Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Basel (1871–1874)

Die Übersiedlung nach Basel war keineswegs leicht. Einmal mußten wir manches aufgeben, was uns eine liebe Gewohnheit war, und uns von manchen werten Freunden trennen. Dann hatten wir große Mühe, eine leidliche Wohnung in Basel zu finden, wir haben eine zusagende erst nach einem halben Jahr gefunden. Auch hatten wir viele Sorge wegen unserer Möbel. Der sie enthaltende Wagen traf sehr verspätet in Basel ein, und wir mußten Tag für Tag uns darum bemühen. Aber schließlich wurde alles glücklich überwunden, und wir haben uns bald wohl in Basel gefühlt. Die Universität war damals recht klein (150 bis 160 Studenten), aber sie hatte eine große Zahl hervorragender Persönlichkeiten. So z. B. den Ratsherrn Vischer selbst, der als Erforscher des klassischen Altertums einen großen Ruf besaß und verschiedenen europäischen Akademien als Mitglied angehörte. Sodann Jakob Burckhardt, der damals auf der Höhe seines Wirkens stand, den tiefgründigen und geistvollen Steffensen, weiter die Theologen Hagenbach, Schultz und von der Goltz, den Juristen A. Heußler, die Naturforscher Rütimeyer und Schwendener, den Mediziner His, den Nationalökonomen Julius Neumann, endlich Nietzsche. Ich habe gleich bei meiner Berufung vom Ratsherrn Vischer Näheres über Nietzsches Berufung nach Basel gehört. Vischer kam nach Leipzig zu Ritschl, um einen jungen Philologen für die Universität zu gewinnen. Dieser nannte zunächst verschiedene andere Namen, endlich aber meinte er: wir haben einen jungen Philologen, der entschieden bedeutender ist als alle anderen, aber er ist noch nicht einmal Doktor. Vischer meinte: das schadet nichts, wenn der Mann wirklich so bedeutend ist. Dieses versicherte Ritschl mit voller Entschiedenheit. So wurde die Berufung ausgeführt. Vischer aber erklärte mir damals, man wäre in Basel sehr froh darüber, diesen hervorragenden Mann an der Universität zu wissen. In enger Verbindung zu den akademischen Kreisen stand auch der badische Staatsrat Gelzer, dem man einen bedeutenden politischen Einfluß zuschrieb, und der wegen seiner charaktervollen und universalen Persönlichkeit allgemein geschätzt wurde.

Ich begann bald meine Vorlesungen. Die Zahl meiner Zuhörer war natürlich anfangs klein. Mein erstes Kolleg behandelte die Geschichte und das System der Pädagogik, wobei ich den gewöhnlichen Fehler beging, viel zu viel Stoff zu bringen. Ich habe auch sofort aristotelische Übungen eingerichtet und hier die Ethik mit sehr tüchtigen Studenten getrieben. Im folgenden Semester hatte ich schon 40 Zuhörer, auch die gesellschaftlichen Verhältnisse in Basel gestalteten sich sehr zusagend. Wir gewannen einerseits mit den deutschen Kollegen, andererseits mit den einheimischen Familien mannigfache freundschaftliche Beziehungen. Damals herrschte in Basel eine hochgebildete Aristokratie, welche sich mit dem deutschen Wesen eng verwandt fühlte. Durch eine ganze Reihe von Jahrhunderten waren daraus bedeutende Persönlichkeiten hervorgegangen; das Religiöse gab einen festen Grundton, aber es war keineswegs eng und aufdringlich. Zugleich herrschte in diesen Kreisen viel Sinn für die Kunst, sowohl für die bildende, als für die Musik. Dazu kam eine unbeschränkte Opferwilligkeit für öffentliche Zwecke, bei der sich die gemeinsamen Angelegenheiten ausgezeichnet befanden. So galt Basel mit Recht als ein hervorragendes Kulturzentrum selbständiger Art. Dabei herrschte im persönlichen Verkehr ein recht freundlicher und ansprechender Ton. Wiederholt ist mir damals versichert worden, man fühle sich mit den eigentlichen Norddeutschen und namentlich mit den Küstenbewohnern besonders verwandt, verwandter als mit den redegewandten Mitteldeutschen und namentlich mit den selbstbewußten Berlinern. Daß auch meine Mutter diese ganze Lage freudig begrüßte und auch für sich selbst vielfach Anregung schöpfte, das bedarf keiner Erwähnung. Sehr bedauerlich und schmerzlich aber war mir in dieser Zeit der unerwartete Tod Trendelenburgs. Er hatte schon 1870 einen leichten Schlaganfall gehabt, den alle Freunde auf seine maßlose Überbürdung mit Geschäften schoben. Aber man hoffte, die sorgfältige und treue Pflege der Seinigen würde die Hemmung voll überwinden. Er erbat und erhielt einen längeren Urlaub, um sich in der großen und stillen Natur der Alpen auszuruhen, und es schien, als ob er seine akademische Tätigkeit bei genügender Vorsicht wieder würde aufnehmen können. Ich habe in jener Zeit öfter mit ihm korrespondiert und ihn über laufende wissenschaftliche Vorgänge orientiert; er hatte damals einen verdrießlichen wissenschaftlichen Streit mit Kuno Fischer, der sich zunächst auf die Behandlung Kants bezog, der aber überhaupt die wissenschaftliche Art der beiden Denker als recht verschieden zeigte. Trendelenburg fand die philosophische Art Fischers als sehr geistvoll, aber als zu subjektiv, über sein Rednervermögen äußerte er sich stets mit höchster Anerkennung. Es hat aber dieser wissenschaftliche Streit auf den Gesundheitszustand Trendelenburgs nicht eingewirkt, wie gelegentlich behauptet wurde; dazu ging ihm die Sache nicht tief genug. Anfang 1872 hörte ich dann durch einen Berliner Bekannten von einer großen Verschlimmerung seines Befindens, und bald empfing ich die Todesnachricht. Ich verlor in Trendelenburg nicht nur einen mir sehr sympathischen Forscher, sondern einen väterlichen Freund, der stets darauf bedacht war, mich auch in meiner eigenen Art zu bestärken, der in keiner Weise die Huldigung eines Schulhauptes verlangte. Ich hatte an ihm auch in den akademischen Kreisen einen festen Halt. In den Schriften der Preußischen Akademie hat Lenz ein eingehendes Bild von Trendelenburg entworfen, das leider die wissenschaftliche Bedeutung und die edle Persönlichkeit des Mannes nicht genügend würdigt; die einzelnen Züge mögen zutreffen, es fehlt aber dem Gesamtbild die innere Einheit und Wärme. Ich selbst habe mich wiederholt über Trendelenburg und seine wissenschaftliche Stellung literarisch ausgesprochen.

Abgesehen von diesem schmerzlichen Verlust, schien ich in Basel auf der Höhe des Lebens zu stehen. Meine wissenschaftliche Laufbahn hatte sich außerordentlich günstig gestaltet, alles griff ineinander, zusagende, ja bedeutende Stellungen waren einander rasch gefolgt, ich war den Mühen und Gefahren eines Privatdozenten entgangen und in eine schöne Tätigkeit versetzt, die allen meinen Wünschen entsprach und alle meine Kräfte anspannte. Scherzweise habe ich damals wohl geäußert, ich würde in meinen Leistungen pränumerando bezahlt, ich hätte die Pflicht, eine solche zuvorkommende Behandlung erst durch die Tat zu beweisen. Trendelenburg aber gratulierte mir in einem herzlichen Briefe: »Mögen Sie Muße behalten! Muße in Ihren Jahren, welcher Reichtum an möglichen Keimen!« So war mir alles über Erwarten gelungen. Auch in der Lebensumgebung hatte sich alles nach Wunsch gestaltet. Wir hatten eine sehr zusagende Wohnung gemietet, deren großer Garten unmittelbar an den Rhein grenzte, meine Mutter hatte besondere Freude daran; ich aber hatte täglich meinen Weg nach der Universität über die alte Rheinbrücke zurückzulegen, die einen herrlichen Blick auf das hochragende Münster gewährt. Aber eben jetzt, wo alles aufs beste zu stehen schien, drohte eine Gefahr, die zunächst nicht als eine schwere erschien, sich aber bald als eine solche herausstellte, eine Gefahr für die Gesundheit und das Leben meiner Mutter. Meine Mutter war zart, aber elastisch und von großer Willensstärke, so hatte sie die Mühen des doppelten Umzuges gut überstanden. Wir haben damals noch verschiedene kleine Ausflüge gemacht, namentlich noch vor dem Winter einen großartigen Alpenblick auf der Frohburg genossen, wo alle großen Gipfel aus dem sonstigen tiefen Nebel klar und hell hervorragten. Ferner haben wir mit der uns befreundeten Familie des Philosophen Sengler in Freiburg noch am 10. Mai 1872 einen Ausslug nach dem im frischen Grün prangenden Höllental gemacht. Wir hofften durch einen Aufenthalt auf dem Stoos eine völlige Kräftigung zu erreichen. Aber schon einige Tage nach jenem Ausflug verschlimmerte sich das Befinden meiner Mutter sehr. Sie fühlte sich sehr matt und schwach, ohne jedoch über besondere Schmerzen zu klagen. Aber offenbar hat sie sich schon damals mit dem Gedanken eines baldigen Todes stark beschäftigt. Eines Morgens trat sie in beinahe feierlicher, aber freudiger Stimmung in das gemeinsame Frühstückszimmer und erzählte mir, sie hätte im Traume nun endlich ein vollauf deutliches Bild ihres jüngeren Sohnes gehabt, was ihr sonst nie gelungen war. Sie hat aber weiter nicht geklagt und hat noch erlebt, daß mein erstes Buch über die aristotelische Methode mir samt dem Honorar von dem Weidmannschen Verlag übersandt wurde. Dann aber ging es sehr schnell abwärts, und am 31. Mai ist sie ohne schweren Todeskampf verschieden. Der behandelnde Professor Miescher hat mir dann berichtet, dieser baldige Tod sei als ein großes Glück zu betrachten, es habe sich schon ein Krebsleiden entwickelt, wovon sie nicht die mindeste Ahnung hatte.

Was der Verlust meiner Mutter für mich bedeutete, das entzieht sich Worten. Aber bei allem Schmerz mußte ich dankbar anerkennen, daß meiner Mutter ein innerlich reiches und edles Leben beschieden war. Ihre Jugend war ruhig und heiter, in der Ehe fand sie ein zusagendes Leben, aber zehn Jahre hindurch waren dieser Ehe Kinder versagt. Dann gab die freudig begrüßte Geburt ihrer beiden Kinder ihrem Leben einen reicheren Inhalt. Aber kaum war das geschehen, so häuften sich Sorgen und Schmerzen, sie verlor rasch nacheinander den blühenden Sohn und den geliebten Mann und war allein auf ihre eigene Kraft angewiesen. Nun hat sie alle Mühe daran gesetzt, mir eine volle Entwicklung meiner Kräfte zu bereiten und alle Hemmungen zu überwinden; das ist ihr vollkommen gelungen, und mit inniger Freude und Dankbarkeit durfte sie solches Gelingen vollauf erleben. Als ich von meiner Basler Antrittsrede zurückkam, fand ich sie tiefbewegt in Freudentränen; ihr eigenes Werk war damit vollbracht, sie hatte keine weiteren Wünsche an das Leben. Ich aber mußte nun auf lange Jahre hinaus einsam weiterwandern.

Diese unerwartete Wendung mußte mich aufs schwerste erschüttern und meine Stellung zum Leben wesentlich umgestalten. Für einen jeden von uns bedeutet der Verlust der Mutter einen großen Ausfall, ich aber wurde besonders hart dadurch betroffen. Nicht nur war ich in praktischen Dingen recht verwöhnt und vielfach auf ihre kluge und gütige Hilfe angewiesen, auch meine wissenschaftlichen Pläne pflegte ich meiner Mutter mitzuteilen und sie mit ihr zu erörtern. So empfand ich die Lücke aufs schmerzlichste, und zunächst hatte ich die größte Mühe, nur die tägliche Arbeit zu verrichten. Es ist aber ein Segen für den Mann in amtlicher Stellung, daß er sich nicht ganz seinem eigenen Befinden hingeben darf, sondern die Pflichten des Berufes zu erfüllen hat. Die Freude an der Natur habe ich zeitweise ganz verloren, auch die Alpen verlockten mich nicht. Ich bin wochenlang in der Nähe von Luzern gewesen, aber nicht auf den Rigi gekommen.

Zugleich vollzog sich in meiner wissenschaftlichen Betätigung eine eingreifende Wendung, die freilich längst vorbereitet war. Von Anfang an war es mein Streben, mich an erster Stelle den großen Lebensfragen der Philosophie zu widmen; Aristoteles war bei allem, was er mir bot, im Grunde nur eine Brücke zu weiterem Streben. Meine seelische Lage hatte keinen vollen Einklang zwischen Arbeit und Denkweise. Meine Arbeit gehörte zunächst Aristoteles, und ich konnte es nicht übelnehmen, nach üblicher deutscher Schablone von Anfang an in die Klasse der Aristoteliker eingereiht zu werden. Meine eigene Denkweise aber neigte sich mehr zu Plato, ein gewisser Unterschied von Trendelenburg war dabei nicht zu verkennen. Meine Schrift über die Methode der aristotelischen Philosophie war einerseits eine volle Anerkennung des großen Denkers, sie war aber zugleich eine kritische Würdigung desselben Allerdings muß ich anerkennen, daß der Verlauf meines eigenen Strebens mich vielfach von Aristoteles entfernt hat, aber ich bleibe ihm dauernd dankbar für seine eingreifende Förderung. F. A. Lange hat sich in seinem großen Werke über den Materialismus eingehend mit meinem Buch beschäftigt, er steht anders als ich zu Aristoteles, aber er hat meine Forschungen sehr anerkannt. Er sagt(Anm. 49): »In diesem mit großer Gewissenhaftigkeit und Sachkenntnis verfaßten Büchlein zeigt sich die Ansicht, welche wir längst hegten, glänzend bestätigt, daß nämlich gerade die neu-aristotelische Schule, welche von Trendelenburg ausgegangen ist, schließlich am meisten dazu beitragen muß, uns definitiv von Aristoteles zu befreien. Bei Eucken geht die Philosophie auf in der aristotelischen Philologie; aber dafür ist auch diese Philologie gründlich und objektiv. Nirgends findet man die Schäden der aristotelischen Methode so klar und übersichtlich dargelegt als hier.« Sehr anerkennend hat sich damals Lehrs über mein Buch ausgesprochen, den ersten freundlichen Brief darüber habe ich von Zeller empfangen.. In jener Zeit wurden verschiedene Anerbietungen angesehener Verleger an mich gerichtet, Schriften über Aristoteles zu übernehmen. Ich habe sie aber dankend abgelehnt. Mein Hauptzug ging schon damals entschieden nach der systematischen Philosophie, auch das Thema meiner nächsten Arbeit war mir völlig klar: ich wollte über »die metaphysischen Voraussetzungen der Ethik« schreiben; gewisse Entwürfe dazu bewahre ich noch heute auf. Ich wollte dabei untersuchen, welche Fassungen der Metaphysik mit einer Ethik vereinbar seien; es sollte dabei ein analytischer Weg eingeschlagen werden. Meine akademischen Vorlesungen aber sollten vornehmlich die Hauptfragen der gegenwärtigen Philosophie behandeln und dazu eine selbständige Stellung nehmen. Nun aber warf jener Verlust mich gänzlich aus der überlieferten Seelenlage und Stimmung. Es wurde mir sogar fraglich, ob ich überhaupt die akademische Laufbahn festhalten sollte. Ich habe mich ernstlich damit beschäftigt, ob es nicht meine Pflicht sei, mich an erster Stelle den großen sozialen Problemen zu widmen und dabei mit dem Sozialismus eine Verbindung zu suchen, freilich eine Verbindung freierer Art. Jene Fragen haben mich von früh an beschäftigt, ich habe vieles darüber gelesen und darüber gegrübelt, sie schienen mir eng verbunden mit der notwendigen inneren Erneuerung der Menschheit, die mir immer als die Hauptsache galt. Wenn ich rasch jenen Weg als für mich ungangbar erkannte, so bewirkte das namentlich der Einfluß der flachen negativen und positivistischen Denkweise, welche aus den führenden Geistern des Sozialismus sprach. Der Bahn Feuerbachs und Marx' zu folgen, das war mir sowohl seelisch als wissenschaftlich unmöglich. So blieb ich bei der überkommenen Lebensführung. Um der lähmenden Stimmungen Herr zu werden, schien es mir zweckmäßig, mich innerlich in eine ganz andere Gedankenwelt zu versetzen, die meiner Gemütslage entsprach und auch zugleich manche Anregungen bot. Zu diesem Zweck habe ich im Winter 1872 die bedeutenderen Kirchenväter zusammenhängend durchgelesen und mich in die von ihnen vertretene Welt vertieft. Die einzelnen Lehren kümmerten mich dabei wenig, es war die Grundrichtung des Lebens, die mich fesselte und mir wohltat; im besonderen gedenke ich gern des Gregor von Nyssa und der spekulativen Hauptschriften des Augustin. Diese Quellenforschungen sind später auch den »Lebensanschauungen der großen Denker« zugute gekommen. Einstweilen blieb es in der philosophischen Arbeit bei bloßen Vorbereitungen.

Inzwischen hatte ich mich in Basel mehr und mehr eingelebt und mannigfache persönliche Beziehungen gewonnen. Wohltuend war mir die Geistesverwandtschaft, welche ich bei dem edlen und geistvollen Steffensen fand, wohltuend der freundschaftliche Verkehr, den ich von Anfang an mit dem hervorragenden Nationalökonomen Julius Neumann gewann. Ein besonders enges freundschaftliches Verhältnis aber habe ich mit dem Kirchenhistoriker Rudolf Stähelin gewonnen. Er verband mit geistiger Tiefe und seelischer Wärme eine universale Denkweise, einen offenen Blick für alle menschlichen Dinge und auch für die Natur, die Gabe scharfer Beobachtung, dazu einen sprudelnden Humor. So war es mir ein großer Gewinn, in ihm einen echten Freund zu gewinnen. Leider ist der vortreffliche Mann viel zu früh (1900) von uns gegangen.

Mit ihm und seiner Familie habe ich im Sommer 1873 einen ebenso wohltuenden wie genußreichen Aufenthalt im Berner Oberlande nahe der Pracht der Alpenwelt (in Beatenberg) gehabt und mich dadurch sehr erfrischt; nun erwachte bei mir auch wieder die Freude an der großen Natur.

Ferner fehlte es nicht an manchen angenehmen Beziehungen zu weiteren Schweizer Kreisen. Mit besonderer Freude gedenke ich der Tage, welche ich als Teilnehmer der theologischen Prüfungen in Zürich verlebte; es war das ein Kreis lebenserfahrener und sympathischer Menschen, welcher dort unter der geschickten Leitung des geistvollen Antistes Finsler zusammentraf.

Aber eben nun, wo ich festen Boden in der Schweiz fühlte, erhielt ich in den Weihnachtstagen 1873 ein Telegramm des Jenaischen Universitätskurators Seebeck, er wolle mich besuchen und mit mir sprechen. Ich konnte mir natürlich denken, was dieser Besuch bedeutete, und hatte während der folgenden Tage Zeit genug zu überlegen, ob ich dauernd in der Schweiz bleiben oder nach Deutschland zurückkehren solle. Vieles fesselte mich in der Schweiz und besonders in Basel. Die herrliche Natur, die Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit der Bewohner, die feste Gemütsart, welche manche gemeinsame Züge mit der friesischen hatte. Dazu schwebte damals das Projekt einer eidgenössischen Universität, die ein größeres Feld für wissenschaftliches Wirken geboten hätte. Aber ich habe mich bald für Deutschland und Jena entschieden; ich war zu jung, um jetzt schon den Lauf meines Lebens festzulegen; dazu konnte mir nicht zweifelhaft sein, daß, solange ich unter dem Eindruck meines schweren Verlustes war, ich nicht die volle Frische und die nötige Spannkraft des Schaffens erlangen würde; eine Veränderung und eine Versetzung in eine neue Lage versprach, mein Streben wesentlich zu fördern; auch konnte ich für einen aufstrebenden Philosophen keinen besseren Wirkungsplatz wünschen als Jena mit seiner großen Tradition, die bis zu Kuno Fischer reichte. So konnte ich der Unterredung mit Seebeck eine bereitwillige Stimmung entgegenbringen. Von Seebeck empfing ich beim ersten Anblick einen hervorragenden Eindruck. Eine bewunderungswürdige geistige Weite, eine große Gabe der Aussprache und anregenden Unterhaltung, dabei eine unverkennbare Gütigkeit und Vornehmheit der Gesinnung. Er schilderte mir die jenaischen Verhältnisse in einer sehr anziehenden Weise. Die äußeren Schwierigkeiten wurden rasch überwunden, die Zustimmung der Regierungen eingeholt, und so durfte ich mich als einen Jenenser betrachten. Aber ich darf sagen, daß der Abschied von Basel mir recht schwer geworden ist. Auch habe ich beim Abschied viele Zeichen einer herzlichen Gesinnung empfangen, so daß ich nur mit aufrichtigem Dank an jene Zeit zurückdenken kann. Der Umzug gelang dank freundlicher Hilfe ohne Schwierigkeiten; ich war und ich bin sehr unsicher in diesen praktischen Dingen, und so war es schließlich beinahe ein Wunder, daß alles so gut verlief. Vor meinem Einzug habe ich schon einen kurzen Besuch in Jena gemacht, um mich wegen einer Wohnung zu orientieren. Es war auch damals ungeheuer schwierig, eine Wohnung zu bekommen, erst nach 1½ Jahren erhielt ich eine solche, die, im Freien gelegen, allen meinen Wünschen entsprach, sie führte unmittelbar in einen hübschen Garten und von da aus in das sogenannte Paradies.

 


 << zurück weiter >>