Herren sehr erheitert von des Professors Bericht waren.

»Einiges, mein lieber Herr Professor, habe ich mir ja nach dem telephonischen Anruf aus Berlin gedacht, aber dies doch nicht. Hoch die Witwe Müller! Denken Sie sich aus, Herr Professor, wenn sie diebisch veranlagt gewesen wäre –?«

»Aber wie soll sie das?« fragte der Professor etwas hilflos. »Sie ist doch schon über zwanzig Jahre bei mir.«

»Das ist auch ein Grund«, sagte der Amtsgerichtsrat und betrachtete fast schwermütig die Summe des Sparbuches. »Dies ist ein Betrag, der immerhin manches nicht ganz taktfeste Herz schneller klopfen ließe. – Stillfritz, Tinte und Papier! Lieber Herr Professor, ich bin immer der Ansicht, man sollte seinem Schutzengel das Behüten nicht gar zu schwer machen. Sie erlauben darum, daß ich ihn etwas entlaste. Jetzt geben Sie mir erst einmal Ihr Sparbuch, und da – ich sehe, Sie haben heute zweitausendzweihundertfünfzig Mark abgehoben – fünfzig Mark, nein, zwanzig Mark sind völlig genug für Sie, nicht wahr, Doktor?«

»Richtig«, sprach Doktor Kimmknirsch.

»Also, ich werde Ihnen jetzt eine Quittung ausstellen, Herr Professor.«

»Nicht nötig, ich bin Ihnen so dankbar ...«

»Doch nötig. – Was ist, Stillfritz?«

»Ein Junge, Herr Amtsgerichtsrat, will Sie eilig sprechen.«

»Na, ich sage es ja«, sagte der Amtsgerichtsrat gottergeben und erhob sich. »Wo gibt es nun wieder Mord und Totschlag?«

Er verschwand. Der Doktor und der Professor sahen sich an, beide lächelten ein wenig verlegen.

»Sie kennen mein Patkind schon länger?«

»Nein, erst seit ein paar Tagen.«

»Ich auch«, sagte der Professor. »Sie sind Arzt?«

»Ja«, sagte der junge Arzt. »Arzt ohne Praxis.«

»Das kommt, das kommt alles«, tröstete der Professor. »Sie haben mein Patchen doch nicht als Arzt kennengelernt?«

»Ein wenig«, sagte Doktor Kimmknirsch.

»Oh«, machte der Professor erschrocken.

Aber ehe er weiterreden konnte, kam der Amtsgerichtsrat eilig.

»Doktor, es hilft nichts, sehen Sie sofort, daß Sie das Auto von Tengelmann kriegen. Wir müssen auf der Stelle nach Unsadel.«

»Ja?« fragte der Arzt und sprang auf.

»Es ist doch ...«, fing der Professor an.

»Ja, ein Bote von Rosemarie Thürke. Schlieker hat alles gelogen, sie war gar nicht fortgelaufen. Schlimme Geschichte, wenn sie wahr ist. Hält sie wie eine Gefangene, hat auch Ihr Geld gestohlen, Herr Professor ... Los, los, ich laufe, daß ich Gendarm Gneis mobilisiere und Ihren Mammon erst einmal unter Verschluß bringe. Hier ist Treffpunkt. Stillfritz, lassen Sie den Jungen am Ofen sitzen und geben Sie ihm was zu essen. Los, Doktor, so schnell es geht, ich habe ein schlechtes Gefühl ...«

Es dauerte doch fast eine Stunde, ehe sie fortkamen. Gneis hatte sich nicht gleich finden lassen, dem schlafenden Tengelmann war der Garagenschlüssel nur schwer abzulisten gewesen. Das Auto schoß mit Arzt und Professor, Amtsgerichtsrat und Gendarm und mit dem Hütefritzen ins Dunkle.

Die Heckenwände seitlich des Weges standen im Scheinwerferlicht wie Gespenster da. Der Weststurm riß an ihnen. Der Amtsgerichtsrat schrie gegen ihn an: »Sieht alles so friedlich aus. Und doch habe ich ein verdammt schlechtes Gefühl im Magen. Wir hätten sie doch nicht zurückschicken sollen ...«

Keiner antwortete, das Auto stürmte weiter.

»Ich bitte«, rief der Gendarm, »halt!«

Der Doktor bremste: »Was ist denn?« fragte er unwillig.

Der Gendarm hob den Finger: »Hören Sie ...«

»Was ist?«

»Irgendwas bimmelt ...«

»Die Glocke, die Glocke von Unsadel ... Herr Amtsgerichtsrat ... da ... da!«

»Was ist denn los, Gneis, zum Donnerwetter?!«

Aber da sahen sie es schon alle ...

Es war, als ginge ein blutigroter Mond auf. Aber schon entblätterte er sich, hohe, hellrote Zungen stiegen in den Himmel. Eine düstere Glut reichte höher ...

»Es brennt, es brennt in Unsadel!«

»Und Rosemarie eingesperrt!« schrie Hütefritz.

»Rasch, Doktor, rasch!« rief der Amtsgerichtsrat und schlug dem Arzt auf die Schulter.

Der Wagen sprang los wie ein Tier, der immer mehr sich ausbreitenden Glut entgegen.


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