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Husum

Husum hat durch Theodor Storm eine künstlerische Verklärung gefunden, und auch ich habe die Vorteile dieses Ortes voll empfunden. Das Meer lag nahe, die Heide bewährte ihren stillen Zauber, eine alte Kultur sprach aus manchem Bauwerke, die Tüchtigkeit der Einwohner unterlag keinem Zweifel. Aber ich selbst war damals nicht in der rechten Stimmung, dieses alles voll zu würdigen, im besonderen entbehrte ich schmerzlich die Nähe eines Waldes, an den ich von frühester Jugend an gewöhnt war. Dazu war damals die Lage für einen aus Preußen und speziell aus Berlin berufenen Beamten wenig angenehm. Eben vorher waren die großen politischen Wandlungen in Schleswig-Holstein erfolgt, die auf die Stimmung der um die deutsche Sache hochverdienten Bevölkerung gar keine Rücksicht nahmen. Es war begreiflich, daß man in dem von Berlin kommenden Lehrer und Beamten vornehmlich den Fremden sah und sich gesellschaftlich wenig um ihn kümmerte. Andererseits war es ein großer Vorteil für mich, in dem damaligen Gymnasialdirektor Gidionsen einen mir sehr wohlgesinnten, dabei sowohl wissenschaftlich als künstlerisch feingebildeten Mann zu finden; ihm vornehmlich verdanke ich, daß mein Amt mir die denkbar angenehmste Stellung brachte Aus Gidionsens Gedichten sei nur folgende Stelle angeführt:

Nicht vom Tage sollst du leben,
Auf und nieder schwankt die Welle –
Laß dein Innres fröhlich weben
Stets verjüngten Daseins Quelle.
Ist Ursprünglichkeit dir eigen,
Darfst sie hegen, darfst sie zeigen,
So nur spürst du in der Zeit
Vorgefühl der Ewigkeit.
. Die Hauptsache war, daß ich mich in meiner Tätigkeit wohl fühlte und daß ich vortreffliche Schüler hatte, die sich sogleich freundlich zu mir stellten. Sie waren zum Teil älter als ich. Die Schüler glichen in mancher Beziehung den Ostfriesen; manche von ihnen verstanden auch die friesische Sprache; ich habe nie die mindesten Schwierigkeiten mit ihnen gehabt. Die berühmteste und bedeutendste Persönlichkeit des Ortes war natürlich Theodor Storm. Ich habe aber bei aller Anerkennung, ja Bewunderung seiner Kunst ein engeres persönliches Verhältnis zu ihm nicht gefunden. Dabei muß ich eines drolligen Erlebnisses gedenken, das, soviel ich weiß, keine Stormbiographie erwähnt. Der sehr musikalische Dichter war Leiter eines Gesangvereins von Herren und Damen und machte die Sache ausgezeichnet; alles Philisterhafte war ihm dabei gründlich zuwider. Nun entwarf er ein Programm für ein Konzert, dessen Schluß nach ernsten Darbietungen auch das harmlose Studentenlied »Als wir jüngst in Regensburg waren« bilden sollte. Als aber die Probe begann, erklärten die Damen oder doch ihre Mehrzahl, das Stück wäre unmoralisch, und weigerten sich es aufzuführen. Das versetzte Storm in einen begreiflichen Zorn. Er meinte, daß könne man ihm doch zutrauen, nichts Unpassendes darzubieten. Die Damen beharrten auf ihrer Weigerung, das Konzert begann, ganz Husum war aufs höchste gespannt, wie die Sache verlaufen werde. Das letzte Stück begann, und – sämtliche Damen verließen das Podium. Nun erhob sich Storm und erklärte, er lege die Leitung dieses Vereins nach solcher Behandlung nieder. Die Damen beharrten auf ihrem Standpunkt und haben dann einen Mann aus Berlin zur Leitung berufen. Dieser ist aber, soviel ich weiß, nur einige Wochen in Husum geblieben und dann wieder abgereist. Nun triumphierten die Freunde von Storm, Husum war gespalten, schließlich legte sich die Geistlichkeit ins Mittel. Der sehr beliebte und tüchtige Propst Caspers hat die Häupter der Parteien zu einem freundschaftlichen Mittagessen eingeladen; dort wurde die Sache geschlichtet und Storm blieb Leiter.

Inzwischen ging meine philosophische Arbeit ununterbrochen fort. Meine Dissertation forderte eine Ergänzung durch eine Untersuchung des Gebrauchs der Präpositionen bei Aristoteles, wobei es mir gelang, einen gewissen Abschnitt der aristotelischen Metaphysik als unecht zu erweisen; diese Schrift ist im Verlage von Weidmann 1868 erschienen. Zugleich beschäftigten mich weitere Aufgaben. Ich plante schon damals eine Untersuchung über die wissenschaftliche Methode der aristotelischen Philosophie. Zugleich habe ich viel über die großen Kulturprobleme der Gegenwart nachgedacht, und es ist mir noch jetzt deutlich gegenwärtig, wie ich in einem Gespräch mit meiner Mutter schon damals die ungeheuren Gefahren darlegte, welche die Kultur der Gegenwart durch den ihr innewohnenden Gegensatz bedrohen. Zunächst freilich fesselte mich die strengwissenschaftliche Arbeit. Willkommene Unterbrechungen und geistige Erweiterungen brachten Reisen nach Hamburg und Umgebung, nach der ostholsteinischen Schweiz und nach Lübeck. In Holstein erfreuten uns die wundervollen Buchenwaldungen und die stillen Seen. Lübeck aber bot ein prächtiges Bild der großen Vergangenheit jener Hansastadt; auch die dortigen Kunstwerke waren uns eine Freude und Erquickung. Dann ging es nach Kiel, das damals eine kleine und behagliche Stadt war. Gegen Schluß unseres schleswigschen Aufenthaltes haben wir auch Flensburg mit seiner Umgebung besucht. Daß dort eine schwere Frage entstehen konnte und daß um den alten Besitz mühsam zu kämpfen war, das lag damals ganz fern.

Der Beginn des Jahres 1869 brachte mir die ersehnte Versetzung nach Berlin. Äußerlich war diese Versetzung kein Gewinn, aber ich durfte nun sicher erwarten, allmählich aufklimmen zu können und meine wissenschaftlichen Arbeiten weiterzuführen. Am Schlusse meines Husumer Aufenthaltes hat Gidionsen im Schulprogramm meine pädagogische Tätigkeit in höchst ehrenden Ausdrücken anerkannt.


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