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Ausklang.

Nach solchen Erwägungen möchte ich den Faden der früheren Darstellung wieder aufnehmen. Im Verlauf des Jahres 1918 erhielt ich zunächst die Einladung, die Erinnerungsrede auf den vor hundert Jahren geborenen Großherzog Carl Alexander zu halten. Ich habe diese Aufgabe deshalb gern ergriffen, weil ich den verstorbenen Großherzog aufrichtig schätzte. Er war von ehrlicher Hochachtung für Kunst und Wissenschaft erfüllt und mit besten Kräften um seine Aufgabe bemüht. Er hatte die volle Erinnerung an Goethe, mit dem er sich näher beschäftigte und von dem er täglich irgendwelchen Abschnitt las. Die Pietät war ein Grundzug seines Charakters. Leider hat eine Lungenentzündung es mir unmöglich gemacht, diese Rede zu halten; ich habe aber in »Westermanns Monatsheften« ein Bild jenes Fürsten gegeben, der oft unbillig beurteilt wurde. Jene Lungenentzündung war gefährlicher, als sie mir selbst schien; ohne die sehr einsichtige und treue Pflege der Meinigen wäre ich schwerlich durchgekommen. Ich habe mich langsam erholt und konnte zunächst nur recht vorsichtig meine Arbeit wiederaufnehmen. Dann aber hat ein Aufenthalt im Schwarzwald mich sehr erfrischt und mir die Arbeitskraft wieder geschenkt.

Inzwischen war aber jene große Umwälzung eingetreten. Es stand mir sofort fest, daß ich nach bestem Vermögen für das gefährdete deutsche Leben zu wirken habe. So habe ich sofort nach jener Katastrophe noch 1918 die Schrift veröffentlicht »Was bleibt unser Halt?«, die gleich mehrere Auflagen erlebte. Bald darauf schrieb ich eine weitere Abhandlung über »Die deutsche Freiheit«, in der ich den deutschen Begriff der Freiheit im Unterschied von dessen Fassung bei den anderen Völkern zu erläutern und zu begründen suchte. Zugleich beschäftigten mich verschiedene Auflagen meiner Bücher; es ist augenscheinlich, daß eben jetzt sich viele Gemüter zur Philosophie flüchten und einen Halt von ihr erhoffen. Dann schrieb ich eine Schrift über den »Sozialismus und seine Lebensgestaltung«, die 1920 bei Reclam erschienen ist. Die sozialen Probleme waren mir von früh an nahe getreten; nun aber schien der Sozialismus das ganze Leben unter sich zu bringen, und der Philosoph mußte die Frage aufwerfen, welche Folgen daraus für das menschliche Leben hervorgehen werden.

Unter den daraus erwachsenden, immerfort anschwellenden Aufgaben mußte ich mich gewissenhaft mit der Frage befassen, ob es nicht meine Pflicht sei, in den akademischen Ruhestand zu treten und mich ausschließlich den philosophischen und nationalen Aufgaben zu widmen. Eine äußere Nötigung dazu lag nicht vor; meine Vorlesungen zeigten kein Sinken, das letzte Semester, in dem ich las, zeigte die höchste Hörerzahl, welche ich je in der akademischen Tätigkeit erreichte. Die Entscheidung fiel mir nicht leicht. Sie forderte nicht nur äußere Opfer. Ich habe überhaupt die akademische Tätigkeit sowohl wegen ihrer unmittelbaren Berührung mit der aufstrebenden Jugend als wegen des kollegialischen Zusammenwirkens stets als ein hohes Gut betrachtet und habe daraus wertvollste Anregungen geschöpft. Über die literarische Aufgabe und die Forderung, alle Kraft an die Gesundung unseres schwer erschütterten Lebens zu setzen, mußte den Ausschlag geben. So habe ich mich entschlossen, in den Ruhestand zu treten, was im April 1920 geschehen ist. Ich hoffe, auch nach meinem amtlichen Scheiden meine alte Universität fördern zu können, wenn auch nicht unmittelbar, so doch ideell. Der Universität Jena, der ich 46 Jahre angehörte, bewahre ich das dankbarste Andenken. Es war für mich ein Glück, daß ich nach Jena kam und dort dauernd blieb. Das Grundelement der jenaischen Luft und Art ist volle geistige Freiheit. Mag dieser Vorzug zunächst negativ erscheinen, ich mußte darin einen positiven Gewinn anerkennen, daß jeder seine besondere Art auszubilden vermag, daß man sich gegenseitig keine Hemmnisse bereitet, und daß man jeder ausgeprägten und tätigen Individualität Schätzung entgegenbringt. Dazu kam die große Tradition, die jedem einzelnen hohe Maße vorhält, endlich – und das besonders – die wundervolle Natur, die sich eng an den Menschen anschmiegt.

Ich kann die Hoffnung und den Wunsch nicht unterdrücken, den Universitäten möge es gelingen, die Gefahren glücklich zu überwinden, die in der Gegenwart liegen. Zwiefache Gefahren sind unverkennbar: einmal die, daß die Universität sich zu sehr in eine Fülle einzelner Fächer auflöst, und daß bei solcher Wendung unser Volk die ihm unentbehrlichen geistigen Führer nicht genügend von den Universitäten erhält; sodann aber die, daß das Bestreben, möglichst viele zum akademischen Studium zu führen, den Charakter einer Forschungsanstalt abschwächt Ich möchte dazu eine Stelle aus meinen »Geistigen Strömungen« (6. Auflage, Seite 304/5) anführen: »Wenn die Sozialkultur nach möglichster Gleichheit strebt, so ist gewiß die Absicht der Besten, das Gesamtniveau zu heben, möglichst viele, möglichst alle auf die Höhe zu führen, ohne diese irgendwie zu verringern. Aber die Natur der Dinge ist hier stärker als die Absicht der Menschen. Unvermerkt wird der Stand des Aufnehmenden zum Maß der geistigen Bewegung, und es sinkt damit unvermeidlich die Höhe des Ganzen; auch läßt sich die Arbeit nicht vorwiegend auf die Wirkung bei anderen richten, ohne damit an eignem Gehalt einzubüßen. – Aus der Verbreiterung muß eine Verflachung werden, wenn nicht eine Urerzeugung erfolgt, welche jener die Wage hält. Das ist das große Problem und die Gefahr der Gegenwart, über dem Bemühen nach allseitiger Mitteilung den Gehalt des Lebens zu schwächen, über der Sorge um den einzelnen Menschen das Ganze des Menschenwesens sinken zu lassen.« . Je mehr die Universitäten geistige Kraft erzeugen und zur Konzentration des Lebens wirken, desto eher wird ihnen möglich sein, jene Gefahren zu überwinden.

Daß mir der Ruhestand nicht eine Ausruhe ist, das hat schon dieses Jahr genügend erwiesen. Im April dieses Jahres folgte ich einer dringenden Einladung des norwegischen christlichen Studentenbundes. Diese Studentenschaft hatte mich während des Krieges schon zweimal dorthin eingeladen, aber erst nach seiner Beendigung war es mir möglich, dieser dritten Einladung zu folgen. Die Hauptsache war hier zunächst die Religionsphilosophie mit ihren brennenden Problemen. Aber der Interessenkreis dehnte sich weiter aus, und ich hatte namentlich in einer von mir angesetzten Sprechstunde die beste Gelegenheit, mit sehr tüchtigen Persönlichkeiten die Fragen der Gegenwart zu erörtern. Ähnlich ging es an der Technischen Hochschule zu Drontheim, wo die religiösen Fragen natürlich nur gelegentlich gestreift wurden, die allgemeineren Lebensfragen aber im Vordergrunde standen. Es war überhaupt mein Hauptstreben, die philosophischen Fragen mit der lebendigen Gegenwart in enger Beziehung zu halten. Ich wurde mit meiner Tochter überall sehr freundlich empfangen; auch der Deutsche Klub in Kopenhagen konnte es wagen, einen Begrüßungsabend zu veranstalten, an dem mehr als 300 Mitglieder der ersten Gesellschaft (in der Mehrzahl Dänen) teilnahmen.

Sodann brachte mir das Jahr 1920 sehr wertvolle Beziehungen zu China. Anfang des Jahres erhielt ich den Besuch des chinesischen Finanzministers Liang-Chi-Chao, der an der Friedenskonferenz in Versailles teilnahm und von dort in Begleitung zweier chinesischer Professoren nach Jena kam, um mit mir zu sprechen. Dieser sehr bedeutende, auch literarisch hervorragende Staatsmann hielt es für wichtig, mit meinem philosophischen Idealismus und Aktivismus eine enge Fühlung zu gewinnen. Zu diesem Zwecke wird eine chinesische Übersetzung meiner Hauptwerke, zunächst der »Geistigen Strömungen« geplant, und ein sehr begabter und sympathischer Professor aus Peking hat vier Sommermonate hier in Jena zugebracht, um sich ganz in meine Gedankenwelt und zugleich in den deutschen Idealismus zu versetzen; nach seiner Rückkehr nach China wird er jene Aufgabe zu Ende führen. Bei diesen Fragen scheidet das religiöse Problem völlig aus, in Frage steht der Grundgedanke eines aktivistischen Idealismus überhaupt.

In der neuesten Zeit habe ich seitens der finnländischen Universität Helsingfors eine sehr herzliche Einladung empfangen, dort einige Zeit zu verweilen und auch einige Vorträge zu halten. Ich hoffe, dieser Einladung zusammen mit meiner Frau im nächsten Frühling Folge leisten zu können. In den Finnen schätze ich aufrichtig ein Volk, das unter schweren Lebensbedingungen tapfer und treu seine Aufgabe erfüllte, das mit großer Energie alle Kulturaufgaben der Gegenwart sich aneignete und darin Bedeutendes leistete; dazu mußte mich herzlich erfreuen die enge Beziehung zum deutschen Geistesleben und zur deutschen Sprache, welche dort vorhanden ist.

Im Sommer 1920 war ich auch beteiligt an den Bestrebungen, eine größere Anzahl von schwedischen Lehrern und Lehrerinnen zu wissenschaftlichen Kursen nach Jena zu ziehen; es haben sich dazu mehr als 400 Teilnehmer eingefunden, und wir haben gegenseitig den besten Eindruck empfangen. Ich betrachte es als eine sehr wichtige Sache, daß eine enge geistige Verbindung Deutschlands und des germanischen Nordens zustande kommt. Die daraus erwachsende Stärkung einer Inhaltskultur ist für das Ganze des Kulturlebens unentbehrlich.

Das Bedürfnis nach mehr geistiger Einheit des menschlichen Lebens und die Bestrebungen nach mehr moralischer Stärkung des deutschen Lebens haben zur Begründung eines Eucken-Bundes geführt. Seine erste Jahresversammlung fand am 6. Oktober 1920 in Jena statt und vereinigte hier zahlreiche Teilnehmer aus den verschiedensten Gesellschaftskreisen und Gegenden Deutschlands; sie beschloß einmütig eine festere Organisation des rasch aufstrebenden Bundes, dessen Richtlinien in meiner Schrift »Unsere Forderung an das Leben« (1920) enthalten sind.

Gegen Ende meines Lebens kann ich nicht umhin, der zahlreichen Freunde und Schüler zu gedenken, welche vor mir geschieden sind. Der Lauf meines Lebens hat mich über die gelehrten Kreise hinaus mit manchen Autoren und Künstlern zusammengeführt, und ich habe die mir von diesen Kreisen gewährte Förderung und Freundschaft als einen großen Gewinn betrachtet. So verband mich eine gegenseitige Schätzung mit Hilty, der mir noch unmittelbar vor seinem Tode seine herzliche Gesinnung bekundete; so hatte ich eine dauernde Freundschaft mit Ernst von Wildenbruch, dessen aufrichtige und aufrechte Denkweise ich aufs höchste schätzte; so lernte ich in Hodler, dessen Bild aus den Freiheitskriegen in der Jenaer Universität der Anregung meiner Frau zu verdanken ist, einen kraftvollen und gedankenreichen Künstler kennen Es war sehr bedauerlich, daß Hodler wegen der Unterzeichnung einer Adresse gegen die vermeintliche Zerstörung der Kathedrale von Reims als ein Feind der Deutschen erschien. Jene falsche Nachricht ging damals durch die ganze alliierte Presse, und Hodler, der kaum je eine Zeitung las, war nicht der Mann, jene falsche Nachricht zu prüfen. Allerdings war es tadelnswert, daß er, auf den wirklichen Tatbestand aufmerksam gemacht, nicht offen und ehrlich jene Unterschrift zurückzog. Damit hatte unsere Freundschaft ein Ende, aber ich betrachte ihn dauernd als einen großen Künstler deutscher Art. ; endlich verknüpfte mich eine enge Freundschaft mit Max Reger, der schönste Pläne in sich trug und so früh scheiden mußte. Unter den früheren Kollegen vermißte ich aufrichtig Liebmann, dessen feste und tüchtige Art mir sehr sympathisch war; in der neuesten Zeit aber habe ich an Falckenberg einen aufrichtigen Freund und einen Mann von wahrer Herzensgüte und Treue verloren. Besonders muß ich auch der früheren Schüler gedenken, die ihr junges Leben willig für das Vaterland einsetzten; überhaupt erinnere ich mich mit viel Wehmut der vielen vortrefflichen jungen Kräfte, welche vor mir ihren Weg vollendeten So gedenke ich unter den Eindrücken der letzten Monate namentlich des hochbegabten und charaktervollen Gustav Robert-Tornow, der sowohl in der Philosophie als in der Musik zu höchsten Zielen strebte, und der mit inniger Treue an mir hing. Er vornehmlich hat mit größtem Eifer darauf gedrungen, daß ich meine Lebenserinnerungen niederschreiben und veröffentlichen möchte..

Man sieht bei solchem Rückblick, daß man alt wird, aber das Alter braucht die Herzlichkeit der Gesinnung und die Treue des Andenkens nicht zu vermindern.


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