Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Buch.


1. Gauti, König von Gautland.

König Gauti war ein kluger, mässiger, milder und wortkühner Mann. Er herschte über Westgautland, das da liegt zwischen Norwegen und Swîthiodh, im Osten der Gebirgszüge; und der Gautelf scheidet die fünf Upplande von Gautland. Daselbst sind grosse Wälder, und es ist da ein übel Durchkommen, wenn der Boden nicht gefroren ist. König Gauti fuhr oft mit seinen Hunden und Habichten in den Wald: denn er war ein gewaltiger Weidmann und es däuchte ihn das das grosseste Vergnügen. Zu jener Zeit waren die Wälder rings umher weithin besiedelt; denn viele Männer rodeten den Wald aus, da wo er entfernt lag von Dörfern und Weilern, und gründeten Landbauhöfe. Manche waren in die Einsamkeit geflohen wegen schlimmer Thaten, manche aber auch aus thörichten Gründen oder aus Begierde wunderbare Dinge zu erleben. Wieder andere glaubten dem Spotte oder der Furcht aus dem Wege zu gehn, wenn sie den Menschen fern wären; und so verlebten sie denn alle ihre Tage ohne mit anderen Menschen Umgang zu haben als mit denen, die bei ihnen waren. Einige hatten sogar Stätten aufgesucht weit entfernt von den Wohnsitzen der Anderen, und so kam denn Niemand zu ihnen, er hätte sich denn in den Wäldern verirret. Zuweilen, wenn auch selten, trat dieser Fall in der That ein, dass der Eine oder der Andere ganz gegen Wunsch zu solchen Hütten kam; mancher aber wäre wohl froh gewesen, wenn er nie dahin gekommen wäre.

Nun, König Gauti fuhr einst in den Wald mit seinem Gefolge, um Thiere zu jagen, und er hatte seine besten Jagdhunde bei sich. Da geschah es, dass der König einen überaus stattlichen Hirsch erblickte, und den hätte er gern erjaget. Er entkoppelte demnach rasch seine Hunde und jagte dem Hirsche mit dem grössesten Eifer nach, bis der Tag zur Nacht sich wandte. Da sah er sich plötzlich einsam, und er war so tief in den Wald hinein gekommen, dass er wohl erkannte, er möchte nicht zu seinem Gefolge zurück kommen theils wegen der Finstre der Nacht, theils wegen der Länge des Weges, denn er war den ganzen Tag hindurch gelaufen. Dazu kam noch, dass er den Hirsch mit seinem Spiesse erlegt hatte, und dass der Spiess fest in der Wunde haftete. Auf keine Weise jedoch wollte er ihn zurücklassen, wenn er ihn irgendwie lösen könnte; denn es däuchte ihn grosse Schande, sein Waffen dahinten zu lassen. Er hatte deshalb die grössesten Anstrengungen gemacht und dabei alle seine Kleider bis auf das Hemd abgeworfen. Auch war er barfuss, denn in dem sumpfigen Grunde hatte er seine Schuhe verloren; aber seine Beine und Fusssohlen waren sehr zerschrundet durch das Gestrüppe des Waldes und durch den scharfen Grien. Nun war es Nacht geworden, und er wusste nicht, wohin er sich wenden sollte; so blieb er denn stehn und lauschte, ob er nicht irgend etwas zu hören vermöchte, was die Nähe von Menschen anzeigte. Nicht lange hatte er so gestanden, da hörte er das Gebell eines Hundes, und er gieng darauf zu, denn dort glaubte er sicher auch Menschen zu finden. Bald erblickte der König auch wirklich ein kleines Gehöfte und er sah, dass ein Mann aussen stund, der eine Baumaxt in der Hand hielt. Sobald dieser jedoch merkte, dass der König auf das Gehöft zuschritt, sprang er zu dem Hunde hin und erschlug ihn, indem er sagte: »Du sollst keine Gäste mehr zu unserem Gehöfte locken; denn das sehe ich deutlich, dieser Mann ist von solchem Wuchse, dass er alles, was der Bauer hat, aufessen wird, wenn er innerhalb der Wände kommt; aber dass soll nimmer geschehen, wenn ich es verhindern kann.« Der König vernahm diese seine Rede wohl und lächelte darüber; aber er erwog bei sich, dass er wenig dazu gerüstet wäre draussen zu liegen. Die Aufnahme schien ihm freilich unsicher, wenn er auch um Einlass bäte, und so schritt er kühnlich auf die Thüre zu; jener jedoch unterlief ihm die Thüre und wollte ihn nicht einlassen. Da liess der König jedoch seine Kräfte ihn fühlen, warf ihn aus der Thüre und gieng in die Stube. Hier fand er vier Männer und vier Frauen, aber Niemand begrüsste König Gauti; dennoch setzte er sich nieder. Der ihm der Hausherr zu sein schien, wandte sich da an den Knecht und sagte: »Warum hast du diesen Mann hier eintreten lassen?«. Der Knecht, der die Thüre vertheidiget hatte, antwortete: »Dieser Mann war so stark, dass meine Kraft wider ihn nicht ausreichte.« »Und was thatest du, als der Hund boll?« »Ich erschlug ihn, sagte der Knecht, weil ich nicht wollte, dass er uns mehrere solcher Riesen, wie dieser Mann da einer ist, zum Gehöfte brächte.« Der Bauer sagte da: »Du bist ein wackerer Knecht, und ich mag es dir nicht anrechnen, obgleich dieses Ungeschick sich ereignet hat und deine Ausschau fruchtlos war; und morgen will ich dir den Lohn dafür geben und du sollst da mit mir fahren.«

Die Häuser hier waren wohl gebauet und die Männer schön und ziemlich gross; doch fand der König, dass sie ihn fürchteten. Der Bauer liess nun den Tisch stellen und Speise darauf setzen, und als der König sah, dass man ihm keine Nahrung bot, gieng er hinter den Tisch zu dem Bauer, nahm Speise und ass kühnlich. Als der Bauer das sah, hörte er auf zu essen und zog seinen Hut sich über die Augen. Niemand sprach mit dem andern, und als der König gesättigt war, lüpfte der Bauer seinen Hut und hiess die Teller vom Tische fort tragen; »denn nun, sagte er, wird keine Speise mehr aufzubewahren sein.«

Hierauf giengen die Leute schlafen und auch der König suchte ein Lager auf. Als er eine kurze Zeit gelegen hatte, kam ein Weib zu ihm und sagte: »Wird es dir nicht gefällig sein, dich mit mir zu unterhalten?« Der König erwiderte: »Das ist schon, dass du mit mir reden willst, denn hier im Hause ist ein schweigsam Volk.« »Das darf dich nicht wundern, sagte sie; denn wir haben unser ganzes Leben hindurch keinen Gast gehabt, und ich sehe auch, dass du dem Bauer kein willkommener Gast bist.« »Wohl möchte ich, erwiderte der König darauf, dem Bauer lohnen für allen den Aufwand, den er für mich gehabt hat, wenn ich nur erst daheim wäre.« Sie entgegnete: »Höher, denk' ich, werden wir es anschlagen, wenn uns von dir in Folge dieses Zufalles eine Ehre erwiesen wird.« »So! sagte darauf der König. Nun, ich bitte dich, künde mir doch, wie eure Leute heissen?« »Mein Vater, antwortete sie, heisset Skafnörtung, und er trägt diesen Namen deshalb, weil er so genau hinsichtlich seines Vortheils ist, dass er nicht sehen kann, dass irgendwie die Speise schwinde, oder sonst ein Ding, das er besitzet. Meine Mutter, fuhr sie fort, heisset Tötra, und zwar deshalb, weil sie niemals andere Kleider tragen will, als die zerrissen und zu Lumpen geworden sind, und es scheinet ihr das grosse Klugheit.« Da fragte der König weiter: »Und wie heissen deine Brüder?« »Der eine heisset Fiölmôdhi, der andere Imsigul, der dritte Gilling«, lautete ihre Antwort. Gauti fragte darauf nach ihrem und ihrer Schwestern Namen, und sie sagte also: »Mich nennet man Snotra, denn mich schätzet man für die klügste von uns allen; meine Schwestern aber heissen Hiötra und Fiötra. Hier bei unserem Gehöfte ist der Gillingsfelsen und daran ist die Klippe, die wir Stammklippe nennen Waren also die Leute etwa Bergriesen? Siehe hinten die Erläuterung.. Er ist so hoch und der Absturz oben so steil, dass jedes lebende Wesen, das da nieder geht, das Leben einbüsset. Stammklippe aber heisset sie darum, weil wir durch sie unseren Stamm vermindern, sobald ein unerwartetes Ereigniss eintritt; und es starben daselbst alle unsere Vorfahren ohne alle Krankheit und fuhren dort zu Ôdhin. Und unsere Eltern weigern und sperren sich nicht, denn diese Heilsstätte ist für alle unsere Sippen immer gleich offen gewesen, und wir brauchen nicht nach Verlust von Habe und Gut oder bei Nahrungsmangel am Leben zu bleiben, oder andere Zufälle und Geschicke zu ertragen, wenn sie etwa über uns kommen sollten. Nun sollst du wissen, dass deine Herkunft zu unserem Hause meinen Vater das grösseste Wunder gedäucht hat. Es wäre schon ein grosses Wunder, wenn ein gemeiner Mann an unserem Mahle Theil genommen hätte; aber wie soll man es erst nennen, wenn ein König durchfroren und kleidlos zu unserem Gehöfte kam, denn so etwas ist bis jetzt noch nie gehöret worden. Und deshalb gedenken denn auch mein Vater und meine Mutter morgen unter uns Geschwister das Erbe zu vertheilen, und darauf wollen sie, und der Knecht mit ihnen, auf die Stammklippe gehn und so zu Ôdhin nach Walhall fahren. Nicht geringer will mein Vater den Knecht belohnen für seinen guten Willen, weil er dich von der Thüre fortzutreiben suchte; so soll er denn mit ihm des Heiles gemessen; denn mein Vater glaubet es sicher zu wissen, dass Ôdhin den Knecht nicht aufnehmen werde, wenn er nicht in dem Geleite des Herren sei.« Die Knechte gehn nach dem Tode zu Thôr; zu Ôdhin nur dann, wenn sie ihren Herren freiwillig geleiten. Vgl. Sigurdharkvidha III, 62, 64, 66. Der König sagte darauf: »Ich sehe nun wohl, dass du hier die wortgewandteste bist, und du sollst meine Huld haben. Wie ich glaube, bist du noch Maid, und so sollst du diese Nacht bei mir schlafen.« Sie war dazu bereit und sagte, er habe über sie zu gebieten.

Am Morgen, als der König erwachte, sagte er zu seinem Wirthe: »Skafnörtung, ich kam zu diesem Gehöfte barfuss, darum will ich von dir Schuhe haben.« Er antwortete nichts, gab ihm Schuhe, zog aber die Schnürriemen aus. Da sagte der König:

Schuhe zween mir Skafnörtung gab,
      doch riss er ab die Riemen;
fehllos sind nie, so fand ich es,
      Geizhalses Gaben.

Hierauf rüstete sich der König zur Heimfahrt, und Snotra führte ihn auf den Weg. Der König sagte da zu ihr: »Ich fordere dich auch mich zu begleiten, denn mir ahnet es, dass unsere Begegnung Folgen haben dürfte, und wenn du einen Knaben bringst, so lass ihn Gautrek heissen nach meinem Namen und nach dem Gestösse (rekstr), das ich mit eurem Knechte gehabt habe.« Diese Deutung des Namens ist falsch; Gautrek bedeutet einfach Gautenherscher, rek hat nichts mit reka, pellere, zu schaffen, sondern ist = rîk, potens. Vgl. Iörmunrek = Ermanarîk; Thiodrek, Thiodarîk. Sie erwiderte darauf: »Was du vermuthest, das wird wohl sein; aber ich kann für jetzt nicht mit dir gehn; heute noch müssen wir Geschwister das Erbe theilen, denn unser Vater und unsere Mutter gedenken ja die Stammklippe zu besteigen.« Da zog der König einen Goldring von der Hand, gab ihr ihn und bat sie denselben als Wahrzeichen zu tragen, wenn sie ihn einst aufzusuchen gedächte. Darauf fuhr der König heim und herschte ruhig weiter.

Als Snotra heim kam, sass ihr Vater Skafnörtung über seinem Gute und sagte: »Ein grosses Wunder hat sich bei uns ereignet, da dieser König zu unserem Hause gekommen ist und vor unseren Augen so viel gegessen hat, was wir, wie sich's gebührt, ohne Zweifel übrig gelassen hätten. Ich kann nicht absehen, wie wir unser ganzes Hauswesen erhalten sollen bei so gewaltsamem Zugriffe. Darum habe ich alles mein Gut hier zusammen getragen, und ich will das Erbe unter euch, meine Söhne, theilen Die Töchter erben nicht nach altem Rechte, sie kommen vielmehr unter den Schutz (mund) des Bruders, der ihr mundwalt wird., denn ich gedenke mit meinem Weibe und meinem Knechte nach Walhall zu fahren. Dem Knechte kann ich seine Treue nicht besser lohnen, als dadurch, dass ich ihn mit mir fahren lasse. Gilling soll meinen guten Ochsen haben, und Snotra, seine Schwester, soll bei ihm sein; Fiölmôdhi soll meine Goldsteine haben, und bei ihm soll sein seine Schwester Hiötra; Imsigul soll haben alles Korn und die Aecker, und bei ihm wohne seine Schwester Fiötra. Aber darum bitte ich euch, meine Kinder, dass ihr euer Volk nicht vermehret, denn ihr würdet sonst mein Erbe zu behaupten nicht vermögen.« Und als Skafnörtung also es festgesetzt hatte, wie er es gehalten wissen wollte und wie es ihm gefiel, da giengen sie alle zusammen auf den Gillingsfelsen, und es führten die Kinder ihren Vater und ihre Mutter hin auf die Stammklippe, und sie fuhren froh und heiter zu Ôdhin Diese Art den Tod zu suchen gehöret begreiflich dem höchsten Alterthume an, nur ist sie hier märchenhaft begründet. Mehr darüber hinten in der Erläuterung..

Als nun die Geschwister wieder im Gehöfte waren, fanden sie es für nöthig, sich mit einander zu berathen. Sie nahmen darauf Holznadeln und näheten Wâdmâl Grobes Wollentuch, das in jedem Hause gewoben ward. um sich, so dass keines derselben das andere bloss berühren könnte; so glaubten sie am sichersten die Vermehrung ihres Hausstandes zu verhindern. Snotra merkte bald, dass sie ein Kind trug, und da steckte sie die Holznadel anders in dem Wâdmâl, so dass man keine Hand daran bringen konnte. Einst lag sie und that, als ob sie schliefe, aber wenn Gilling erwachte oder aus einem Traume emporfuhr, schlug er mit der Hand um sich herum, und so traf er sie jetzt an das Kinn. Wach geworden sagte er: »Hier ist ein Unglück geschehen, wenn ich dir Schaden zugefügt haben sollte. Mir kommt es vor, du seiest viel dicker, als du gewesen bist.« Sie entgegnete: »Verbirg du das, wenn du kannst!« »Etwas so Unerhörtes werde ich nicht thun, sagte er, denn auf keine Weise kann man es verbergen, wenn unser Hausstand sich mehrt.« Bald darauf gebar Snotra einen schönen Knaben und nannte ihn Gautrek. Gilling sagte da: »Ein grosses Wunder hat sich ereignet, und man kann es nicht verbergen; ich will gehn und meinen Brüdern es ansagen.« Er gieng, jene aber meinten, ihr ganzes Verhältniss würde durch dieses Wunder vernichtet, und es sei diess ein schweres Vergehen. Gilling sagte da:

Hieb bedachtlos mit der Hand um mich,
      traf an's Kinn die Kleine;
wie leicht, ach! entstehn der Leute Kinder:
      so ward Gautrek gar gar, fertig, vollendet, hervorgebracht.!

Sie sagten, man dürfe ihm keine Vorwürfe machen, da er es bereue und lieber wolle, es wäre nicht geschehen. Er erwiderte darauf, dass er gern auf die Stammklippe gehn wolle, und er sagte, dass er nur ein kleineres Wunder zu ihrer Kenntniss gebracht habe; sie baten ihn jedoch abzuwarten, ob noch ein grösseres sich ereignen würde.

Fiölmôdhi sass immer über seinem Gute und trug seine Goldsteine überall hin mit sich, wohin auch er gieng. Eines Tages schlief er ein, und er erwachte daran, dass zwo schwarze Schnecken an einen Goldstein gegangen waren. Es schien ihm eine Vertiefung da entstanden zu sein, wo das Gold geschwärzt worden war, und der Stein schien ihm sehr vermindert zu sein. Er sagte: »Es ist nichts Geringes von einem solchen Verluste am Vermögen betroffen zu werden, und wenn das sich öfter wiederholet, so muss ich, was übel ist, arm zu Ôdhin fahren; aber ich will auf die Stammklippe steigen, um nicht öfter solchen Verlust zu erleiden; denn noch niemals ist einer meiner Steine so kohlschwarz geworden, seitdem mein Vater mir sie gab.« Er sagte seinen Brüdern darauf, welch ein Wunder ihn betroffen habe, und bat die Erbtheilung vorzunehmen. Er sagte da:

Freche Schnecken mir frassen die Steine,
      alles nun will uns äffen;
schnöd' ich mich schmiegen muss, seit die Schnecken haben
      all mein Gold vergeudet.

Darauf giengen er und sein Weib Seine Schwester Hiötra. Dass Bruder und Schwester einander sich vermählen, ist wieder ein Zeichen hohen Alterthums. Die beiden anderen Brüder stunden übrigens in gleichem Verhältniss zu ihren Schwestern. zum Gillingsfelsen und sie bestiegen die Stammklippe.

Eines Tages gieng Imsigul auf seine Aecker und sah da vor sich einen Sperling, und das schien ihm etwas bedeuten zu wollen. Wie er so den Acker entlang gieng, sah er, wie der Vogel ein Korn aus einer Aehre nahm, und da sagte er:

Das war Raub, den der Rohrspatz übte
      am Acker Imsigul's;
aus der Aehr' er stahl was innen war,
      drob Tötra's Abstamm trauert.

Darauf giengen er und sein Weib fröhlich auf die Stammklippe, denn sie wollten nicht solchen Schaden öfter erleiden.

Einst war Gautrek draussen und da sah er einen guten Ochsen. Er war damals sieben Winter alt. Da kam es ihm in den Sinn, den Ochsen mit seinem Spiesse todt zu stechen, und er that das. Gilling, welcher dazu kam, sagte:

Der Junge da meinen Ochsen erstach,
      ein Wink mir ist diess Wunder.
Nie wird mir wieder so werther Schatz,
      ob auch lang' ich lebe!

Ja, das ist unerträglich, sagte er, gieng darauf zum Gillingsfelsen und erstieg die Stammklippe.

Nun waren nur noch die beiden übrig, Snotra und Gautrek, ihr Sohn. Sie rüsteten sich nun beide zum Fortzuge und wandern Tag und Nacht bis sie zu König Gauti kommen. Er nahm beide wohl auf und freute sich seines jungen Sohnes. Gautrek ward unter dem Gefolge seines Vaters auferzogen, und er erlangte früh männliche Kraft; nach einigen Wintern war er an Kraft sehr vollkommen. Da geschah es, dass König Gauti krank ward, und er rief seine Freunde zu sich. Als sie da versammelt waren, redete er sie also an: »Ihr seid mir in Allem gehorsam und folgsam gewesen, aber nun scheinet es mir sicher, dass die Krankheit, die ich habe, unsere Freundschaft trennen werde. Ich will nun mein Reich zugleich mit dem Königsnamen Die Benennung »König« hieng nicht immer von dem Reiche ab; sie ward auch zuweilen ertheilt oder auch angenommen. meinem Sohne Gautrek geben, wenn es euch so genehm ist.« Das gefiel ihnen wohl, und nach Gauti's Tode ward Gautrek zum Könige über Gautland angenommen, und es wird sein in alten Sagen überaus rühmlich gedacht.


Erläuterung.

Diese Sage erscheinet sehr märchenhaft. Es mag ein zu einem Märchen gewordener alter Mythus sein. Gauti und Gautr sind Beinamen Ôdhin's, und Gaut ist zugleich der Eponymus der nordischen Gauten wie der südlichen Gothen, wie für letztere es uns Iornandes bezeuget. Nach der Herraudhssage ist Gauti ein Sohn Ôdhin's, »der König in Swîthiodh und aus Asien gekommen war, und von dem die berühmtesten Königsgeschlechter der Nordlande abstammen«, in den angelsächsischen Stammtafeln jedoch erscheint Geát unter den Vorfahren Vôden's. Man sieht, den Einen ist Gauti Ôdhin selbst, Anderen ist er ein Sohn Ôdhin's, noch Andere machen ihn zu einem Vorfahren des Gottes. Es ist diess auch, da wir es mit einem Gotte zu thun haben, völlig gleich. Aber welches mag der Mythus sein, der hier in ein Märchen umgewandelt ist? Diese Frage ist denn nicht gerade leicht zu beantworten, obgleich uns der Mythus von Ôdhin vollständiger erhalten ist, als andere Göttermythen.

Nehmen wir einmal Gauti = Ôdhin an und sehen wir uns dann weiter um, wobei wir hauptsächlich die Namen des Märchens zu berücksichtigen haben. Gilling ist uns zunächst bekannt als der Vater Suttung's, dessen Tochter Gunnlödh durch Ôdhin ihres Methes beraubt ward, nachdem er ihr dasselbe angethan hatte, was hier Snotra durch Gauti erlitt. Wir hätten also Riesen, Thurse, vor uns, d. h. Wesen, die den Göttern bald freundlich, bald feindlich gegenüber stehn, und oft eine Bevölkerung bezeichnen, die der germanischen vorhergieng. Deshalb werden sie auch als menschenfeindliche Waldbewohner uns vorgeführt. Ihre Namen glaube ich richtig gedeutet zu haben; ich bemerke hier nur noch, dass Skafnörtung, Gilling patronymische Formen sind, und einen Skafnartr, Gillir (der letztere Name kommt wirklich vor) voraussetzen. Skafnart wäre deutsch Schabenarz; Nerz oder Nürz aber ist der Name der nagenden Sumpfotter. Das altnordische narta bedeutet rodere, lamberare, nagen, zerreissen, und der geizige Bauer (Riese), der sich nicht satt essen mag, noch weniger Anderen etwas gönnet, wird sehr angemessen »Sohn des Schabenagers« genannt. Die Riesen sind von Hause aus Esser (iötnar, ezaná) und folglich nicht mittheilsam. Sie sind ferner ein mythisches Bild für die wilden, zerstörenden Naturkräfte, weshalb sie denn eben Feinde der Götter sind. Skafnörtung wird also das nagende, fressende Gewässer des Waldsumpfes bezeichnen, wie seine Söhne Gilling den brausenden gellenden Bergstrom, Fiölmôdhi (sehr müde) den schleichenden Waldbach, Imsigul (vielleicht besser Ymsigul, von yma rauschen und sîga seigen, sickern) den mit Geräusch sickernden. Haben also die Söhne auf die Gewässer des Waldes Bezug, so wird diess auch mit den Töchtern so sein. Zu Hiötra halte ich die altdeutschen Namen Hiza, Hizaka, Hizila, Hizipirn; alle diese Namen hangen mit heiss und Hitze zusammen, wonach Hiötra eine warme Waldquelle bezeichnen wird. Fiötra bedeutet die Gefesselte, bezeichnet also wieder einen schleichenden Waldbach. Die dritte endlich, Snotra, ist der Bedeutung nach die schlaue, kluge, schöne, bezeichnet also einen anmuthigen Bach, deren es in den Wäldern auch giebt.

Dass der Verfasser des Märchens die Riesen als in den Wald geflüchtete Bauern darstellt, darf uns nicht wundern, denn solche Flucht kam oft genug vor, und damit wird es auch begreiflich, dass er sie, wenn sie sterben wollen, sagen lässt: »sie wollen zu Ôdhin nach Walhall fahren«, denn das war der landübliche Ausdruck für »sterben«.

Wir haben also in diesem Märchen einen alten Stammmythus. Ôdhin, der Vater aller Âsen (Götter), als Gauti Benamer der Gauten, will diesem Volke einen König geben, der sein Sohn ist. Mit einer Göttin kann er diesen nicht erzeugen, weil ein solcher Sohn wieder ein Gott wäre, und so wählt er sich zu diesem Zwecke eine Riesenjungfrau. Dieser Sohn wird dann später Gautenkönig (der Name Gautrek drückt eben Gautenkönig aus) und ein berühmter Held. Begreiflich wird der alte Mythus vieles anders gehabt haben, als das Märchen jetzt es bietet, und manches, was das Märchen giebt, wird dem Mythus fremd gewesen sein.

Besonders merkwürdig ist die Sitte, dass Kinder ihre Eltern, wenn diese lebenssatt sind, auf ihren Wunsch hin von einem Felsen hinabstossen. Sie gehört dem höchsten Alterthume an, und war, scheinet es, vielen Völkern gemeinsam. Seneca in den Trojanerinnen 1, 67 sagt:

Der hohe Fels hier steigt empor mit steilem Haupt,
weit blickt er über des Meeres Fläche drunten hin:
besteigen den wir! Hier stürzt steil der Fels hinab,
hier gähnen auf zerrissene Schluchten schauertief.
Besteigen den wir! Schäumend braust der Strom hinab,
und wälzt mit sich des ausgenageten Bergs Gestein.
Auf, stürzen wir in den uns!

Procopius im zweiten Buche seiner gothischen Geschichte sagt von den Herulern: Weder den Greisen noch den Unheilbarkranken ist es erlaubt am Leben zu bleiben. Sobald das Alter drückender, die Gesundheit schlechter ward, waren sie verpflichtet die Verwandten darum selbst anzugehn, dass sie sie von den Beschwerden des menschlichen Lebens befreieten. Diese errichteten demnach einen hohen Scheiterhaufen, legten den Greis darauf, und sandten einen Mann mit einem Dolche über ihn, zwar einen Heruler, aber einen von fremdem Blute, weil sie es für Frevel halten, dass ein Verwandter sich mit dem Blute eines Verwandten beflecke. Sobald der Abgesandte den Scheiterhaufen bestiegen hatte, um die That zu vollbringen, ward das Holz von unten angezündet, die Gebeine aber wurden, sobald das Feuer erloschen war, gesammelt und begraben.

Unter den Wenden der Lüneburger Heide scheinet diese Sitte sich am längsten erhalten zu haben. Cranz in seiner Histor. Vandal. VII, 48 erzählt einen solchen Vorfall aus dem Jahre 1309. »Die uralte Barbarei, nach welcher die alten Eltern von den Kindern umgebracht, und die zur Arbeit untauglichen Greise sich zu tödten genöthigt wurden, übte zu dieser Zeit auch einer der wendischen Bauern, welche in harter Leibeigenschaft kaum das tägliche Brot durch Arbeit und Schweiss erwerben. Die Gemahlin des Grafen von Mansfeld, eine geborene Gräfin von Luchow, reiste, um ihre Eltern zu besuchen, im Jahre 1309 durch die Lüneburger Heide und hörte in einem nahen Gebüsche die Stimme eines weinenden und herzrührend flehenden Mannes. Sie sandte einige ihrer Leute sich nach der Ursache zu erkundigen, wartete jedoch deren Rückkehr nicht ab, da sie lange ausblieben, und befahl sie in das Gebüsch zu fahren. Hier sah sie einen steinalten Greis mit gebundenen Händen flehend bitten, man solle doch seines Lebens schonen. Daneben sah sie einen Mann, der eine Grube grub. Sie fragte ihn, was er da mache. Jener, der nichts unerlaubtes vor zu haben glaubte, sagte unbedenklich, dass er seinen zur Arbeit unfähigen und unnützen Vater begraben wolle, da er sein Brot nicht mehr verdienen könne. Sie beschalt ihn als gottvergessenen Mann, da er das Gebot, die Eltern zu ehren und Niemand zu tödten, nicht beachte. Er sagte darauf seufzend: »»Herrin, ich kann nicht meinen Kindern, deren ich viele daheim habe, das Brot wegnehmen und dem unnützen Alten geben; beide jedoch zu ernähren vermag ich nicht; was soll ich thun?«« »»Ihr sehet, wandte sich die Gräfin zu ihren Leuten, wie die Lage dieser Armen ist, mit denen Niemand Erbarmen hat, und die man bis auf das Blut aussauget.«« Sie nahm hierauf einige Thaler und gab sie dem Sohne, auf dass er den Vater leben lasse, und er versprach des Vaters zu schonen, so lange die Thaler ausreichen würden. Darauf fuhr sie von dannen und sprach zu ihren Leuten noch viel über die Bedrückung des niederen Volkes, aber Niemand nahm es sich sehr zu Herzen. Wie viele, glauben wir, mögen wohl auf solche Weise zu sterben gezwungen werden?«

Kreyssler in Antiqu. Sept. S. 148 führt ein ähnliches Beispiel aus dem Jahre 1220 an. Leowin von Schulenburg, Statthalter der Mark Brandenburg, rettete aus gleicher Lage bei Luchow einen Greis, der seitdem noch zwanzig Jahre lebte; er war früher bei ihm Thorwart gewesen. Ein Wald bei Luchow hiess von solchen Vorkommnissen das Jammerholz. Von den Galliern berichtet Aelian, Var. Hist. XII, 13, dass sich Alte bei Ueberschwemmungen durch die Gewalt des Stromes freiwillig fortreissen lassen. Von den Nordvölkern berichtet Mela de situ orb. III, 6: Wenn sie des Lebens überdrüssig sind, bekränzen sie sich und stürzen sie sich freudig von einem gewissen Felsen in das Meer, und Plinius Hist. nat. IV, 12 bestätiget es. Von den Massageten sagt Herodot: Sie halten es für schimpflich, durch Krankheit umzukommen; hochbejahrte Leute werden von den Verwandten den Göttern geopfert. Endlich von den Thrakern berichtet Solinus: Alle sehen freiwilligen Tod für rühmlich an; einige glauben, dass die Seelen der also sterbenden zurückkehren, andere, dass sie ein höheres Glück erreichen.

Diese Zeugnisse liessen sich noch mehr vermehren, aber die angeführten genügen darzuthun, dass wir es in unserem Märchen wirklich mit einer alten Sitte und nicht mit einer Erfindung zu thun haben, wenn diese Sitte auch immerhin etwas in das Lächerliche verzogen ist.



 << zurück weiter >>