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Häusliches Leben

Nach dem Tode meines Vaters und meines Bruders waren meine Mutter und ich allein auf uns selbst angewiesen; von früher Zeit an hat meine Mutter mein geistiges Streben geteilt und auch ihre Sorgen mir mitgeteilt. Vor allem lag auf ihr als eine schwere Sorge unsere wirtschaftliche Erhaltung. Unser Vermögen war gering, und die Witwenpension betrug damals jährlich nicht mehr als 600 Mark. Mein Vater wollte für die Zukunft sorgen, aber er hatte sich an eine sogenannte Tontine angeschlossen, wo alle Teilnehmer bis zu einem bestimmten Termine eine Summe zusammenzuschießen hatten, um schließlich die ganze Summe unter die Überlebenden zu verteilen. Mein Vater starb kurz vor jenem Termin. So mußte meine Mutter für andere Mittel sorgen. Dies hat sie später in der Weise getan, daß sie Pensionäre nahm. Es war ein äußerer Anlaß, der ihr diesen Weg zeigte. Ein angesehener Bürger von Esens hatte auf der Insel beobachtet, wie sorgfältig und umsichtig meine Mutter für mich sorgte. Er kam nun mit der Bitte, ihr den eigenen Sohn anvertrauen zu dürfen, der dann auch lange Jahre hindurch bis zur Studienzeit in unserem Hause gelebt hat. Diese Einrichtung fiel meiner geistig regen Mutter schwer. Aber sie hat mit Elastizität und Energie das für uns Notwendige durchgeführt und dabei den ihr anvertrauten Kindern das Elternhaus nach besten Kräften ersetzt; noch jetzt erhalte ich schöne Zeichen der Dankbarkeit. Haus und Garten galt dabei als gemeinsames Eigentum, kleine Feste wurden veranstaltet, unsere Dichter oft abends gelesen. Kurz, was wirtschaftlich eine Notwendigkeit war, das wurde ihr eine Sache der Freude und der Hingebung. Für mich aber war es wesentlich, daß ich nicht einsam blieb, sondern durch den alltäglichen Umgang gewann und mehr mit anderen verkehren mußte. Meine Mutter hatte einen gleichmäßigen frohen Sinn und einen großen Reiz für die Jugend; so ist ihr einst ein kleines Mädchen auf der Straße begegnet, welches sie nicht kannte, die aber ihre leuchtenden Augen nicht wieder vergessen konnte. Frau Dr. Schröder auf Schloß Poggelow in Mecklenburg, geb. Peters, welches dieses kleine Mädchen war, lernte ich erst in letzter Zeit näher kennen, und sie erzählte mir: »Ich habe diese Augen nicht vergessen können, erst als ich Sie kennen lernte, wußte ich, wem sie gehörten«. Was Wunder, wenn in unserem Kreise ein froher Ton herrschte und treue Freundschaften geschlossen wurden. Mir selbst standen die beiden Brüder Voß am nächsten, der ältere starb früh, der jüngere wirkt noch als hochangesehener Professor der Mathematik an der Münchner Universität. Wie oft haben wir drei heranwachsenden Knaben Fragen gemeinsam besprochen, und sind wir, da wir keine besonderen Kirchgänger waren, durch die Wälder von Aurich gestreift. – Wir wissen, wie schwierig sich durchgängig die gesellschaftliche Stellung von Beamtenwitwen gestaltet. Man will und muß die frühere soziale Stellung behaupten und muß dabei sich zugleich hart mühen und plagen. Meine Mutter hat diese Stellung sich voll gewahrt. Man lebte damals in anspruchsloser Weise recht zufrieden. So haben wir wiederholt mit näheren Freunden den ganzen Tag im Walde zugebracht. Die Verpflegung war recht bescheiden, ein Gericht Reis und eine Flasche einfaches Weißbier war die Hauptsache. Aber man genoß mit vollen Zügen den frischen Wald, und man fühlte dadurch die Kraft gehoben. Alle Bestrebungen meiner Mutter hatten dabei ein festes Ziel, mich auf die Höhe der akademischen Bildung zu führen; darin sah sie ihre einzige Aufgabe. Von Jahr zu Jahr wurde eine kleine Summe zurückgelegt, die ein sorgsamer Berater aus altjüdischem Geschlecht, mit dessen Enkel mich ein freundschaftliches Verhältnis verknüpfte, fürsorglich verwaltete.


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