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5. Syrith, die strenge Jungfrau.

Sigwald war ein Sohn Ingwin's, den Halfdan zum Könige ernannt hatte. Sigwald's Tochter hiess Syrith, und sie war so keusch, dass sie, da sie ihrer Schönheit wegen von einer grossen Menge der Freier umworben ward, niemals dahin gebracht werden konnte, dass sie auch nur einen derselben angeblickt hätte. Das Vertrauen auf ihre Keuschheit bewog ihren Vater ihr zu gestatten, dass sie denjenigen zum Gatten wähle, der es vermocht hätte, durch die Süssigkeit seiner Liebkosungen einen Blick von ihr zu erlangen. Damals nun entbrannte ein gewisser Othar, ein Sohn Ebbo's, so heftig in Liebe zu dieser Jungfrau, dass er, gestützt auf die Macht seiner Freundlichkeit und Beredsamkeit, beharrlich um die Jungfrau warb. Er bemühte sich nun mit allen Kräften seines Geistes einen Blick von ihr zu erlangen, allein, da nichts im Stande war sie zu bewegen ihre niedergeschlagenen Augen einmal aufzuschlagen, so wandte er sich ab, indem er ihre unbesiegbare Strenge bewunderte. Nun trat auch ein Riese als ein Bewerber um Syrith auf; da er aber auf gleiche Weise alle seine Mühe wirkungslos sah, so stellte er ein Weib an, das, nachdem sie in das Vertrauen der Jungfrau sich eingeschlichen und sie eine Zeit lang als Dienerin begleitet hätte, sie endlich aus dem väterlichen Hause entführen sollte; er selbst wollte dann plötzlich hervorbrechen und sie auf unzugängliche Gipfel des Gebirges bringen. Andere jedoch geben an, dass der Riese selbst die Gestalt eines Weibes angenommen und, nachdem er das Mädchen durch Truglist aus dem Hause des Vaters herausgelockt, die Rolle des Räubers dann zu Ende gespielt habe. Als Othar den Raub der Jungfrau erfuhr, durchsuchte er, um die Jungfrau aufzuspüren, das Innere des Gebirges, fand sie wirklich auf, tödtete den Riesen und führte sie mit sich von dannen. Aber der geschäftige Riese hatte das Haupthaar der Jungfrau durch feste Knoten so stark rückwärts verschlungen, dass die verwickelte Zusammenhäufung der Haare durch Verkräuselung zusammengehalten ward, so dass nicht leicht Jemand ohne Scheere die verwickelten Haare lösen konnte. Wiederum gab sich Othar alle Mühe und wandte verschiedene Reizmittel an, den Blick der Jungfrau auf sich zu ziehen; da er jedoch die starren Augen eine lange Zeit vergeblich gereizt hatte, gab er sein Beginnen auf, da dasselbe, wie er sah, nichts erreichte, und verliess sie. Als sie nun die Krümmungen des einsamen Gebirges längere Zeit durchirrt hatte, kam sie zu der Hütte eines scheusslichen Waldweibes. Von diesem ward sie gezwungen die Heerde ihrer Ziegen zu weiden, und da sie wiederum durch Othar die Freiheit erlangt hatte, ward sie von ihm also angeredet:

Willst du meinen Wünschen lieber
Gewährung winken,
dich in Liebe mir verloben
mit holdem Herzen,
als die Heerde hier bewachen,
stets einathmend das Gestänke
zottiger Ziegen?

Stoss' zurück die rauhe Rechte
der harten Herrin;
fleuch des wilden Weibes Wohnung,
der rauhen Riesin.
Schöneren Raum ja beut mein Schiff dir;
fügsam folge: dort du findest
fröhliche Freiheit.

Hüte länger nicht die Heerde
der guspern gusper = neckisch, munter. Geissen;
lenke fürder nicht die Läufe
des schmächt'gen Schmalviehs;
gerne mir als Gattin folge,
lass den Lohn so langer Liebe
höhen das Herz mir.

Eifrigst du mit Ernst Erstrebte
mit treuster Treue,
hebe die starren, strengen Blicke
nach oben einmal;
leis erhebend die lichten Augen,
dein in Scham so schönes Antlitz
zeige mit Züchten.

Führe dich zu Vaters Halle
von hier, zur Heimath;
froh dich soll die fromme Mutter
am Herzen hegen,
wenn du ein Mal nur der Augen
Blick, bewegt durch meine Bitten,
hebst in die Höhe.

Die aus düsterer Dursen Höhle
ich vielmals führte,
des Verdienstes du gedenke,
vergilt die Gänge;
wohl erwägend all mein Werben,
wohl bemessend mein Bemühen,
steure der Strenge.

Das Mädchen jedoch behauptete nichtsdestoweniger die Kälte ihrer unbeweglichen Augen, auf dass nicht durch den Anblick eines Mannes ihres Herzens Schamhaftigkeit verletzt werde. Da nun also Othar auch nicht durch die zwiefache Wohlthat den Blick der Jungfrau auf sich zu wenden vermochte, so zog er sich vor Scham und Aerger auf sein Schiff zurück; Syrith aber, die nach alter Weise die Klippen durchirrte, kam zufällig zu Ebbo's Hause und nannte sich hier, ihrer Nacktheit sich schämend, die Tochter dürftiger Leute. Aber Othar's Mutter, die sie genauer beobachtete, liess sich nicht täuschen und merkte bald, obgleich die Jungfrau abgezehrt erschien und nur mit dürftigem Gewande bedeckt war, dass sie von hohem Stamme entsprossen sei, wies ihr demgemäss den Ehrensitz in der Halle an und behielt sie bei sich, mit aller Freundlichkeit ihr begegnend. Den Adel der Jungfrau verrieth nämlich ihre Schönheit und ihre Gesichtszüge liessen ihre Abstammung erkennen.

Als Othar sie einst erblickte, fragte er, warum sie ihr Haupt stets mit dem Schleier verhülle, und um ihre Gesinnung noch sicherer zu erforschen, vermählte er sich zum Scheine mit einer Magd. Und als er in das Brautgemach sich begab, befahl er der Syrith, die Fackel ihm vorzutragen. Als die Fackel nun fast herabgebrannt war, und das immer mehr sich nähernde Feuer ihre Hand zu brennen drohte, zeigte sie so grosse Ausdauer, dass sie die Hand unbeweglich hielt und keinen Schmerz durch die Gluth zu empfinden schien. Als ihr endlich Othar befahl für ihre Hand Sorge zu tragen, wandte sie ihre sanften Blicke schamhaft auf ihn. Sogleich liess er die vorgespiegelte Vermählung fallen und bestieg mit ihr das Brautbett; und als später Sigwald den ergriffenen Othar hängen lassen wollte, weil er seiner Tochter Gewalt angethan hätte, erzählte Syrith sofort alle Umstände ihrer Entführung, und erwarb ihm nicht nur die Gunst des Königs aufs neue, sie bewog sogar ihren Vater, sich mit dessen Schwester zu vermählen.


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